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Deutschland Gebühren-Verweigerin

„Die erzwungenen Einnahmen werden dann rausgeschmissen“

„Solange man mir meine Freiräume lässt, bin ich friedlich. Aber wenn man mich bevormunden will, dann ist meine Grenze erreicht“, sagt Sieglinde Baumert. Sie ist in Erzwingungshaft „Solange man mir meine Freiräume lässt, bin ich friedlich. Aber wenn man mich bevormunden will, dann ist meine Grenze erreicht“, sagt Sieglinde Baumert. Sie ist in Erzwingungshaft
„Solange man mir meine Freiräume lässt, bin ich friedlich. Aber wenn man mich bevormunden will, dann ist meine Grenze erreicht“, sagt Sieglinde Baumert. Sie ist in Erzwingungshaft
Quelle: Lutz Stordel
Sieglinde Baumert weigert sich seit 2013, für ARD und ZDF die Rundfunkgebühren zu zahlen – wie viele. Nun erfährt sie Bewunderung. Denn sie ist die Erste, die dafür ins Gefängnis gegangen ist.

Ihr aktuelles Zimmer: spartanisch, Blick auf den Hof. Bett, Schreibtisch, kleines Radio mit Uhr. Keiner verlangt von ihr dafür Rundfunkgebühren. Denn Sieglinde Baumert ist vom Beitrag befreit, schon seit dem 4. Februar 2016.

An diesem Tag wurde die ausgebildete Krippenerzieherin verhaftet und sitzt nun in Erzwingungshaft im Frauengefängnis der JVA Chemnitz. Sie weigert sich beharrlich, ihre Haushaltsabgabe für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu leisten.

Eine vom Gerichtsvollzieher geforderte Vermögensaufstellung hatte sie nicht unterzeichnet: „Mit meiner Unterschrift würde ich die Rechtmäßigkeit der Zwangsgebühren bestätigen. Das will ich nicht, denn ich kann nicht verantworten, dass ich diesen Rundfunk mitfinanziere.“

Erst einmal zahlen, wenn auch unter Vorbehalt. Ein Widerstand gegen Vollstreckungsmaßnahmen ist im Grunde zwecklos
Sascha Giller, Rechtsanwalt

Haft als Streik also. Kurios nur: Ihre Zelle fällt für ARD und ZDF unter Gemeinschaftsunterkünfte – und die sind beitragsfrei. „Im Gefängnis könnte ich den ganzen Tag umsonst fernsehen“, spottet Sieglinde Baumert.

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Anfangs ging es um 190 Euro, die der Beitragsservice eintreiben wollte. „Ich habe seit 2013 nicht mehr gezahlt, dann versuchten Gerichtsvollzieher, den Betrag einzutreiben, eingeleitete Pfändungen blieben erfolglos. Ich habe nie Einspruch erhoben, Schreiben ignoriert, wollte dagegen von der Justiz die Rechtmäßigkeit des Gebühreneinzuges erklärt bekommen.“

Dabei weiß auch Sieglinde Baumert, dass es nicht zu den Aufgaben der Vollstreckung gehört, bestätigte Forderungen zu bewerten. „Ich ließ alles auf mich zukommen“, erzählt sie.

Festnahme am Arbeitsplatz

Am 4. Februar traf der Gerichtsvollzieher sie dann an. Gegen 10.30 Uhr erschien er mit der Polizei im Metallbetrieb, in dem Baumert, Brüchen in ihrer Biografie geschuldet, einen Hilfsarbeiterjob ausübte.

„Ich habe in meiner Halle gerade Platinen bestückt, als der Anruf kam, ich solle ins Hauptgebäude kommen. Dort stand der Gerichtsvollzieher mit zwei Polizisten und hat mich gefragt, ob ich jetzt bereit wäre, eine Vermögensauskunft abzugeben. Als ich das erneut verweigerte, ging es ab zur Polizeiwache Bad Salzungen, von dort direkt in die Haftanstalt. Ohne Handschellen, trotzdem gab es perplexe und schockierte Gesichter.“ Nach der Verhaftung am Arbeitsplatz erhielt sie die Kündigung.

Sieglinde Baumert wirkt nicht niedergeschlagen, die Erzwingungshaft, so scheint es, sieht sie auch als Selbsterfahrungstrip. Kontakte knüpfen, Grenzen austesten. Wenn die Einzelzelle nach Ausgabe der Kaltverpflegung um 16 Uhr geschlossen wird, kommt sie ihrer Lieblingsbeschäftigung nach: dem Lesen. Sie bekommt viel Post von Unterstützern, mit denen sie in den sozialen Netzwerken Kontakt aufgenommen hat, zwei Briefe am Tag, die sie auch beantwortet.

Anwalt warnt vor Nichtzahlung

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Initialzündung für ihren Protest war ein Fund im Internet: die von Gebührengegnern verbreitete und gern zitierte Doktorarbeit von Anna Terschüren („Reform der Rundfunkfinanzierung in Deutschland“). „Sie hat dargelegt, dass die das derzeitige System der Finanzierung verfassungswidrig ist“, interpretiert Sieglinde Baumert die Arbeit. Und dann habe sie einfach gedacht, wenn etwas verfassungswidrig ist, dann wird es auch gekippt. Und nicht mehr gezahlt.

„Der falsche Weg“, findet Rechtsanwalt Sascha Giller von der Jenaer Anwaltskanzlei PWB. Er treibt mit seinen Kollegen gerade eine weitere Klage gegen die Haushaltsabgabe voran, nachdem das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig Ende Februar das System der Haushaltsabgabe für rechtens erklärt hatte. Nun soll das Bundesverfassungsgericht klären, ob der derzeitige Beitragseinzug einen Eingriff in die Grundrechte der Bürger darstellt.

Und den sieht Giller als gegeben an: Die Handlungsfreiheit der Menschen sei beeinträchtigt, der Gleichheitsgrundsatz verletzt. „Für die Zukunft muss zudem geklärt werden, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk noch die Grundversorgung abdeckt oder mit seinen Angeboten weit darüber hinausgeht. Denn nur die Grundversorgung ist gesetzlich geschützt.“

Klage gegen Rundfunkbeitrag gescheitert

Der Rundfunkbeitrag für private Haushalte ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Der Beitrag von 17,50 Euro muss auch von jenen gezahlt werden, die keinen Fernseher oder Radio besitzen.

Quelle: Die Welt

Giller berät viele Mandanten, die aus unterschiedlichen Gründen gegen die Zwangszahlungen vorgehen wollen. Eines aber rät er allen: „Erst einmal zahlen, wenn auch unter Vorbehalt. Ein Widerstand gegen Vollstreckungsmaßnahmen ist im Grunde zwecklos“, weiß er aus seiner Praxis.

Selbst der Widerspruch gegen Zahlungsforderungen habe keine aufschiebende Wirkung. „In Internetforen kursieren viele Falschinformationen, bei denen ich als Jurist schon schmunzeln muss. Die Grenzen des Rechtsstaates müssen schon eingehalten werden.“

Für die Erzwingungshaft sieht der Rechtsstaat eine Grenze von sechs Monaten vor. Wenn Sieglinde Baumert beim einstündigen Hofgang um 8:15 Uhr auf die anderen Gefangenen trifft, wird sie an ihre Sonderstellung erinnert: „Die anderen Inhaftierten sagen im Prinzip alle: Wenn ich nur wegen einer Unterschrift hier wäre, dann wäre ich längst draußen. Aber Hut ab, dass du es machst.“

Sie macht es nicht für eine Partei, keine Organisation, die den Kampf gegen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in die Programmatik aufgenommen hat. Nach eigenem Bekunden ist sie vielleicht eher eine Grüne, die nie grün wählen würde. Und deren Ansichten zur Putin-Medienberichterstattung denen der AfD-Anhänger ähneln.

Internet statt Fernsehen

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Einer Partei fühle sie sich nicht nahe, sie sei wohl eher eine „Anarchistin“. Und sie beklagt nicht nur einen vermeintlichen Machtmissbrauch der Öffentlich-Rechtlichen: „Ich fühle mich bevormundet, bekomme die Entscheidung abgenommen, wofür ich mein Geld ausgebe. Und die erzwungenen Einnahmen werden dann rausgeschmissen ohne Ende. Mit Fußball kann ich zum Beispiel gar nichts anfangen. Und wenn ich dann lese: Eine Minute Sportschau kostet 40.000 Euro, da frage ich mich, warum ich dafür nur einen Cent investieren soll.“

Dabei ist auch Sieglinde Baumert nicht ohne Fernsehen aufgewachsen. „Aber irgendwann ist es mir dann langweilig geworden, zu Hause habe ich heute weder Fernseher noch Radio, meine Informationsquelle ist das Internet.“ Und das sei im Gegensatz zu ARD und ZDF „vielseitig und umfassend“.

Aber sie ahnt wohl auch: Ihre private Forderung nach mehr Esoterik im TV-Programm könnte als Aufruf zur Gründung eines neuen Spartenkanals verstanden werden. Die Gebührenverweigerin mischt bei Facebook mit, vermisst dort aber, dass zwischen den vielen Protestgruppen der Zusammenhalt fehlt. „Würde jeder meinen Weg gehen, wären die Gefängnisse schnell voll und die Kosten hoch.“

Quelle: Infografik Die Welt

Im Internet kursieren Zahlen von etwa zwei Millionen Haushalten, die den Rundfunkbeitrag aus Protest schuldig bleiben. Eine schlecht belegbare Angabe bei verschiedenen Mahnstufen und Gründen der Nicht- oder verspäteten Zahlung.

„4,5 Millionen Beitragskonten waren am Stichtag 31.12.2014 in Mahnverfahren oder Vollstreckung“, erklärt Christian Greuel, Pressesprecher der Beitragskommunikation ARD/ZDF/Deutschlandradio. Wie viele davon aber tatsächlich Beitragsverweigerer sind, würde aus Gründen des Datenschutzes und der Datensicherheit nicht erfasst. Nur ein einziger Mensch hat die Verweigerung so weit getrieben, dass der Protest letztlich im Gefängnis endete: Sieglinde Baumert.

Nächste Haft in zwei Jahren möglich

In der bisherigen Haftzeit hat sie sich nur äußerlich verändert, die langen Haare nach der ersten Woche abgeschnitten. „Sturköpfig“ sei sie schon immer gewesen, und deshalb hätte sie nun den Weg ins Gefängnis gewählt.

„Solange man mir meine Freiräume lässt, bin ich friedlich. Aber wenn man mich bevormunden will, dann ist meine Grenze erreicht. Es gibt Leute, die finden das gut, und es gibt Leute, die finden das nicht gut.“

Wer aus ihrer Familie wie zu ihr steht? Verschlusssache. Das private Umfeld, so ihre Bitte, möge in die Berichterstattung nicht einfließen. Und vielleicht sieht sie Freunde und Familie auch nicht erst im August wieder: „Ich habe ja auch im Hinterkopf, dass ich wieder rauskann. Deshalb fühle ich mich auch nicht hundertprozentig gefangen.“

Nach Ablauf von sechs Monaten aber muss sie entlassen werden, auch ohne die geleistete Unterschrift. Der nächste Haftantritt wäre dann erst nach zwei Jahren möglich.

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