Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

krabbeln, krabeln

krabbeln, krabeln.
I.
Heimat, formen, verwandtschaft.
a)
krabbeln weist mit seinem bb auf das nd. als seine rechte heimat, man bringt es dort mit der da wolbekannten krabbe in verbindung, 'eigentlich die füsze wie eine krabbe bewegen', dann 'auf händen und füszen herum kriechen, wie die kleinen kinder, um sich greifen wie eine krabbe, krauen'. brem. wb. 2, 860, und ohne zweifel hat die krabbe von diesem stamme mit dieser bed. ihren namen, der zugleich als zeugnis für hohes alter des stammverbums gelten kann; so stimmt engl. zu scrawl, eine krabbenart, scrawl krabbeln Halliw. 714ᵃ. ebenso stimmt zu altn. krabbi krabbe, krebs norw. krabba krabbeln, kriechen.
b)
die hd. form verlangt eigentlich krappeln, und das besteht auch, schon mhd. (s. dort). aber es gibt daneben gut hd. krabeln (s. die beispiele), auch diesz schon im 15. jh., sicher schon mhd. krabelen (mit kurzem a), später regelrecht zu krâbeln geworden, wie das hd. 'krabeln' u. II meist zu sprechen sein wird, und wie z. b. aus Tirol Schöpf 337 kraͦbeln gibt (doch daneben krabbeln); ebenso stehn kribbeln und kriebeln nebeneinander. Aber nd. krabbeln und hd. krabeln sind demnach eig. zwei besondere worte; doch können sie nicht getrennt werden, da sie im nhd. sprachgefühle sich vermischt haben, wie denn Göthe für sein urspr. krabeln später krabbeln annahm (s. II, 1, a). letzteres trug den sieg davon, weil es zugleich in mitteld. rede gilt; übrigens begegnen sich auf md. boden nd. krabbeln und hd. krappeln.
c)
dem hd. krabeln aber entspricht genau altn. krafla krabbeln (Möbius 239), norw. kravla, schwed. krafla, dial. kravla Rietz 352ᵇ, dän. kravle, während dem nd. krabbeln nord. krabba entspricht (s. krabben), vielleicht auch krabbla Rietz 352ᵇ (das isl. krabla steht für krafla). alles das zeugt zugleich für hohes alter des wortes in beiden gestalten. die erste zeigt sich auch engl. in dial. craffle kriechen, nd. mit umlaut (s. u. II, 7) in kreffeln krabbeln Schottel 1350, nl. krevelen, wie auch schw. dial. kräväl Rietz 352ᵇ, falls nicht diese alle unserm kriebeln entsprechen.
d)
aber auch hd. mit f in tirol. krefflen, krêflen kriechen, klettern (II, 1, d und 6), sodasz im auslaut alle drei lautstufen erscheinen. diesem hd. f entspricht auch nord. p in altn. krapsa kratzen, scharren (s. II, 3), vergl. altn. norw. kroppa klauben, knaupeln, es sind nur andere ausgestaltungen desselben stammes.
e)
auch im anlaut erscheint andere lautstufe in nd. grabbeln, engl. grabble, hd. grappeln, aber wieder auch hd. grabeln (z. b. II, 3, e. 4, a), in der Zips graffeln tastend kriechen Schröer 56ᵃ, engl. grape u. s. w. (s. weiter unter G), der ganze stamm ist von alters her einer der am reichsten entwickelten. Auch mit s- vor dem anlaut (s. dazu unter krampf) engl. scraffle und scrabble (auch scramble, wie cramble) klettern, wimmeln, krabbeln, vgl. nl. schrabben, schrappen kratzen, nd. schruppen, engl. scrub u. s. w.
f)
auch ablautung fehlt nicht, denn wie zu krabbeln, krâbeln sich kribbeln, kriebeln stellt, ebenso nach e nd. grubbeln krabbeln, tasten, wühlen, engl. grubble, und es wird in anbetracht des hd. grabeln, grappeln auch hd. grübeln hierhergehören, ahd. grubilôn, crupilôn; es wird auch schon ahd. grapalôn, krapalôn bestanden haben.
g)
der begriffskern dieser aller ist das krümmen der finger, zehen, klauen zum greifen, krauen, kriechen, wühlen, kratzen, sie bilden einen in sich wieder reich entwickelten zweig der einen groszen sippe von greifen, graben, krampf, krumm u. a.; s. weiter krimmen, aber auch kratteln und krageln von gleicher bed., zunächst aber krabben.
II.
Gebrauch und bedeutung.
1)
mit den füszen, mit allen vieren krabbeln, von gewürm, kleinem gethier, oder von kindern, sich krabbelnd bewegen (schweiz. gramseln, zu demselben stamm gehörig).
a)
oberd. krabeln (s. I, b, aber auch hier a. e.):
auch schmeckten (witterten) do der sunnen prünseln (im lenz)
die kleinen würmlein in den clünseln,
aus gruft der erden gunden sie (l. gundens) crabeln
und auch nach irer narung zabeln.
H. Folz, fastn. sp. 1305;
wie .. die fruͤ sun herfür lockt mit mancherlei zabelns und krabelns das clein gewürm. 1302; wie .. der alten hausväter reim leret: wer nicht recht und gabelt (heu), wenn die brem sticht und krabelt, der lauft im winter mit dem stroseil, fragt 'hat auch jemands hew feil?' Mathesius Sar. 24ᵇ (kann doch auch jucken sein); die würmer krabeln im käse. Steinbach 1, 921. Noch bei Göthe: der medicus .. fand mich auf der erde unter Lottens kindern, wie einige auf mir herumkrabelten ... Werther 1775 s. 48 (in den werken 16, 40 krabbelten); wenn meine buben noch über einander krabeln wie junge katzen. Göthe und Werther 122, doch ebenda schon auch: wollte ich säsze noch zu Lottens füszen und die jungen krabbelten auf mir herum. 56. Die aussprache mit kurzem a fehlt doch auch oberd. nicht (vgl. I, b):
wi i kumm, so het si (die sterbende elster) noch gezawwelt
un mit de füeszle so am bodde stark gekrawwelt.
Arnold pfingstmontag 60,
wie ebend. gawwel, schnawwel, gabel, schnabel. aber bair. z. b. gibt Schm. bestimmt krabeln, tirol. Schöpf kraͦbeln, anderseits vom Mittelrhein bei Kehrein 242 krabeln oder kraweln und krabbeln, krawweln.
b)
krabbeln (so z. b. bei Ludwig, neben grabbeln): Klinias hatte indessen seine reusen gehoben. viele krebse krabbelten drinn. Bronner fischerg. 18; was brauchts dir (Erwin v. Steinbach) denkmal! du hast dir das herrlichste errichtet. und kümmert die ameisen, die drum krabbeln, dein name nichts, hast du gleiches schicksal mit dem baumeister der berge aufthürmte in die wolken. Göthe 39, 339, vgl. unter 5, b; da krabbeln sie nun wie die ratten auf der keule des Hercules. Schiller 106ᵇ; die welt und alles was in ihr lebt und krabbelt. Gutzkow ritter v. g. 9, 327.
c)
die art der bewegung wird auch näher bezeichnet, mit heran, umher, herauf u. ä. (s. schon unter b): grashupfer tanzten um mich her, ameisen krabbelten heran. Göthe 22, 195; ein käse, auf dem milben umher krabbeln. Immermann Münchh. (1841) 3, 228. auch die folgenden beispiele gehören dazu.
d)
auch von erwachsenen menschen (wie bildlich schon u. b), wenn sie kletternd, kriechend u. ä. mit händen und füszen arbeiten:
er (der gestürzte) rafft sich auf und krabbelt nach.
Göthe 10, 250. 1, 182;
von ferne seh ich einen menschen .. der zwischen den felsen herumkrabelte und kräuter zu suchen schien. Werther 1775 s. 163, in der ausg. 1787 s. 221 herumkrabbelte (in den werken 16, 135 rabbelte); im walde herumkrabbeln (roder). Hermes Sophiens reise 6, 235, von einem alten der nach moos sucht. selbst trans., refl.: ich krabbelte mich wieder in die höhe und stieg wieder auf das pferd. derselbe.
e)
dasselbe in kühner bildlichkeit bei Göthe (es war offenbar eins seiner lieblingswörter): nehmen sie ihre knaben gleich mit zu schiffe und lassen sie im diense herankrabeln. werke 49, 80, krabbelnd heranwachsen, zugleich nach 5.
2)
wimmeln, von der wirren und stätigen bewegung einer unerfaszbaren menge (schon unter 1 öfter mit), früher und oberdeutsch wieder krabeln:
wann ich sah dort (auf der kirms) ein grosze meng
der bawern, die mit eim gedreng ....
mit schweinspisz, trischeln und mistgabeln
theten fast (sehr) durch einander krabeln.
H. Sachs 1, 529ᵈ (1590 396ᵈ);
laszt nur, mich irrts nicht wenn noch so viele (feinde) um mich herum krabbeln, mir ists als wenns ratten und mäuse wären. Göthe 8, 61; da nun Winter ein wahrer koloss ist, so stellt er (indem er die tauben füttert) das bild des Nils dar, der von einem kleinen geschlecht umkrabbelt wird. Bettine br. 2, 100. vgl. 'kribbeln und krabbeln' unter kribbeln.
3)
krabbelnd jucken, kitzeln, krauen, theils mit dat., theils mit acc. des objects, wie kitzeln.
a)
so wieder krabeln Stieler 1033 (nl. krevelen): elten, fohren oder forellen, die musz man fein unten an den beuchen krabeln oder krauen, so stehen sie gar stille. Coler. hausb. (1640) 500.
b)
krabbeln: wenn ein käfer in dem nabel krabbelt (unter eine stürze gethan). Chr. Weise kl. leute 273 c. 14;
ihm krabbeln käfer in der hand.
Göthe 41, 46.
auch von menschen: im bart krabbeln. Fr. Müller 1, 144;
wenn ich hübsch traulich rabble
und hinterm ohr ihm krabble.
Bürger 22ᵇ;
bald krabbelt sie mich an dem bart.
Weisze kom. op. 2, 87.
c)
von dingen, eig. im vergleich mit krabbelnden thieren oder fingern: ah! was krabbelt mir denn hinter den ohren? (sie hascht darnach) verzweifelt, ohrgehänge! Weisze kom. op. 2, 59, noch mit dat., weil die urspr. bed. 1 noch vorwiegt, während bei dem acc. unter a schon völlig die bed. kitzeln eingetreten ist. auch unpers., wie kitzeln:
mir krabbelts an der groszen zeh.
Göthe 41, 19;
es krabbelt mir am hals! (vom vorgefühl des stricks).
7, 66.
d)
auch von inneren 'kitzelnden' empfindungen:
de leve (liebe) de krabbelt mi sehr.
Lappenbergs Lauremberg 144;
doch der verkappte gast
empfand auf seinem rücken
mit krabbelndem entzücken
kaum seine schöne last.
Bürger 22ᵇ (Europa);
ich weisz nicht was für ahndungen wie spinnen mir übers herz krabeln. Göthe an fr. v. Stein 1, 162, noch mehr nach 1, wie unter e am ende;
es krabbelt ihr ums herz, und sie versteht nicht was (liebe).
werke 7, 47;
das trallern ist bei mir verloren,
es krabbelt wol mir um die ohren,
allein zum herzen dringt es nicht.
41, 120.
e)
auch, wie kitzeln, von üblen empfindungen:
dem herren pfaff das krabbeln thät (ärgern).
Göthe 56, 28 (ew. jude);
aber geistliche zusprüche mochte er doch nicht, sie machten ihm wunderlich, sie krabbelten ihm in den gliedern, er wurde ungeduldig. Gotthelf 3, 270; wie ihm auch der zorn krabbelte auf der stirne, unten im herzen fühlte er sich doch getroffen. 11, 404. schwäb. der handel grabelt ihm im kopf rum, der handel ist da aber noch ganz wie ein käfer o. ä. gedacht (vgl. grille). s. auch krabbelig 2, b.
4)
andres krabbeln mit den händen.
a)
tasten, krabbelnd greifen: sie stellte sich an die komode, schlug die augen nieder, krabbelte mit den fingern oder spielte mit einer feder (verlegen). Miller Siegwart 1, 89. nach etwas krabbeln, fingernd suchen:
er krabbelt nach dem schweine (der dieb im finstern).
Voss 1825 4, 129;
östr. die hühner (acc.) grabeln, ob sie ein ei haben. Höfer. unzüchtig krabbeln, tangere aliquam lascivius. Frisch 1, 541ᵇ. ebenso früher grappeln, z. b.:
(dasz du) dich grappeln laszt die jungen gsellen,
als ob sie kelber kaufen wöllen.
H. Sachs 1, 383ᵈ (1590);
bisz in ein floch im hindern, nach dem grappelt er. Eulensp. hist. 35.
b)
so von vielen durch einander greifenden fingern, wenn z. b. geld 'in die rappuse' geworfen wird:
denare fliegen aus des siegers hand,
ha, wie es krabbelt im arenasand!
da ist das wort recht in seiner eigentlichen geltung (auch das wimmeln unter 2 ist von selbst dabei), das werfen in die rappuse heiszt denn auch nd. in'n grabbel smîten Danneil 68ᵇ, nl. in de grabbel werpen Kilian, und mit ablautender wiederholung clevisch in de grubbel grabbel smîten, ostfr. in de gribbel grabbel (vgl. kribbelkrabbel). und die bezeichnung wird bis in die vorzeit reichen, denn romanische volkswörter dafür klingen nahe an, ital. grappiglia (fare alla gr.), franz. gripaille, span. garbullo. englisch heiszt es scramble, d. i. krabbeln (s. I, e), s. auch unter krappeln Rädlein.
c)
wühlen, wie ahd. grubilôn, nhd. grübeln:
mit hauen, schaufeln und gabeln,
do mit sie in dem mist umb krabeln.
fastn. sp. 381, 22;
auch in dem 'ergarakrabelen' Garg. 196ᵇ (363), ergrübeln. nl. in't geld grabbeln, im gelde wühlen.
5)
von gewissen arbeiten, eig. fingerarbeit.
a)
kritzeln, unleserlich schreiben, so osnabr. krabbeln, krawweln Strodtm. 113, nl. krabbelen, gewiss auch nrh., da es oberrh., schweiz. besteht als krapeln und kräbeln (s. 7); auch mrh. gewiss krabeln (s. 1, a a. e.), denn Göthe brauchte es von seinem zeichnen, scherzend geringschätzig: den ganzen morgen hab ich für sie gekrabelt auf dem papiere. an fr. v. Stein 1, 117; ich krable allerlei, das dir auch mit der zeit zur freude werden soll. 2, 267, vgl. krabbelei und kritzeln. schwäb. heiszt das kritzelnde schreiben grapfen, gekritzel krapferei Schmid 239. 324, englisch scrabble, scribble (vgl. I, e), es steckt meist urspr. der scherz dahinter, dasz solche schrift von krabbelnden vögelklauen herrühre (s. krakelfüsze).
b)
Göthe brauchte es aber auch für kleingeistige, äuszerliche kunstarbeit überhaupt: der künstler, der an der oberfläche nur herumkrabelt, wird dem geübten auge immer leer .. erscheinen. der künstler der sich ums innere bekümmert ... werke 36, 234, diesz mehr nach 4. und für kleinliches, wurmartiges thun überhaupt (vgl. u. 1, b beim Straszb. münster): meine .. talente müssen hier (in Italien) ganz durchgearbeitet, ganz reif werden, sonst bring ich wieder euch einen halben freund zurück und das sehnen, bemühen, krabbeln und schleichen geht von neuem an. 29, 9;
euer fahles wesen, schwankende positur,
euer tripplen und krabeln und schneidernatur.
57, 262 (Hansw. hochz.),
vgl. dazu krabbelig 3, krabbeligkeit.
c)
letzterem entsprechen gleichfalls volksworte, wie östr. grabbeln langweilig herum tappen, nicht fertig werden können Höfer 2, 312, nd. kraueln im kleinen, leichten geschäftig sein Danneil 114ᵇ (nd. scheinen krawweln und kraueln hie und da zu verflieszen), s. auch krabben a. e.
6)
klettern, klimmen, so bair. krabeln Schmeller 2, 378, mrh. krabbeln, z. b. er krabbelt am baume hinauf. Schmidt westerw. id. 85, ebenso bei den Deutschen im Temescher Banat (neues laus. mag. 42, 320). entsprechend auch fläm. kravelen Schuerm. 290ᵃ, dän. kravle, schwed. dial. kraväl, kräväl Rietz 352ᵇ, tirolisch krefflen, krêflen klettern (auch kriechen, wie kinder) Schöpf 343, nd. aber wieder kraueln Danneil. das erklärt sich nicht durch umstellung aus klebern klettern, dän. klavre, fläm. klaveren (auch klefferen), sondern ist echt und alt, wie franz. gravir klettern zeigt, benannt vom angestrengten gebrauch von 'allen vieren', s. die ableitung von klettern selbst und klebern (1, g).
7)
endlich gehört wol dazu schweiz. kräbeln, kratzen (kräbel f., kratzwunde, schramme, nl. krab f.) Stalder 2, 125. es scheint nur umgelautetes krabeln, denn es hat auch die bed. 5, und nl. nd. krabben heiszt gleichfalls kratzen; vgl. kräben unter krabben 3.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 8 (1868), Bd. V (1873), Sp. 1911, Z. 15.

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Zitationshilfe
„krabbeln“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/krabbeln>.

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