Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

reue, f.

reue, f.
dolor, poenitentia.
Form und verwandtschaft (vgl. reuen, verb). ahd. hriuwa, riuwa, dem ags. hreów entspricht, ist starkes und schwaches fem. zu hriuwan: mit riuuo Notker ps. 33, 6: riuuûn ne habe Graff 4, 1145. seltener ein starkes fem. riuwî: in therera riuwi Otfrid 3, 10, 30. mhd. riuwe, md. rûwe, mnd. rûwe, rouwe ist starkes fem.; daneben kommt, oft bei demselben schriftsteller, ein schwaches masc. mhd. der riuwe, mnd. der rûwen vor: hie sulle wir prüeven, hân wir rehten riuwen umbe alle unser gebresten. myst. 2, 453, 7;
dîn riuwe ist nû ze spâte komen,
er mag dich nu gar klein gefromen.
edelst. 22, 27.
mnd. das swert des ruwen dorsnet ere herten. Schiller-Lübben 3, 538ᵃ. diese form, der reue, reuen, hat sich im schwäbisch-alemannischen bis auf unsere zeit gehalten, während sonst im schriftdeutschen die reue gilt: der reuen wird dich ankommen. Spreng idiot. raurac. 216; der reuen nach ihm ist nicht grosz. Stalder 2, 271; wo sie das nit thuen, wurde der rewen hernach, aber villeucht zu spat, volgen. Zimmer. chron. 3, 275, 4; das er zu ainem solchen groszen rewen und laidt so herzlichen ufgenomen. 2, 330, 10; kommt dich der reuen an? Wagner kindermörderin 3, 34 neudruck;
das ist der rüw und d'orenbicht.
Ruff Etter Heini 755;
so vocht man dann den ruwen an.
Brant narrensch. 110ᵇ, 92;
so stoszt in dann der rüwen an,
das er latinisch sprach nit kan.
Murner narrenbeschw. 61, 24.
ein starkes masc. scheint in folgenden beispielen vorzuliegen: darnach sie groszen rew und laid hett. Steinhöwel Bocc. 37ᵃ;
so trag ich doch des rewes joch.
alte cathol. geistl. kirchengesänge (Cölln 1610).
wol mit anlehnung an das verb. rauen (s. unter reuen) ist das masc. der rauen gebildet:
doch kumpt gar balt der rawen drein.
narrensp. (Straszb. 1545) bei Zarncke Brant 51ᵇ;
freuel unbedachte sachen
offt eim den rauwen machen.
Jephthes Eᵃ.
Bedeutung.
1)
die ursprüngliche bedeutung ist gram, kummer, betrübnis, schmerz um etwas verlorenes, namentlich auch um einen verstorbenen. mnd. paves Lucius starf van ruwen umme dat eme quam de sware mere van over meer, dat do vorloren was dat hilge lant to Jherusalem. Lüb. chron. 1, 37 bei Schiller-Lübben 3, 538ᵃ; und starp mit groter ruwe des gantzen landes. Kantzow chron. von Pommern 152 bei Schiller-Lübben ebenda; mhd.
do vant er daʒ gesinde
gar in jæmerlîcher riuwe,
ir klage diu was niuwe
umbe den wirt, der was erslagen.
Wigalois 7871;
in fröuden noch in riuwen.
Hadamar jagd 2;
nhd. ist gleich, als wenn einr kaufft ein taschen,
und braucht sie lang, bisz sie wirdt alt ...
geht hin zum krämer, kaufft ein new:
so ists auch umb der frawen rhew,
wenn jn die männer sterben ab.
B. Waldis Esopus 2, 45, 48 Kurz;
ain sig behielt er (der sohn des T. Manlius) unerlaybt,
darümb der vatter jn enthaybt.
und setzt für vätterliche rew,
gemeines nutzes, lieb und trew,
das sölche straff durch härt und schwer,
gehorsam ain exempel wer.
und da der ain gefallen wolt,
wie man das kindlin taylen solt,
des doch die ander zayget rew (es ist von dem urtheil Salomos die rede).
108ᵇ;
als wie ein edler löwe
sich mit gerechter reue
sehnt nach der jungen zucht,
die man ihm auffgefangen,
in dem er ist gegangen
und essen hat gesucht.
Opitz 2, 123;
zweymahl hastu das schwere leidt
gedultig müssen tragen,
die dritte rew dich gäntzlich freyt
von sorgen und von klagen.
Lingelsheim bei Opitz (1624) 207;
mein hausz, darin ich wohne,
ist eine wüsteney,
es misset seine krohne
und führet darumb rew
und groszes angst-geschrey.
S. Dach in ged. des Königsb. dichterkr. 266.
2)
aus dieser allgemeinen bedeutung entwickelt sich die eingeengte: schmerz über etwas, das durch eigene schuld geschehen ist und das man nun ungeschehen wünscht. diese bedeutung ist in der neueren zeit die allein übliche, während sie im mhd. und noch im älteren nhd. oft schwer von der vorigen zu scheiden ist: und werden (die gottlosen am tage der vergeltung) unternander reden mit rewe, und fur angst des geists seufftzen. weish. 5, 3; er starb auch in wenig tagen hernach mit groszer ruwe über seine begangne sünde, verhofenlich, er seie ain kind der ewigen selligkeit worden. Zimmer. chron. 2, 49, 21; sind sie (beschwerden oder übel) die traurige bürde, die wir durch versehen oder vergehungen uns selbst aufgelegt haben: so mindert die gelassenheit den gerechten widerwillen gegen uns selbst durch eine weise reue, die wir über unsere fehler fühlen, und die der bürge künftiger vorsichtigkeit und gröszerer mäszigung ist. Gellert 7, 74; zittern sie vor diesem ausspruche, vor später reue, vor den langsamen gerichten gottes. Gotter 3, 67; in diesem feierlichen augenblicke gebt mir das gelübde, dasz ihr dem armen, der sich verging, vor dessen reue die welt mit spott und kälte zurücktritt, dasz ihr ihm helfen wollt. Iffland 3, 318; ob sie (die frauen) diese wahre innere unschuld verloren haben, und jeden genusz mit reue erkaufen. Schlegel Lucinde 23. sprichwörtlich: zuviel frey, bringt reu. Schottel 1115ᵇ; gäher raht hat reu zum geferten. 1144ᵃ; späte reu ist selten treu. reu und guter rath sind unnütz nach geschehner that. späte reu macht schaden neu. Simrock 456;
wie mac des iemer werden rât,
der umbe sîne missetât
niht herzelîcher riuwe hât?
Walther 6, 9;
zwen gsellen ...
schwuren einander rechte trew
mit eydes pflicht on alle rew,
zu leiden beide tod und leben.
Waldis Esopus 1, 94, 4 Kurz;
wer falscher wollust nachgegangen
trägt rew und unlust nur davon.
J. P. Titz in den ged. des Königsb. dichterkr. 207;
es wird einmahl doch kommen,
dasz dir die grosze scheu
zu halten wird benommen.
was meinstu? tieffe reu
wird dich alsdenn umfassen,
wo du mir meine lust auch hast gelassen.
Schwieger geharnschte Venus 125 neudruck;
sih' zu, nicht alsobald im zorn zum schwert dich wende,
sonst du hernach aus reu muszt beiszen in die hände.
persian. rosenthal 5, 19;
auf diesen fall kam grosze reu,
er fieng an, da der hahne schrei,
sehr bitterlich zu weinen (Petrus).
P. Gerhardt 32 Gödeke;
beklagen soll ich dich? mit thränen bittrer reue
wird Hymens band von dir verflucht?
Schiller 6, 28;
der wahn ist kurz, die reu ist lang.
11, 308;
zertreten sie die elende, die sich,
zerknirscht von reue, scham und selbstverachtung,
zu ihren füszen krümmt.
don Carlos 4, 19;
aber reue solle
nicht deiner seele schönen frieden stören.
Wallensteins tod 3, 21;
nur wo die liebe blüht, da reift die wahre treue,
sonst schlieszt der kurze traum mit einer langen reue.
Körner (1858) 3, 20;
da kniete gar in tiefer reu'
ein mägdlein an der schwelle.
Uhland ged. 208;
du, mein gott, wirst gnädig richten
und ein herz nicht ganz vernichten,
das in angst und reue schlägt.
ganz besonders häufig ist die verbindung reu und leid: ruw unnd leid solt Ulenspiegel haben umb sein sünd in seiner kranckheit. Eulenspiegel volksbuch v. 1515, 140 neudruck; denn das sacrament ist gesetzt zu der sünder trost, die jhre sünde von hertzen erkennen und bekennen, haben rew und leid darüber. Luther tischreden 573ᵃ; darnach sie groszen rew und laid hett, das sie Pericon ein sollichs so lang verzogen und versaget hett. Steinhöwel Bocc. 37ᵃ; und gebenedeyet sey der himmel welcher durch di verdienste der töchter den vater zu reu und leid über seine begangene sünden angeführet. Butschky kanz. 104; ich genosse und erndtete von dem ausgestreiten samen meiner dienste keine andere frucht, als reu und leid. 648; schweiz.: er fergot schier for reu und leid. Hunziker 204;
jeder der grifft yetz mit der hant
ob noch kaltt sy syn mur und want
und gdenckt nit, das er vor lesch usz
das für, ee es jm kum zuͦ husz.
so kumbt jm dann ruw und leytt,
zwytracht und ungehorsamkeit.
Brant narrensch. 99, 83;
als duͦt ouch der, der etwas guͦt
durch gottes ere, und willen duͦt
und hat doch ruw, und leidt dor von,
wann gott jm nicht glich gibt den lon.
96, 9;
hab rew und leydt, besser dein leben,
stehe auff, dir sein dein sünd vergeben!
Waldis Esopus 4, 1, 175 Kurz;
tugend, er und erberkeit
verkouft uns all die geistlicheit,
rüw und leid um unser sünd
das selbig als man kouflich findt.
Murner narrenbeschw. 42, 25;
nur reu und leid beschäfftigen mein herz.
was ich verwirkt, bezeuget meine busze.
Hagedorn 3, 161;
dieser fühlt sich, wie begreiflich, ganz von reu und leid zerrissen.
Platen 262.
reue im bilde: rüw unnd clag sol disem billig über sin aigen houbt flieszen, so er das bösz erwelet und die guͦten werck verschmähet. buch der beisp. 3, 30; darumb stand uff und far in das himmelsch Iherusalem. ja sprichstu, wa ist ein schiff in dem ich dar kum. es ist nit weit, vorsum es nit, daʒ bitter moͤr ist dein bittere rew. Keisersberg narrensch. 75ᵃ. sprichwörtlich: reu des herzens arznei. Simrock 456;
so trag ich doch des rewes joch
und beger genad.
alte cathol. geistl. kirchengesänge (1610) 168ᵇ;
jede thräne der wachen reu ...
wird ein teufel und geiszelt dich
auf dem lager der angst.
Hölty 68 Halm;
die lust hat ihren tag, sowie die sonne,
doch auch wie jene einen abend: reue.
Grillparzer werke 6, 22;
reue in besonderen verbindungen; reue wird jemandem:
wan du zerbrychst, das ich dir buw,
so würt uns beyden nüt dann ruw
und das wir arbeit hant verlorn.
Brant narrensch. 88, 14;
reue stöszt jemanden an (vgl. reuelstosz):
wann er (der faule schüler) die narrenschuͦch zerbricht
und sin groszen bresten sicht,
das im zuͦ nuͦtz kum latin,
dardurch der möcht ein herre sin,
so stoszt in dann der rüwen an,
das er latinisch sprach nit kan.
Murner narrenbeschw. 61, 24;
reue kommt jemandem ein:
wolst du der sunden laszen nit
und verzerst das gelt und die kleider dein,
do mag eim reu kumen ein,
das er im zu thun nimmer fursetzt.
fastn. sp. 384, 5.
reue kommt jemanden an: was zum kuckuck ist das vor eine sprache! kommt dich der reuen an? Wagner kindermörderin 34 neudr.; vgl. nd. eer (ihr) kuͤmmt de ruͤje in't hart. Dähnert 388ᵇ; in reue kommen: nur umb des einigen gefangnen und gestorbnen bruͦders willen, bliben sy drey jar ausz, das sy keyn saltz mehr holten, auch keyn goldt meer legten, des die kauffleut in grosze nachtheyl und der künig in grosze rew kam. Franck weltb. 214ᵃ. reue gewinnen: doch fürht ich, herre, daʒ ich nie rehte riwe gewunne, als ich solte. d. mystiker 2, 453, 31; und ob Goffroy gesündiget und miszgethan hat an dem gotthausz, das er verbrennt und verderbt hat, gewinnt er recht rew, als ich hoff, so wisz ohn zweiffel, er möge es büszen. buch d. liebe 275, 4. reue empfangen: so er reuw unnd leid darüber empfahet. buch d. liebe 275, 4; bald fallen sy mit (dem christen verfolgenden) Domiciano, als er des ein rew entphieng, all widerumb, zuhand ist christen martern wider ein sünd bey jnen. Franck weltb. 39ᵇ;
got wil dir vergeben die sünde din
ob du bichtest und rüw enpfachst
und von der sünde last.
Germania 33, 282.
reue kriegen:
do he sach de groten truwe,
he krech so grote ruwe,
dat he en beyde gaf dat leuen.
reue tragen: weil derowegen gott mehrers nicht begehret als ein zerknirschtes und zerschlagenes herze, so trage ich herzliche reu. Butschky Pathmos 81. reue haben: also daz si ümmer muosten leiden in dem vegfeur, wie grôz rew si hieten umb ir sünd. Megenberg 211, 12; fragten sie, ob er denn nicht gern wolte, das er rewe möcht haben. Luther 6, 517ᵃ; dann ich sterbe als .. ein guter christ, darumb dasz ich eine hertzliche reuwe habe. Faust 117 neudruck;
es war ihm leid; er hatte reu.
P. Gerhardt 34 Gödeke.
reue zeigen: und so stand denn dieser mit seiner wahl zwischen den zwei gleich unangenehmen entschlüssen mitten inne: entweder reue zu zeigen ... Engel schriften (1806) 12, 133. reue empfinden: wenn wir auf die bisherige darstellung ... zurücksehen, können wir keine reue empfinden, weder dasz wir sie so umständlich abgehandelt, noch ... Göthe 52, 158;
reue soll man doch einmal
in der welt empfinden!
so bekennt, vertraut und fromm,
eure gröszten sünden!
1, 139.
reue fühlen:
menschenhasz? nein davon verspürt' ich beim heutigen stücke
keine regung, jedoch reue, die hab ich gefühlt.
Schiller 11, 133.
reue mit dem gen. der sache, um, an, auf etwas; in neuerer sprache gewöhnlich reue über etwas. reue einer sache:
und mir gäntzlich fürnemmen thet
das ich die welt verlassen wet,
und jren gschefften gantz empfliehen,
hinaus in mein lustgarten ziehen,
damit ich gott möcht dienen frey
und meiner sünden haben rey.
Wickram irreitender pilger 85ᵃ;
man mercket in gemein, dasz disz die stärckste trew,
die ein verbrecher würckt auff seines fehlers rew.
Logau 1, 186, 83.
reue um etwas:
daz si des ruwen nit behilt
umme ir missewende
biz an ir jungest ende.
leben der heil. Elisabeth 8984.
reue an etwas: der graf hett ain solichen groszen rewen an seinem begangnen übergriff, das er dem lieben hailigen s. Ulrichen zu fueszen fiel. Zimmer. chron. 1, 343, 11; wer fleisch um einen geringen preis begehret, der hat reue an der suppe. Olearius sentenzen 112. reue auf etwas: du hast immer heute reue auf das, was du gestern gethan hast, und dann denkst du: o, ich unglückseliger. Auerbach edelweisz 253. reue über etwas: die rechte rew über die sünde sol in der liebe geschehen. Luther 1, 410ᵇ; reue über eine nicht begangene bosheit. Hagedorn 2, 151.
3)
in besonderem kirchlichen sinne wird reue gebraucht als übersetzung des lat. contritio, des ersten theiles der poenitentia. sie steht der confessio (ahd. bigihti) und der satisfactio (ahd. buoza) gegenüber; daher die häufige verbindung reue, beichte und buoze (bei Luther reue, beichte und genugthuung); so schon seit der ahd. zeit: ih glouba an durnohtige becherda unde ana rehta riuwa unde an begiht allero sundono unde meintatun, vollen gewissen ioh waren dinen antlaz; ih glouba, ube mennisclih nah warere sinero bigiht die sunta niemer ne geaverit, noh er andere meintati furder ne gewurchet, ube er rehto riuwonte unte statliche buozet ... Wiener symbolum 7 bei Raumer einwirk. d. christenth. auf d. ahd. sprache 394; dâ hât uns got in disime lebene stat gebin ze riwe, ze bîhte, ze buoze. spec. eccl. 48; und zu solcher busze setzen sie drey teil, rew, beicht, gnugthun, mit solcher vertröstung und zusage, wo der mensch recht rewet, beichtet, gnugthet, so hette er damit vergebung verdienet, und die sünde für gott bezalet. Luther 6, 517ᵃ; wo aber der glaub nicht ist, da ist kein rew, beicht, gnugthuung gnugsam. 1, 66ᵃ;
und ist numer geneigt sein sin
weder zu rew peicht oder pusz (von einem spieler).
fastn. sp. 1291;
in meinem buoch es g'schriben stat
wormitt man erlan get gottes gnadt:
das ist der rüw und d'orenbicht,
die dann der bapst hatt g'helget, g'wycht.
Ruff Etter Heini 755.
bei Luther häufig ist auch die die zeitliche aufeinanderfolge bezeichnende verbindung sünde, reue und gute werke oder nur reue und gute werke: sünde und rew und gute werck sol man in predigten handeln. 1, 66ᵃ; wiewol die rew und gute werck nicht nachzulassen sind, ist doch auff sie, keinerley weis zu bawen .. dein rew und werck mügen dich triegen, und der teufel wird sie gar bald umbstoszen im tod und in der anfechtung. 1, 64ᵃ. Meister Eckhardt gliedert die reue nach drei seiten: dû solt haben drîvaltige riuwe umbe dînen gebresten, daz dû ie wider dînen herren unde wider dînen got getête mit worten oder mit werken. diu ander riuwe soltû hân dar umbe, daz dû ie getête wider dînen ebenkristen .. der dritte riuwe ist, daz dû dich von herzen erbarmest über dich selber und besich die wünneclîche zît, die dir got gegeben hât, daz dû erkennen maht dîne êwige sêlikeit, und alle crêatûre hat geschaffen, daz sie dich wîsen zuo dînem besten guote. d. mystiker 2, 453, 14. es wird eine genugsame, rechte, wahre, gute, gnadenreiche und eine falsche, heuchlerische, erdichtete, judas- oder galgenreue (s. galgenreue 4, 1177) unterschieden: man sol und mus .. zweiveln, ob wir zu gnaden auffgenomen, und die sünde vergeben sind, darumb, das wir nicht wissen, ob die rew gnugsam sey. Luther 1, 64ᵇ; sie meinen denn, sie haben gnugsam rew und werck gethan. 1, 65ᵃ; welt ir wizzen, wie rehtiu riuwe geschaffen ist? diu sol sîn alsô grôz in dir, daz dû ê woldest tûsent tôde, ê dû immer gebresten woldist üeben. d. mystiker 2, 453, 8; der jenige aber hat rechte reu, der in beständig-guttem fürsatze nicht mehr thut was ihn gereuet. Butschky Pathmos 964; dâ schol er (der sünder) trinken des gesalzenn wazzers, daz ist wareu peiht und ganzeu rew. Megenberg 205, 3; und lasse für sich bitten umb eine rechte ware rewe, wie die kirche bittet, et cor poenitens tribue. Luther 1, 410ᵇ; wil man einen fragen in der beicht, oder selb sich seiner erforschen, ob er ware rew hab oder nicht. 1, 65ᵇ; ich aber hab darnach mit meiner lere geerbeitet, das die rechte gute gnadenreiche rew mehr und gemein würde, das wir nicht den allmechtigen gott mit den falschen leren und rewen mehr erzürneten, denn wir mit den sünden gethan haben. 1, 411ᵃ; solche falsche lerer der heuchelischen falschen rew hat s. Paulus verkündigt. 1, 410ᵇ; die ander (bosheit ist), das solch grundbosheit mit erzwungen gedancken und ertichten rew wird bedeckt und fürgewand als eine rechte rew und frömkeit. 1, 411ᵃ; on welchen glauben, so es müglich were, das du aller welt rewe hettest, so were es doch judasrewe. 1, 65ᵃ; denn der teufel und alle verdampten haben auch solche rew, die heiszet man auff deudsch, Judas rew und galgen rew. 1, 410ᵇ; ob jemand koͤmpt, der weder gleubet noch rewet, ob er schon kaum ein halb galgen rew habe, die sie nennen attritio, so kan er, durch krafft der schlüssel aus derselben galgen rew machen ein gantz, gute, grundgnadenreiche rew. 1, 412ᵇ; Judas rew Faust 117 neudruck. die wahre reue ist ein geschenk gottes (vgl. 2 Tim. 2, 25): gott läszt die sünder zu reue, zu reue und busze kommen; denn die göttliche trawrigkeit wircket zur seligkeit eine rewe, die niemand gerewet. 2 Cor. 7, 10; wie er im todtbett gelegen, hat er wainendt clagt, das er nit an den feinden umbkommen, sonder im bet sterben soll, so er doch dem allmechtigen got billich dank und lob sollt sagen, das er in begnadiget und zu ruw und buesz kommen lassen. Zimmer. chron. 1, 277, 30;
nû ist uns riuwe tiure:
si sende uns got ze stiure
bî sînem minnefiure,
sîn geist der vil gehiure
der kan wol herten herzen geben
wâre riuwe und lîhteʒ leben:
dâ wider solte niemen streben.
swâ er die riuwe gerne weiʒ,
dâ machet er die riuwe heiʒ.
Walther 6, 17;
sundere enphiengen da zu hant
ruwen, der in wart bekant,
di selegen heilege andacht.
leben der heil. Elisabeth 9458;
gott weisz ...
war umb er Nabuchodonosor,
der vil gesündet hatt lang jor,
strofft, und zuͦ ruw doch kumen lyesz
und zuͦ sym rich, noch dem er büsszt.
Brant narrensch. 57, 47.
4)
reue personificiert. sprichwörtlich: reue ist ein fauler schelm. reue ist ein hinkender bote, sie kommt langsam aber gewisz. Simrock 450; du, reue, höllische Eumenide, grabende schlange, die ihren frasz wiederkäut und ihren eigenen koth wiederfriszt. Schiller räuber, schausp. 2, 1; sie kam zu spät — diese feige reue. mehr eine schwache tochter der unentschlossenheit als der überlegung ... werke 9, 375;
doch, neben mir, zu meiner rechten hand,
wohnt selbstbetrug, und zu der linken, reue.
Hagedorn 2, 140;
und aus den winkeln schleichen ihre gefährten,
der zweifel und die reue leis' herbei.
Göthe 9, 48;
und zur sorge schleicht sich ein die reue.
40, 400;
um die sünde flechten schlangenwirbel
scham und reu, das Eumenidenpaar.
Schiller 1, 211.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 5 (1890), Bd. VIII (1893), Sp. 830, Z. 43.

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„reue“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/reue>.

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