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Firlefanz |
M. (-es; selten -e), im 14. Jh. in
den Formen Virlefanz, Firlifanz aufgekommen, wohl umgestaltet aus mhd.
virlei, firlei, auch erweitert firlefei ‘Tanz’ (< altfrz.
virelai ‘Ringellied’) und mhd. tanz (möglicherweise auch
zurückführbar auf mitteldtsch. Firl ‘Kreisel; Wirbel’/firle
‘flink’ und oberdtsch.-mitteldtsch. Fanz ‘Posse, Schalk, Possenmacher’;
vgl. mhd./frnhd. (ale)fanz ‘Schalk; Possenreißerei’, vgl. auch
Alfanzerei, Fant ).
a Bis ins 17./18. Jh. in der heute nur
noch historisierend auf mittelalterliche Verhältnisse bezogenen Bed.
‘gebärdenreicher, lustiger, rascher Springtanz (der Dorfbewohner)’.
b Seit spätem 16. Jh. ugs. gebraucht in der abwertenden Bed.
‘Flitter(-kram), eitler Schmuck, Tand; überflüssiges Beiwerk, Drum und Dran,
wertloses, dummes Zeug, modischer Schnickschnack; Spielerei’ (s. Belege 1582,
1848, 1868, 1957, 1968, 1970; → Raffinesse, → Schikane), und ‘törichtes Gerede,
albernes Gebaren, Unsinn; Possenreißerei, Torheit, Kinderei, Mätzchen, Flausen’
(→ Fisimatenten, vgl. Papperlapapp, Trallala), z. B. sich mit allerlei
Firlefanz behängen, ohne großen Firlefanz, von musikalischem Firlefanz
zugekleistert, ohne technischen, modischen Firlefanz, ich halte von diesem
Firlefanz wirklich gar nichts, ich bin auf diesen ganzen Firlefanz
hereingefallen, diplomatischer, ideologischer Firlefanz, und als Grundwort
in zum Teil eher okkasionellen Zss. wie Action-, Ausstattungs-, Auto-,
Computer-, Dekorations-, Duty-free-, Elektro-, Europa-, Festival-, Sozial-,
Seelen-, Show-, Nato-, High-Tech-, Multi-Kulti-, Schickimicki-, Unterhaltungs-,
Video-Firlefanz, selten auch bezogen auf Personen ‘jmd., der nur Torheiten
im Sinne hat, mit dem nicht viel anzufangen ist; läppischer, törichter,
geckenhafter Mensch’ (s. Belege 1791, vor 1794, 1803, 1828, 1999).
Dazu
im frühen 16. Jh. die veraltete verbale Ableitung firlefanzen ‘sich
albern benehmen, närrisch sein’, auch firlefenzen, firlfantzen und
in Verballhornungen wie firofantzen ‘spiegelfechten’ (HENISCH), etwa
gleichzeitig die ebenfalls veraltete Personenbezeichnung Firlefanzer M.
‘jmd., der albernes Zeug redet’; Ende 17. Jh. die bis heute gebräuchliche subst.
Ableitung Firlefanzerei F. (-; -en) (vgl. frnhd. Alfanzerei )
‘törichtes Zeug, (modischer) Unsinn; kindisches Geschwätz, Gebaren’ und in
jüngster Zeit vereinzelt Firlefanzler, wortspielerisch okkasionell
gebraucht in der Zs. Bundesfirlefanzler (in Analogie zu
Bundeskanzler) (alle zu b).
Belege
Bruder Hermann
1283 Leben d. Gräfin Jolande v. Bianden 3103
vyrallei;
Hugo v. Trimberg
1300 Renner 18223
Als ob einer den virlei trete;
Oswald v. Wolkenstein
Anfang 15. Jh. Gedichte 36
Gar waidelich tritt si den Firlifanzen (alle
TRÜBNER);
16. Jh. Bergreien 117
do pfeif er ir den firlefanz/ wol nach
der dörfer site,/ do tanzten sie den hottostan,/ der edelman kam selber dran/
und wolt auch tanzen mite, ja mite (DWB);
Lauremberg 1652 Scherzgedichte
117
so ward een minsche noch mit velem eten plaget,/ mit supen aver macht,
het en de spelman jaget/ mit siner frölicheit. den kümpt de bruet inn danz,/ de
brôgam maket er en groten firlefanz (DWB);
Rachel 1664–77 Satyr. Gedichte
70
Ein ander gibt sich an Bey Meister Firlefantz, lernt springen nach der
Geigen;
Campe 1796 Froschmeuseler Nn6b
das lernt ich an eim abendtanz,/
da wir hielten den firlefanz (DWB);
1854–57 Weimar. Jb. III 130
tanzen
wir den firlefanz von Schwaben!/ sie sind nicht all an diesem reihn,/ die wir
sollen haben (DWB).
Fischart 1582 Garg. 119a
Für seinen Federposch trug er ein schöne, lange, hohe Ploe Feder . . Diser
Firlefans lappet im lustig vber das recht Or herab, wie den zimmerleuten die
hanenfedern;
Hensler 1779 (Musenalm. 74)
drum bitt ich, laßt den
firlefanz/ das liebeln und das bängen (DWB);
Haug 1791 Walzerlied (Musenalm.
9)
hört ihr den schwäbischen wirbeltanz?/ lirum trallarum herbei!/ mag ein
pedantischer firlefanz/ rufen sein ach und sein ei! (DWB);
Forster vor 1794
Br. II 650
Ich habe ihn so angeschnauzt, daß er hinaus ist, der
unerträgliche Firlefanz (SANDERS DWB);
Laukhard 1803 Neue Carricaturen II
39
ein eingemachter firlefanz trug großen hut und dicken schanz;
ebd. II
42
disen stich fühlte nun der pinselhafte firlefanz (HEYNE 1890);
Seume
1806–07 Apokryphen (W. II 136)
Jeder [Fürst] hütet nur die Jämmerlichkeit
seines ohnmächtigen Firlefanzes von Hoheit;
Goethe 1828 Faust II (WA I
15.1,319)
ihr Firlefanze, flügelmännische Riesen;
Alexis 1848 Hosen II
3,137
Zu nachsichtig gegen den Bilderkram und Firlefanz (SANDERS DWB);
1861 Gartenlaube 250
aber jetzt wirst Du doch wohl für alle Zeiten von
der Thorheit, an derlei Firlefanz zu glauben, geheilt sein;
Spielhagen 1868
Dorfkokette 16
Sein einfacher Sinn war allem Flitterkram und Firlefanz des
Virtuosentums, wie er es nannte, abhold;
Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III
780)
Platten voll fetter Leckerbissen . . erklärte Mynheer Peeperkorn . .
nach wenigen Bissen für ‘Firlefanz’ . . er schlug mit der Faust auf den Tisch,
indem er das alles für verdammten Quark erklärte;
ders. 1939 Lotte (W. II
40)
Was Wunder, daß seine [Weimars] brave Population sich . . bekehrt findet
vor dem, was ihr sonst Firlefanz wäre, und die schönen Wissenschaften nebst
allem, was damit zusammenhängt, als ihre eigenste Angelegenheit betrachtet;
Frisch 1957 Homo faber 125
dieser kunterbunte Karneval . .
Papierschlagen, Girlanden überall, ein Dschungel von Firlefanz;
Pörtner 1964
Erben 178
eine Bäuerin . ., die . . mit Zaubersprüchen und unchristlichem
Firlefanz den kranken Herzogssohn behandelt hatte;
Jägersberg 1967 Leute
108
Ideologischer Schnickschnack, weltanschaulicher Firlefanz (DUDEN 1999);
Süddtsch. Ztg. 30. 3. 1968
„Firlefanz und Kinkerlitzchen“ werden nach
Angaben der Industrie kaum noch gefragt. Trumpf sind solide Ausstattung und
Strapazierfähigkeit [bei Allwetterzelten];
FAZ 16. 12. 1970
Geld für
Firlefanz (Überschr.) Für jedes Auto gibt es so viel Zubehör, daß eine ganze
Industrie davon lebt;
Zeit 24. 5. 1985
Wir müssen erst mal eine Menge
ideologischen Firlefanz wieder loswerden. Die Grünen müssen sich auf ihre
Wurzeln besinnen;
MM 5. 4. 1991
Bejaht werde die Marktwirtschaft unter
ökologischen Aspekten, den „ökologischen Firlefanz“ der Grünen trage man nicht
mit;
ebd. 17. 2. 1996
Kein technischer Schnickschnack, kein überflüssiger
Firlefanz, statt dessen eingängige Melodien, klare Songformen und das Bekenntnis
zum traditionellen Songschreiber-Handwerk;
St. Galler Tagbl. 16. 3. 1999
Dabei feiern die fünf Firlefanzen – Peter Soltermann, Peter Glatz, Heinz
Parlacek, Ursula Walther-Hofer und Christine Heiniger – das grosse Fest der
Jahrtausendwende ein wenig voraus;
ebd. 21. 8. 1999
Die St. Galler
verzichten zum vornherein auf kostspielige Shows, Paperlapapp, Firlefanz und
Trallalla und setzen ausschliesslich auf Information.
1522 Luther (II 149b)
wie solt ein arm man thun,
der gern schreiben wolt und künd nichts? er muß je so firlefanzen und mit worten
umbher schweifen, das die leut denken, er wölle ein buch schreiben (DWB);
Seume 1806–07 Apokryphen (W. II 137)
Wer hoffnungsvoll noch in das Leben
tritt,/ Der firlefanze blindlings mit!/ . . Helfe zu dem Reigen/ Dideldumdum
geigen;
Gries 1835–39 Bojardo II 28
man schaft hinaus die netze, spieß
und lanzen/ und mancher legt die rüstung an sofort,/ denn solche jagd braucht
mehr als firlefanzen./ nicht hasen oder rehe gibt es dort (DWB);
Stieler 1691
Stammbaum I 486
Firl/ firlen/ gesticulari, . . Firlfanzen.
vor 1546 Luther o. S.
firlefanzer;
Frisch 1741
Teutsch-Lat. Wb. 269
Firlefanzer, der mit Worten umher träumet;
Campe
1808 DWB II 85
Der Firlefanzer . . einer der alberne Sachen redet.
Stieler 1691 Stammbaum I 486
Firlfanz . .
Firlfanzerey . . gesticulatio, praestigiae, fascinatio;
Schnabel 1731
Felsenburg IV 407
es machte uns zwar, ohnfehlbar, ein böser geist, unterwegs
allerhand firlefanzereien vor (DWB);
Goethe 1775 WA I 38,76
wir wusten
von all der Firlefanzerei nichts;
Sanders 1871 Fremdwb. I 449
Firlefanzerei . . Tand, Possen;
Kaiser 1952 Villa 96
Viel natürlicher ist
das [jmds. Verhalten] und alles andere Unsinn. Firlefanzerei (DUDEN 1999);
Zeit 10. 5. 1996
Kein Thema, wie man unter Deutschen ohne Unterlaß sagt.
Ordnungswidrige Flausen. Firlefanzereien;
Frankf. Rundsch. 9. 3. 1999
Eventkultur und Fernsehen wurden genannt, die sich als „Einfallsorgien“ und
„Firlefanzereien“ . . in den Inszenierungen der Jüngeren niederschlagen.