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Umgang mit Peter Handke »Dieses krasse Nebeneinander von Werk und Scheiße«

Im Streit um den Literaturnobelpreis für Peter Handke gibt es keine Ambivalenzen mehr, keinen Dialog. Oder? Hier versuchen ein Handke-Liebhaber und ein Handke-Kritiker, ins Gespräch zu kommen.
Peter Handke 2009: »Menschlich ist er eine Katastrophe«

Peter Handke 2009: »Menschlich ist er eine Katastrophe«

Foto: Hugo Correia/ REUTERS
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Miriam Stanke/ Kiepenheuer & Witsch

Tijan Sila kam 1981 in Sarajevo auf die Welt und floh im September 1994 nach Deutschland. Er studierte Germanistik und Anglistik in Heidelberg und arbeitet heute als Lehrer an einer Berufsschule. Im Frühjahr 2017 erschien sein Debütroman »Tierchen Unlimited«, im vergangenen Jahr veröffentlichte er seinen zweiten Roman, »Die Fahne der Wünsche«. Peter Handkes »Die Angst des Tormanns beim Elfmeter« hält er für einen der größten deutschsprachigen Romane des 20. Jahrhunderts, sagt aber: »Der Nobelpreis für Handke signalisiert mir als Überlebendem: Was du aushältst, ist eigentlich wertlos.«

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Bernd Hartung

Arno Frank kam 1971 in Kaiserslautern auf die Welt und hat keine kriegsbedingten Fluchterfahrungen. Er sagt: »Ich bin Handke-Liebhaber. Das ist jetzt mein Problem.« Handkes »Das Gewicht der Welt« hat ihm mindestens eine Welt eröffnet. Er schreibt Romane und ist SPIEGEL-Autor.

Frank: Peter Handke.

Sila: Oje.

Frank: Ich habe mich über den Literaturnobelpreis für ihn gefreut. Sehr.

Sila: Ich nicht. Für mich ist das beinahe eine existenzielle Kränkung.

Frank: Zwischen diesen beiden Polen scheint es nichts zu geben derzeit, die Debatte ist reichlich vergiftet. Wäre darüber auch fruchtbar zu reden?

Sila: Auf jeden Fall. Es ist nur emotional aufgeladen. Ich merke das auch an mir. Eigentlich habe ich für mich um das Thema »Krieg als biografisches Kapitel« eine Klammer gesetzt. Aber der Literaturnobelpreis für Handke,  das hat mich getroffen. Das blutet aus.

Frank: Wir beide nehmen diese Auszeichnung persönlich. Stößt es dich ab, wenn ich weiter Handke lesen möchte?

Sila: Nein, das ist okay. Was ich aber erwarten würde, das wäre eine Differenzierung.

Frank: Was wirfst du ihm vor?

Sila: Mein Vorwurf ist der größte, den man einem Schriftsteller vielleicht machen kann, dass er nämlich ein Depp ist. Ein politischer Idiot. Seine Sympathie für die Verbrecher war authentisch. Ich glaube, dass er aufrichtig gedacht hat, dieser Mythos »Jugoslawien« hätte einen solchen Widerschein, dass alle, die darin stehen, anständig seien. Und dann kommt in Deutschland auch noch ganz oft: »Keine Ahnung, was da unten los war, ich genieße nur seine Sprachkunst«.

Frank: Das bin ich, der das sagt.

Sila: Was hat dir am Nobelpreis gefallen?

Frank: Vielleicht, dass eine »höhere Instanz« meine jahrelange Lektüre endlich beglaubigt.

Sila: Und was magst du an Handke?

Frank: Ich bin kein Germanist. Ich kenne nur wenige Romane, die Theaterstücke interessieren mich nicht. Aber die Notate, diese tagebuchartigen Einträge, keine echten Aphorismen, nur so beiläufigen Beobachtungen, Splitter, dieses Einfangen und Poetisieren von Beiläufigstem, auch Abseitigstem – groß.

Sila: Er gibt einem das Gefühl, jeder könne ein Künstler sein?

Frank: Nenn’s meinetwegen auch Innerlichkeit. Ich gerate da ins Stammeln. Mich hat es berührt auf eine Weise, wie es kaum eine andere Literatur jemals getan hat. Wenn er etwa beschreibt, dass er das Masturbieren abbricht, weil ihm »die Sehnsucht« dazwischenkommt.

Sila: Das ist aus »Der kurze Brief zum langen Abschied«, das habe ich erkannt!

Frank: Vielleicht, darüber schreibt er aber häufiger. Vermutlich ist er einfach ein Wichser. Wie hast du auf die Nachricht reagiert, dass er den Preis bekommen hat?

Sila: Meine erste Reaktion war Staunen. Echt? Er? Es soll damit doch nicht nur das Werk, sondern Mensch und Werk gewürdigt werden. Bei ihm geht das schwer. Neben der Sache mit Serbien ist er auch ein geständiger Frauenschläger.

Frank: Macht das, wenn es stimmt, sein Werk wertlos?

Sila: Nein. Ich schätze manche seiner Romane sehr. Aber menschlich ist er eine Katastrophe.

Frank: Die ein Schriftsteller aber doch auch sein darf.

Sila: Handke aber ist das in einem Ausmaß, bei dem ich niemals gedacht hätte, dass es noch für den Nobelpreis reicht. Gegenfrage: Warum hat dich gerade dieser Preis in eine solche Bestätigungslaune versetzt? Wieso gerade Handke? Was ist es an ihm, das Leute in die Bereitschaft versetzt, dieses krasse Nebeneinander von Werk und Scheiße auszuhalten?

Bosnische Musliminnen flüchten aus Srebrenica (1995): »Er erkennt unser Leiden nicht an«

Bosnische Musliminnen flüchten aus Srebrenica (1995): »Er erkennt unser Leiden nicht an«

Foto: STRINGER/ REUTERS

Frank: Ich empfinde das nicht als Nebeneinander. Ich kann einfach auslassen, was mich nichts angeht. Weil ich es mir leisten kann. Vielleicht lasse ich mir zuschulden kommen, Gebrauch von einem Privileg zu machen. Ich weiß von der Scheiße, nehme sie aber nicht zur Kenntnis. Es gibt Platten von Miles Davis, die sind peinlich, die höre ich mir einfach nicht an. Das schmälert nicht meine Verehrung für Miles Davis. Was meinst du?

Sila: Bei Musikern gibt es das häufiger, stimmt. Da erstaunt es keinen, dass sie trotz ihrer Begabung Dummköpfe sein können – wobei ich damit nicht Miles Davis meine. Bei Schriftstellern sollte man annehmen, dass ihre Kunst idealerweise eine Einübung in Durchdringung ist. Ein Nebeneffekt wäre ein größeres Mitgefühl, eine Abscheu gegenüber Handlungen, die auf Kosten anderer Menschen gehen. Bei Handke gibt es ein paar Zimmer, die sind einfach leer, da liegen höchstens ein paar Holzklötze auf dem Boden.

Frank: Ist das nicht sein Problem?

Sila: Nicht, wenn er einen solchen Preis bekommt. Für Leute, die diesen Krieg erlebt haben, ist kaum etwas wichtiger als das Anerkennen dessen, was sie erlebt haben. Genau das, was geschehen ist, hat Handke für mich geleugnet.

Frank: Mir können keine Narben schmerzen von Wunden, die mir nie geschlagen wurden. Er wollte es nicht sehen, und deshalb sehe ich es auch nicht.

Sila: Das ist das Perfide daran, dass er seine Sicht genauso an seine Leser weitergeben wollte. Das ist der Skandal an diesem Preis. Er erkennt unser Leiden nicht an, und ihr? Ihr macht da mit!

Frank: Das ist ein moralischer Einwand.

Sila: Nicht nur. Ausschließlich moralisch argumentieren die schwächsten Texte, die ihn derzeit angreifen. Da wird versucht, ihm seinen Rang als Schriftsteller aufgrund einer Verfehlung abzuerkennen. Sein Frühwerk aber ist groß. Irgendwann gab es einen Riss, und das hat auch mit Serbien zu tun. Er hat sich damit seelisch auch als Schriftsteller vernichtet, seitdem schreibt er Pilzbücher.

Frank: Ich würde widersprechen. Der Rückzug ins Kleine ist legitim und kostbar.

Sila: Aber war es das, was er mit seinem Leben als Künstler vorhatte? Er hatte schon die großen Romane vor, das merkt man an seiner ganzen Haltung. Dass er am Ende im Kleinen angekommen ist und auch kleinlauter wurde, was die serbische Sache angeht, da gibt es schon einen Zusammenhang. Er weiß, dass er falsch lag.

Frank: Eben. Wenn ich ihm vorhalte, was er 1995 geschrieben hat, muss ich ihm dann nicht auch zugutehalten, was er 2016 schrieb? Da nennt er Srebrenica »das schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das in Europa nach dem Krieg begangen wurde«.

Sila: Das Eingeständnis seines monströsen Irrtums hat er sozusagen in einer Fußnote untergebracht. Du kannst aber nicht jahrelang diesen Scheiß bringen und dich keck vor dem Ortschild von Srebrenica fotografieren lassen, und dann sagen: »Ach, ich bin doch Schriftsteller, nur ein vorlauter Idiot!« Too little, too late.

Frank: In der Debatte gibt es Spezialisten, die ihn verteidigen, die rein literarische Maßstäbe in Anschlag bringen. Geht das an dir vorbei?

Sila: Wenige Monate nach Srebrenica forderte er im Titel eines seiner Bücher »Gerechtigkeit für Serbien«, das kannst du auch mit germanistischem Besteck nur schlecht zu Salat machen. Die Bitterkeit bekommst du nicht rausgespült. Argumentierst du auch so?

Frank: Ich bin nur Leser. Und als solcher ein Liebhaber. Das ist jetzt mein Problem. Ich würde gern unterschreiben, was Eva Menasse geschrieben hat: »Große Kunst setzt voraus, dass ein fehlbares Menschlein etwas geschaffen hat, das von seiner Bedeutung und Wirkungsdauer weit über ihm, dem Menschlein, steht«. Geht das nicht?

Sila: Generell geht das. Handke ist ein Menschlein, das ganz eklatant von der Spur abgekommen ist. Aber! Während er nicht auf der Spur ist, ist er bösartig, so: »Steckt euch eure Betroffenheit in den Arsch!«

Frank: In der Debatte gibt es Leute, die niemals auch nur einen Satz von Handke gelesen haben – und moralisieren. Und es gibt Leute, die alles von Handke gelesen haben – und dozieren.

Sila: Hier geht es aneinander vorbei.

Frank: Die trotzige Rückfallposition vieler Liebhaber lautet, jetzt müsste man schon Handke im Regal in die zweite Reihe verbannen, so wie man Richard Wagner nur noch mit Kopfhörern genießen könne.

Sila: Diese Haltung trägt zur Giftigkeit der Debatte bei. Wie die einen in ihrer Rolle der Überlegenheit, so gefallen sich die anderen in ihrer Rolle des Grenzgängers, der das Böse ausloten kann – mit der bourgeoisen Kunstsinnigkeit, das auszuhalten und nicht die proletarische Affektivität, die nur Gut und Böse sieht und bla, bla, bla.

Frank: Bei mir ist das nicht der Fall, hoffe ich.

Sila: Ich weiß, und bei Handke ist es auch schwieriger, sich in eine solche Position zu begeben. Er ist auch in seiner Rolle als sich Solidarisierender einer, der dem Bösen nicht in die Augen schauen kann. Die Mühe, das nicht zu sehen, was offensichtlich war, hat ihn viel gekostet. Ich will keinen Boykott. Was mich ärgert, das ist der Preis, diese Anerkennung. Sie signalisiert mir als Überlebendem: Was du aushältst, ist eigentlich wertlos.

Frank: Ich hoffe noch immer, dass er den Preis nicht annimmt.

Sila: Er dürfte vor allem das Geld nicht annehmen. Das Geld macht es besonders öbszön.

Frank: Wenn er es aber nähme, um es den Müttern von Srebrenica zu spenden?

Sila: Das wäre etwas anderes.

Frank: Und was, wenn er ihn annimmt und seine Rede in Stockholm für einen Versuch nutzt, sich zu erklären?

Sila: Das wäre schwer für jemanden, der so große Scheiße gebaut hat. Aber es wäre viel, viel, viel wert. Ich weiß nicht, ob er das schafft. Es würde tatsächlich einen Tolstoi erfordern, das zu bringen. Eine Kompromisslosigkeit, die ans Unzugängliche reicht. Ja, das wäre eine große Geste. Ich weiß aber nicht, ob Handke das schafft.

Frank: Ich auch nicht.