„Deutschstämmige“ – Versionsunterschied
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Als '''Deutschstämmige''' werden im traditionellen Sprachgebrauch [[Person]]en bezeichnet, deren [[Vorfahr]]en [[Deutsche]] sind oder waren und die keine [[Deutsche Staatsangehörigkeit|deutsche Staatsbürgerschaft]] besitzen beziehungsweise diese aufgegeben oder verloren haben.<ref name="Deutsche-Vertretung" /> Das Attribut ''deutschstämmig'' wird meistens auf Personen angewendet, die sich nicht mehr dauerhaft in dem Gebiet aufhalten, in dem ihre [[Deutsche Sprache|Deutsch]] als [[Muttersprache]] sprechenden Vorfahren gelebt haben.
== Aktueller Wortgebrauch ==
=== Deutschstämmige und Deutsche im Ausland ===
Viele Deutschstämmige gibt es in den [[Deutschamerikaner|USA]]<ref>{{cite web
Im Hinblick auf die Unterscheidung deutscher Staatsangehöriger von ''Deutschstämmigen'' in den [[Vereinigte Staaten|Vereinigten Staaten von Amerika]] gibt es Richtlinien der deutschen Vertretungen.<ref name="Deutsche-Vertretung">Deutsche Vertretungen in den USA: {{Webarchiv
Als „ausländische“ Deutsche werden ''deutschstämmige [[Aussiedler und Spätaussiedler|Aussiedler]]'' bezeichnet, die als ''Deutsche'' im Sinne des {{Art.|116|gg|juris}} [[Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland|GG]] gelten und die die sozialen Bedingungen, oft auch die Sprache, weniger kennen.<ref>[[Hans-Dieter Schwind]]: ''Kriminologie und Kriminalpolitik. Eine praxisorientierte Einführung mit Beispielen.'' 23. Auflage, C.F. Müller, Heidelberg 2016, S. 515, Rn. 11.</ref> Anerkannte ''Spätaussiedler'' waren insofern privilegiert, weil sie als „Deutschstämmige“ und damit anders als andere Anspruch auf die [[deutsche Staatsangehörigkeit]] hatten;<ref>[[Klaus von Beyme]]: ''Migrationspolitik. Über Erfolge und Misserfolge.'' Springer VS, Wiesbaden 2000, ISBN 978-3-658-28662-0, S. 104.</ref> nach dem deutschen Rechtsverständnis gelten sie nicht als ausländische Einwanderer, sondern als deutschstämmige Zuwanderer.<ref>[[Klaus J. Bade]]: ''Transnationale Migration, ethnonationale Diskussion und staatliche Migrationspolitik im Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts'', in: ders. (Hrsg.): ''Migration – Ethnizität – Konflikt: Systemfragen und Fallstudien'' (Schriften des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien [IMIS] der Universität Osnabrück, Bd. 1), Universitätsverlag Rasch, Osnabrück 1996, ISBN 3-930595-36-2, S. 403–430, hier S. 420.</ref> Demgegenüber werden deutsche Staatsbürger, die dauerhaft im Ausland leben, ''[[Auslandsdeutsche]]'' genannt.
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In der [[Sozialwissenschaften|sozialwissenschaftlichen]] Fachliteratur wird zuweilen auch von ''deutschstämmigen Deutschen'' als Mehrheitsgesellschaft gesprochen, um diese Personengruppe von deutschen Staatsbürgern mit [[Migrationshintergrund]] abzugrenzen. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass die generationenübergreifende Verwurzelung eines Menschen in [[Deutschland]] über einen Vorfahren und sein Status als Mensch mit Migrationshintergrund sich nicht ausschließen, da jeder Mensch von ''zwei'' Eltern [[Abstammung#Zugehörigkeit zu einer Ethnie|abstammt]].<ref>Kai Sassenberg, Jennifer Fehr, Nina Hansen, Christina Matschke und Karl-Andrew Woltin: ''Eine sozialpsychologische Analyse zur Reduzierung sozialer Diskriminierung von Menschen mit Migrationshintergrund'' ([https://www.researchgate.net/profile/Kai_Sassenberg/publication/233997269_Eine_sozialpsychologische_Analyse_zur_Reduzierung_sozialer_Diskriminierung_von_Menschen_mit_Migrationshintergrund/links/54462f370cf2f14fb80f27d2/Eine-sozialpsychologische-Analyse-zur-Reduzierung-sozialer-Diskriminierung-von-Menschen-mit-Migrationshintergrund.pdf PDF]), in: ''Zeitschrift für Sozialpsychologie'' 38, Heft 4, Januar 2007, S. 239–249, hier S. 240 u. ö.; Hans-Joachim Schubert: ''Integration, Ethnizität und Bildung. Die Definition ethnischer Identität Studierender türkischer Herkunft'', in: ''Berliner Journal für Soziologie'' 16, Heft 3 (2006), S. 291–312, hier S. 305; Thomas Kessler, Immo Fritsche: ''Sozialpsychologie'', Springer, Wiesbaden 2018, ISBN 978-3-531-93436-5, S. 8.</ref>
== Geschichte ==
=== Kaiserreich ===
Seit 1890 wurden [[russlanddeutsche]] [[Kolonisation|Kolonisten]] als Siedler für den [[Preußen|preußischen]] Osten angeworben. Dies galt als wichtige Maßnahme zur Stärkung des deutschen Bevölkerungsanteils im [[Deutsches Kaiserreich|Kaiserreich]] gegen die als
In der nationalistischen Propaganda wurden die Russlanddeutschen von russischer Seite im Zuge des [[Panslavismus]] zunehmend als angebliche Vorposten des Deutschen Reiches und potentielle Vaterlandsverräter angesehen und diskriminiert, während die deutsche Propaganda (mit dem [[Alldeutscher Verband|Alldeutschen Verband]] als Vorreiter einer expansiven deutschen Hegemonie über Ost- und [[Mitteleuropa]]) sie als gefährdeten und schützenswerten Vorposten des Reichs ansah. Bei den Russlanddeutschen, die sich zurückhaltend und loyal zum russischen Herrscherhaus verhielten, kam es zu einer (Re-)Ethnisierung der Staatsangehörigkeit unter dem Druck der konkurrierenden Nationalismen.<ref>[[Dieter Gosewinkel]]: ''Einbürgern und Ausschließen. Die Nationalisierung der Staatsangehörigkeit vom Deutschen Bund bis zur Bundesrepublik Deutschland'' (= ''Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft'', Bd. 150). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-35165-8, S. 331 f.</ref>
Bei Ausbruch des [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkriegs]] zogen die Russlanddeutschen – mit Ausnahme [[Baltendeutsche|deutsch-baltischer]] Kreise – loyal gegen Deutschland in den Krieg und stellten einen hohen Anteil des russischen Generalstabs. Deutsch sprechende Soldaten des russischen Heeres waren aber zunehmend Verdächtigungen, Zurücksetzungen und Schikanen ausgesetzt und gerieten in wachsende Gewissenskonflikte. Sich gegenseitig verstärkende Verdächtigungen und nationale Absetzbewegungen untergruben die russisch-deutsche Wehrgemeinschaft und die „deutschen“ Soldaten wurden nach der [[Schlacht von Tannenberg (1914)]] an die [[Kaukasusfront (Erster Weltkrieg)|Kaukasusfront]] versetzt.<ref>Dieter Gosewinkel: ''Einbürgern und Ausschließen.'' S. 334 f.</ref> Vonseiten des Deutschen Reichs wurden für deutschstämmige Kriegsgefangene aus Russland spezielle Lager errichtet und die Gefangenen bevorzugt behandelt. Sie wurden in unbewachte ausgesuchte landwirtschaftliche Arbeitsstellen vermittelt und ab 1917 sollte der ''Förderverein für deutsche Rückwanderer'' helfen, sie als „[[Volksgenosse]]n“ zurückzugewinnen.<ref>Jochen Oltmer: ''Migration und Politik in der Weimarer Republik.'' S. 155.</ref> Im Zarenreich kam es durch das Vordringen der deutschen und österreichisch-ungarischen Armeen zu Flucht, Vertreibung, Evakuierung und Zwangsumsiedlung von Millionen Menschen, darunter auch Russlanddeutschen, die der zaristischen Regierung als [[
Im deutsch-russischen Zusatzvertrag zum [[Friedensvertrag von Brest-Litowsk]] wurde ein zehnjähriges Rückwanderungsrecht der deutschstämmigen Bevölkerung Russlands vereinbart. Dies führte mit zur Gründung der ''Reichsstelle für deutsche Rückwanderung und Auswanderung'' zur ethno-national orientierten Suche nach Arbeitskräften und Siedlern auf dem Höhepunkt der deutschen [[Annexion]]spolitik im Osten.<ref>Jochen Oltmer: ''Migration und Politik in der Weimarer Republik.'' S. 166–168.</ref>
=== Weimarer Republik ===
Nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg und den territorialen Änderungen durch den [[Friedensvertrag von Versailles|Versailler Vertrag]] wurde statt der Rückwanderungspolitik angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Probleme versucht, die dauerhafte Einwanderung ins Reich zu verhindern. Die Siedlungsschwerpunkte mit deutschen Minderheiten (''[[Grenzlanddeutschtum|Grenzlanddeutsche]]'' im Ausland) in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa sollten erhalten bleiben und als außenpolitisches Druckmittel genutzt werden. In der innenpolitischen Debatte symbolisierten diese Minderheiten das „Versailler
Während dem [[Deutsche Staatsangehörigkeit#Norddeutscher Bund und Deutsches Kaiserreich|deutschen Staatsangehörigkeitsrecht aus der Kaiserzeit]] der Begriff der ''Volkszugehörigkeit'' noch fremd gewesen war, gewann er in der Praxis der
=== Zeit des Nationalsozialismus ===
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Die Zuordnung über die Kategorie „deutschstämmig“ beruhte darin – zumindest auf der begrifflichen Ebene – auf einer eindeutig-selbstverständlichen Gegenüberstellung zu „fremdstämmigen“ Menschen und ermöglichte eine Anwendung, ohne bisherige Staatsangehörigkeiten berücksichtigen zu müssen.<ref>[[Hubert Orlowski]]: ''„Polnische Wirtschaft“ – Zum deutschen Polendiskurs der Neuzeit.'' Studien der Forschungsstelle Ostmitteleuropa an der Universität Dortmund, Band 21, Otto Harrassowitz, Wiesbaden 1996, ISBN 3-447-03877-2, S. 352.</ref>
Für die [[Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei|Nationalsozialisten]] waren die Begriffe ''[[Volksdeutsche|deutsche Volkszugehörige]]'' und ''Deutschstämmige'' keine Synonyme: Einerseits konnten unter bestimmten Bedingungen Nicht-Deutschstämmige im Sinne der obigen Definition, aber als „eindeutschungsfähig“ Eingestufte durch ihr Bekenntnis, Angehöriger des deutschen Volkes zu sein (d. h. durch die Bereitschaft, sich zum Volkstum des Eroberervolks zu bekennen), zu „deutschen Volkszugehörigen“ werden, andererseits konnten sogar „ganz Deutschstämmige“ diese Eigenschaft verlieren, wenn sie „ganz in einem fremden Volk aufgegangen sind“.<ref>Dieter Gosewinkel: ''Staatsangehörigkeit, Inklusion und Exklusion. Zur NS-Bevölkerungspolitik in Europa'', Discussion Paper Nr. SP IV 2008-401, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), S. 9–11 ([https://bibliothek.wzb.eu/pdf/2008/iv08-401.pdf PDF]; 381 kB), {{ISSN
In einem Runderlass des [[Reichsministerium des Innern|Reichsinnenministeriums]] vom 23. Mai 1944 wurde der Begriff ''Deutschstämmige'' folgendermaßen definiert: „Deutschstämmig sind Personen mit mindestens zwei deutschen Großeltern; Personen mit artfremdem Bluteinschlag sind nicht deutschstämmig.“<ref>Zitiert nach Günter Hinken: ''Die Rolle der Staatsangehörigkeit bei der Konzeption des Grundgesetzes.'' In: Dietrich Thränhardt (Hrsg.): ''Einwanderung und Einbürgerung in Deutschland.'' Lit Verlag, 1997, S. 187.</ref> Als artfremd wurden in der [[Sprache des Nationalsozialismus]] Juden und [[Sinti]] (im Sprachgebrauch der Nationalsozialisten: „[[Zigeuner]]“) bezeichnet.<ref>Cornelia Schmitz-Berning: ''artfremd''. In: Dieselbe: ''Vokabular des Nationalsozialismus.'' Walter de Gruyter, Berlin/New York 2007, ISBN 978-3-11-092864-8, S. 68; [[Karola Fings]]: ''Sinti und Roma. Geschichte einer Minderheit.'' 2. Auflage, C.H. Beck, München 2019, S. 63 f.</ref>
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== Siehe auch ==
* [[biodeutsch]] (scherzhaft-ironischer Begriff)
* [[Deutsche in der Schweiz]]▼
* [[deutschblütig]]
* [[Deutschnamibier]]▼
* [[Bosporus-Deutsche]]
▲* [[Deutsche in der Schweiz]]
▲* [[Deutschnamibier]]
* [[Liste deutscher Bevölkerungsanteile nach Staat]]
== Literatur ==
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== Weblinks ==
* [https://virtuelles-migrationsmuseum.org/Glossar/deutschstaemmige-migrantinnen/ ''Deutschstämmige Migrant*innen''] auf ''Virtuelles Migrationsmuseum'', Hrsg. DOMiD e. V. – Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland
== Einzelnachweise ==
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