„Entscheidung unter Risiko“ – Versionsunterschied

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Von einer '''Entscheidung unter Risiko''' spricht man im Rahmen der [[Entscheidungstheorie]] dann, wenn der Entscheidungsträger die [[Wahrscheinlichkeit|Wahrscheinlichkeiten]] für das Eintreten der möglichen Umweltzustände kennt. Diese Wahrscheinlichkeiten können sowohl objektiv bekannt sein ([[Lotto]], [[Roulette (Glücksspiel)|Roulette]]) oder auf subjektiven Schätzungen (z. B. aufgrund von Erfahrungswerten) beruhen.
Von einer '''Entscheidung unter Risiko''' spricht man im Rahmen der [[Betriebswirtschaftslehre]] und [[Entscheidungstheorie]] dann, wenn der [[Entscheidungsträger]] dem künftig eintretenden [[Umweltzustand]] subjektive oder objektive [[Eintrittswahrscheinlichkeit]]en zuordnen kann.


== Allgemeines ==
== Allgemeines ==
Entscheidungen unter Risiko hängen unmittelbar mit dem zugrunde liegenden [[Informationsgrad]] zusammen, bei ihnen liegt [[unvollständige Information]] im Hinblick auf [[Daten]] der [[Vergangenheit]], [[Gegenwart]] und [[Zukunft]] zugrunde.<ref>[https://www.google.de/books/edition/%C3%96konomie_f%C3%BCr_P%C3%A4dagogen/lB_nBQAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&dq=%22Entscheidung+unter+Sicherheit%22+Informationsgrad&pg=PA79&printsec=frontcover Hermann May, ''Ökonomie für Pädagogen'', 2010, S. 79].</ref> Der Entscheidungsträger verfügt über unsichere [[Erwartung (Psychologie)|Erwartungen]], und die mit der Entscheidung verbundenen Konsequenzen sind nicht vollständig absehbar. Die Aufteilung der [[konstitutive Entscheidung|konstitutiven Entscheidungen]] nach dem Informationsgrad geht auf [[Erich Gutenberg]] zurück.<ref>Erich Gutenberg, ''Unternehmensführung: Organisation und Entscheidungen'', in: Erich Gutenberg (Hrsg.), ''Die Wirtschaftswissenschaften'' 45, 1962, S. 77; ISBN 978-3-322-98278-0.</ref> Daneben unterschied er noch die [[Entscheidung unter Sicherheit]], [[Entscheidung unter Unsicherheit]] und [[Entscheidung unter Ungewissheit]]. Bei der Entscheidung unter Risiko liegt der Informationsgrad zwischen > 0 % und < 100 %; es liegen unvollständige Informationen vor. Bei 0 % handelt es sich um [[Ignoranz]].


== Informationsgrad ==
„Entscheidung unter Risiko“ ist nach dem üblichen Sprachgebrauch ein Unterfall von [[Entscheidung unter Unsicherheit]]. Während man bei Kenntnis von Eintrittswahrscheinlichkeiten der Umweltzustände von [[Risiko]] spricht, liegt eine [[Entscheidung unter Ungewissheit]] vor, wenn man zwar die möglichen Umweltzustände kennt, jedoch keine Eintrittswahrscheinlichkeiten angeben kann.
Die Entscheidung unter Risiko ist einzuordnen in den ihr zugrunde liegenden Informationsgrad. Der abgestufte Informationsgrad lautet dabei konkret: [[Sicherheit]], [[Risiko]], [[Ungewissheit]] und [[Unsicherheit]].<ref>[[Hans-Christian Pfohl]], ''Zur Problematik von Entscheidungsregeln'', in: [[Zeitschrift für Betriebswirtschaft]] 42 (5), 1972, S. 314.</ref> Um ''Sicherheit'' handelt es sich, wenn der Eintritt eines künftigen Umweltzustands zu 100 % determiniert ist ([[Entscheidung unter Sicherheit]]). Beim ''Risiko'' können den möglichen Ausprägungen künftiger Umweltzustände subjektive oder objektive Eintrittswahrscheinlichkeiten zugeordnet werden (Entscheidung unter Risiko);<ref>Hans-Christian Pfohl/Wolfgang Stölzle, ''Planung und Kontrolle'', 1981, S. 178; ISBN 978-3-8006-2161-3.</ref> Subjektive Eintrittswahrscheinlichkeiten gibt es beispielsweise beim [[Lotto]] oder [[Roulette]], objektiven können [[Schätzung]]en (etwa aufgrund von [[Erfahrungswert]]en) zugrunde liegen. ''Ungewissheit'' kennzeichnet eine Entscheidungssituation, bei der die möglichen Ausprägungen künftiger Umweltzustände zwar bekannt sind, aber keine [[Wahrscheinlichkeit]]en zugeordnet werden können ([[Entscheidung unter Ungewissheit]]).<ref>[[Dieter Schneider (Ökonom)|Dieter Schneider]], ''Allgemeine Betriebswirtschaftslehre'', ''Band I: Grundlagen'', 1993, S. 11; ISBN 978-3-486-23423-7.</ref> ''Unsicherheit'' schließlich beinhaltet die Möglichkeit von [[ex post]]-[[Überraschung]]en ([[Entscheidung unter Unsicherheit]]). Letztere sind der „Wechsel der [[Erwartung (Psychologie)|Erwartung]] aufgrund des Eintreffens neuer Daten“.<ref>Linda Geddes, ''Model of surprise has 'wow' factor built in'', in: [[New Scientist]] vom 17. Januar 2009, S. 9.</ref> Andere Autoren stufen ab nach Sicherheit, Quasi-Sicherheit, Risiko, Unsicherheit, rationale Indeterminiertheit und Ignoranz.<ref>[[Gérard Gäfgen]], ''Theorie der wirtschaftlichen Entscheidung'', 1974, S. 134; ISBN 978-3-16-336012-9.</ref> Ignoranz besteht in einem vollständigen Fehlen von [[Daten]] oder [[Information]]en, so dass eine [[Rationalität|rationale]] [[Entscheidung]] nicht möglich ist.<ref>[https://www.google.de/books/edition/Betriebliche_Entscheidungen/r6JsDwAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&dq=Ignoranz+Entscheidungstheorie&pg=PA235&printsec=frontcover Egbert Kahle, ''Betriebliche Entscheidungen'', 2001, S. 235].</ref>
Bei Entscheidungen unter Risiko liegt eine '''Ergebnis[[Matrix (Mathematik)|matrix]]''' vor, die das Entscheidungsproblem darstellt: Der Entscheider hat die Wahl zwischen verschiedenen Alternativen <math> a_i </math>, die abhängig von den möglichen Umweltzuständen <math> s_j </math> verschiedene Ergebnisse <math> e_{ij} </math> zur Folge haben. Die Wahrscheinlichkeiten <math> w_j </math> der verschiedenen Umweltzustände sind bekannt, wobei gilt: <math>0 \le w_j \le 1</math> und <math>\sum_{j}w_j = 1</math>.


== Übersicht ==
'''Beispiel'''
Nach dem Informationsgrad einzelner [[Merkmal]]e können folgende Entscheidungsarten unterschieden werden:<ref>[https://www.google.de/books/edition/Grundlagen_der_Allgemeinen_Betriebswirts/ebMuBAAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&dq=Umweltzustand++Entscheidungstheorie&pg=PA25&printsec=frontcover Marc Oliver Opresnik/Carsten Rennhak, ''Grundlagen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre'', 2012, S. 25].</ref>


{| class="wikitable" style="padding:1em; vertical-align:top; border:2px;"
100 € sollen für ein Jahr angelegt werden. Zur Wahl stehen: eine Aktie (<math> a_1 </math>) oder der Sparstrumpf, der keine Zinsen abwirft (<math> a_2 </math>). Die möglichen Umweltzustände sind: Der Aktienkurs steigt (<math> s_1 </math>), er sinkt (<math> s_2 </math>) oder er bleibt gleich (<math> s_3 </math>).
|-
! [[Entscheidung]]sart
! [[Merkmal]]e
|-
| [[Entscheidung unter Sicherheit]]
| alle [[Umweltzustand|Umweltzustände]] sind ''bekannt''
|-
| [[Entscheidung unter Unsicherheit]]
| tatsächliche Umweltzustände sind ''nicht bekannt''; eine [[Wahrscheinlichkeitsverteilung]] über die möglicherweise eintretenden Umweltzustände ist ''bekannt''
|-
| [[Entscheidung unter Ungewissheit]]
| tatsächliche Umweltzustände sind ''nicht bekannt''; eine [[Wahrscheinlichkeitsverteilung]] über die möglicherweise eintretenden Umweltzustände ist ''nicht bekannt''
|-
| Entscheidung unter Risiko
| den möglichen Umweltzuständen können bestimmte [[Eintrittswahrscheinlichkeit]]en zugeordnet werden
|}

Die einzelnen Entscheidungsarten unterscheiden sich danach, welches Merkmal bekannt und welches unbekannt ist.

== Formale Darstellung ==
Bei Entscheidungen unter Risiko liegt eine sogenannte ''[[Tabelle|Ergebnismatrix]]'' vor, die das Entscheidungsproblem darstellt: Der Entscheidungstgräger hat die Wahl zwischen verschiedenen Alternativen <math> a_i </math>, die abhängig von den möglichen Umweltzuständen <math> s_j </math> verschiedene Ergebnisse <math> e_{ij} </math> zur Folge haben. Die Eintrittswahrscheinlichkeiten <math> w_j = p(s_j)</math> der verschiedenen Umweltzustände <math>s_1,\dots,s_n </math> sind bekannt, wobei <math>0 \le w_j \le 1</math> und <math>\sum_{j=1}^n w_j = 1</math> gilt.

{| class="wikitable" style="margin-left:2em; text-align:center;"
|+ Ergebnismatrix<br /> <small>Entscheidung unter Risiko</small>
|-
!
!width="30"|'''<math>w_1</math>'''
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!width="30"|'''<math>s_n</math>'''
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| '''<math>a_1</math>'''
| <math>e_{11}</math>
|
| <math>e_{1j}</math>
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| <math>e_{1n}</math>
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| <math>\vdots</math>
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| '''<math>a_i</math>'''
| <math>e_{i1}</math>
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| <math>e_{ij}</math>
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| <math>e_{in}</math>
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| <math>\vdots</math>
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| '''<math>a_m</math>'''
| <math>e_{m1}</math>
|
| <math>e_{mj}</math>
|
| <math>e_{mn}</math>
|}

;Beispiel
100 € sollen für ein Jahr als [[Finanzprodukt|Geldanlage]] angelegt werden. Zur Wahl stehen eine [[Aktie]] (<math> a_1 </math>) oder der [[Hortung|Sparstrumpf]], der keine [[Habenzins]]en abwirft (<math> a_2 </math>). Die möglichen Umweltzustände sind: Der [[Aktienkurs]] steigt (<math> s_1 </math>), er sinkt (<math> s_2 </math>) oder er bleibt gleich (<math> s_3 </math>).


Die Ergebnismatrix sieht dann zum Beispiel wie folgt aus:
Die Ergebnismatrix sieht dann zum Beispiel wie folgt aus:


{|class="wikitable"
{| class="wikitable" style="text-align:right;"
!width="5%"|
!width="5%"|
!width="20%" align="Right"|<math>p(s_1) = w_1
!width="20%"|<math>p(s_1) = w_1</math><br /><math>s_1</math>
</math><br \><math>s_1</math>
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! <math>a_1</math>
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| <math>e_{11} = </math> 120
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|-
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|-
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| align="Right"| <math>e_{12} = </math> 80
! <math>a_2</math>
| align="Right"| <math>e_{13} = </math> 100
| <math>e_{21} = </math> 100
| <math>e_{22} = </math> 100
|-
! <math>a_2</math>
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|}
| align="Right"| <math>e_{21} = </math> 100

| align="Right"| <math>e_{22} = </math> 100
Der Entscheidungsträger ([[Anleger (Finanzmarkt)|Anleger]]) rechnet mit einer Wahrscheinlichkeit von <math> w_1 </math> damit, dass der Aktienkurs steigt, mit einer Wahrscheinlichkeit von <math> w_2 </math> rechnet er mit einem Sinken des Aktienkurses und mit einer Wahrscheinlichkeit von <math> w_3 </math> bleibt der Kurs unverändert.
| align="Right"| <math>e_{23} = </math> 100
|}
Der Entscheider rechnet mit einer Wahrscheinlichkeit von <math> w_1 </math> damit, dass der Aktienkurs steigt, mit einer Wahrscheinlichkeit von <math> w_2 </math> rechnet er mit einem Sinken des Aktienkurses und mit einer Wahrscheinlichkeit von <math> w_3 </math> bleibt der Kurs unverändert.


== Klassische Entscheidungsregeln ==
== Klassische Entscheidungsregeln ==
Die folgenden Entscheidungsregeln werden auch als klassische Entscheidungsregeln bezeichnet.<ref>[https://www.google.de/books/edition/Entscheidungstheorie/9ViEDwAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&dq=Helmut+Laux/Robert+M.+Gillenkirch/Heike+Y.+Schenk-Mathes,+Entscheidungstheorie&pg=PR2&printsec=frontcover Helmut Laux/Robert M. Gillenkirch/Heike Y. Schenk-Mathes, ''Entscheidungstheorie'', 9. Auflage, Springer/Gabler, 2014, S. 114 ff.]</ref> Dabei wird durch eine Präferenzfunktion <math>\varphi: \{a_1,\dots, a_m\} \to \R </math> jeder Alternative <math>a_i </math> eine Zahl <math>\varphi(a_i)</math> so zugeordnet, so dass der Entscheidungsträger die Alternative mit dem höchsten Präferenzwert wählt.
Die folgenden Entscheidungsregeln werden auch als klassische Entscheidungsregeln bezeichnet.<ref>Laux (2014), Kap. 4.6</ref>


=== Die Bayes-Regel ===
=== Die Bayes-Regel ===
Bei der ''Bayes-Regel'' (auch ''μ-Regel'', ''Erwartungswert-Regel'' oder ''Erwartungswert-Prinzip'') orientiert sich der Entscheidungsträger nur nach den [[Erwartungswert]]en. Die Präferenzfunktion ist
:<math>\varphi(a_i) = \mathbb{E}(e_i) = \mu_i = \sum_{j=1}^n w_j \cdot e_{ij} \quad\text{für } i=1,\ldots,m</math>,
dabei bezeichnet <math>\mathbb{E}(e_i)</math> den Erwartungswert einer diskreten [[Zufallsvariable]]n <math>e_i</math>, die mit den Wahrscheinlichkeiten <math>w_1,\dots,w_n</math> die Werte <math>e_{i1},\dots,e_{in}</math> annimmt.
Der Entscheidungsträger wählt eine Alternative <math>a</math>, die seine Präfenzfunktion maximiert, also
:<math> \varphi(a) = \max_{i=1}^m \varphi(a_i) </math>
erfüllt.
Da nur der Erwartungswert der jeweiligen Alternative <math> a_i </math> bewertet wird, ist der Entscheidungsträger [[Risikoneutralität|risikoneutral]], er ist beispielsweise indifferent hinsichtlich der Teilnahme an einer Lotterie per Münzwurf, in der er mit 50 % Wahrscheinlichkeit 1&nbsp;€ gewinnt und mit 50 % Wahrscheinlichkeit 1&nbsp;€ verliert. Im obigen Beispiel ist der dann indifferent, wenn gilt: <math> e_{11} \cdot w_1 + e_{12} \cdot w_2 + e_{13} \cdot w_3 = 100 </math> (da unabhängig von den Wahrscheinlichkeiten <math>w_j</math> eine sichere „Auszahlung“), hier also: <math> 120 \cdot w_1 + 80 \cdot w_2 + 100 \cdot w_3</math>. Indifferenz würde z.&nbsp;B. vorliegen bei Gleichverteilung, wenn also gilt: <math>w_1 = w_2 = w_3 = \frac{1}{3}</math>.


Ist [[Gleichwahrscheinlichkeitsmodell|Gleichwahrscheinlichkeit]] gegeben, liegt ein Spezialfall der Bayes-Regel vor, die [[Laplace-Regel]].
Bei der '''Bayes-Regel''', auch '''μ-Regel''' oder '''Erwartungswert-Regel''' genannt, orientiert sich der Entscheider nur nach den [[Erwartungswert|Erwartungswerten]].
:<math> \max_i : \varphi{}_{a_i} = \mathbb{E}(e_i) = \mu{}_i = \sum_j w{}_j \cdot e_{ij} </math>

Da nur der Erwartungswert der jeweiligen Alternative <math> a_i </math> bewertet wird, ist der Entscheider [[Risikoneutralität|risikoneutral]], er ist beispielsweise indifferent hinsichtlich der Teilnahme an einer Lotterie per Münzwurf, in der er mit 50 % Wahrscheinlichkeit 1 € gewinnt und mit 50 % Wahrscheinlichkeit 1 € verliert. Im obigen Beispiel ist der dann indifferent, wenn gilt: <math>e_{11}</math>*<math>w_1</math> + <math>e_{12}</math>*<math>w_2</math> + <math>e_{13}</math>*<math>w_3</math> = 100 (da unabhängig von den Wahrscheinlichkeiten <math>w_j</math> eine sichere "Auszahlung"), hier also: 120*<math>w_1</math> + 80*<math>w_2</math> + 100*<math>w_3</math>. Indifferenz würde z.&nbsp;B. vorliegen bei Gleichverteilung, wenn also gilt: <math>w_1</math> = <math>w_2</math> = <math>w_3</math> = <math>\frac{1}{3}</math>.

Ist Gleichwahrscheinlichkeit gegeben, liegt ein Spezialfall der Bayes-Regel vor, die [[Laplace-Regel]].


==== Bewertung ====
==== Bewertung ====
Das Beispiel des [[Sankt-Petersburg-Paradoxon]]s zeigt, dass die Berücksichtigung von Erwartungswerten nicht in allen Fällen dem Entscheidungsverhalten von Personen in der Realität entspricht. Bei der Sankt-Petersburg-Lotterie wird eine faire Münze geworfen, das heißt, Kopf und Zahl erscheinen jeweils mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 %. Die Münze wird solange geworfen, bis zum erstmalig Kopf erscheint. Der Spieler erhält als zufällige Auszahlung <math>X</math> den Betrag
* <math>1 \ \euro</math>, wenn bereits beim ersten Wurf Kopf erscheint,
* <math>2 \ \euro</math>, wenn erst beim zweiten Wurf Kopf erscheint,
* <math>4 \ \euro</math>, wenn erst beim dritten Wurf Kopf erscheint,
* …,
* <math>2^{k-1} \ \euro</math>, wenn erst beim <math>k</math>-ten Wurf Kopf erscheint.
Der Erwartungswert der Zufallsvariablen <math>X</math> ist
:<math>\mathbb{E}(X) = \sum_{k=1}^\infty P(X=k)\cdot 2^{k-1} = \frac{1}{2}\cdot 1+\frac{1}{4}\cdot 2 + \frac{1}{8}\cdot 4 + \dotsb =\sum_{k=1}^\infty \frac{1}{2^k}\cdot 2^{k-1} = \sum_{k=1}^\infty {1 \over 2} = \infty.</math>


Gemäß der Bayes-Regel wäre ein Entscheidungsträger bereit, jeden noch so hohen Betrag – also sein gesamtes Vermögen – für die Teilnahme an der Lotterie zu bezahlen, da der erwartete Gewinn unendlich groß ist. In der Realität ist jedoch kaum jemand bereit, sein gesamtes Vermögen gegen die Teilnahme an der Sankt-Petersburg-Lotterie zu tauschen.<ref name=":0">Helmut Laux/Robert M. Gillenkirch/Heike Y. Schenk-Mathes, ''Entscheidungstheorie'', 9. Auflage, Springer/Gabler, 2014, S. 105 f.</ref>
Das Beispiel des [[Sankt-Petersburg-Paradoxon|Sankt-Petersburg-Paradoxons]] zeigt, dass die Berücksichtigung von Erwartungswerten nicht in allen Fällen dem Entscheidungsverhalten von Menschen in der Realität entspricht. Bei der Sankt-Petersburg-Lotterie wird eine faire Münze (d. h. Kopf und Zahl erscheinen jeweils mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 %) geworfen. Der Spieler erhält als Auszahlung:
* <math>2</math> €, wenn bereits beim ersten Wurf Kopf erscheint
* <math>4</math> €, wenn erst beim zweiten Wurf Kopf erscheint
* ...
* <math>2^n</math> €, wenn erst beim <math>n</math>-ten Wurf Kopf erscheint
Der Erwartungswert entspricht hierbei <math>\mathbb{E}(X) = \frac{1}{2}\cdot 1+\frac{1}{4}\cdot 2 + \frac{1}{8}\cdot 4 + \dotsb =\sum_{k=1}^\infty \frac{1}{2^k}\cdot 2^{k-1} = \sum_{k=1}^\infty {1 \over 2} = \infty.</math>

Gemäß der Bayes-Regel wäre ein Entscheider bereit, jeden noch so hohen Betrag – also sein gesamtes Vermögen – für die Teilnahme an der Lotterie zu bezahlen, da der erwartete Gewinn unendlich groß ist. In der Realität ist jedoch kaum jemand bereit, sein gesamtes Vermögen gegen die Teilnahme an der Sankt-Petersburg-Lotterie zu tauschen.<ref name=":0">Laux (2014), S. 105 f.</ref>


=== Die μ-σ-Regel ===
=== Die μ-σ-Regel ===
In der '''μ-σ-Regel''' oder '''Erwartungswert-Varianz-Prinzip''' und deshalb eigentlich ''μ-σ²-Regel'', findet die Risikoeinstellung des Entscheiders dadurch Berücksichtigung, dass auch die [[Standardabweichung]] berücksichtigt wird. Bei risikoneutralen Entscheidern entspricht sie der Bayes-Regel, bei [[Risikoaversion|risikoaversen]] (risikoscheuen) Entscheidern sinkt die Attraktivität einer Alternative <math>a_i</math> mit zunehmender Standardabweichung. Bei risikofreudigen Entscheidern steigt die Attraktivität hingegen.
In der ''μ-σ-Regel'' oder ''Erwartungswert-Varianz-Prinzip'' und deshalb eigentlich ''μ-σ²-Regel'', findet die Risikoeinstellung des Entscheidungsträgers dadurch Berücksichtigung, dass auch die [[Standardabweichung (Wahrscheinlichkeitstheorie)|Standardabweichung]] berücksichtigt wird. Bei risikoneutralen Entscheidungsträgern entspricht sie der Bayes-Regel, bei [[Risikoaversion|risikoaversen]] (risikoscheuen) Entscheidungsträgern sinkt die Attraktivität einer Alternative <math>a_i</math> mit zunehmender Standardabweichung. Bei risikofreudigen Entscheidungsträgern steigt die Attraktivität hingegen.


Der Entscheider wählt die Alternative, die seine Präferenzfunktion maximiert:
Der Entscheidungsträger wählt die Alternative, die seine Präferenzfunktion maximiert:
:<math> \max_i : \varphi(a_i) = \Phi ( \mu_i, \sigma_i ) </math>.

Eine mögliche Form der μ-σ-Regel ist zum Beispiel:<ref name=":1">{{Literatur |Autor=Werner Gothein |Titel=Evaluation von Anlagestrategien |Verlag=Springer Fachmedien |Ort=Wiesbaden |Datum=1995 |Seiten=30 |Online={{Google Buch |BuchID=mj_0BgAAQBAJ |Seite=30}} |DOI=10.1007/978-3-663-08484-6}}</ref>
:<math> \max_i : \varphi_{a_i} = \Phi ( \mu_i, \sigma_i ) </math>
:<math> \Phi ( \mu_i, \sigma_i ) = \mu_i - \alpha \cdot \sigma_i </math>

Eine mögliche Form der μ-σ-Regel ist zum Beispiel:<ref name=":1">{{Literatur|Autor = Werner Gothein|Titel = Evaluation von Anlagestrategien|DOI = 10.1007/978-3-663-08484-6|Online = {{Google Buch |BuchID=mj_0BgAAQBAJ |Seite=30}}|Jahr = 1995|Verlag = Springer Fachmedien|Ort = Wiesbaden|Seiten = 30}}</ref>

:<math> \Phi ( \mu_i, \sigma_i ) = \mu_i + \alpha \cdot \sigma_i </math>
<math>\alpha</math> beschreibt hierbei den Risikoaversionsparameter.
<math>\alpha</math> beschreibt hierbei den Risikoaversionsparameter.
* Für <math>\alpha > 0</math> gilt: Der Entscheider ist risikofreudig, eine Alternative mit einem höheren σ wird einer Alternative mit gleichem Erwartungswert μ aber niedrigerem σ vorgezogen.
* Für <math>\alpha < 0</math> gilt: Der Entscheidungsträger ist [[Risikofreude|risikofreudig]], eine Alternative mit einem höheren <math> \sigma </math> wird einer Alternative mit gleichem Erwartungswert <math> \mu </math> aber niedrigerem σ vorgezogen.
* Für <math>\alpha < 0</math> gilt: Der Entscheider ist risikoavers, eine Alternative mit niedrigerem σ wird einer Alternative mit gleichem Erwartungswert, aber höherem σ vorgezogen.
* Für <math>\alpha > 0</math> gilt: Der Entscheidungsträger ist [[Risikoaversion|risikoavers]], eine Alternative mit niedrigerem <math> \sigma </math> wird einer Alternative mit gleichem Erwartungswert, aber höherem <math> \sigma </math> vorgezogen.
* Für <math>\alpha = 0</math> entspricht die Regel der ''Bayes-Regel'', der Entscheider ist risikoneutral, die Standardabweichung σ hat keinen Einfluss auf die Bewertung der Alternativen.
* Für <math>\alpha = 0</math> entspricht die Regel der ''Bayes-Regel'', der Entscheidungsträger ist [[Risikoneutralität|risikoneutral]], die Standardabweichung <math> \sigma </math> hat keinen Einfluss auf die Bewertung der Alternativen.


== Das Bernoulli-Prinzip ==
== Bernoulli-Prinzip ==
Das '''Bernoulli-Prinzip''' wurde von [[Daniel Bernoulli]] zur Auflösung des Sankt-Petersburg-Paradoxons vorgeschlagen und gilt unter gewissen [[Axiom|Annahmen]] als [[Ökonomisches Prinzip|rationales]] Entscheidungskriterium.<ref>Laux (2014), Kap. 5.4</ref>
Das ''Bernoulli-Prinzip'' wurde von [[Daniel Bernoulli]] zur Auflösung des [[Sankt-Petersburg-Paradoxon]]s vorgeschlagen. Es gilt unter gewissen Annahmen als [[Ökonomisches Prinzip|rationales]] Entscheidungskriterium.<ref>Helmut Laux/Robert M. Gillenkirch/Heike Y. Schenk-Mathes, ''Entscheidungstheorie'', 9. Auflage, Springer Gabler, 2014, S. 141 ff.</ref>


Beim Bernoulli-Prinzip werden die Ergebnisse <math> e_{ij} </math> erst mit Hilfe einer [[Nutzenfunktion]] (manchmal auch ''Risikonutzenfunktion'' genannt) in Nutzenwerte umgewandelt. Die individuelle Nutzenfunktion <math> u(e_{ij}) </math> spiegelt dabei die Risikoeinstellung des Entscheiders wider.
Die möglichen Ergebnisse <math> e_{ij} </math> werden zuerst in [[Nutzwert]]e umgewandelt. Dazu braucht es eine [[Nutzenfunktion (Mikroökonomie)|Nutzenfunktion]] (auch ''Risikonutzenfunktion''). Diese individuelle Nutzenfunktion <math> u(e_{ij}) </math> enthält bereits die Risikoeinstellung des Entscheidungsträgers:
* risikofreudig: [[streng konvexe Funktion]] (z. B. [[Quadratische Funktion|Quadratfunktion]] im 1. Quadranten),
* [[lineare Funktion]]: neutral,
* risikoavers: [[streng konkave Funktion]] (z. B. [[Wurzel (Mathematik)|Wurzelfunktion]] im 1. [[Quadrant]]en).
Es ist allerdings auch möglich, dass die Nutzenfunktion sowohl konkave als auch konvexe Bereiche aufweist. Dies bildet gut eine [[Empirie|empirisch]] beobachtbare Tatsache ab. Zum Beispiel spielen Personen [[Lotto]] (Risikofreude) und schließen ebenso [[Versicherung (Kollektiv)|Versicherungen]] ab (Risikoaversion).<ref name=":0" />


Gewählt wird die Alternative, die den Erwartungswert der Nutzenfunktion maximiert:
* Dabei steht eine [[konkave Funktion]] für einen risikoaversen Entscheider (z. B. [[Wurzel (Mathematik)|Wurzelfunktion]] im 1. [[Quadrant|Quadranten]]),
:<math> \max_i : \varphi_{a_i} = \mathbb{E}\bigl[u(e_i)\bigr] = \sum_j w_j \cdot u(e_{ij}) </math>
* eine [[konvexe Funktion]] für einen risikofreudigen Entscheider (z. B. [[Quadratische Funktion|Quadratfunktion]] im 1. Quadranten)
* und schließlich eine [[lineare Funktion]] für eine risikoneutrale Haltung.


;Beispiel
Es ist allerdings auch möglich, dass die Nutzenfunktion sowohl konkave als auch konvexe Bereiche aufweist. Dies bildet zum Beispiel die [[Empirie|empirisch]] beobachtbare Tatsache ab, dass Menschen sowohl [[Lotto]] spielen (Risikofreude), als auch [[Versicherung (Kollektiv)|Versicherungen]] abschließen (Risikoaversion).<ref name=":0" />
100 € sollen für ein Jahr angelegt werden. Zur Wahl stehen: eine Aktie (<math> a_1 </math>) oder der Sparstrumpf, der keine Zinsen abwirft (<math> a_2 </math>). Die möglichen Umweltzustände sind: Der Aktienkurs steigt (<math> s_1 </math>), er sinkt (<math> s_2 </math>) oder er bleibt gleich (<math> s_3 </math>).<br /> Der Entscheidungsträger rechnet mit einer Wahrscheinlichkeit von <math> w_1=30 \ \% </math> damit, dass der Aktienkurs steigt, mit einer Wahrscheinlichkeit von <math> w_2=50 \ \% </math> rechnet er mit einem Sinken des Aktienkurses und mit einer Wahrscheinlichkeit von <math> w_3=20 \ \% </math> bleibt der Kurs unverändert.


Für den Entscheidungsträger wird die Nutzenfunktion <math>u(e_{ij})=\sqrt{e_{ij}}</math> angenommen.
Gewählt wird die Alternative, die den Erwartungswert der Nutzenfunktion maximiert:


{| class="wikitable" style="text-align:right;"
:<math> \max_i : \varphi_{ai} = \mathbb{E}\bigl[u(e_i)\bigr] = \sum_j w_j \cdot u(e_{ij}) </math>
!width="5%"|
!width="20%"|<math>p(s_1) = 30 \ \%</math><br /><math>s_1</math>
!width="20%"|<math>p(s_2) = 50 \ \%</math><br /><math>s_2</math>
!width="20%"|<math>p(s_3) = 20 \ \%</math><br /><math>s_3</math>
!width="20%"|<math>\sum_j w_j \cdot u(e_{ij})</math><br /><math>s_3</math>
|-
! <math>a_1</math>
| <math>e_{11} = </math> 120
| <math>e_{12} = </math> 80
| <math>e_{13} = </math> 100
| <math>0{,}3 \cdot \sqrt{120}+0{,}5 \cdot \sqrt{80}+0{,}2 \cdot \sqrt{100} = 9{,}758 </math>
|-
! <math>a_2</math>
| <math>e_{21} = </math> 100
| <math>e_{22} = </math> 100
| <math>e_{23} = </math> 100
| <math>0{,}3 \cdot \sqrt{100}+0{,}5 \cdot \sqrt{100}+0{,}2 \cdot \sqrt{100} = 10 </math>
|}

Bei Anwendung des Bernoulli-Prinzips erhält man den höchsten Nutzenwert von <math>10</math> bei <math>a_2</math>. Somit ist diese Alternative auszuwählen. Die Form der Nutzenfunktion <math>u(e_{ij})=\sqrt{e_{ij}}</math> ist konkav, deshalb ist die [[Risikoeinstellung]] des Entscheidungsträgers risikoavers.


=== Verhältnis zu den klassischen Entscheidungskriterien ===
=== Verhältnis zu den klassischen Entscheidungskriterien ===
Bei einer linearen Nutzenfunktion der Form <math>u(e_{ij}) = a \cdot e_{ij} + b</math> entspricht das Bernoulli-Prinzip der μ-Regel.
Bei einer linearen Nutzenfunktion der Form <math>u(e_{ij}) = a \cdot e_{ij} + b</math> mit <math> a > 0</math> entspricht das Bernoulli-Prinzip der Bayes-Regel, da dann
:<math>\sum_{j=1}^n u(e_{ij}) \geq \sum_{j=1}^n u(e_{i'j}) \iff \sum_{j=1}^n e_{ij} \geq \sum_{j=1}^n e_{i'j} \quad\text{für alle }i, i' =1 ,\dots, m </math>.


Die μ-σ-Regel ist im Allgemeinen nicht mit dem Bernoulli-Prinzip vereinbar, d. h. eine Präferenzfunktion im Sinne der μ-σ-Regel kann nicht in allen Fällen durch eine äquivalente Nutzenfunktion abgebildet werden und umgekehrt. Möglich ist dies z. B. bei einer quadratischen Nutzenfunktion der Form <math>u(e_{ij}) = a \cdot e_{ij}^2 + b \cdot e_{ij} + c</math>, welche zu einer Präferenzfunktion der Form <math>\Phi(\mu_i, \sigma_i) = b \cdot \mu_i + a \cdot \mu_i^2 + a \cdot \sigma_i^2</math> führt, oder bei [[Normalverteilung|normalverteilten]] zukünftigen Renditen auch in weiteren Fällen.<ref name=":1" />
Die μ-σ-Regel ist im Allgemeinen nicht mit dem Bernoulli-Prinzip vereinbar, d.&nbsp;h. eine Präferenzfunktion im Sinne der μ-σ-Regel kann nicht in allen Fällen durch eine äquivalente Nutzenfunktion abgebildet werden und umgekehrt. Möglich ist dies z.&nbsp;B. bei einer quadratischen Nutzenfunktion der Form <math>u(e_{ij}) = a \cdot e_{ij}^2 + b \cdot e_{ij} + c</math>, welche zu einer Präferenzfunktion der Form <math>\Phi(\mu_i, \sigma_i) = b \cdot \mu_i + a \cdot \mu_i^2 + a \cdot \sigma_i^2</math> führt, oder bei [[Normalverteilung|normalverteilten]] zukünftigen Renditen auch in weiteren Fällen.<ref name=":1" />


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
* [[Erwartungsnutzentheorie]]
*[[Entscheidung unter Sicherheit]]
* [[Informationswertanalyse]]
*[[Entscheidung unter Unsicherheit]]
* [[Bayessche Optimierung]]
*[[Erwartungsnutzentheorie]]


== Literatur ==<!-- Hinweis beim Ändern der Literatur: Einzelnachweise beziehen sich teilweise auf die Literaturangaben! -->
== Literatur ==<!-- Hinweis beim Ändern der Literatur: Einzelnachweise beziehen sich teilweise auf die Literaturangaben! -->
* {{Literatur
* {{Literatur|Autor = Helmut Laux, Robert M. Gillenkirch, Heike Y. Schenk-Mathes|Titel = Entscheidungstheorie|Auflage = 9|Verlag = Springer Gabler|Jahr = 2014|DOI = 10.1007/978-3-642-55258-8}}
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== Weblinks ==
== Weblinks ==
* [http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/ergebnismatrix.html Ergebnismatrix], [http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/erwartungswert-regel.html Erwartungswert-Regel], [http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/erwartungswert-varianz-prinzip.html Erwartungswert-Varianz-Prinzip], [http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/bernoulli-prinzip.html Bernoulli-Prinzip] im [[Springer Gabler|Gabler]] Witschaftslexikon.
* [https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/bernoulli-prinzip-30730 Bernoulli-Prinzip], [https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/ergebnismatrix-33105 Ergebnismatrix], [https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/erwartungswert-regel-53917 Erwartungswert-Regel], [https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/erwartungswert-varianz-prinzip-53962 Erwartungswert-Varianz-Prinzip], [https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/praeferenzfunktion-42356 Präferenzfunktion] im [[Springer Gabler|Gabler]]-Wirtschaftslexikon.
* [http://hans-markus.de/finance/102/risikomanagement_kapitalmarkt/entscheidung_unsicherheit/ Entscheidung bei Risiko] auf hans-markus.de


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />
<references />

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[[Kategorie:Betriebswirtschaftslehre]]
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[[Kategorie:Managementlehre]]
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[[Kategorie:Risikomanagement]]

Aktuelle Version vom 22. März 2024, 20:44 Uhr

Von einer Entscheidung unter Risiko spricht man im Rahmen der Betriebswirtschaftslehre und Entscheidungstheorie dann, wenn der Entscheidungsträger dem künftig eintretenden Umweltzustand subjektive oder objektive Eintrittswahrscheinlichkeiten zuordnen kann.

Entscheidungen unter Risiko hängen unmittelbar mit dem zugrunde liegenden Informationsgrad zusammen, bei ihnen liegt unvollständige Information im Hinblick auf Daten der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugrunde.[1] Der Entscheidungsträger verfügt über unsichere Erwartungen, und die mit der Entscheidung verbundenen Konsequenzen sind nicht vollständig absehbar. Die Aufteilung der konstitutiven Entscheidungen nach dem Informationsgrad geht auf Erich Gutenberg zurück.[2] Daneben unterschied er noch die Entscheidung unter Sicherheit, Entscheidung unter Unsicherheit und Entscheidung unter Ungewissheit. Bei der Entscheidung unter Risiko liegt der Informationsgrad zwischen > 0 % und < 100 %; es liegen unvollständige Informationen vor. Bei 0 % handelt es sich um Ignoranz.

Informationsgrad

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Die Entscheidung unter Risiko ist einzuordnen in den ihr zugrunde liegenden Informationsgrad. Der abgestufte Informationsgrad lautet dabei konkret: Sicherheit, Risiko, Ungewissheit und Unsicherheit.[3] Um Sicherheit handelt es sich, wenn der Eintritt eines künftigen Umweltzustands zu 100 % determiniert ist (Entscheidung unter Sicherheit). Beim Risiko können den möglichen Ausprägungen künftiger Umweltzustände subjektive oder objektive Eintrittswahrscheinlichkeiten zugeordnet werden (Entscheidung unter Risiko);[4] Subjektive Eintrittswahrscheinlichkeiten gibt es beispielsweise beim Lotto oder Roulette, objektiven können Schätzungen (etwa aufgrund von Erfahrungswerten) zugrunde liegen. Ungewissheit kennzeichnet eine Entscheidungssituation, bei der die möglichen Ausprägungen künftiger Umweltzustände zwar bekannt sind, aber keine Wahrscheinlichkeiten zugeordnet werden können (Entscheidung unter Ungewissheit).[5] Unsicherheit schließlich beinhaltet die Möglichkeit von ex post-Überraschungen (Entscheidung unter Unsicherheit). Letztere sind der „Wechsel der Erwartung aufgrund des Eintreffens neuer Daten“.[6] Andere Autoren stufen ab nach Sicherheit, Quasi-Sicherheit, Risiko, Unsicherheit, rationale Indeterminiertheit und Ignoranz.[7] Ignoranz besteht in einem vollständigen Fehlen von Daten oder Informationen, so dass eine rationale Entscheidung nicht möglich ist.[8]

Nach dem Informationsgrad einzelner Merkmale können folgende Entscheidungsarten unterschieden werden:[9]

Entscheidungsart Merkmale
Entscheidung unter Sicherheit alle Umweltzustände sind bekannt
Entscheidung unter Unsicherheit tatsächliche Umweltzustände sind nicht bekannt; eine Wahrscheinlichkeitsverteilung über die möglicherweise eintretenden Umweltzustände ist bekannt
Entscheidung unter Ungewissheit tatsächliche Umweltzustände sind nicht bekannt; eine Wahrscheinlichkeitsverteilung über die möglicherweise eintretenden Umweltzustände ist nicht bekannt
Entscheidung unter Risiko den möglichen Umweltzuständen können bestimmte Eintrittswahrscheinlichkeiten zugeordnet werden

Die einzelnen Entscheidungsarten unterscheiden sich danach, welches Merkmal bekannt und welches unbekannt ist.

Formale Darstellung

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Bei Entscheidungen unter Risiko liegt eine sogenannte Ergebnismatrix vor, die das Entscheidungsproblem darstellt: Der Entscheidungstgräger hat die Wahl zwischen verschiedenen Alternativen , die abhängig von den möglichen Umweltzuständen verschiedene Ergebnisse zur Folge haben. Die Eintrittswahrscheinlichkeiten der verschiedenen Umweltzustände sind bekannt, wobei und gilt.

Ergebnismatrix
Entscheidung unter Risiko
Beispiel

100 € sollen für ein Jahr als Geldanlage angelegt werden. Zur Wahl stehen eine Aktie () oder der Sparstrumpf, der keine Habenzinsen abwirft (). Die möglichen Umweltzustände sind: Der Aktienkurs steigt (), er sinkt () oder er bleibt gleich ().

Die Ergebnismatrix sieht dann zum Beispiel wie folgt aus:




120 80 100
100 100 100

Der Entscheidungsträger (Anleger) rechnet mit einer Wahrscheinlichkeit von damit, dass der Aktienkurs steigt, mit einer Wahrscheinlichkeit von rechnet er mit einem Sinken des Aktienkurses und mit einer Wahrscheinlichkeit von bleibt der Kurs unverändert.

Klassische Entscheidungsregeln

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Die folgenden Entscheidungsregeln werden auch als klassische Entscheidungsregeln bezeichnet.[10] Dabei wird durch eine Präferenzfunktion jeder Alternative eine Zahl so zugeordnet, so dass der Entscheidungsträger die Alternative mit dem höchsten Präferenzwert wählt.

Die Bayes-Regel

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Bei der Bayes-Regel (auch μ-Regel, Erwartungswert-Regel oder Erwartungswert-Prinzip) orientiert sich der Entscheidungsträger nur nach den Erwartungswerten. Die Präferenzfunktion ist

,

dabei bezeichnet den Erwartungswert einer diskreten Zufallsvariablen , die mit den Wahrscheinlichkeiten die Werte annimmt. Der Entscheidungsträger wählt eine Alternative , die seine Präfenzfunktion maximiert, also

erfüllt. Da nur der Erwartungswert der jeweiligen Alternative bewertet wird, ist der Entscheidungsträger risikoneutral, er ist beispielsweise indifferent hinsichtlich der Teilnahme an einer Lotterie per Münzwurf, in der er mit 50 % Wahrscheinlichkeit 1 € gewinnt und mit 50 % Wahrscheinlichkeit 1 € verliert. Im obigen Beispiel ist der dann indifferent, wenn gilt: (da unabhängig von den Wahrscheinlichkeiten eine sichere „Auszahlung“), hier also: . Indifferenz würde z. B. vorliegen bei Gleichverteilung, wenn also gilt: .

Ist Gleichwahrscheinlichkeit gegeben, liegt ein Spezialfall der Bayes-Regel vor, die Laplace-Regel.

Das Beispiel des Sankt-Petersburg-Paradoxons zeigt, dass die Berücksichtigung von Erwartungswerten nicht in allen Fällen dem Entscheidungsverhalten von Personen in der Realität entspricht. Bei der Sankt-Petersburg-Lotterie wird eine faire Münze geworfen, das heißt, Kopf und Zahl erscheinen jeweils mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 %. Die Münze wird solange geworfen, bis zum erstmalig Kopf erscheint. Der Spieler erhält als zufällige Auszahlung den Betrag

  • , wenn bereits beim ersten Wurf Kopf erscheint,
  • , wenn erst beim zweiten Wurf Kopf erscheint,
  • , wenn erst beim dritten Wurf Kopf erscheint,
  • …,
  • , wenn erst beim -ten Wurf Kopf erscheint.

Der Erwartungswert der Zufallsvariablen ist

Gemäß der Bayes-Regel wäre ein Entscheidungsträger bereit, jeden noch so hohen Betrag – also sein gesamtes Vermögen – für die Teilnahme an der Lotterie zu bezahlen, da der erwartete Gewinn unendlich groß ist. In der Realität ist jedoch kaum jemand bereit, sein gesamtes Vermögen gegen die Teilnahme an der Sankt-Petersburg-Lotterie zu tauschen.[11]

Die μ-σ-Regel

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In der μ-σ-Regel oder Erwartungswert-Varianz-Prinzip und deshalb eigentlich μ-σ²-Regel, findet die Risikoeinstellung des Entscheidungsträgers dadurch Berücksichtigung, dass auch die Standardabweichung berücksichtigt wird. Bei risikoneutralen Entscheidungsträgern entspricht sie der Bayes-Regel, bei risikoaversen (risikoscheuen) Entscheidungsträgern sinkt die Attraktivität einer Alternative mit zunehmender Standardabweichung. Bei risikofreudigen Entscheidungsträgern steigt die Attraktivität hingegen.

Der Entscheidungsträger wählt die Alternative, die seine Präferenzfunktion maximiert:

.

Eine mögliche Form der μ-σ-Regel ist zum Beispiel:[12]

beschreibt hierbei den Risikoaversionsparameter.

  • Für gilt: Der Entscheidungsträger ist risikofreudig, eine Alternative mit einem höheren wird einer Alternative mit gleichem Erwartungswert aber niedrigerem σ vorgezogen.
  • Für gilt: Der Entscheidungsträger ist risikoavers, eine Alternative mit niedrigerem wird einer Alternative mit gleichem Erwartungswert, aber höherem vorgezogen.
  • Für entspricht die Regel der Bayes-Regel, der Entscheidungsträger ist risikoneutral, die Standardabweichung hat keinen Einfluss auf die Bewertung der Alternativen.

Bernoulli-Prinzip

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Das Bernoulli-Prinzip wurde von Daniel Bernoulli zur Auflösung des Sankt-Petersburg-Paradoxons vorgeschlagen. Es gilt unter gewissen Annahmen als rationales Entscheidungskriterium.[13]

Die möglichen Ergebnisse werden zuerst in Nutzwerte umgewandelt. Dazu braucht es eine Nutzenfunktion (auch Risikonutzenfunktion). Diese individuelle Nutzenfunktion enthält bereits die Risikoeinstellung des Entscheidungsträgers:

Es ist allerdings auch möglich, dass die Nutzenfunktion sowohl konkave als auch konvexe Bereiche aufweist. Dies bildet gut eine empirisch beobachtbare Tatsache ab. Zum Beispiel spielen Personen Lotto (Risikofreude) und schließen ebenso Versicherungen ab (Risikoaversion).[11]

Gewählt wird die Alternative, die den Erwartungswert der Nutzenfunktion maximiert:

Beispiel

100 € sollen für ein Jahr angelegt werden. Zur Wahl stehen: eine Aktie () oder der Sparstrumpf, der keine Zinsen abwirft (). Die möglichen Umweltzustände sind: Der Aktienkurs steigt (), er sinkt () oder er bleibt gleich ().
Der Entscheidungsträger rechnet mit einer Wahrscheinlichkeit von damit, dass der Aktienkurs steigt, mit einer Wahrscheinlichkeit von rechnet er mit einem Sinken des Aktienkurses und mit einer Wahrscheinlichkeit von bleibt der Kurs unverändert.

Für den Entscheidungsträger wird die Nutzenfunktion angenommen.





120 80 100
100 100 100

Bei Anwendung des Bernoulli-Prinzips erhält man den höchsten Nutzenwert von bei . Somit ist diese Alternative auszuwählen. Die Form der Nutzenfunktion ist konkav, deshalb ist die Risikoeinstellung des Entscheidungsträgers risikoavers.

Verhältnis zu den klassischen Entscheidungskriterien

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Bei einer linearen Nutzenfunktion der Form mit entspricht das Bernoulli-Prinzip der Bayes-Regel, da dann

.

Die μ-σ-Regel ist im Allgemeinen nicht mit dem Bernoulli-Prinzip vereinbar, d. h. eine Präferenzfunktion im Sinne der μ-σ-Regel kann nicht in allen Fällen durch eine äquivalente Nutzenfunktion abgebildet werden und umgekehrt. Möglich ist dies z. B. bei einer quadratischen Nutzenfunktion der Form , welche zu einer Präferenzfunktion der Form führt, oder bei normalverteilten zukünftigen Renditen auch in weiteren Fällen.[12]

  • Helmut Laux, Robert M. Gillenkirch, Heike Y. Schenk-Mathes: Entscheidungstheorie. 9. Auflage. Springer Gabler, 2014, doi:10.1007/978-3-642-55258-8.

Einzelnachweise

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  1. Hermann May, Ökonomie für Pädagogen, 2010, S. 79.
  2. Erich Gutenberg, Unternehmensführung: Organisation und Entscheidungen, in: Erich Gutenberg (Hrsg.), Die Wirtschaftswissenschaften 45, 1962, S. 77; ISBN 978-3-322-98278-0.
  3. Hans-Christian Pfohl, Zur Problematik von Entscheidungsregeln, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft 42 (5), 1972, S. 314.
  4. Hans-Christian Pfohl/Wolfgang Stölzle, Planung und Kontrolle, 1981, S. 178; ISBN 978-3-8006-2161-3.
  5. Dieter Schneider, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Band I: Grundlagen, 1993, S. 11; ISBN 978-3-486-23423-7.
  6. Linda Geddes, Model of surprise has 'wow' factor built in, in: New Scientist vom 17. Januar 2009, S. 9.
  7. Gérard Gäfgen, Theorie der wirtschaftlichen Entscheidung, 1974, S. 134; ISBN 978-3-16-336012-9.
  8. Egbert Kahle, Betriebliche Entscheidungen, 2001, S. 235.
  9. Marc Oliver Opresnik/Carsten Rennhak, Grundlagen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre, 2012, S. 25.
  10. Helmut Laux/Robert M. Gillenkirch/Heike Y. Schenk-Mathes, Entscheidungstheorie, 9. Auflage, Springer/Gabler, 2014, S. 114 ff.
  11. a b Helmut Laux/Robert M. Gillenkirch/Heike Y. Schenk-Mathes, Entscheidungstheorie, 9. Auflage, Springer/Gabler, 2014, S. 105 f.
  12. a b Werner Gothein: Evaluation von Anlagestrategien. Springer Fachmedien, Wiesbaden 1995, S. 30, doi:10.1007/978-3-663-08484-6 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  13. Helmut Laux/Robert M. Gillenkirch/Heike Y. Schenk-Mathes, Entscheidungstheorie, 9. Auflage, Springer Gabler, 2014, S. 141 ff.