„Tschornobyl“ – Versionsunterschied

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{{Infobox Ort in der Ukraine
{{Infobox Ort in der Ukraine
|Ort = Tschornobyl
| Ort = Tschornobyl
|OrtK = Чорнобиль
| OrtK = Чорнобиль
|Wappen =
| Wappen = Herb Chornobyl.gif
|KOATUU = 3222010500
| KOATUU = 3222010500
| KATOTTH = UA32000000020050699
|lat_deg = 51 | lat_min = 16 | lat_sec = 25
| lat_deg = 51
|lon_deg = 30 | lon_min = 13 | lon_sec = 35
| lat_min = 16
|Oblast = Oblast Kiew
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|Rajon = Rajon Iwankiw
|Höhe = 140
| lon_deg = 30
|Fläche =
| lon_min = 13
|Einwohner = 690
| lon_sec = 35
| Oblast = Oblast Kiew
|EW_Stand = 2017
| Rajon = Kreisfreie Stadt
|PLZ = 07200
|Vorwahl = 4593
| Höhe = 140
| Fläche = 25
|Gliederung = 1 Stadt
| Einwohner = 1054
|Adresse = вул. Івана Проскури буд. 7<br />07201 смт. Іванків
| EW_Stand = 2019
|Bürgermeister =
| PLZ = 07200
|Website = [https://ivankivska-rayrada.gov.ua/ Webseite der Gemeindeverwaltung]
|StatLink = 15720
| Vorwahl = 4593
| Gliederung = 1 Stadt
| Adresse = вул. Івана Проскури буд. 7<br />07201 смт. Іванків
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| StatLink = 15720
}}
}}


'''Tschornobyl''' ({{ukS|Чорнобиль}} [{{IPA|tʃɔrˈnɔbɪʎ}}]), bekannter als '''Tschernobyl''' (Transkription von {{ruS|Черно́быль}} [{{IPA|tʃɛrˈnɔbɨl}}]), ist eine Stadt im Norden der [[Ukraine]] in der [[Oblast Kiew]].
'''Tschornobyl''' ({{ukS-Cyrl|Чорнобиль}} [{{IPA|tʃɔrˈnɔbɪʎ}}], bekannter als '''Tschernobyl''', Transkription von {{ruS|Черно́быль}} [{{IPA|tʃɛrˈnɔbɨl}}]) ist eine Stadt im Norden der [[Ukraine]] in der [[Oblast Kiew]].
[[Datei:Меморіальний комплекс "Зірка Полин". м. Чорнобиль.jpg|mini|links|''Trompetender Engel'', Gedächtnisstätte auf dem ''Friedhof der [[Liquidator (Tschernobyl)|Liquidatoren]]'' in Tschornobyl]]
[[Datei:Меморіальний комплекс "Зірка Полин". м. Чорнобиль.jpg|mini|''Trompetender Engel'', Gedächtnisstätte auf dem ''Friedhof der [[Liquidator (Tschernobyl)|Liquidatoren]]'' in Tschornobyl]]

Die Stadt wurde ab dem 2. Mai 1986, eine Woche nach dem [[Nuklearunfall]] im 18 Kilometer entfernten [[Kernkraftwerk Tschernobyl]], der als [[Nuklearkatastrophe von Tschernobyl]] bekannt wurde, aufgrund [[Kontamination (Radioaktivität)|radioaktiver Kontamination]] [[Evakuierung|evakuiert]].<ref>[https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13522979.html „Gott ist in dem, der Kiew rettete“] in [[Der Spiegel]] vom 20. April 1987; abgerufen am 24. April 2020</ref>
Die Stadt wurde ab dem 2. Mai 1986, eine Woche nach dem [[Nuklearunfall]] im 18 Kilometer entfernten [[Kernkraftwerk Tschernobyl]], der als [[Nuklearkatastrophe von Tschernobyl]] bekannt wurde, aufgrund [[Kontamination (Radioaktivität)|radioaktiver Kontamination]] [[Evakuierung|evakuiert]].<ref>[https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13522979.html „Gott ist in dem, der Kiew rettete“] in [[Der Spiegel]] vom 20. April 1987; abgerufen am 24. April 2020</ref>

Tschornobyl liegt seitdem innerhalb der 30-km-[[Sperrzone von Tschernobyl|Sperrzone]], jedoch außerhalb der inneren 10-km-Sperrzone, sodass später viele Gebäude in der Stadt renoviert wurden, um als Unterkünfte für die Arbeiter und Ingenieure des ehemaligen Kraftwerkparks Prypjat, Soldaten, Polizisten und Feuerwehrleute zu dienen. In der Stadt, die sich, im Gegensatz zum benachbarten [[Prypjat (Stadt)|Prypjat]], in einem guten Zustand befindet, gibt es auch ein Hotel. Im Umland und im Stadtgebiet von Tschornobyl, das für eine dauerhafte Besiedlung nicht freigegeben ist, leben heute illegal, jedoch von den Behörden toleriert,<ref>[https://nuklearia.de/2018/04/25/reise-ins-innere-von-tschernobyl/ Reise ins Innere von Tschernobyl] Tschernobyl-Stadt und Asti (Piemont), in ''Nuklearia '' vom 25. April 2018; abgerufen am 24. April 2020</ref> rund 700 (von einst 14.000) [[Samosely|Personen]], die entweder nach der Katastrophe die Region nicht verlassen haben oder später in ihre Dörfer zurückkehrten.
Tschornobyl liegt seitdem innerhalb der 30-km-[[Sperrzone von Tschernobyl|Sperrzone]], jedoch außerhalb der inneren 10-km-Sperrzone, sodass später viele Gebäude in der Stadt renoviert wurden, um als Unterkünfte für die Arbeiter und Ingenieure des ehemaligen Kraftwerkparks Prypjat, Soldaten, Polizisten und Feuerwehrleute zu dienen. In der Stadt, die sich, im Gegensatz zum benachbarten [[Prypjat (Stadt)|Prypjat]], in einem guten Zustand befindet, gibt es auch ein Hotel. Im Umland und im Stadtgebiet von Tschornobyl, das für eine dauerhafte Besiedlung nicht freigegeben ist, leben heute illegal, jedoch von den Behörden toleriert,<ref>[https://nuklearia.de/2018/04/25/reise-ins-innere-von-tschernobyl/ Reise ins Innere von Tschernobyl] Tschernobyl-Stadt und Asti (Piemont), in ''Nuklearia '' vom 25. April 2018; abgerufen am 24. April 2020</ref> rund 700 (von einst 14.000) [[Samosely|Personen]] (Stand 2017), die entweder nach der Katastrophe die Region nicht verließen oder später in ihre Dörfer zurückkehrten.


Die Umweltorganisation [[Blacksmith Institute]] zählte in ihrer 2006, 2007 und 2013 veröffentlichten Liste Tschornobyl jeweils zu den zehn Orten mit der größten Umweltverschmutzung weltweit.<ref>[http://www.worstpolluted.org/docs/TopTenThreats2013.pdf Top Ten Threats 2013.pdf] des Blacksmith Institutes</ref>
Die Umweltorganisation [[Blacksmith Institute]] zählte in ihrer 2006, 2007 und 2013 veröffentlichten Liste Tschornobyl jeweils zu den zehn Orten mit der größten Umweltverschmutzung weltweit.<ref>[http://www.worstpolluted.org/docs/TopTenThreats2013.pdf Top Ten Threats 2013.pdf] des Blacksmith Institutes</ref>
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== Geographische Lage ==
== Geographische Lage ==
Tschornobyl befindet sich im [[Rajon Iwankiw]] in der Landschaft [[Polesien]] 15 Kilometer südwestlich der [[Grenze zwischen Belarus und der Ukraine|belarussischen Grenze]] und 130 km nördlich vom Oblastzentrum [[Kiew]]. Die Stadt liegt auf einer Höhe von {{Höhe|140|UA|link=true}} am rechten Ufer des [[Prypjat (Fluss)|Prypjat]], einem Nebenfluss des [[Dnepr]]. Wenig unterhalb der Stadt mündet der [[Usch (Nordukraine)|Usch]] in den Prypjat. Von [[Iwankiw]] kommend führt die [[Regionalstraße (Ukraine)|Regionalstraße]] ''P–56''/ [[Territorialstraße]] ''T–25–05'' über den Sperrzonen-Kontrollpunkt bei [[Dytjatky]] nach Tschornobyl und von hier aus in Richtung Osten auf einer kurzen Strecke als ''P-35'' durch Weißrussland, um nach Überquerung des Dneprs wieder als ''P–56'' nach [[Tschernihiw]] zu führen.
Tschornobyl befindet sich im [[Rajon Wyschhorod]] in der Landschaft [[Polesien]] 15 Kilometer südwestlich der [[Grenze zwischen Belarus und der Ukraine|belarussischen Grenze]] und 130 km nördlich vom Oblastzentrum [[Kiew]]. Die Stadt liegt auf einer Höhe von {{Höhe|140|UA|link=1}} am rechten Ufer des [[Prypjat (Fluss)|Prypjat]], einem Nebenfluss des [[Dnepr]]. Wenig südlich der Stadt mündet der [[Usch (Nordukraine)|Usch]] in den Prypjat. Von [[Iwankiw]] kommend führt die [[Regionalstraße (Ukraine)|Regionalstraße]] ''P–56''/ [[Territorialstraße]] ''T–25–05'' über den Sperrzonen-Kontrollpunkt bei [[Dytjatky]] nach Tschornobyl und von hier aus in Richtung Osten auf einer kurzen Strecke als ''P-35'' durch Belarus, um nach Überquerung des Dneprs wieder als ''P–56'' nach [[Tschernihiw]] zu führen.


[[Datei:Іллінська церква, Чорнобиль 3.jpg|mini|hochkant|Sankt-Elias-Kirche 2013]]
[[Datei:Іллінська церква, Чорнобиль 3.jpg|mini|hochkant|Sankt-Elias-Kirche 2013]]
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== Geschichte ==
== Geschichte ==
Das [[Geographisches Lexikon des Königreiches Polen|Geographische Lexikon des Königreiches Polen]] von 1880 besagt, dass der Zeitpunkt der Gründung der Stadt nicht bekannt ist.<ref>{{SgKP|I|750|Czarnobyl}}; abgerufen am 12. Dezember 2020 (polnisch)</ref>
Das [[Geographisches Lexikon des Königreiches Polen|Geographische Lexikon des Königreiches Polen]] von 1880 besagt, dass der Zeitpunkt der Gründung der Stadt nicht bekannt ist.<ref>{{SgKP|I|750|Czarnobyl}}; abgerufen am 12. Dezember 2020 (polnisch)</ref>
Grabungen im Stadtgebiet in den Jahren 2005 bis 2008 brachten eine [[Kulturschicht]] aus dem späten 10. und frühen 11. Jahrhundert hervor.<ref>[http://dspace.nbuv.gov.ua/handle/123456789/83442 Erforschung der Siedlung Tschornobyl] in der ''Wissenschaftlichen elektronischen Zeitschriftenbibliothek'' der [[Nationale Akademie der Wissenschaften der Ukraine|Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine]]; abgerufen am 12. Dezember 2020 (ukrainisch)</ref>
Grabungen im Stadtgebiet in den Jahren 2005 bis 2008 brachten eine [[Kulturschicht]] aus dem späten 10. und frühen 11. Jahrhundert hervor.<ref>[http://dspace.nbuv.gov.ua/handle/123456789/83442 Erforschung der Siedlung Tschornobyl] in der ''Wissenschaftlichen elektronischen Zeitschriftenbibliothek'' der [[Nationale Akademie der Wissenschaften der Ukraine|Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine]]; abgerufen am 12. Dezember 2020 (ukrainisch)</ref>
In der ''[[Laurentianchronik]]'' ({{lang|ru|Лаврентьевский список}}) wurde 1127 die Ortschaft ''Streschiw'' ({{lang|uk|Стрежів}}) als die südlichste Stadt des [[Fürstentum Polozk|Fürstentums Polozk]] erwähnt, von der Historiker glauben, dass sie später in Tschernobyl umbenannt wurde. Die erste schriftliche Erwähnung Tschornobyls im Jahr 1193 stammt aus der [[Hypatiuschronik]].<ref>[http://dazv.gov.ua/tsikavo-znaty/chi-znaete-vi-shcho-chornobil-odne-z-najdavnishikh-mist-kijivskoji-rusi-yakomu-vzhe-ponad-820-rokiv.html Wussten Sie, dass Tschernobyl eine der ältesten Städte in der Kiewer Rus ist, die über 820 Jahre alt ist?] auf der Website der ''Staatlichen Agentur der Ukraine für Sperrzonenmanagement''; abgerufen am 12. Dezember 2020 (ukrainisch)</ref>
In der ''[[Laurentianchronik]]'' ({{lang|ru|Лаврентьевский список}}) wurde 1127 die Ortschaft ''Streschiw'' ({{lang|uk|Стрежів}}) als die südlichste Stadt des [[Fürstentum Polozk|Fürstentums Polozk]] erwähnt, von der Historiker glauben, dass sie später in Tschornobyl umbenannt wurde. Die erste schriftliche Erwähnung Tschornobyls im Jahr 1193 stammt aus der [[Hypatiuschronik]].<ref>[http://dazv.gov.ua/tsikavo-znaty/chi-znaete-vi-shcho-chornobil-odne-z-najdavnishikh-mist-kijivskoji-rusi-yakomu-vzhe-ponad-820-rokiv.html Wussten Sie, dass Tschernobyl eine der ältesten Städte in der Kiewer Rus ist, die über 820 Jahre alt ist?] auf der Website der ''Staatlichen Agentur der Ukraine für Sperrzonenmanagement''; abgerufen am 12. Dezember 2020 (ukrainisch)</ref>


Die im [[Fürstentum Kiew]] gelegene Ortschaft wurde 1362 vom [[Großfürstentum Litauen]] erobert. 1552 besaß die Siedlung 196 Häuser und 1372 Einwohner. Es entwickelten sich Handwerksbetriebe wie [[Schmieden]] und [[Küfer|Böttcherbetriebe]]. Nahe von Tschernobyl wurde [[Raseneisenstein|Sumpferz]] gewonnen, das zu Eisen verhüttet wurde. Nach der [[Lubliner Union]] von 1569 zwischen Litauen und dem [[Königreich Polen]] fiel Tschornobyl unter die polnische Krone.<ref name="ukrssr">[http://ukrssr.com.ua/kiyivska/chornobilskiy/chornobil-chornobilskiy-rayon-kiyivska-oblast Stadtgeschichte Tschornobyl] in der [[Geschichte der Städte und Dörfer der Ukrainischen SSR]]; abgerufen am 14. April 2020 (ukrainisch)</ref> In den Jahren 1747 und 1751 wurde die Stadt von den [[Hajdamaken]] erobert.<ref name="history">[http://resource.history.org.ua/cgi-bin/eiu/history.exe?Z21ID=&I21DBN=EIU&P21DBN=EIU&S21STN=1&S21REF=10&S21FMT=eiu_all&C21COM=S&S21CNR=20&S21P01=0&S21P02=0&S21P03=TRN=&S21COLORTERMS=0&S21STR=Chornobyl_mst Eintrag zu Tschornobyl] in der [[Enzyklopädie der Geschichte der Ukraine]]; abgerufen am 19. April 2020 (ukrainisch)</ref> Zur Verteidigung gegen die Hajdamaken errichtete der damalige Besitzer der Stadt [[Jan Mikołaj Chodkiewicz]] eine Burg mit einer Besatzung von 700 Soldaten und 12 Kanonen.<ref name="ukrssr" /> Nach der [[Teilungen Polens#Die zweite Teilung 1793|zweiten polnischen Teilung]] 1793 wurde Tschornobyl zusammen mit der [[Rechtsufrige Ukraine|rechtsufrigen Ukraine]] dem [[Russisches Kaiserreich|Russischen Kaiserreich]] einverleibt und lag dort im [[Ujesd]] [[Radomyschl]] des [[Gouvernement Kiew|Gouvernements Kiew]].<ref name="history" /> In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wuchs Handwerk und Handel in Tschornobyl rasch an. Es gab Werkstätten von Schneidern, Schuhmachern und [[Kürschner]]n. In der Stadt wurden große [[Messe (Wirtschaft)|Messen]] veranstaltet und Handelsware wie Holz und Teer unter anderem nach [[Kiew]] und [[Krementschuk]] exportiert. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden kleine Unternehmen, darunter eine Leder- und zwei Kerzenfabriken.<ref name="ukrssr" />
Die im [[Fürstentum Kiew]] gelegene Ortschaft wurde 1362 vom [[Großfürstentum Litauen]] erobert. 1552 besaß die Siedlung 196 Häuser und 1372 Einwohner. Es entwickelten sich Handwerksbetriebe wie [[Schmieden]] und [[Küfer|Böttcherbetriebe]]. Nahe Tschornobyl wurde [[Raseneisenstein|Sumpferz]] gewonnen, das zu Eisen verhüttet wurde. Nach der [[Lubliner Union]] von 1569 zwischen Litauen und dem [[Königreich Polen]] fiel Tschornobyl unter die polnische Krone.<ref name="ukrssr">[http://ukrssr.com.ua/kiyivska/chornobilskiy/chornobil-chornobilskiy-rayon-kiyivska-oblast Stadtgeschichte Tschornobyl] in der [[Geschichte der Städte und Dörfer der Ukrainischen SSR]]; abgerufen am 14. April 2020 (ukrainisch)</ref> In den Jahren 1747 und 1751 wurde die Stadt von den [[Hajdamaken]] erobert.<ref name="history">[http://resource.history.org.ua/cgi-bin/eiu/history.exe?Z21ID=&I21DBN=EIU&P21DBN=EIU&S21STN=1&S21REF=10&S21FMT=eiu_all&C21COM=S&S21CNR=20&S21P01=0&S21P02=0&S21P03=TRN=&S21COLORTERMS=0&S21STR=Chornobyl_mst Eintrag zu Tschornobyl] in der [[Enzyklopädie der Geschichte der Ukraine]]; abgerufen am 19. April 2020 (ukrainisch)</ref> Zur Verteidigung gegen die Hajdamaken errichtete der damalige Besitzer der Stadt [[Jan Mikołaj Chodkiewicz]] eine Burg mit einer Besatzung von 700 Soldaten und 12 Kanonen.<ref name="ukrssr" /> Nach der [[Teilungen Polens#Die zweite Teilung 1793|zweiten polnischen Teilung]] 1793 wurde Tschornobyl zusammen mit der [[Rechtsufrige Ukraine|rechtsufrigen Ukraine]] dem [[Russisches Kaiserreich|Russischen Kaiserreich]] einverleibt und lag dort im [[Ujesd]] [[Radomyschl]] des [[Gouvernement Kiew|Gouvernements Kiew]].<ref name="history" /> In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wuchs Handwerk und Handel in Tschornobyl rasch an. Es gab Werkstätten von Schneidern, Schuhmachern und [[Kürschner]]n. In der Stadt wurden große [[Messe (Wirtschaft)|Messen]] veranstaltet und Handelsware wie Holz und Teer unter anderem nach [[Kiew]] und [[Krementschuk]] exportiert. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden kleine Unternehmen, darunter eine Leder- und zwei Kerzenfabriken.<ref name="ukrssr" />


Nach dem Ende des [[Russischer Bürgerkrieg|Russischen Bürgerkrieges]], während dem Tschornobyl sehr stark zerstört wurde<ref name="ukrssr" />, gehörte die Ortschaft zur [[Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik|Ukrainischen SSR]] innerhalb der [[Sowjetunion]]. Tschornobyl war seit 1923 Hauptort des gleichnamigen [[Rajon]]s mit einer Fläche von etwa 2000&nbsp;km² und 44.000 Einwohnern (1984).<ref>[https://leksika.com.ua/16131224/ure/chornobilskiy_rayon Eintrag zum Rajon Tschornobyl] in der [[Ukrainische Sowjetenzyklopädie|Ukrainischen Sowjetenzyklopädie]]; abgerufen am 19. April 2020 (ukrainisch)</ref> 1941 wurde ihr der Status einer Stadt zuerkannt<ref>[https://leksika.com.ua/15110313/ure/chornobil Eintrag zur Stadt Tschornobyl] in der [[Ukrainische Sowjetenzyklopädie|Ukrainischen Sowjetenzyklopädie]]; abgerufen am 19. April 2020 (ukrainisch)</ref>. Während des [[Deutsch-Sowjetischer Krieg| Deutsch-Sowjetischen Kriegs]] war die Stadt zwischen dem 25. August 1941 und dem 16. November 1943 von Truppen der [[Wehrmacht]] besetzt.<ref name="history" /> Nach dem Krieg wuchs sie bis 1979 auf 12.458 Einwohner an.<ref name="pop">[http://pop-stat.mashke.org/ukraine-cities.htm Städte und Siedlungen in der Ukraine] auf ''pop-stat.mashke.org''; abgerufen am 14. April 2020</ref>
Nach dem Ende des [[Russischer Bürgerkrieg|Russischen Bürgerkrieges]], während dessen Tschornobyl sehr stark zerstört wurde<ref name="ukrssr" />, gehörte die Ortschaft zur [[Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik|Ukrainischen SSR]] innerhalb der [[Sowjetunion]]. Tschornobyl war seit 1923 Hauptort des gleichnamigen [[Rajon]]s mit einer Fläche von etwa 2.000&nbsp;km² und 44.000 Einwohnern (1984).<ref>[https://leksika.com.ua/16131224/ure/chornobilskiy_rayon Eintrag zum Rajon Tschornobyl] in der [[Ukrainische Sowjetenzyklopädie|Ukrainischen Sowjetenzyklopädie]]; abgerufen am 19. April 2020 (ukrainisch)</ref> 1941 wurde ihr der Status einer Stadt zuerkannt<ref>[https://leksika.com.ua/15110313/ure/chornobil Eintrag zur Stadt Tschornobyl] in der [[Ukrainische Sowjetenzyklopädie|Ukrainischen Sowjetenzyklopädie]]; abgerufen am 19. April 2020 (ukrainisch)</ref>. Während des [[Deutsch-Sowjetischer Krieg|Deutsch-Sowjetischen Kriegs]] war die Stadt zwischen dem 25. August 1941 und dem 16. November 1943 von Truppen der [[Wehrmacht]] besetzt.<ref name="history" /> Nach dem Krieg wuchs sie bis 1979 auf 12.458 Einwohner an.<ref name="pop">[http://pop-stat.mashke.org/ukraine-cities.htm Städte und Siedlungen in der Ukraine] auf ''pop-stat.mashke.org''; abgerufen am 14. April 2020</ref>


Im nahe gelegenen [[Kernkraftwerk]] ereignete sich am 26. April 1986 die [[Liste von Unfällen in kerntechnischen Anlagen|schwerste nukleare Havarie]] in der Geschichte der Nutzung der [[Kernenergie]], was zur Evakuierung der gesamten Bevölkerung der Stadt und des zugehörigen Rajons führte. Letzterer wurde Ende 1988 aufgelöst und dem Rajon Iwankiw zugeschlagen.<ref>[http://search.ligazakon.ua/l_doc2.nsf/link1/UP886860.html Указ Президії Верховної Ради Української РСР; Постанова від 16.11.1988 № 6860-XI Про об'єднання Іванківського і Чорнобильського районів Київської області]; abgerufen am 14. April 2020</ref> Seit dem [[Zerfall der Sowjetunion]] 1991 gehört Tschornobyl zur unabhängigen [[Ukraine]].
Im nahe gelegenen [[Kernkraftwerk]] ereignete sich am 26. April 1986 die [[Liste von Unfällen in kerntechnischen Anlagen|schwerste nukleare Havarie]] in der Geschichte der Nutzung der [[Kernenergie]], was zur Evakuierung der gesamten Bevölkerung der Stadt und des zugehörigen Rajons führte. Letzterer wurde Ende 1988 aufgelöst und dem Rajon Iwankiw zugeschlagen.<ref>[http://search.ligazakon.ua/l_doc2.nsf/link1/UP886860.html Указ Президії Верховної Ради Української РСР; Постанова від 16.11.1988 № 6860-XI Про об'єднання Іванківського і Чорнобильського районів Київської області]; abgerufen am 14. April 2020</ref> Seit dem [[Zerfall der Sowjetunion]] 1991 gehört Tschornobyl zur unabhängigen [[Ukraine]].


Im Jahr 2020 kam es in den verstrahlten Wäldern rund um Tschernobyl, die nach 1986 sich selbst überlassen wurden, zu umfassenden [[Waldbrand|Waldbränden]].<ref>{{Internetquelle |autor=[[Zeit online]] |url=https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2020-04/braende-tschernobyl-atomkraftwerk-radioaktive-asche/seite-2 |titel=Brände in Tschernobyl: Wenn radioaktive Wälder brennen |abruf=2020-04-24 |sprache=de}}</ref>
Im Jahr 2020 kam es in den verstrahlten Wäldern rund um Tschornobyl, die nach 1986 sich selbst überlassen wurden, zu umfassenden [[Waldbrand|Waldbränden]].<ref>{{Internetquelle |autor=[[Zeit online]] |url=https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2020-04/braende-tschernobyl-atomkraftwerk-radioaktive-asche/seite-2 |titel=Brände in Tschernobyl: Wenn radioaktive Wälder brennen |abruf=2020-04-24 |sprache=de}}</ref>

Anfang 2022 übte die [[Ukrainische Streitkräfte|ukrainische Armee]] in der Stadt [[Prypjat (Stadt)|Prypjat]] nahe Tschornobyl vor dem Hintergrund des [[Krieg in der Ukraine seit 2014|Russland-Ukraine-Krieges]] den [[Häuserkampf (Militär)|Häuserkampf]]. Es war das erste größere [[Manöver (Militär)|Manöver]] dort seit der Reaktorkatastrophe.<ref>{{Literatur |Titel=Häuserkampf in Geisterstadt: Ukrainisches Militär übt in Tschernobyl |Sammelwerk=Der Spiegel |Datum=2022-02-05 |ISSN=2195-1349 |Online=https://www.spiegel.de/ausland/ukraine-militaer-uebt-in-tschernobyl-haeuserkampf-in-geisterstadt-a-10845c3a-d027-4903-8912-fc612fe844eb |Abruf=2022-02-05}}</ref>

Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 nahmen russische Truppen am Nachmittag desselben Tages das AKW Tschernobyl und das umliegende Sperrgebiet ein. Ab dem 31. März zogen sich die russischen Truppen aus dem Gebiet zurück.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.welt.de/politik/ausland/article237891303/Ukraine-Krieg-Erhebliche-Strahlendosen-Russische-Truppen-verlassen-Tschernobyl.html |titel=Ukraine-Krieg: „Erhebliche Strahlendosen“ – Russische Truppen verlassen Tschernobyl - WELT |datum=2022-03-31 |sprache=de |abruf=2024-01-04}}</ref>


[[Datei:Chornobyl, wooden synagogue -02.jpg|mini|Holzsynagoge in Tschornobyl 1928]]
[[Datei:Chornobyl, wooden synagogue -02.jpg|mini|Holzsynagoge in Tschornobyl 1928]]
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=== Judentum in Tschornobyl ===
=== Judentum in Tschornobyl ===
Ab dem Ende des 17. Jahrhunderts lebten Juden in Tschornobyl, die bis zum 19. Jahrhundert zur größten ethnischen Gruppe der Stadt (1897 betrug der Anteil der jüdischen Bürger 60 % der Bevölkerung) anwuchsen. Aufgrund der [[Pogrom]]e und der Migration von 1905 und 1919 sank der Anteil der jüdischen Bevölkerung bis 1926 auf 40 %. Vom späten 18. Jahrhundert bis 1919 war Tschernobyl der Sitz der von Rabbi [[Nachum von Tschernobyl]] (1730–1787) begründeten [[Chassidismus|chassidischen]] Twersky-Dynastie und ein Zentrum des Chassidismus. Die Gemeinde wurde 1941 von den deutschen Besatzern zerstört.<ref name="history" />
Ab dem Ende des 17. Jahrhunderts lebten Juden in Tschornobyl, die bis zum 19. Jahrhundert zur größten ethnischen Gruppe der Stadt (1897 betrug der Anteil der jüdischen Bürger 60 % der Bevölkerung) anwuchsen. Aufgrund der [[Pogrom]]e von 1905 und 1919 und der Migration sank der Anteil der jüdischen Bevölkerung bis 1926 auf 40 %. Vom späten 18. Jahrhundert bis 1919 war Tschornobyl der Sitz der von Rabbi [[Nachum von Tschernobyl|Nachum von Tschornobyl]] (1730–1787) begründeten [[Chassidismus|chassidischen]] Twersky-Dynastie und ein Zentrum des Chassidismus. Die Gemeinde wurde 1941 von den deutschen Besatzern zerstört.<ref name="history" />
{{siehe auch|Geschichte der Juden in der Ukraine}}
{{Siehe auch|Geschichte der Juden in der Ukraine}}


=== Bevölkerungsentwicklung ===
=== Bevölkerungsentwicklung ===
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</timeline>
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''Quellen:'' 1552, 1790er, 1900<ref name="ukrssr" />; 1880<ref>http://www.hroniky.com/news/view/12789-inshyi-chornobyl-ievrei-mahnaty-i-zamok </ref>; 1897<ref>https://datatowel.in.ua/pop-composition/religion-rb-settlements-1897</ref> 1923–1979<ref name="pop" />;
''Quellen:'' 1552, 1790er, 1900<ref name="ukrssr" />; 1880<ref>http://www.hroniky.com/news/view/12789-inshyi-chornobyl-ievrei-mahnaty-i-zamok</ref>; 1897<ref>https://datatowel.in.ua/pop-composition/religion-rb-settlements-1897</ref> 1923–1979<ref name="pop" />;


== Wirtschaft und Industrie ==
== Wirtschaft und Industrie ==
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In der Nähe der Stadt entstand am Prypjatufer seit 1971 das erste Kernkraftwerk der Ukraine. Der erste Block wurde 1977 mit einer Leistung von 1.000 [[Megawatt]] in Betrieb genommen; im Jahr 1983 arbeiteten vier Blöcke. Das gesamte Kraftwerk erzeugte zu dieser Zeit 4000 Megawatt und war für den Ausbau bis zu 6000 Megawatt geplant. Auch nach dem [[Auslegungsstörfall#Super-GAU|Super-GAU]] (INES: 7<ref>M. V. Malko: ''The Chernobyl Reactor: Design Features and Reasons for Accident.'' ([http://www.rri.kyoto-u.ac.jp/NSRG/reports/kr79/kr79pdf/Malko1.pdf PDF])</ref>) von 1986 arbeiteten die verbleibenden drei Reaktoren bis zur Abschaltung des letzten Blocks im Jahre 2000 weiter.
In der Nähe der Stadt entstand am Prypjatufer seit 1971 das erste Kernkraftwerk der Ukraine. Der erste Block wurde 1977 mit einer Leistung von 1.000 [[Megawatt]] in Betrieb genommen; im Jahr 1983 arbeiteten vier Blöcke. Das gesamte Kraftwerk erzeugte zu dieser Zeit 4000 Megawatt und war für den Ausbau bis zu 6000 Megawatt geplant. Auch nach dem [[Auslegungsstörfall#Super-GAU|Super-GAU]] (INES: 7<ref>M. V. Malko: ''The Chernobyl Reactor: Design Features and Reasons for Accident.'' ([http://www.rri.kyoto-u.ac.jp/NSRG/reports/kr79/kr79pdf/Malko1.pdf PDF])</ref>) von 1986 arbeiteten die verbleibenden drei Reaktoren bis zur Abschaltung des letzten Blocks im Jahre 2000 weiter.


Heute ist die Stadt eine Attraktion für den [[Katastrophentourismus]] in der [[Tourismus in der Ukraine|Ukraine]].<ref>[https://www.spiegel.de/reise/aktuell/tschernobyl-tourismus-ukraine-oeffnet-kontrollraum-von-reaktor-4-fuer-besucher-a-1290319.html Tschernobyl-Tourismus Stippvisite in der Schaltzentrale des Schreckens] in [[Der Spiegel]] vom 10. Oktober 2019; abgerufen am 26. April 2020</ref><ref>[https://www.welt.de/reise/nah/article13186533/In-Tschernobyl-boomt-der-Katastrophen-Tourismus.html In Tschernobyl boomt der Katastrophen-Tourismus] in ''[[Welt (Fernsehsender)|Welt]]'' vom 18. April 2011; abgerufen am 26. April 2020</ref>
Zeitweise war die Stadt eine Attraktion für den [[Katastrophentourismus]] in der [[Tourismus in der Ukraine|Ukraine]].<ref>[https://www.spiegel.de/reise/aktuell/tschernobyl-tourismus-ukraine-oeffnet-kontrollraum-von-reaktor-4-fuer-besucher-a-1290319.html Tschernobyl-Tourismus Stippvisite in der Schaltzentrale des Schreckens] in [[Der Spiegel]] vom 10. Oktober 2019; abgerufen am 26. April 2020</ref><ref>[https://www.welt.de/reise/nah/article13186533/In-Tschernobyl-boomt-der-Katastrophen-Tourismus.html In Tschernobyl boomt der Katastrophen-Tourismus] in ''[[Welt (Fernsehsender)|Welt]]'' vom 18. April 2011; abgerufen am 26. April 2020</ref>


== Bildung, Soziales und Kultureinrichtungen ==
== Bildung, Soziales und Kultureinrichtungen ==
Tschornobyl beherbergte vier allgemeinbildende Mittelschulen, eine medizinische sowie eine landwirtschaftstechnische Fachschule und eine Musikschule. Ein Krankenhaus und eine [[Poliklinik]] sowie ein Kino, ein Schwimmbad und eine Bibliothek waren ebenfalls vorhanden.
Tschornobyl beherbergte vier allgemeinbildende Mittelschulen, eine medizinische sowie eine landwirtschaftstechnische Fachschule und eine Musikschule. Ein Krankenhaus und eine [[Poliklinik]] sowie ein Kino, ein Schwimmbad und eine Bibliothek waren ebenfalls vorhanden.
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Chornobyl.jpg|Ortseingang von Tschornobyl
Chornobyl.jpg|Ortseingang von Tschornobyl
Firemen's monument @ Chernobyl Town.jpg|Das Denkmal für ''Diejenigen, die die Welt gerettet haben'' ist ein 1996 er­richte­tes Denkmal für die [[Liquidator (Tschernobyl)|Liquidatoren]]
Firemen's monument @ Chernobyl Town.jpg|Das Denkmal für ''Diejenigen, die die Welt gerettet haben'' ist ein 1996 er­richte­tes Denkmal für die [[Liquidator (Tschernobyl)|Liquidatoren]]
Chernobyl - building.jpg|Museum der Gedenk­stätte „[[Wermut (Bibel)|Зірка полин]]“ ({{lang|uk-latn|Sirka polyn}}) 2013
Chernobyl - building.jpg|Museum der Gedenk­stätte „[[Wermut (Bibel)|Зірка полин]]“ ({{lang|uk-Latn|Sirka polyn}}) 2013
Улица Кирова, Чернобыль.jpg|Kirowstraße 2009
Улица Кирова, Чернобыль.jpg|Kirowstraße 2009
Administrative_Center_and_workers_canteen_(11383819933).jpg|Verwaltungsgebäude und Arbeiterkantine im Stadtzentrum 2013
Administrative Center and workers canteen (11383819933).jpg|Verwaltungs­gebäude und Arbeiter­kantine im Stadt­zentrum 2013
ChernobylMIR.jpg|Gebiet um Tschor­nobyl. Aufgenommen 1997 von der russ­ischen Raum­station [[Mir (Raumstation)|Mir]]
ChernobylMIR.jpg|Gebiet um Tschor­nobyl. Aufgenommen 1997 von der russ­ischen Raum­station [[Mir (Raumstation)|Mir]]
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=== Personen, die vor Ort gewirkt haben ===
=== Personen, die vor Ort gewirkt haben ===
[[Nachum von Tschernobyl]] (1730–1787), chassidischer Rabbiner und der Begründer der Twersky-Dynastie
* [[Nachum von Tschernobyl|Nachum von Tschornobyl]] (1730–1787), chassidischer Rabbiner und der Begründer der Twersky-Dynastie


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[[Kategorie:Ort in der Oblast Kiew]]
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[[Kategorie:Ort am Prypjat]]
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[[Kategorie:Ersterwähnung 1193]]
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Aktuelle Version vom 22. Juli 2024, 10:11 Uhr

Tschornobyl
Чорнобиль
Wappen von Tschornobyl
Tschornobyl (Ukraine)
Tschornobyl (Ukraine)
Tschornobyl
Basisdaten
Oblast: Oblast Kiew
Rajon: Kreisfreie Stadt
Höhe: 140 m
Fläche: 25 km²
Einwohner: 0 (1. Januar 2022)
Bevölkerungsdichte: 0 Einwohner je km²
Postleitzahlen: 07200
Vorwahl: +380 4593
Geographische Lage: 51° 16′ N, 30° 14′ OKoordinaten: 51° 16′ 25″ N, 30° 13′ 35″ O
KATOTTH: UA32000000020050699
KOATUU: 3222010500
Verwaltungsgliederung: 1 Stadt
Adresse: вул. Івана Проскури буд. 7
07201 смт. Іванків
Statistische Informationen
Tschornobyl (Oblast Kiew)
Tschornobyl (Oblast Kiew)
Tschornobyl
i1

Tschornobyl (ukrainisch Чорнобиль [tʃɔrˈnɔbɪʎ], bekannter als Tschernobyl, Transkription von russisch Черно́быль [tʃɛrˈnɔbɨl]) ist eine Stadt im Norden der Ukraine in der Oblast Kiew.

Trompetender Engel, Gedächtnisstätte auf dem Friedhof der Liquidatoren in Tschornobyl

Die Stadt wurde ab dem 2. Mai 1986, eine Woche nach dem Nuklearunfall im 18 Kilometer entfernten Kernkraftwerk Tschernobyl, der als Nuklearkatastrophe von Tschernobyl bekannt wurde, aufgrund radioaktiver Kontamination evakuiert.[1]

Tschornobyl liegt seitdem innerhalb der 30-km-Sperrzone, jedoch außerhalb der inneren 10-km-Sperrzone, sodass später viele Gebäude in der Stadt renoviert wurden, um als Unterkünfte für die Arbeiter und Ingenieure des ehemaligen Kraftwerkparks Prypjat, Soldaten, Polizisten und Feuerwehrleute zu dienen. In der Stadt, die sich, im Gegensatz zum benachbarten Prypjat, in einem guten Zustand befindet, gibt es auch ein Hotel. Im Umland und im Stadtgebiet von Tschornobyl, das für eine dauerhafte Besiedlung nicht freigegeben ist, leben heute illegal, jedoch von den Behörden toleriert,[2] rund 700 (von einst 14.000) Personen (Stand 2017), die entweder nach der Katastrophe die Region nicht verließen oder später in ihre Dörfer zurückkehrten.

Die Umweltorganisation Blacksmith Institute zählte in ihrer 2006, 2007 und 2013 veröffentlichten Liste Tschornobyl jeweils zu den zehn Orten mit der größten Umweltverschmutzung weltweit.[3]

Der Name Tschornobyl oder Tschornobylnyk (Чорнобиль, Чорнобильник) ist eine ukrainische Bezeichnung der Pflanzenart Beifuß (Artemisia vulgaris).

Geographische Lage

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Tschornobyl befindet sich im Rajon Wyschhorod in der Landschaft Polesien 15 Kilometer südwestlich der belarussischen Grenze und 130 km nördlich vom Oblastzentrum Kiew. Die Stadt liegt auf einer Höhe von 140 m am rechten Ufer des Prypjat, einem Nebenfluss des Dnepr. Wenig südlich der Stadt mündet der Usch in den Prypjat. Von Iwankiw kommend führt die Regionalstraße P–56/ Territorialstraße T–25–05 über den Sperrzonen-Kontrollpunkt bei Dytjatky nach Tschornobyl und von hier aus in Richtung Osten auf einer kurzen Strecke als P-35 durch Belarus, um nach Überquerung des Dneprs wieder als P–56 nach Tschernihiw zu führen.

Sankt-Elias-Kirche 2013

Das Geographische Lexikon des Königreiches Polen von 1880 besagt, dass der Zeitpunkt der Gründung der Stadt nicht bekannt ist.[4] Grabungen im Stadtgebiet in den Jahren 2005 bis 2008 brachten eine Kulturschicht aus dem späten 10. und frühen 11. Jahrhundert hervor.[5] In der Laurentianchronik (Лаврентьевский список) wurde 1127 die Ortschaft Streschiw (Стрежів) als die südlichste Stadt des Fürstentums Polozk erwähnt, von der Historiker glauben, dass sie später in Tschornobyl umbenannt wurde. Die erste schriftliche Erwähnung Tschornobyls im Jahr 1193 stammt aus der Hypatiuschronik.[6]

Die im Fürstentum Kiew gelegene Ortschaft wurde 1362 vom Großfürstentum Litauen erobert. 1552 besaß die Siedlung 196 Häuser und 1372 Einwohner. Es entwickelten sich Handwerksbetriebe wie Schmieden und Böttcherbetriebe. Nahe Tschornobyl wurde Sumpferz gewonnen, das zu Eisen verhüttet wurde. Nach der Lubliner Union von 1569 zwischen Litauen und dem Königreich Polen fiel Tschornobyl unter die polnische Krone.[7] In den Jahren 1747 und 1751 wurde die Stadt von den Hajdamaken erobert.[8] Zur Verteidigung gegen die Hajdamaken errichtete der damalige Besitzer der Stadt Jan Mikołaj Chodkiewicz eine Burg mit einer Besatzung von 700 Soldaten und 12 Kanonen.[7] Nach der zweiten polnischen Teilung 1793 wurde Tschornobyl zusammen mit der rechtsufrigen Ukraine dem Russischen Kaiserreich einverleibt und lag dort im Ujesd Radomyschl des Gouvernements Kiew.[8] In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wuchs Handwerk und Handel in Tschornobyl rasch an. Es gab Werkstätten von Schneidern, Schuhmachern und Kürschnern. In der Stadt wurden große Messen veranstaltet und Handelsware wie Holz und Teer unter anderem nach Kiew und Krementschuk exportiert. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden kleine Unternehmen, darunter eine Leder- und zwei Kerzenfabriken.[7]

Nach dem Ende des Russischen Bürgerkrieges, während dessen Tschornobyl sehr stark zerstört wurde[7], gehörte die Ortschaft zur Ukrainischen SSR innerhalb der Sowjetunion. Tschornobyl war seit 1923 Hauptort des gleichnamigen Rajons mit einer Fläche von etwa 2.000 km² und 44.000 Einwohnern (1984).[9] 1941 wurde ihr der Status einer Stadt zuerkannt[10]. Während des Deutsch-Sowjetischen Kriegs war die Stadt zwischen dem 25. August 1941 und dem 16. November 1943 von Truppen der Wehrmacht besetzt.[8] Nach dem Krieg wuchs sie bis 1979 auf 12.458 Einwohner an.[11]

Im nahe gelegenen Kernkraftwerk ereignete sich am 26. April 1986 die schwerste nukleare Havarie in der Geschichte der Nutzung der Kernenergie, was zur Evakuierung der gesamten Bevölkerung der Stadt und des zugehörigen Rajons führte. Letzterer wurde Ende 1988 aufgelöst und dem Rajon Iwankiw zugeschlagen.[12] Seit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 gehört Tschornobyl zur unabhängigen Ukraine.

Im Jahr 2020 kam es in den verstrahlten Wäldern rund um Tschornobyl, die nach 1986 sich selbst überlassen wurden, zu umfassenden Waldbränden.[13]

Anfang 2022 übte die ukrainische Armee in der Stadt Prypjat nahe Tschornobyl vor dem Hintergrund des Russland-Ukraine-Krieges den Häuserkampf. Es war das erste größere Manöver dort seit der Reaktorkatastrophe.[14]

Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 nahmen russische Truppen am Nachmittag desselben Tages das AKW Tschernobyl und das umliegende Sperrgebiet ein. Ab dem 31. März zogen sich die russischen Truppen aus dem Gebiet zurück.[15]

Holzsynagoge in Tschornobyl 1928
Synagoge 2013

Judentum in Tschornobyl

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Ab dem Ende des 17. Jahrhunderts lebten Juden in Tschornobyl, die bis zum 19. Jahrhundert zur größten ethnischen Gruppe der Stadt (1897 betrug der Anteil der jüdischen Bürger 60 % der Bevölkerung) anwuchsen. Aufgrund der Pogrome von 1905 und 1919 und der Migration sank der Anteil der jüdischen Bevölkerung bis 1926 auf 40 %. Vom späten 18. Jahrhundert bis 1919 war Tschornobyl der Sitz der von Rabbi Nachum von Tschornobyl (1730–1787) begründeten chassidischen Twersky-Dynastie und ein Zentrum des Chassidismus. Die Gemeinde wurde 1941 von den deutschen Besatzern zerstört.[8]

Bevölkerungsentwicklung

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Quellen: 1552, 1790er, 1900[7]; 1880[16]; 1897[17] 1923–1979[11];

Wirtschaft und Industrie

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In Tschornobyl befanden sich das gewerblich-technische Zentrum der Dnipro-Dampfschifffahrt, eine Eisenhütte, Lebensmittelindustrie und Kunstgewerbe sowie ein Baustoffkombinat.

In der Nähe der Stadt entstand am Prypjatufer seit 1971 das erste Kernkraftwerk der Ukraine. Der erste Block wurde 1977 mit einer Leistung von 1.000 Megawatt in Betrieb genommen; im Jahr 1983 arbeiteten vier Blöcke. Das gesamte Kraftwerk erzeugte zu dieser Zeit 4000 Megawatt und war für den Ausbau bis zu 6000 Megawatt geplant. Auch nach dem Super-GAU (INES: 7[18]) von 1986 arbeiteten die verbleibenden drei Reaktoren bis zur Abschaltung des letzten Blocks im Jahre 2000 weiter.

Zeitweise war die Stadt eine Attraktion für den Katastrophentourismus in der Ukraine.[19][20]

Bildung, Soziales und Kultureinrichtungen

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Tschornobyl beherbergte vier allgemeinbildende Mittelschulen, eine medizinische sowie eine landwirtschaftstechnische Fachschule und eine Musikschule. Ein Krankenhaus und eine Poliklinik sowie ein Kino, ein Schwimmbad und eine Bibliothek waren ebenfalls vorhanden.

Persönlichkeiten

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Söhne und Töchter der Stadt

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Personen, die vor Ort gewirkt haben

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Wiktionary: Tschernobyl – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Commons: Tschornobyl – Sammlung von Bildern
Wikivoyage: Tschernobyl – Reiseführer
 Wikinews: Tschernobyl – in den Nachrichten

Einzelnachweise

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  1. „Gott ist in dem, der Kiew rettete“ in Der Spiegel vom 20. April 1987; abgerufen am 24. April 2020
  2. Reise ins Innere von Tschernobyl Tschernobyl-Stadt und Asti (Piemont), in Nuklearia vom 25. April 2018; abgerufen am 24. April 2020
  3. Top Ten Threats 2013.pdf des Blacksmith Institutes
  4. Czarnobyl. In: Filip Sulimierski, Władysław Walewski (Hrsg.): Słownik geograficzny Królestwa Polskiego i innych krajów słowiańskich. Band 1: Aa–Dereneczna. Sulimierskiego und Walewskiego, Warschau 1880, S. 750 (polnisch, edu.pl).; abgerufen am 12. Dezember 2020 (polnisch)
  5. Erforschung der Siedlung Tschornobyl in der Wissenschaftlichen elektronischen Zeitschriftenbibliothek der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine; abgerufen am 12. Dezember 2020 (ukrainisch)
  6. Wussten Sie, dass Tschernobyl eine der ältesten Städte in der Kiewer Rus ist, die über 820 Jahre alt ist? auf der Website der Staatlichen Agentur der Ukraine für Sperrzonenmanagement; abgerufen am 12. Dezember 2020 (ukrainisch)
  7. a b c d e Stadtgeschichte Tschornobyl in der Geschichte der Städte und Dörfer der Ukrainischen SSR; abgerufen am 14. April 2020 (ukrainisch)
  8. a b c d Eintrag zu Tschornobyl in der Enzyklopädie der Geschichte der Ukraine; abgerufen am 19. April 2020 (ukrainisch)
  9. Eintrag zum Rajon Tschornobyl in der Ukrainischen Sowjetenzyklopädie; abgerufen am 19. April 2020 (ukrainisch)
  10. Eintrag zur Stadt Tschornobyl in der Ukrainischen Sowjetenzyklopädie; abgerufen am 19. April 2020 (ukrainisch)
  11. a b Städte und Siedlungen in der Ukraine auf pop-stat.mashke.org; abgerufen am 14. April 2020
  12. Указ Президії Верховної Ради Української РСР; Постанова від 16.11.1988 № 6860-XI Про об'єднання Іванківського і Чорнобильського районів Київської області; abgerufen am 14. April 2020
  13. Zeit online: Brände in Tschernobyl: Wenn radioaktive Wälder brennen. Abgerufen am 24. April 2020.
  14. Häuserkampf in Geisterstadt: Ukrainisches Militär übt in Tschernobyl. In: Der Spiegel. 5. Februar 2022, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 5. Februar 2022]).
  15. Ukraine-Krieg: „Erhebliche Strahlendosen“ – Russische Truppen verlassen Tschernobyl - WELT. 31. März 2022, abgerufen am 4. Januar 2024.
  16. http://www.hroniky.com/news/view/12789-inshyi-chornobyl-ievrei-mahnaty-i-zamok
  17. https://datatowel.in.ua/pop-composition/religion-rb-settlements-1897
  18. M. V. Malko: The Chernobyl Reactor: Design Features and Reasons for Accident. (PDF)
  19. Tschernobyl-Tourismus Stippvisite in der Schaltzentrale des Schreckens in Der Spiegel vom 10. Oktober 2019; abgerufen am 26. April 2020
  20. In Tschernobyl boomt der Katastrophen-Tourismus in Welt vom 18. April 2011; abgerufen am 26. April 2020