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„Hermannstraße (Berlin-Neukölln)“ – Versionsunterschied

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{{Infobox Straße
Die '''Hermannstraße''' in [[Berlin-Neukölln]] führt vom [[Hermannplatz]] Richtung Süden und setzt sich nach der Ecke Juliusstraße beziehungsweise nach der neuen Autobahnauffahrt des [[Bundesautobahn 100|Berliner Stadtring]] als ''Britzer Damm'' fort. Mit der Weiterführung im ''Buckower Damm'' Richtung [[Großziethen]] stellt der Straßenzug eine der historischen und größeren Berliner Nord-Süd-Verbindungen dar. Mehrere [[Kiez]]e und [[Friedhof|Kirchhöfe]] bestimmen das Bild und die Struktur der dicht bebauten Wohn- und Geschäftsstraße. Bei ihrer Anlage um 1900 als sogenannte „bessere Viertel“ konzipiert, gehören zwei der Kieze heute zu den brisantesten [[Sozialer Brennpunkt|sozialen Brennpunkten]] Berlins. Mit der Beschäftigung von [[Zwangsarbeiter]]n auf einem der Friedhöfe in den letzten Jahren des [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]]s spielte sich an der Hermannstraße ein besonders unrühmliches Kapitel der jüngeren deutschen Kirchengeschichte ab.
|Name= Hermannstraße
|Alternativnamen=
|Stadtwappen= Coat of arms of Berlin.svg
|Kategorie= Straße in Berlin
|Bild= Berlin Neukoelln 10Hermannstrasse.JPG
|Bild zeigt= Hermannstraße Ecke Boddinstraße
|Ort= Berlin
|Ortsteil= [[Berlin-Neukölln|Neukölln]]
|Angelegt= um 1875
|Neugestaltet=
|HistNamen= ''Straße nach Britz''<br /> (1859 bis 1874)
|Straßen= <br />[[Kottbusser Damm]] <small>(nördlich)</small>,<br /> [[Liste der Straßen und Plätze in Berlin-Britz#Britzer Damm*|Britzer Damm]] <small>(südlich)</small>
|Querstraßen= <small>(Auswahl)</small><br /> [[Hasenheide (Straße)|Hasenheide]],<br />[[Karl-Marx-Straße (Berlin)|Karl-Marx-Straße]],<br /> [[Columbiadamm]],<br /> [[Liste der Straßen und Plätze in Berlin-Neukölln#Flughafenstraße*|Flughafenstraße]],<br /> [[Liste der Straßen und Plätze in Berlin-Neukölln#Silbersteinstraße*|Silbersteinstraße]],<br /> [[Liste der Straßen und Plätze in Berlin-Neukölln#Mariendorfer Weg*|Mariendorfer Weg]]<br /><small>([[#Seiten- und Querstraßen (stadtauswärts gesehen)|→&nbsp;vollständige Übersicht)]]</small>
|Plätze= [[Hermannplatz]]
|Bauwerke= Alter Kirchhof der St.-Jacobi-Gemeinde,<br />Hermannshof,<br />Kirchhof der Emmausgemeinde,<br />Kirchhof der St.-Michael-Gemeinde,<br />Kirchhof der St.-Thomas-Gemeinde I,<br />Kirchhof der St.-Thomas-Gemeinde II,<br />Kirchhof V der Jerusalems- und Neuen Kirche,<br />Neuer Kirchhof der Luisenstadtgemeinde,<br />Neuer Kirchhof der St.-Jacobi-Gemeinde
|Nutzergruppen= [[Fußverkehr]], [[Radverkehr]], [[Kraftverkehr|Autoverkehr]], [[Öffentlicher Personennahverkehr|ÖPNV]]
|Straßengestaltung=
|Straßenlänge= 2490 Meter
|Baukosten=
}}


[[Bild:Berlin_Neukoelln_5Hermannstrasse.JPG|thumb|350px|Beginn der Hermannstraße am [[Hermannplatz]]]]
[[Datei:Berlin Neukoelln 5Hermannstrasse.JPG|mini|Nördliches Ende der Hermannstraße am [[Hermannplatz]]]]
[[Datei:Map Hermannstrasse 1842 G.JPG|mini|Kreuzung am [[Rollkrug]] und Rollberge 1842; die rote Linie oben bezeichnet die damalige Stadtgrenze]]

Die '''Hermannstraße''' führt im [[Berlin]]er Ortsteil [[Berlin-Neukölln|Neukölln]] vom [[Hermannplatz]] rund 2,6&nbsp;Kilometer in Richtung Süden und setzt sich nach der Ecke [[Liste der Straßen und Plätze in Berlin-Neukölln#Juliusstraße*|Juliusstraße]] beziehungsweise nach der neuen Autobahnauffahrt des [[Bundesautobahn 100|Berliner Stadtrings]] als [[Liste der Straßen und Plätze in Berlin-Britz#Britzer Damm*|Britzer Damm]] fort. Mit der Weiterführung als [[Liste der Straßen und Plätze in Berlin-Britz#Buckower Damm*|Buckower Damm]] in Richtung [[Großziethen]] ist der Straßenzug eine der historischen und größeren Berliner Nord-Süd-Verbindungen. Mehrere [[Kiez]]e und [[Friedhof|Kirchhöfe]] bestimmen das Bild und die Struktur der dicht bebauten Wohn- und Geschäftsstraße. Bei ihrer Anlage um 1900 als [[Bürgertum|bürgerliches]] Viertel konzipiert, zählen zwei der Kieze zu den [[Sozialer Brennpunkt|sozialen Brennpunkten]] Berlins.

{{TOC limit|3}}


== Verlauf auf dem Teltowhang ==
== Verlauf auf dem Teltowhang ==
Im ersten Teil verläuft die rund drei Kilometer lange Hermannstraße, lediglich durch eine kleine Nebenstraße getrennt, parallel zum [[Volkspark Hasenheide]]. Auf diesem sanft ansteigenden Teilstück führt die Straße aus dem [[Berliner Urstromtal]] hoch auf den [[Teltow (Landschaft)|Teltowhang]], einer flachwelligen Hochebene, die sich im Mittel rund 15 Meter über das Niveau des zentralen Berlin erhebt. Der Teltowhang wechselt seine Richtung in der Hasenheide von Ost nach Süd, so dass die Hermannstraße an der Ecke zur ''Flughafenstraße'' das Höhenniveau der Teltowplatte erreicht und sich auf ihrem Hang fortsetzt.
Im ersten Teil verläuft die Hermannstraße –&nbsp;lediglich durch eine kleine Nebenstraße getrennt –&nbsp;parallel zum [[Volkspark Hasenheide]]. Auf diesem sanft ansteigenden Teilstück führt sie aus dem [[Berliner Urstromtal]] auf den [[Teltow (Landschaft)|Teltowhang]] hinauf, einer flachwelligen Hochebene, die sich im Mittel rund 15&nbsp;Meter über das Niveau des zentralen Berlins erhebt. Der Teltowhang wechselt seine Richtung in der Hasenheide von Ost nach Süd, sodass die Hermannstraße an der Ecke zur Flughafenstraße das Höhenniveau der Teltowplatte erreicht und sich auf ihrem Hang fortsetzt.


Die parallele Neuköllner [[Magistrale]] hingegen, die [[Karl-Marx-Straße (Berlin)|Karl-Marx-Straße]], liegt im tieferen [[Spree]]talniveau mit der Folge, dass sämtliche Querverbindungen zwischen den beiden Hauptstraßen abschüssig verlaufen. Besonders anschaulich ablesbar ist diese geologische Gegebenheit an der Rollbergstraße, die vom zubetonierten ehemaligen Rollberg hinunterführt. Das Gefälle ist – für Berliner Verhältnisse – sehr ausgeprägt: die Bewohner der zur Hermannstraße hin gelegenen [[Rollbergsiedlung]] pflegten früher die eher einfachen Behausungen dieser Arbeitergegend ironisch als ihre „[[Chalet]]s in den Rixdorfer [[Alpen]]“ zu bezeichnen.
[[Bild:Map_Hermannstrasse_1842_G.JPG|thumb|280px|left|Kreuzung am [[Rollkrug]] und unberührte Rollberge 1842; die rote Linie oben bezeichnet die damalige Stadtgrenze]]


Getrennt durch den [[Kiez]] an der [[Schillerpromenade]] und durch den [[Werner-Seelenbinder-Sportpark]] (ehemals: ''Sportpark Neukölln'') verläuft die Hermannstraße ab Flughafenstraße parallel zum Gelände des [[Flughafen Berlin-Tempelhof|Flughafens Tempelhof]], der sich südlich an den Volkspark Hasenheide anschließt. In dem Bereich ab [[U-Bahnhof Leinestraße]] Richtung Süden passiert die Hermannstraße sechs verschiedene [[Friedhof|Kirchhöfe]], die jeweils als schmale Streifen Richtung Westen zum Flughafen oder Richtung Osten zur Karl-Marx-Straße reichen.
Die parallele Neuköllner [[Magistrale]] hingegen, die [[Karl-Marx-Straße (Berlin-Neukölln)|Karl-Marx-Straße]], liegt im tieferen [[Spree]]talniveau mit der Folge, dass sämtliche Querverbindungen zwischen den beiden Hauptstraßen abschüssig verlaufen. Besonders anschaulich ablesbar ist diese geologische Gegebenheit an der Rollbergstraße, die vom heute zubetonierten ehemaligen ''Rollberg'' „hinunter ins Tal“ führt. Das Gefälle ist – für Berliner Verhältnisse – sehr ausgeprägt: die Bewohner der „oben“, also zur Hermannstraße hin gelegenen [[Rollbergsiedlung]] pflegten früher die eher einfachen Behausungen dieser Arbeitergegend ironisch als „ihre [[Chalet]]s in den Rixdorfer [[Alpen]]“ zu bezeichnen.


Dabei schließt der ''St.&nbsp;Thomas-Kirchhof'' den Schillerpromenadenkiez (kurz: ''Schillerkiez'') bis zum Flughafen für den Autoverkehr ab, was zu einer ähnlichen Insellage des [[Kiez]]es wie bei der [[Berlin-Schöneberg|Schöneberger]] [[Rote Insel|Roten Insel]] führt. Noch isolierter liegt der anschließende ''Warthekiez'', dessen Südgrenze der ''St.&nbsp;Jacobi-Kirchhof'' bildet. Das folgende Viertel um die Emser Straße, das die Hermannstraße bis zur [[Berliner Ringbahn|S-Bahn-Trasse]] begleitet, liegt vergleichsweise wieder etwas offener.
Getrennt durch den [[Kiez]] an der [[Schillerpromenade]] und durch den [[Sportpark Neukölln]] verläuft die Hermannstraße ab Flughafenstraße parallel zum Gelände des [[Flughafen Tempelhof]], der sich südlich an den Volkspark Hasenheide anschließt. In dem Bereich ab U-Bahnhof ''Leinestraße'' Richtung Süden passiert die Hermannstraße sechs verschiedene [[Friedhof|Kirchhöfe]], die jeweils als schmale Streifen Richtung Westen zum Flughafen oder Richtung Osten zur Karl-Marx-Straße reichen.


== Zwei Namenspatrone ==
[[Bild:Berlin_Neukoelln_2Hermannstrasse.JPG|thumb|right|220px|St.-Thomas-Kirchhof am U-Bahnhof ''Leinestraße'']]
Die bis dahin unbenannte Straße erhielt 1859 die Bezeichnung ''Straße nach Britz''. Ab 1875 wurde sie nach und nach von Norden her in Hermannstraße umbenannt und seit 1899 trägt sie auf der gesamten Länge ihren heutigen Namen. Für die Namensgebung gibt es eine offizielle und eine inoffizielle Version.
[[Bild:Berlin_Neukoelln_10Hermannstrasse.JPG|thumb|right|220px|Hermannstraße/Ecke Boddinstraße]]
Dabei schließt der ''St. Thomas-Kirchhof'' den Schillerpromenadenkiez, kurz ''Schillerkiez'', bis zum Flughafen für den Autoverkehr ab, was zu einer ähnlichen Insellage des Kiezes wie bei der [[Berlin-Schöneberg|Schöneberger]] [[Rote Insel|Roten Insel]] führt. Noch isolierter liegt der anschließende ''Warthekiez'', dessen Südgrenze der ''St. Jacobi-Kirchhof'' bildet. Das folgende Viertel um die ''Emser Straße'', das die Hermannstraße bis zur S-Bahn-Trasse begleitet, liegt vergleichsweise wieder etwas offener.


==Zwei Namenspatrone==
=== Arminius ===
[[Datei:ArmHermBerl2.jpg|mini|Arminius-Apotheke]]
Die bis dahin unbenannte Straße erhielt [[1859]] die Bezeichnung ''Straße nach Britz''. Ab [[1875]] erfolgte nach und nach von Norden her die Umbenennung in Hermannstraße und seit [[1899]] trägt sie auf der gesamten Länge ihren heutigen Namen. Für die Namensgebung gibt es eine „offizielle“ und eine „inoffizielle“ Version.


Offiziell benannt ist die Straße nach [[Arminius|Hermann dem Cherusker]], der im von [[Patriotismus]] und [[Nationalismus]] geprägten Deutschland des 19.&nbsp;Jahrhunderts gebräuchlichen Namensform des [[Cherusker]]fürsten [[Arminius]]. Der historische Arminius hatte im Jahr 9 die römischen [[Römische Legion|Legionen]] unter [[Publius Quinctilius Varus|Varus]] in der [[Varusschlacht|Schlacht im Teutoburger Wald]] vernichtend geschlagen. Von ihm ist nur die latinisierte Namensform überliefert, die Übertragung mit dem Namen ''Hermann'' ist aber wahrscheinlich nicht historisch. Der [[Mythos|mythisch]] verklärte und überhöhte Arminius wurde als Hermann eine wichtige Identifikationsfigur des jungen [[Deutsches Kaiserreich|deutschen Kaiserreichs]], wofür das 1875 fertiggestellte [[Hermannsdenkmal]] bei [[Detmold]] das berühmteste Zeugnis ist.
===Arminius===
„Offiziell“ benannt ist die Straße nach [[Hermann der Cherusker|Hermann dem Cherusker]], der im von [[Patriotismus]] und [[Nationalismus]] geprägten Deutschland des 19. Jahrhunderts gebräuchlichen Namensform des [[Cherusker]]fürsten [[Arminius]]. Der historische Arminius hatte im Jahre 9 n. Chr. die römischen [[Legion]]en unter [[Publius Quinctilius Varus|Varus]] in der [[Schlacht im Teutoburger Wald]] vernichtend geschlagen. Von ihm ist nur die latinisierte Namensform überliefert, die „Übersetzung“ mit dem modernen Namen ''Hermann'' ist aber wahrscheinlich ahistorisch. Der mythisch verklärte und überhöhte Arminius wurde als Hermann eine wichtige Identifikationsfigur des jungen [[Deutsches Kaiserreich|deutschen Kaiserreichs]], wofür das 1875 fertig gestellte [[Hermannsdenkmal]] bei [[Detmold]] das berühmteste Zeugnis darstellt.


=== Hermann Boddin ===
=== Hermann Boddin ===
Fast die gesamte Kaiserzeit hindurch war die beherrschende Figur der Lokalpolitik [[Berlin-Neukölln|Rixdorf]]s (das seit 1912 ''Neukölln'' hieß und 1920 zu Berlin kam) der Ortsvorsteher und spätere [[Bürgermeister]] [[Hermann Boddin]] (1844 – 1907). Eine Seitenstraße der Hermannstraße, die ''Boddinstraße'', ist nach ihm benannt. Darüber hinaus gibt es den ''Boddinplatz'', den U-Bahnhof ''Boddinstraße'', die ''Hermann-Boddin-Grundschule'', ein [[Ehrengrab]] auf dem landeseigenen Friedhof Britz sowie eine Gedenktafel. Die patriarchalische Dominanz, mit der Boddin „seine“ Vorstadtgemeinde beherrschte, führte unter den Rixdorfern zu der Mutmaßung, dass die Namensgebung der viel größeren, bedeutenderen Hermannstraße – für deren Ausbau er sich seit seinem Amtsantritt im Jahr 1874 massiv eingesetzt hatte – in ihrer Doppeldeutigkeit von Boddin zumindest nicht ungern gesehen wurde. Meyer-Kronthaler und Kramer teilen dazu mit: „''[...] bis heute ist nicht hundertprozentig geklärt, welcher Hermann seither als Namenspatron fungiert. [...] Glaubt man den Akten des Bezirksamtes, ist Boddin gemeint, obwohl bereits 1924 ein Dementi auf dem Tisch lag, das Boddins Schwager veröffentlichte.''
Fast die gesamte [[Deutsches Kaiserreich|Kaiserzeit]] hindurch war die beherrschende Figur der Lokalpolitik [[Berlin-Neukölln|Rixdorfs]], das ab 1912 ''Neukölln'' hieß und 1920 nach Berlin eingemeindet wurde, der Ortsvorsteher und spätere [[Bürgermeister]] [[Hermann Boddin]] (1844–1907). Eine Seitenstraße der Hermannstraße, die Boddinstraße, ist nach ihm benannt. Darüber hinaus gibt es den Boddinplatz, den U-Bahnhof Boddinstraße, die Hermann-Boddin-Grundschule, ein [[Ehrengrab]] auf dem landeseigenen Friedhof Britz sowie eine Gedenktafel. Die patriarchalische Dominanz, mit der Boddin „seine“ Vorstadtgemeinde beherrschte, führte unter den Rixdorfern zu der Mutmaßung, dass die Namensgebung der viel größeren, bedeutenderen Hermannstraße – für deren Ausbau er sich seit seinem Amtsantritt im Jahr 1874 massiv eingesetzt hatte – in ihrer Doppeldeutigkeit von Boddin zumindest nicht ungern gesehen wurde. Meyer-Kronthaler und Kramer teilen dazu mit: „[]&nbsp;bis heute ist nicht hundertprozentig geklärt, welcher Hermann seither als Namenspatron fungiert. [] Glaubt man den Akten des Bezirksamtes, ist Boddin gemeint, obwohl bereits 1924 ein [[Dementi]] auf dem Tisch lag, das Boddins Schwager veröffentlichte.“

Auf Boddins Initiative geht die Umbenennung des als Vergnügungsviertel übel be[[leumund]]eten Rixdorfs ([[Ohrwurm|Gassenhauer]]: ''In Rixdorf ist Musike'') zu Neukölln zurück, die Kaiser [[Wilhelm II. (Deutsches Reich)|Wilhelm&nbsp;II.]] allerdings erst nach dem Tod des Bürgermeisters bewilligte. Die Umbenennung sollte die Anziehungskraft beispielsweise des neuen Viertels an der [[Schillerpromenade]] für Besserverdienende erhöhen. Die Baugenehmigung hatte Boddin als Bürgermeister durchgesetzt, das Viertel entstand nicht zuletzt auf seine Initiative – und er soll von diesen Bauten finanziell nicht unwesentlich profitiert haben.

== Geschichte ==
=== Aus der Frühzeit der Hermannstraße ===
{{Anker|Historische Kreuzung am Rollkrug}}

==== Historische Kreuzung am Rollkrug ====
[[Datei:Berlin Rollkrug 1834.JPG|mini|Blick von den Rollbergen auf den [[Rollkrug]] am heutigen [[Hermannplatz]], weit vor den Toren des alten Berlin, das im Hintergrund zu sehen ist. Rechts die Dresdener Heerstraße zum [[Kottbusser Tor]], der heutige [[Kottbusser Damm]].<br /><small>Ausschnitt eines Gemäldes von [[Wilhelm Barth (Maler)|Wilhelm Barth]] aus dem Jahr 1834</small>]]
[[Datei:Berlin Hermannstrasse Rollkrug Rixdorf.jpg|mini|Der Rollkrug um 1900 an der Ecke zum Hermannplatz]]

Lange bevor die Hermannstraße ihren Namen erhielt, stand an ihrem nördlichen Ausgangspunkt mit dem historischen [[Rollkrug]] ihr erstes Gebäude, das sich damals noch weit außerhalb der Berliner Stadtgrenze südlich des [[Kottbusser Tor|Cottbusser Tors]] befand. Die [[Ausspann|Pferdewechselstation]] lag zwischen [[Bruchwald|Bruchländereien]] und Wiesen an der Wegkreuzung, die den [[Hermannplatz]] bildet. Zu dieser Zeit passierte hier zum einen die West-Süd-Ost-Verbindung vom [[Hallesches Tor|Halleschen Tor]] über [[Berlin-Neukölln|Rixdorf]] nach [[Königs Wusterhausen|Wusterhausen]], die durch die Hasenheide und über die ''Schlächterwiesen'' zur alten ''Wusterhausener Chaussee'' führte. Diese Verbindung ist ab Hermannplatz weitgehend identisch mit der [[Bundesstraße&nbsp;179]], die 1849 von der ''Wusterhausen-Lübbener Chausseebau-Aktiengesellschaft'' als befestigte Kunststraße ([[Chaussee]]) erbaut wurde und, ihrem Namen entsprechend, über Wusterhausen bis nach [[Lübben (Spreewald)|Lübben]] im [[Spreewald]] verlief. Bis zur Berliner Grenze ist dieser Straßenzug dargestellt durch: [[Hasenheide (Straße)|Hasenheide]], [[Karl-Marx-Straße (Berlin)|Karl-Marx-Straße]], Buschkrugallee, Rudower Chaussee, Neuköllner Straße und Waltersdorfer Chaussee. Zum anderen kreuzte die alte Nord-Süd-Verbindung vom Kottbusser Tor nach [[Mittenwalde]], die als ''Dresdener Heerstraße'' (heute: [[Kottbusser Damm]]) begann und sich im heutigen Straßenzug Hermannstraße, Britzer Damm usw. fortsetzte. Der Rollkrug bestand bis zum Jahr 1907 und wurde nach seinem Abriss durch ein Geschäftshaus ersetzt. In den ersten Jahren beheimatete das Gebäude eines der prominentesten Berliner Kinos.


==== Vier Windmühlen an der Straße ====
Auf Boddins Initiative geht die Umbenennung des als Vergnügungsviertel „übel beleumundeten“ Rixdorf (''in Rixdorf ist Musike'') zu Neukölln zurück, die Kaiser [[Wilhelm II. (Deutsches Reich)|Wilhelm II.]] allerdings erst nach dem Tod des Bürgermeisters bewilligte. Die Umbenennung sollte die Anziehungskraft beispielsweise des neuen Viertels an der [[Schillerpromenade]] für „Besserverdienende“ erhöhen. Die Baugenehmigung hatte Boddin als Bürgermeister durchgesetzt, das Viertel entstand nicht zuletzt auf seine Initiative – und er soll von diesen Bauten finanziell nicht unwesentlich profitiert haben.
In der zweiten Hälfte des 19.&nbsp;Jahrhunderts standen entlang der Hermannstraße verschiedene [[Windmühlen in Berlin|Windmühlen]]. Es gab die Mühle von ''Hänsche'', ferner befand sich an der Ecke zur Leykestraße die ''Rohleder’sche'' und nur wenige Schritte weiter südlich gegenüber dem St.&nbsp;Thomas-Kirchhof die ''Fuhrmann’sche'' – allesamt [[Bockwindmühle]]n. Die einzige [[Holländerwindmühle|Holländermühle]] der Straße krönte zwischen 1860 und wahrscheinlich 1872 den Rollberg; die [[Windmühlen in Berlin#Jungfernmühle in der Gropiusstadt|Jungfernmühle]] kam aus [[Potsdam]] und wurde dann weiter nach Buckow in die Goldammerstraße&nbsp;34 umgesetzt, wo sie als einzige erhaltene der ehemaligen Hermannstraßenmühlen noch steht.


==== Hermannshof ====
== Aus der Frühzeit der Hermannstraße ==
[[Datei:Hermannshof Portal-Apel.JPG|mini|Hermannshof (Portalansicht)]]
=== Historische Kreuzung am Rollkrug ===
[[Bild:Berlin_Rollkrug_1834.JPG|thumb|right|220px|Blick von den Rollbergen auf den [[Rollkrug]] am heutigen [[Hermannplatz]], weit vor den Toren des alten Berlin, das im Hintergrund zu sehen ist. Rechts die „Dresdener Heerstraße“ zum Kottbusser Tor, der heutige Kottbusser Damm. Ausschnitt eines Gemäldes von Wilhelm Barth aus dem Jahr 1834.]]
[[Bild:Berlin_Hermannstrasse_Rollkrug_Rixdorf.jpg|thumb|right|220px|Der Rollkrug um 1900 an der Ecke zum Hermannplatz]]
Lange bevor die Hermannstraße ihren Namen erhielt, stand an ihrem nördlichen Ausgangspunkt mit dem historischen [[Rollkrug]] ihr erstes Gebäude, das sich damals noch weit außerhalb der Berliner Stadtgrenze südlich des ''Cottbusser Tores'' befand. Die [[Ausspanne|Pferdewechselstation]] lag zwischen [[Bruch (Landschaft)|Bruchländereien]] und Wiesen an der Wegkreuzung, die heute den [[Hermannplatz]] bildet. Zu dieser Zeit passierte hier zum einen die West-Süd/Ost-Verbindung vom [[Hallesches Tor (Berlin)|Halleschen Tor]] über [[Berlin-Neukölln|Rixdorf]] nach [[Königs Wusterhausen|Wusterhausen]], die durch die Hasenheide und über die ''Schlächterwiesen'' zur alten ''Wusterhausener Chaussee'' führte. Diese Verbindung ist heute ab Hermannplatz weitgehend identisch mit der [[Bundesstraße 179]], die 1849 von der ''Wusterhausen-Lübbener Chausseebau-Aktiengesellschaft'' als befestigte Kunststraße ([[Chaussee]]) erbaut wurde und, ihrem Namen entsprechend, über Wusterhausen bis nach [[Lübben]] im [[Spreewald]] verlief. Bis zur Berliner Grenze ist dieser Straßenzug dargestellt durch: ''Hasenheide, Karl-Marx-Straße, Buschkrugallee, Rudower Chaussee, Neuköllner Straße'' und ''Waltersdorfer Chaussee''. Zum anderen kreuzte die alte Nord-Süd-Verbindung vom [[Kottbusser Tor]] nach [[Mittenwalde (Mark)|Mittenwalde]], die als ''Dresdener Heerstraße'' (heute ''Kottbusser Damm'') begann und sich im heutigen Straßenzug ''Hermannstraße, Britzer Damm'' usw. fortsetzte. Der Rollkrug bestand bis zum Jahr 1907 und wurde nach seinem Abriss durch ein Geschäftshaus ersetzt. In den ersten Jahren beheimatete das Gebäude eines der prominentesten Berliner [[Kino]]s.


Von 1904 bis 1905<ref>[http://www.neukoelln-online.de/denkmale/rixdorf/hermannshof.htm Denkmale in Rixdorf – Hermannshof]</ref> entstand an der Hermannstraße 48 im zweiten Hinterhof der ''Hermannshof''. Dies war nötig geworden, weil es zuvor keine Gewerbehöfe gab, die meisten Anwohner arbeiteten außerhalb des Kiezes. Schon seit seiner Erbauung trägt der Gewerbebau diesen Namen. Im Unterschied zu den für die Zeit typischen Rixdorfer Gewerbe-Hinterhäusern wurde der ''Hermannshof'' ebenso bekannt wie der ''Elisabeth-'' oder ''Oranienhof'' in [[Berlin-Kreuzberg|Kreuzberg]], das heißt, er erhielt einen individuellen, auf den Standort bezogenen Namen. Auch äußerlich hebt sich das Fabrikgebäude ab, beispielsweise durch die großen, kleinteilig gegliederten Fenster, die lichterfüllte Räume schaffen. Schmuckformen und Namenszug (noch im Original erhalten) betonen Mittelachse und Portal in einer für Gewerbebauten ungewöhnlichen Weise. Es sind in dem [[Denkmalschutz|denkmalgeschützten]]<ref>{{Webarchiv |url=http://www.stadtentwicklung.berlin.de/denkmal/denkmalliste/downloads/denkmalliste_09_05.pdf |text=Denkmalliste Berlin |wayback=20070929120432}} (PDF)</ref> Gebäude Vereine, Wohngemeinschaften und Kunstprojekte untergebracht, es dient nicht mehr als Industriegebäude. Neben dem ''Hermannshof'' entstand gleichzeitig der ''Ottilenhof'' auf dem Grundstück an der Hermannstraße&nbsp;56/57, der im Jahr 2000 grundlegend saniert wurde.
=== Vier Windmühlen an der Straße ===
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts standen entlang der Hermannstraße verschiedene [[Windmühlen in Berlin|Windmühlen]]. Es gab die Mühle von ''Hänsche'', ferner befand sich an der Ecke zur ''Leykestraße'' die ''Rohleder’sche'' und nur wenige Schritte weiter südlich gegenüber dem ''St. Thomas Kirchhof'' die ''Fuhrmann’sche'' – allesamt [[Bockwindmühle]]n. Die einzige [[Holländermühle]] der Straße krönte zwischen 1860 und wahrscheinlich 1872 den Rollberg; die [[Windmühlen in Berlin#Jungfernmühle in Buckow|Jungfernmühle]] kam aus [[Potsdam]] und wurde dann weiter nach Buckow in die Goldammerstraße 34 umgesetzt, wo sie als einzige erhaltene der ehemaligen „Hermannstraßenmühlen“ noch heute steht.


== Kirchhöfe und Zwangsarbeiter ==
=== Kirchhöfe und Zwangsarbeiter ===
Neben der fast ununterbrochenen Wohn- und Geschäftshausreihe bestimmen mehrere Kirchhöfe das Bild der Hermannstraße, in deren Bereich auf engstem Raum eine einzigartige Ansammlung von acht Friedhöfen zu verzeichnen ist.
Neben der fast ununterbrochenen Wohn- und Geschäftshausreihe bestimmen mehrere Kirchhöfe das Bild der Hermannstraße, in deren Bereich auf engstem Raum eine einzigartige Ansammlung von acht Friedhöfen zu verzeichnen ist.


=== Einmalige Konzentration ===
==== Einmalige Konzentration ====
[[Bild:Berlin_Neukoelln_14Hermannstrasse.JPG|thumb|right|220px|Kirchhof St. Michael, eingezwängt in die Häuserlinie]]
[[Datei:Berlin Neukoelln 14Hermannstrasse.JPG|mini|Kirchhof St.&nbsp;Michael, eingezwängt in die Häuserlinie]]
[[Bild:Berlin_Neukoelln_9Hermannstrasse.JPG|thumb|220px|Kirchhof der Jerusalems- und Neuen Kirche]]
Die Gründung der Friedhöfe geht überwiegend auf Gemeinden des ehemaligen Stadtteils ''Luisenstadt'' zurück. Deshalb befinden sich die Gemeinden nicht in Neukölln, sondern zu einem großen Teil in Kreuzberg. Nach den rasanten Bebauungsmaßnahmen der [[Gründerzeit]] (die Einwohnerzahl des alten Berlin, des heutigen Kernbereichs der Stadt, vervierfachte sich von 1861 auf 1910 von 500.000 auf 2 Millionen) fanden die Berliner Gemeinden in der engen Stadt keinen Platz mehr für ihre Grabstätten und verlegten die Friedhöfe nach draußen vor die Tore der Stadt. Auf den Feldern und Wiesen vor dem Cottbusser Tor fanden sich freie und preiswerte Flächen, die zudem über die Landstraße Hermannstraße gut zu erreichen waren. Die Kirchhöfe entstanden zu beiden Seiten der Straße, wobei die nach Osten, Richtung Karl-Marx-Straße verlaufenden Anlagen das abschüssige Gefälle der ehemaligen Rollberge aufweisen. Die Hälfte der acht Friedhöfe steht heute als [[Gartendenkmal]] unter Schutz.


Die Gründung der Friedhöfe geht überwiegend auf Gemeinden des ehemaligen Stadtteils [[Luisenstadt]] zurück. Deshalb befinden sich die Gemeinden nicht in Neukölln, sondern zu einem großen Teil in Kreuzberg. Nach den rasanten Bebauungsmaßnahmen der [[Gründerzeit]] (die Einwohnerzahl des alten Berlins, des heutigen Kernbereichs der Stadt, vervierfachte sich von 500.000 im Jahr 1861 auf zwei Millionen 1910) fanden die Berliner Gemeinden in der engen Stadt keinen Platz mehr für ihre Grabstätten und verlegten die Friedhöfe vor die Tore der Stadt. Auf den Feldern und Wiesen vor dem Cottbusser Tor fanden sich freie und preiswerte Flächen, die zudem über die Landstraße Hermannstraße gut zu erreichen waren. Die Kirchhöfe entstanden zu beiden Seiten der Straße, wobei die nach Osten, Richtung Karl-Marx-Straße verlaufenden Anlagen das abschüssige Gefälle der ehemaligen Rollberge aufweisen. Die Hälfte der acht Friedhöfe steht als [[Gartendenkmalpflege|Gartendenkmale]] unter Schutz.
Schon vor dem großen Bauboom der Stadt legte die katholische ''St.Jacobi-Gemeinde'' im Jahr 1852 den ersten der Hermannstraßenkirchhöfe in unmittelbarer Nachbarschaft zum Rollkrug an. Dieser einzige Friedhof im unteren ersten Straßenteil liegt heute im Eck zur Karl-Marx-Straße. Anders als die schmalen, querliegenden Kirchhofstreifen im mittleren Straßenteil verläuft der Kirchhof für rund einhundert Meter parallel zur Straße und sorgt gegenüber der dichten Häuserreihe des ''Hermannstraßenkiezes'' für eine ihrer wenigen grünen und offenen Passagen.


Schon vor dem großen Bauboom der Stadt legte die evangelische [[St. Jacobikirche (Berlin)|St.&nbsp;Jacobi-Gemeinde]] im Jahr 1852 den ersten der Hermannstraßenkirchhöfe in unmittelbarer Nachbarschaft zum Rollkrug an. Dieser einzige Friedhof im unteren ersten Straßenteil liegt im Bereich zur Karl-Marx-Straße. Anders als die schmalen, querliegenden Kirchhofstreifen im mittleren Straßenteil verläuft der Kirchhof für rund einhundert Meter parallel zur Straße und sorgt gegenüber der dichten Häuserreihe des ''Hermannstraßenkiezes'' für eine ihrer wenigen grünen und offenen Passagen.
Die große Konzentration liegt im mittleren Straßenbereich um den U-Bahnhof Leinestraße. Zwischen der Oker- und der Emser Straße entstanden hier in den sechziger und siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts sechs, gleichfalls schmale und senkrecht liegende, Kirchhöfe. Die Straßenfront dieser Begräbnisstätten ist jeweils nur sehr kurz, in die Tiefe erstrecken sie sich dagegen bis über 600 Meter. Alle diese Kirchhöfe zeichnen sich durch eine lange Mittelallee aus, die durch eine unterschiedliche Anzahl von Rondellen und Querwegen aufgelockert wird. Nur im oberen Bereich findet man einige Erbbegräbnisstätten an den Seitenmauern, was auf die Bevölkerungsstruktur zurückzuführen ist. Die Kapellen und Verwaltungsgebäude stehen meist im Bereich des Eingangstores, die Rondelle besitzen gelegentlich Bildwerke, die die Tiefe der Alleen optisch unterbrechen.


Die Konzentration liegt im mittleren Straßenbereich um den [[U-Bahnhof Leinestraße]]. Zwischen der Oker- und der Emser Straße entstanden hier in den 1860er und 1870er Jahren sechs, gleichfalls schmale und senkrecht liegende, Kirchhöfe. Die Straßenfront dieser Begräbnisstätten ist jeweils nur sehr kurz, in die Tiefe erstrecken sie sich dagegen bis über 600&nbsp;Meter. Alle diese Kirchhöfe zeichnen sich durch eine lange Mittelallee aus, die durch eine unterschiedliche Anzahl von Rondellen und Querwegen aufgelockert wird. Nur im oberen Bereich findet man einige Erbbegräbnisstätten an den Seitenmauern, was auf die Bevölkerungsstruktur zurückzuführen ist. Die Kapellen und Verwaltungsgebäude stehen meist im Bereich des Eingangstores, die Rondelle besitzen gelegentlich Bildwerke, die die Tiefe der Alleen optisch unterbrechen.
Auch am südlichen Ende der Hermannstraße befindet sich mit dem ''Emmauskirchhof'' parallel zum neuen Autobahntunnel ein Friedhof, der gleichfalls senkrecht zur Straße liegt und die Bebauung kaum auflockern kann.


Am südlichen Ende der Hermannstraße befindet sich mit dem [[Emmauskirche (Berlin)|Emmauskirchhof]] parallel zum neuen Autobahntunnel ein Friedhof, der gleichfalls senkrecht zur Straße liegt und die Bebauung kaum auflockern kann.
=== Verwirrende Nummerierung der Hermannstraße ===
Die Bezeichnung der Kirchhöfe ist nicht einheitlich. So finden sich selbst vor Ort für den katholischen Friedhof St. Michael drei unterschiedliche Namen. Über dem Eingangsportal prangt der alte Schriftzug ''Friedhof der St. Michael Gemeinde'', eine moderne Tafel am Portal nennt den Kirchof ''Alter Friedhof der Kath. Gemeinde St. Michael'' und eine historische Tafel 20 Meter neben dem Portal trägt die Aufschrift ''Kirchhof der Katholischen St. Michael Gemeinde''. Wir orientieren uns im folgenden an der heutigen Namensgebung der jeweiligen Gemeinden.


==== Verwirrende Nummerierung der Hermannstraße und uneinheitliche Bezeichnung der Friedhöfe ====
Die Nummerierung der [[Hausnummer]]n beginnt in der Hermannstraße auf der Westseite am Hermannplatz. Wie in Berlin vielfach üblich, wird nicht wechselseitig nach geraden und ungeraden Hausnummern von Straßenseite zu Straßenseite durchgezählt, sondern erst bekommt die vom Schlossplatz im Stadtzentrum gesehen rechte Seite (in diesem Fall also die westliche) fortlaufende Nummern, dann die Ostseite zurück in umgekehrter Richtung bis zur höchsten Hausnummer. Da diese Zählweise nicht nur den Ortsunkundigen, sondern auch alteingesessene Berliner immer wieder zur Verzweiflung bringt, haben wir die Friedhöfe in der folgenden Übersicht nach ihrer Lage jeweils von Nord nach Süd sortiert. Dabei ist zu beachten, dass sich die Kirchhöfe des mittleren Bereichs weitgehend und insbesondere die beiden Kirchhöfe der St. Thomas-Gemeinde trotz der vollkommen unterschiedlichen Nummern genau gegenüberliegen.
Mit dem Beginn der Bebauung hatte die Rixdorfer Verwaltung eine [[Hausnummer|Nummerierung]] der Häuser nach dem [[Hausnummer#Hufeisennummerierung|Hufeisenprinzip]] festgelegt. Diese Berliner Nummerierung geht darauf zurück, dass die vom Schlossplatz (im Stadtzentrum) gesehen rechte Seite (in diesem Fall also die westliche) fortlaufende Nummern trägt, dann die Ostseite zurück in umgekehrter Richtung bis zur höchsten Hausnummer. Die Parzellen in der Hermannstraße waren also nicht wechselseitig nach geraden und ungeraden Hausnummern von Straßenseite zu Straßenseite durchgezählt. Die Zählung begann hier mit der Nummer&nbsp;1 auf der Westseite am Hermannplatz/Hasenheide und reichte bereits in den 1880er Jahren bis zur Nummer&nbsp;171. Viele freie Parzellen dazwischen waren im Adressbuch als Baustellen ausgewiesen.<ref>{{Berliner Adressbuch|1880|2011| Anhang > Rixdorf > Hermannstraße |Teil=Anhang|Seite=90, 91}}</ref> Die Friedhöfe trugen anfangs die Nummern&nbsp;73 (Jerusalemer und Neue Kirche), 77 (Jakobi-Gemeinde) und 168. In der folgenden Übersicht wurden sie nach ihrer Lage jeweils von Nord nach Süd sortiert. Dabei ist zu beachten, dass sich die Kirchhöfe des mittleren Bereichs weitgehend und insbesondere die beiden Kirchhöfe der St.&nbsp;Thomas-Gemeinde trotz der vollkommen unterschiedlichen Nummern genau gegenüberliegen.


Im Jahr 1900 reichten die Parzellennummern der Hermannstraße schon bis zur Nummer 258, sie wurden demzufolge mit der zunehmenden Bebauung wieder neu vergeben, die Friedhöfe finden sich nun wie folgt: 79–83 St.&nbsp;Thomas, 84–90 Jerusalemer und Neue Kirche, 99–105 Jacobi-Gemeinde, 129–137 Emmaus-Gemeinde, 186–190 Luisen-Kirchhof und 191–195 St.&nbsp;Michael.<ref>{{Berliner Adressbuch|1900|3282| Rixdorf > Hermannstraße |Teil=V |Seite=164, 165}}</ref> Die Bezeichnung der Kirchhöfe bleibt im 21.&nbsp;Jahrhundert in der überkommenen Form. Über dem Eingangsportal befindet sich der alte Schriftzug „Friedhof der St.&nbsp;Michael Gemeinde“, eine Tafel am Portal nennt den Kirchhof „Alter Friedhof der Kath. Gemeinde St.&nbsp;Michael“ und eine historische Tafel 20&nbsp;Meter neben dem Portal trägt die Aufschrift „Kirchhof der Katholischen St.&nbsp;Michael Gemeinde“. Die nachfolgende Orientierung entspricht der Namensgebung der jeweiligen Gemeinden.
=== Acht Kirchhöfe im Einzelnen ===
==== Nördlicher Bereich, ein Kirchhof ====
'''Alter Kirchhof der St. Jacobi-Gemeinde''', Hermannstraße 234-253 (Ostseite)/Karl-Marx-Straße 4-10<br />
Im unteren Straßenbereich kurz hinter dem Hermannplatz liegt der ''Alte Kirchhof der St. Jacobi-Gemeinde''. Das Gartendenkmal zwischen Hermannstraße und Karl-Marx-Straße ließ die St. Jacobigemeinde bereits 1852 anlegen. Es handelt sich um eine weitestgehend geometrische Anlage mit Alleen und Einzelbäumen, vor allem Kastanien und Linden. Schmuckplätze sind auf den 40.908 m<sup>2</sup> nicht vorhanden.


==== Acht Kirchhöfe im Einzelnen ====
An der Friedhofsmauer befinden sich Erbbegräbniswände und im Ostteil des Kirchhofes kam später ein [[Bestattungsurne|Urne]]nhain hinzu. Die Kapelle baute von 1911 bis 1912 Stadtbaurat [[Reinhold Kiehl]] als einen rechteckigen Putzbau im antik römischen Stil. Die Wandflächen erhielten eine Struktur durch [[Putte]]nfries und [[Pilaster]]. Die Vorhalle ist offen in der Mittelachse gestaltet, daran schließt sich ein rechteckiger Hauptraum mit einer halbkreisförmigen [[Apsis]], toskanischen Säulen an den Seiten und kleineren Pilaster und Pfeilern im [[Chor]]bereich an. Die teilweise farbige Fensterung besteht aus Rundbogenfenstern, die mit Blenden abwechseln und darüber liegenden quadratischen Fenstern. Gemeinsam mit dem Verwaltungsgebäude, dem Eingangstor und dem anschließenden Kirchhofsgitter aus metallenen Speeren und toskanischen Säulen sowie einem [[Kolonnade]]nteil ist die Kapelle zu einer Baugruppe vereint, die zur gleichen Zeit zur Ausführung kam. Nach seiner teilweise Zerstörung im Krieg konnte die St. Jacobi-Gemeinde das Ensemble bereits kurz nach Kriegsende wieder herstellen.
===== Nördlicher Bereich, ein Kirchhof =====
[[Bild:Berlin_Neukoelln_12Hermannstrasse.JPG|thumb|right|220px|Kirchhof St. Michael, dominantes [[Kruzifix]] im vorderen Rondell]]
[[Alter Kirchhof der St.-Jacobi-Gemeinde]], Hermannstraße 234–253 (Ostseite)/Karl-Marx-Straße 4–10
Reinhold Kiehl fand hier 1913 auch seine letzte Ruhestätte, das Grabmal trägt den Schriftzug ''„SEINEM ANDENKEN DIE STADT NEUKÖLLN“''. Das ''Kiehlufer'' am [[Neuköllner Schiffahrtskanal]] trägt den Namen des Stadtrats, auf den denkmalgeschützte Bauten wie das [[Rathaus Neukölln]] und die ''Königlich-Preußische Baugewerkschule'', die spätere ''Technische Fachhochschule für Bauwesen'' von 1914 und heutige ''Carl-Legien-Oberschule'' in
der ''Leinestraße'' am Ende der Schillerpromenade zurückgehen. Neben Hermann Boddin dürfte Reinhold Kiehl der heute bekannteste Lokalpolitiker aus der Rixdorfer Zeit sein.


Im unteren Straßenbereich kurz hinter dem Hermannplatz liegt der ''Alte Kirchhof der St.&nbsp;Jacobi-Gemeinde''. Das Gartendenkmal zwischen Hermannstraße und Karl-Marx-Straße ließ die [[St. Jacobikirche (Berlin)|St.-Jacobi-Gemeinde]] bereits 1852 anlegen. Es handelt sich um eine weitestgehend geometrische Anlage mit Alleen und Einzelbäumen, vor allem [[Gewöhnliche Rosskastanie|Kastanien]] und [[Linden (Botanik)|Linden]]. Schmuckplätze sind auf den 40.908&nbsp;m² nicht vorhanden.
==== Mittlerer Bereich, Ostseite, drei Kirchhöfe ====
Höhe U-Bahnhof Leinestraße, Reihenfolge in Richtung Süden<br />


An der Friedhofsmauer befinden sich Erbbegräbniswände und im Ostteil des Kirchhofes kam später ein [[Bestattungsurne|Urnenhain]] hinzu. Die Kapelle baute von 1911 bis 1912 Stadtbaurat [[Reinhold Kiehl]] als einen rechteckigen Putzbau im antik römischen Stil. Die Wandflächen erhielten eine Struktur durch [[Putto|Puttenfries]] und [[Pilaster]]. Die Vorhalle ist offen in der Mittelachse gestaltet, daran schließt sich ein rechteckiger Hauptraum mit einer halbkreisförmigen [[Apsis]], toskanischen Säulen an den Seiten und kleineren Pilastern und Pfeilern im [[Chor (Architektur)|Chorbereich]] an. Die teilweise farbige Fensterung besteht aus Rundbogenfenstern, die mit Blenden abwechseln und darüber liegenden quadratischen Fenstern. Gemeinsam mit dem Verwaltungsgebäude, dem Eingangstor und dem anschließenden Kirchhofsgitter aus metallenen Speeren und [[Toskanische Ordnung|toskanischen Säulen]] sowie einem [[Kolonnade]]nteil ist die Kapelle zu einer Baugruppe vereint, die zur gleichen Zeit zur Ausführung kam. Nach seiner teilweisen Zerstörung im Krieg konnte die St.&nbsp;Jacobi-Gemeinde das Ensemble bereits kurz nach Kriegsende wiederherstellen.
'''Kirchhof der St. Michael-Gemeinde''', Hermannstraße 191-195 (Ostseite)<br />
Dieser Kirchhof entstand in den Jahren 1863 bis 1895 in mehreren Etappen auf einer Fläche von 21.537 m<sup>2</sup> geometrisch entlang einer zentralen [[Allee]] mit Eichen und Linden sowie drei Rondellen. Im vorderen Rondell steht ein dominantes [[Kruzifix]] (siehe Bild).


[[Datei:Grab-reinhold-kiehl-2017.jpg|mini|Grab Reinhold Kiehls]]
Die Kapelle des Kirchhofs an der Straße von einem unbekannten Architekten im [[Spätromantik|spätromantischen]] Stil stammt aus dem Jahr 1884. Die Fassade besteht aus gelben Verblendziegeln, wobei die Straßenfront optisch in drei Bereiche geteilt ist. Im [[Giebel (Bauteil)|Giebel]] befindet sich ein Glockenträger, darunter ein Christuskopf, angebaut sind eine Leichenhalle sowie ein Verwaltungsgebäude. 1912 erfolgte eine Umgestaltung der Fassade sowie ein weiterer Ausbau der Kapelle, im Zweiten Weltkrieg kam es zu Beschädigungen und 1954 restaurierte [[Wilhelm Fahlbusch]] das Gebäude. In einer Nische im Eingangsbereich fällt eine beeindruckende [[Skulptur]] des [[Erzengel]]s [[Michael (Erzengel)|Michael]] in den Blick (siehe Bild etwas tiefer).


Der Stadtrat [[Reinhold Kiehl]], auf den denkmalgeschützte Bauten wie das [[Rathaus Neukölln]] und die ''Königlich-Preußische Baugewerkschule'', die spätere ''Technische Fachhochschule für Bauwesen'' von 1914 und heutige ''Carl-Legien-Oberschule'' in der Leinestraße am Ende der Schillerpromenade zurückgehen, fand hier 1913 seine letzte Ruhestätte; das Grabmal trägt den Schriftzug „Seinem Andenken die Stadt Neukölln“. Neben Hermann Boddin dürfte Kiehl, nach dem das Kiehlufer am [[Neuköllner Schiffahrtskanal]] benannt wurde, der bekannteste Lokalpolitiker aus der Rixdorfer Zeit sein.
Als [[Ehrengrab|Ehrengräber]] finden sich auf dem Friedhof die Grabstätten der beiden Stadtältesten [[Alfred Rojek]] und [[Richard Schönborn]] sowie des Schriftstellers [[August Scholz]].


Der Indologe [[Albrecht Weber]] (1825–1901), der Maler und Grafiker [[Franz Skarbina]] (1849–1910), ebenso wie der Märchenforscher, Germanist und Volkskundler [[Johannes Bolte]] (1858–1937) wurden hier bestattet.
'''Neuer Kirchhof der Luisenstadtgemeinde''', Hermannstraße 186-190 (Ostseite)<br />
Der Neue Kirchhof der Luisenstadtgemeinde stammt aus dem Jahr 1865. Das 47.996 m<sup>2</sup> große Gelände besitzt eine Hauptallee, von der mehrere Nebenalleen als Querwege abgehen und ist durch vier Rondelle aufgelockert. Die Bepflanzung besteht hauptsächlich aus Linden.


===== Mittlerer Bereich, Ostseite, drei Kirchhöfe =====
Die Kapelle aus den Jahren 1958/1959 ist ein Werk der Architekten [[Paul Emmerich|Paul]] und [[Jürgen Emmerich]] . Es handelt sich um einen Bau mit rechteckiger Grundfläche und einem [[Pultdach]], der mit Klinkersteinen und Rauhputz gestaltet ist, die Stirnfläche ist verglast. Die Vorhalle besitzt auf den Seitenwänden Putzschnittdarstellungen. Heute wird das Gebäude als Leichenhalle genutzt.
Höhe U-Bahnhof Leinestraße, Reihenfolge in Richtung Süden


[[Datei:Berlin Neukoelln 12Hermannstrasse.JPG|mini|hochkant|Kirchhof St.&nbsp;Michael, [[Kruzifix]] im vorderen Rondell]]
'''Kirchhof der St. Thomas-Gemeinde II''', Hermannstraße 179-185 (Ostseite)<br />
[[Datei:Berlin Neukoelln 13Hermannstrasse.JPG|mini|hochkant|Kirchhof St.&nbsp;Michael, [[Michael (Erzengel)|Erzengel Michael]]]]
Der zweite Kirchhof der St. Thomas-Gemeinde entstand 1872 gegenüber dem ersten. Das Gartendenkmal ist 51.635 m<sup>2</sup> groß und wie alle anderen Kirchhöfe geometrisch angelegt. Das Zentrum bildet eine Platanenallee mit vier Rondellen und vier Queralleen, die von Fichten und Linden gesäumt sind. Die Randbepflanzung stellen ebenfalls Linden dar, außerdem unterteilen ''Taxus''-Hecken die Flächen.


'''Kirchhof der St.-Michael-Gemeinde''', Hermannstraße 191–195 (Ostseite)
Die Kapelle geht auf das Jahr 1870 zurück, der Architekt ist unbekannt. Es handelt sich um einen [[Backstein|Backsteinbau]] mit Kreuzverbund. Die Halle ist seitlich geöffnet und besitzt eine gebrochene [[Apsis]] sowie zweiteilige Fenster. Der Innenbereich weist eine halbkreisförmige Altarnische sowie eine [[Empore]] auf. Ebenfalls auffällig ist das achteckige Blumenhaus, das wahrscheinlich in den 1920er Jahren entstand.


Der Kirchhof der [[Sankt-Michael-Kirche (Berlin)|St.-Michael-Gemeinde]] entstand in den Jahren 1863 bis 1895 in mehreren Etappen auf einer Fläche von 21.537&nbsp;m² geometrisch entlang einer zentralen [[Allee]] mit Eichen und Linden sowie drei Rondellen. Im vorderen Rondell steht ein dominantes Kruzifix.
[[Reinhold Habisch|Reinhold „Krücke“ Habisch]] (1889–1964), das Berliner Original und als „Erfinder“ der legendären vier Pfiffe im ''[[Sportpalast]]-[[Walzer]]'' heimlicher Star vieler [[Sechstagerennen]], hat hier seine letzte Ruhestätte. Außerdem befindet sich hier das Grab des ehemaligen Berliner Oberbügermeisters [[Robert Zelle]] sowie das Gemeinschaftsgrab der Stadtältesten Marie und Wilhelm Wagner.


Die Kapelle des Kirchhofs an der Straße von einem unbekannten Architekten im [[Spätromantik|spätromantischen]] Stil stammt aus dem Jahr 1884. Die Fassade besteht aus gelben Verblendziegeln, wobei die Straßenfront optisch in drei Bereiche geteilt ist. Im [[Giebel]] befindet sich ein Glockenträger, darunter ein Christuskopf, angebaut sind eine Leichenhalle sowie ein Verwaltungsgebäude. 1912 erfolgte eine Umgestaltung der Fassade sowie ein weiterer Ausbau der Kapelle, im [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] kam es zu Beschädigungen und 1954 restaurierte [[Wilhelm Fahlbusch (Architekt)|Wilhelm Fahlbusch]] das Gebäude. In einer Nische im Eingangsbereich fällt eine beeindruckende [[Skulptur]] des [[Erzengel]]s [[Michael (Erzengel)|Michael]] in den Blick.
==== Mittlerer Bereich, Westseite, drei Kirchhöfe ====
Höhe U-Bahnhof Leinestraße, Reihenfolge in Richtung Süden<br />


Als [[Ehrengrab|Ehrengräber]] finden sich auf dem Friedhof die Grabstätten der beiden Stadtältesten [[Alfred Rojek]] und [[Richard Schönborn]] sowie des Schriftstellers und Übersetzers [[August Scholz (Übersetzer)|August Scholz]].
'''Kirchhof der St. Thomas-Gemeinde I''', Hermannstraße 79-83 (Westseite)<br />
Der ältere Kirchhof der St. Thomas-Gemeinde wurde 1865 angelegt. Er besitzt auf der Fläche von 65.697 m<sup>2</sup> eine Hauptallee mit Platanenbepflanzung sowie ein Rondell, ein weiteres kann vorhanden gewesen sein. Die Randbepflanzung stellen Pyramidenpappeln dar. Eine Kapelle gibt es auf diesem Kirchhof nicht, da die Kapelle auf dem gegenüberliegenden zweiten Kirchhof der Gemeinde für beide Teile des Gartendenkmals ausreicht.


'''Neuer Kirchhof der Luisenstadtgemeinde''', Hermannstraße 186–190 (Ostseite)
[[Anita Berber]] (1899–1928), die Tänzerin (''„Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase“'') und Schauspielerin ([[Fritz Lang]]s ''„[[Dr. Mabuse, der Spieler]]“)'' war hier bestattet. Das Grab ist nicht mehr vorhanden, da die Friedhofsverwaltung die Ruhestätte nach Ablauf der Belegungsfrist auflöste.


Der Neue Kirchhof der Luisenstadtgemeinde stammt aus dem Jahr 1865. Das 47.996&nbsp;m² große Gelände besitzt eine Hauptallee, von der mehrere Nebenalleen als Querwege abgehen und ist durch vier Rondelle aufgelockert. Die Bepflanzung besteht hauptsächlich aus Linden.
[[Bild:Grabstein_Bruno_Bauer.JPG|thumb|right|220px|[[Ehrengrab]] für [[Bruno Bauer]] auf dem ''Neuen St.-Jacobi-Kirchhof''. Inschrift:<br />''Er war ein Bürger Rixdorfs''.]]


Die Kapelle aus den Jahren 1958/1959 ist ein Werk der Architekten [[Paul Emmerich|Paul]] und [[Jürgen Emmerich]]. Es handelt sich um einen Bau mit rechteckiger Grundfläche und einem [[Pultdach]], der mit Klinkersteinen und Rauputz gestaltet ist, die Stirnfläche ist verglast. Die Vorhalle besitzt auf den Seitenwänden Putzschnittdarstellungen. Das Gebäude wird als Leichenhalle genutzt.
'''Kirchhof der Jerusalems- und Neuen Kirche''', Hermannstraße 84-90 (Westseite)<br />
Der Kirchhof der Neuen Gemeinde zu Berlin aus den Jahren 1870 bis 1872 besitzt eine zentrale Lindenallee mit sieben Querwegen und mehreren Rondellen, das Gelände ist 56.024 m<sup>2</sup> groß.


[[Datei:Berlin Neukoelln 2Hermannstrasse.JPG|mini|St.&nbsp;Thomas-Kirchhof am U-Bahnhof Leinestraße]]
Die Kapelle legte [[Louis Arndt]] in den Jahren 1899/1900 als roten Backsteinbau im [[Gotik|gotischen]] Stil an. Nach Kriegsbeschädigungen erfolgte nach Kriegsende ihr Wiederaufbau, heute nutzt die ''Bulgarisch-Orthodoxe Kirche'' die kleine Kirche als Zentrum. Der Verwaltungsbau und das Tor an der Hermannstraße entstanden bereits 1873, der Architekt ist unbekannt. 1877 erfolgte ein Umbau des Verwaltungsgebäudes zur Leichenhalle, den ''C. Dammeier'' vornahm.


{{Anker|ThomasFriedhof}}'''Kirchhof der St.-Thomas-Gemeinde I''', Hermannstraße 179–185 (Ostseite)
Während der letzten beiden Jahre des Zweiten Weltkrieges stand auf dem Gelände des Kirchhofes eine [[Baracke]] für [[Zwangsarbeiter]], die auf dem Kirchhof arbeiten mussten. Seit dem Jahr 2002 befindet sich an der Stelle des Lagers ein Gedenkstein des Berliner Bildhauers ''Rainer Fest'' (siehe unten Kapitel ''Sklaven der Kirche'').


Der erste (auch: Alte) Kirchhof der [[St.-Thomas-Kirche (Berlin)|St.&nbsp;Thomas-Gemeinde]] entstand 1865. Das Gartendenkmal ist 51.993&nbsp;m² groß und wie alle anderen Kirchhöfe geometrisch angelegt. Das Zentrum bildet eine Platanenallee mit vier Rondellen und vier Queralleen, die von Fichten und Linden gesäumt sind. Die Randbepflanzung stellen ebenfalls Linden dar, außerdem unterteilen ''Taxus''-Hecken die Flächen.
'''Neuer Kirchhof der St. Jacobi-Gemeinde''', Hermannstraße 99-105 (Westseite)<br />
Der Neue Kirchhof der St. Jacobi-Gemeinde aus dem Jahr 1867 verfügt über eine Fläche von 74.048 m<sup>2</sup>, eine zentrale Lindenallee mit mehreren Rondellen und fünf Querwege.


Die Kapelle geht auf das Jahr 1870 zurück, der Architekt ist Paul Erdmann. Es handelt sich um einen [[Backstein]]bau mit Kreuzverbund. Die Halle ist seitlich geöffnet und besitzt eine gebrochene Apsis sowie zweiteilige Fenster. Der Innenbereich weist eine halbkreisförmige Altarnische sowie eine [[Empore]] auf. Ebenfalls auffällig ist das achteckige Blumenhaus, das wahrscheinlich in den 1920er-Jahren entstand.
Das Baujahr und der Architekt der im [[Romantik|romantischen]] Stil gehaltenen asymmetrischen Kapelle sind nicht bekannt. Sie hat eine Fassade aus gelben Verblendziegeln im Kreuzverbund und besitzt eine halbkreisförmige [[Apsis]] sowie mehrere flache Nebengebäude. Im Krieg beschädigt kam es 1952 zum Wiederaufbau der Kapelle.


[[Reinhold Habisch|Reinhold „Krücke“ Habisch]] (1889–1964), das Berliner Original und als „Erfinder“ der legendären vier Pfiffe im ''[[Wiener Praterleben|Sportpalast-Walzer]]'' heimlicher Star vieler [[Sechstagerennen]], hat hier seine letzte Ruhestätte. Außerdem befinden sich hier das Grab des ehemaligen Berliner Oberbürgermeisters [[Robert Zelle]], das Grab des Rixdorfer Stadtrats [[Gustav Leyke]], Namensgeber der benachbarten Leykestraße, sowie das Gemeinschaftsgrab der Stadtältesten Marie und Wilhelm Wagner.
Auf dem St. Jacobi-Kirchhof befindet sich das Grab des Theologen [[Bruno Bauer]] (1809 – 1882), dessen Arbeiten [[Karl Marx]] und [[Friedrich Engels]] in ''Die Deutsche Ideologie'' (1845/46) polemisch kritisierten („Sankt Bruno“). Der Grabstein trägt die Inschrift: ''Er war ein Bürger Rixdorfs'' (siehe Bild).


Auf dem Kirchhof befinden sich zudem ein Gedenkpavillon und ein Gedenkstein für ein Zwangsarbeiterlager, das sich auf dem ''Kirchhof V der Jerusalems- und Neuen Kirche'' in der Hermannstraße 84–90 befand. Der 2002 auf dem Kirchhof V errichtete Gedenkstein wurde später (spätestens 2013) auf den ''Kirchhof der St.-Thomas-Gemeinde&nbsp;II'' umgesetzt (siehe unten Kapitel ''[[#Zwangsarbeiterlager auf dem Kirchhof der Jerusalems- und Neuen Kirche|Zwangsarbeiterlager auf dem Kirchhof der Jerusalems- und Neuen Kirche]]'').
==== Südlicher Bereich, ein Kirchhof ====
'''Kirchhof der Emmausgemeinde''', Hermannstraße 129-137 (Westseite)<br />
Das Gartendenkmal ''Emmauskirchhof'' aus dem Jahr 1888 liegt am Südende der Hermannstraße kurz vor ihrem Übergang in den Britzer Damm, parallel zum neuen Autobahntunnel Richtung Westen (siehe unten Kapitel „Radfahrer“).


In der Straßenfront des Kirchhofs befindet sich seit Dezember 2019 der Sitz der Stadtentwicklungsgesellschaft mbH [[STATTBAU]] (182), die in ihrem Arbeitsfeld ''Stadt·Raum·Kirche'' in Zusammenarbeit mit dem [[Kirchenkreis Berlin Stadtmitte]] für Friedhöfe an der Hermannstraße Friedhofsentwicklungspläne entwickelt. Seit 2014 erarbeitet und 2016 beschlossen wurde ein ''Integriertes Friedhofsentwicklungskonzept für Berlin-Neukölln''.<ref>STATTBAU Konzept Friedhöfe Hermannstraße: [https://www.stattbau.de/fileadmin/downloads/2019-06-24_Datenblatt_IFEK_Hermanstrasse__.pdf pdf]. (Abruf=2020-09-16).</ref>
Der Friedhof ist zugleich der jüngste und mit 128.781 m<sup>2</sup> der größte Kirchhof an der Hermannstraße. Der Baumeister der Kapelle aus der Zeit um 1900 ist unbekannt. Stilistisch ist das Gebäude im Übergangsbereich zwischen Romantik und Gotik einzuordnen. Es handelt sich um einen unregelmäßigen Bau mit roter Ziegelfassade und grauen Putzflächen, die als Blenden und Bänder die Fassade strukturieren. Auf dem Dach steht ein [[Dachreiter]] mit [[Helm|Spitzhelm]]. Der Innenraum ist dreischiffig, wobei das [[Mittelschiff]] mit einem [[Kreuzgewölbe]] und einer Halbkreisapis ausgestattet ist. Die [[Seitenschiff]]e besitzen [[Spitztonnengewölbe]] und an den Säulen befinden sich romanische Figuren[[kapitell]]e.


===== Mittlerer Bereich, Westseite, drei Kirchhöfe, Zauberladen =====
Hier ist [[Walter Bromme]] (1885–1943) bestattet, der in den [[Goldene Zwanziger|Goldenen Zwanzigern]] beliebte [[Operette]]n und [[Schlager]] komponierte und in der Spielzeit 1923/24 zeitweilig als Direktor des [[Metropol-Theater]]s in der Behrenstraße fungierte. Die Operetten Brommes reichten von ''Die Dame im Frack'' (1919) über ''Dolly'' (1924) bis zu ''Spiel nicht mit der Liebe'' (1934).
Höhe U-Bahnhof Leinestraße, Reihenfolge in Richtung Süden


'''Kirchhof der St.-Thomas-Gemeinde II''', Hermannstraße 79–83 (Westseite)
=== Sklaven der Kirche ===
[[Bild:Berlin_Neukoelln_13Hermannstrasse.JPG|thumb|right|220px|Kirchhof St. Michael, [[Michael (Erzengel)|Erzengel Michael]]]]
[[Bild:Berlin_Neukoelln_11Hermannstrasse.JPG|thumb|right|220px|Gedenkstein für die Zwangsarbeiter]]
Erst in den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts trat zu Tage, dass die Deutschen Kirchen während des [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkriegs]] in erheblichem Ausmaß [[Zwangsarbeiter]] angefordert und deutschlandweit beschäftigt hatten. Im Sommer 2000 räumte der Berlin-Brandenburgische Bischof [[Wolfgang Huber]] ein, dass auch in Berlin auf dem ''Kirchhof der Jerusalems- und Neuen Kirche'' an der Hermannstraße 84-90 in den letzten drei Kriegsjahren ein Barackenlager für rund 100 Zwangsarbeiter bestand, die überwiegend zur Grabpflege und zur [[Bestattung]] von Bombenopfern zum Einsatz kamen. Mit aktiver Unterstützung der obersten Kirchenleitung bekam das Lager eine sogenannte „Rüstungsnummer“ und war damit als „kriegswichtig“ anerkannt. Die Kirchen sollen zudem die Ermordung von Kindern der Arbeiter schweigend in Kauf genommen haben.


Der jüngere Kirchhof der St.-Thomas-Gemeinde wurde 1872 angelegt. Er besitzt auf der Fläche von 65.697&nbsp;m² eine Hauptallee mit [[Platanen]]bepflanzung sowie ein Rondell, ein weiteres kann vorhanden gewesen sein. Die Randbepflanzung stellen [[Pyramidenpappel]]n dar. Eine Kapelle gibt es auf diesem Kirchhof nicht, da die Kapelle auf dem gegenüberliegenden ersten Kirchhof der Gemeinde für beide Teile ausreichte. Seit Anfang 2007 wird dieser Friedhof abgeräumt und am 10.&nbsp;Juli 2017 als ''Anita-Berber-Park'' der Öffentlichkeit übergeben. Das aus [[Klinker]]n gemauerte, mit eisernen Gittern versehene Tor mit angrenzender Einfassung zur Hermannstraße hin ist als Denkmal erhalten.
Beteiligt an diesem dunklen Kapitel der deutschen Kirchengeschichte waren 39 evangelische und 3 katholische Gemeinden. Die [[Evangelische Kirche in Deutschland]] (EKD) hat inzwischen ein [[Schuldbekenntnis]] abgelegt, außerdem beteiligten sich die Kirchen an Entschädigungszahlungen.


Die 1928 gestorbene Tänzerin ''(Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase)'' und Schauspielerin (''[[Dr. Mabuse, der Spieler]]'' von [[Fritz Lang]]) [[Anita Berber]] war hier bestattet. Das Grab ist nicht mehr vorhanden, da die Friedhofsverwaltung die Ruhestätte nach Ablauf der Belegungsfrist aufgelöst hat.
Unter welchen Greueln und Entbehrungen die überwiegend russischen und ukrainischen Arbeiter, in der [[Nationalsozialismus|nationalsozialistischen]] Ideologie ''slawische Untermenschen'', litten, beschreibt '' Wasyl Timofejewitsch Kudrenko'', der mit 16 Jahren aus der [[Ukraine]] nach Berlin verschleppt wurde und im Jahr 2005 ein Tagebuch über den Alltag und das Überleben im Lager veröffentlichte. Darin heißt es: „''Die schweren Bomben fielen auf den Friedhof und schleuderten die zuvor Begrabenen wieder empor ... Leichenteile, Eingeweide – alles auf dem Baum – schrecklich. Es war ein Horror. Wir „Ostarbeiter“ legten sie in die Gräber zurück. Aber nicht jeder konnte das ertragen, psychisch aushalten.''“


'''Kirchhof&nbsp;V der Jerusalems- und Neuen Kirche''', Hermannstraße 84–90 (Westseite)
Unter ständiger Todesangst und ausgezehrt durch eine völlig unzureichende Ernährung gingen die „Sklaven“ der Kirchen den Arbeiten nach, denn das Lager lag unmittelbar neben dem kriegswichtigen Flughafen Tempelhof, der besonderes Ziel der Flüge der [[Alliierte]]n war. Kudrenko schreibt: „''Wir suchten bei den Angiffen dort Schutz, wo der Alarm uns überraschte: zwischen den Särgen, in der Kanalisation, in Rohren''“. Mehrfach kam es zu Bombentreffern im Barackenlager, im Jahr 1944 brannte es in kürzester Zeit vollständig aus. Zuflucht zu [[Schutzraum|Schutzräumen]] war den Zwangsarbeitern verwehrt.


[[Datei:Berlin Neukoelln 9Hermannstrasse.JPG|mini|Evangelischer ''Kirchhof V der Jerusalems- und [[Deutscher Dom|Neuen Kirche]]'' mit Blick zur ehemaligen Friedhofs&shy;kapelle, jetzt als bulgarisch-ortho&shy;doxe ''Kathedralkirche des [[Boris I. (Bulgarien)|Hl.&nbsp;Zaren Boris des Täufers]]'' geweiht]]
Zwangsarbeiter im Alter zwischen 53 und 64 Jahren kamen namentlich als ''wegen ihres körperlichen Zustandes nicht mehr vewendbar'' auf eine Liste und wurden in ein Sammellager abgeschoben. In dem Lager fand mit einiger Sicherheit keinerlei medizinische Versorgung mehr statt, zudem gab es hier so gut wie keine Ernährung – eine hohe Sterblichkeitsrate war die Folge. Das Kriegsende befreite die Überlebenden im Sammellager und auf dem Kirchhof.


Der fünfte Kirchhof der [[Jerusalemkirche (Berlin)|Jerusalems-]] und [[Deutscher Dom|Neuen Kirchen-Gemeinden]] zu Berlin aus den Jahren 1870–1872 besitzt eine zentrale [[Linden (Gattung)|Lindenallee]] mit sieben Querwegen und mehreren [[Rondell]]en, das Gelände ist 56.024&nbsp;m² groß.
Informationstafeln vor Ort listen alle beteiligten Berliner Gemeinden auf. Die Tafeln verzeichnen ferner die Namen der 96 Zwangsarbeiter, die namentlich bekannt sind. Seit dem Jahr 2002 befindet sich an der Stelle des Lagers ein Gedenkstein des Berliner Bildhauers ''Rainer Fest'', der auf der Oberfläche gleichfalls die beteiligten Gemeinden per [[Gravur]] festhält. Eine Schicht des [[Findling]]s, aus dem der Stein gearbeitet ist, schnitt Fest heraus und teilte sie in 42 Einzelteile – mit je einem Namen der beteiligten Gemeinden. Jede Gemeinde erhielt zur Erinnerung an ihre Verantwortung „ihren“ Stein, eine Verantwortung, die sich an der Oberfläche des Gedenksteins mit allen Namen zur Gesamtverantwortung zusammenfügt.


Die Kapelle legte [[Louis Arndt (Architekt)|Louis Arndt]] in den Jahren 1899/1900 als roten Backsteinbau im [[Gotik|gotischen]] Stil an. Nach Kriegsbeschädigungen erfolgte nach Kriegsende ihr Wiederaufbau. 2002 überließ die Eigentümerin, die ''Evangelische Kirchengemeinde in der [[Berlin-Friedrichstadt|Friedrichstadt]]'', die Kapelle für 30&nbsp;Jahre an eine Gemeinde der [[Bulgarisch-Orthodoxe Kirche|Bulgarisch-Orthodoxen Kirche]] gegen Auflage des Bauunter- und -erhalts. An Ostern 2003 weihte der Bischof der ''Diözese von West- und Mitteleuropa'' die Kapelle als ''Kathedralkirche des [[Boris I. (Bulgarien)|Hl. Zaren Boris des Täufers]]''. Der Verwaltungsbau und das Tor an der Hermannstraße entstanden bereits 1873, der Architekt ist unbekannt. 1877 erfolgte ein Umbau des Verwaltungsgebäudes zur Leichenhalle, den C.&nbsp;Dammeier vornahm.
== Von der Pferdebahn zur U-Bahn ==
[[Bild:Berlin_Neukoelln_6Hermannstrasse.JPG|thumb|220px|U-Bahnhof Hermannstraße]]
Die Poststraße Berlin-Mittenwalde-[[Dresden]], deren Einweihung im Jahr 1712 statt fand, führte über die heutige Hermannstraße. Schon früh begann die Einbindung der bevölkerungsreichen Viertel an der Straße in das Berliner Verkehrsnetz. Am 6. Juni [[1885]] eröffnete die Stadt Rixdorf eine [[Pferdeeisenbahn]]-Linie vom Hermannplatz zur Hermannstraße/Ecke Knesebeckstraße (heute Silbersteinstraße). Betreiber war die ''Pferdebahn der Gemeinde Rixdorf'', die bereits gut zwei Jahre später in der ''Großen Berliner Pferde-Eisenbahn A.-G.'' aufging. Heute führt die [[U-Bahnlinie 8 (Berlin)| U-Bahnlinie 8]], die aus [[Berlin-Wittenau|Wittenau]] kommt, unter der Straße entlang. Über die U-Bahnhöfe ''Hermannplatz'', ''Boddinstraße'' und ''Leinestraße'' verläuft die Linie bis zum Endbahnhof ''Hermannstraße'', der rund einhundert Meter vor dem Übergang der Hermannstraße in den Britzer Damm liegt. An gleicher Stelle kreuzt die [[Berliner Ringbahn]], die hier den stark frequentierten S-Bahnhof Hermannstraße unterhält.


Während der letzten beiden Jahre des [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkriegs]] stand am Westende des Kirchhofs, kurz vor dem ehemaligen [[Flughafen Berlin-Tempelhof|Flughafen Tempelhof]], eine [[Baracke]] für [[Zwangsarbeit in der Zeit des Nationalsozialismus|Zwangsarbeiter]], die auf den umliegenden Friedhöfen arbeiten mussten. Am Standort des Zwangsarbeiterlagers wurde eine Gedenktafel errichtet. 2002 wurde zudem ein Gedenkstein des Berliner Bildhauers [[Rainer Fest]] nahe am Eingang Hermannstraße eingeweiht. Der Gedenkstein wurde später (spätestens 2013) auf den ''Kirchhof der St.-Thomas-Gemeinde II'', Hermannstraße 179–185, umgesetzt (siehe unten Kapitel ''[[#Zwangsarbeiterlager auf dem Kirchhof der Jerusalems- und Neuen Kirche|Zwangsarbeiterlager auf dem Kirchhof der Jerusalems- und Neuen Kirche]]'').
=== S-und Güterbahnhof Hermannstraße ===
==== Ringbahnbau ====
[[Bild:Karte_berlin2b_hermannstrasse.jpg|thumb|280px|left|Hermannstraße zwischen Ringbahn, U-Bahn und [[Neukölln-Mittenwalder Eisenbahn]]]]


Die Kirchhöfe St.&nbsp;Thomas&nbsp;I und Jerusalems- und neue Kirche&nbsp;V dienten zusätzlich gemeinsam als östliche Einflugschneise des ehemaligen Flughafens Tempelhof und waren aus diesem Grund mit Reihen von [[Befeuerung (Luftfahrt)|Leuchtfeuermasten]] durchzogen.
Am 15. November 1877 nahm die Stadt den ersten Teil der [[Berliner Ringbahn]] in Betrieb: die Strecke führte von Moabit, über [[Berlin-Weißensee|Weißensee]], [[Berlin-Neukölln|Rixdorf]] nach [[Berlin-Schöneberg|Schöneberg]]. Am darauffolgenden 1. Januar fuhren die ersten Personenzüge auf der neuen Strecke. Vor allem während des viergleisigen Ausbau zwischen 1887 und 1910 kamen weitere Haltepunkte an der Ringbahn hinzu, darunter auch der Bahnhof an der Rixdorfer Hermannstraße.


'''Zauberladen''', Herrmannstraße 84–90
Am 1. Februar 1899 war der Vorortbahnhof Hermannstraße fertig gestellt, vorerst sollten hier 29 Jahre lang dampfbetriebene Züge fahren. Ein Zugang war damals nur zum Ostende, das heißt in Richtung Bahnhof Neukölln, vorhanden. Ein kleines, mit roten Ziegeln verblendetes Eingangshäuschen empfing die Fahrgäste. 1910 kam ein Eingang von der parallel zur Ringbahn verlaufenden ''Siegfriedstraße'' hinzu. In den darauffolgenden Jahren änderte sich relativ wenig an der Bahnhofsstruktur. Nach der von der Reichsregierung beschlossenen ''Großen Elektrisierung'' sollten auch auf der Ringbahn die rot-gelben S-Bahn-Züge fahren. Während die erste S-Bahnstrecke 1924 nach Bernau führte, dauerte die Aufnahme des S-Bahn-Verkehrs auf der Ringbahn bis zum Jahr 6. November 1928.


Auf dem Friedhofsareal befinden sich weiterhin Baracken, in einer von ihnen hatte seit 1952 das Geschäft [[Zauberkönig]] sein langjähriges Domizil. Der [[Zauberkünstler|Magier]] [[Josef Leichtmann]] hatte 1884 einen Handel mit Zubehör für [[Zauberkunst|Zauberei]] in der [[Friedrichstraße]] eröffnet. Die Tochter übernahm das Geschäft zusammen mit ihrem Ehemann Arthur Kroner, musste aber 1938 an einen [[Arier|arischen]] Betreiber übergeben, weil die Leichtmanns und die Kroners [[Judentum|Juden]] waren. Die frühere Angestellte Regina Schmidt wurde Inhaberin.
==== Die Rixdorf-Mittenwalder Eisenbahn ====


Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der [[Viersektorenstadt|Teilung der Stadt in vier Sektoren]] zog Regina Schmidt aus dem [[Ost-Berlin|Ostteil Berlins]] an einen neuen Standort in Neukölln, in eine der rasch errichteten Behelfsbauten. Nach Schmidts Tod übernahmen wieder Familienmitglieder die Geschäfte. Ab den späten 2010er Jahren wurde bekannt, dass die kirchlichen Grundstückseigentümer anstelle der Baracken neue Gebäude errichten lassen wollen, betrieben von einer gemeinnützigen Stiftung. So musste ''Zauberkönig'' im Sommer 2018 schließen, bekam aber die Möglichkeit, schräg gegenüber in der gleichen Straße neu eröffnen zu können.<ref>[https://www.bz-berlin.de/berlin/neukoelln/nach-65-jahren-zauberkoenig-verschwindet-vorerst-aus-der-Hermannstrasse ''Nach 65 Jahren: Zauberkönig verschwindet vorerst aus der Herrmannstraße''.] Auf: ''[[B.Z.|bz-berlin.de]]''</ref><ref>Silvia Perdoni: ''Aus der Zauber''. In: ''[[Berliner Zeitung]]'', 8. Mai 2018, S.&nbsp;10.</ref>
Im Jahr 1895 gründeten [[Mittenwalde (Mark)|Mittenwalder]] Bürger um den Gutsbesitzer ''Richter-Falkenberg'' das so genanntes „Bahn-Comité“ mit dem Ziel, eine Kleinbahnverbindung zwischen dem Berliner Vorort Rixdorf und der märkischen Kleinstadt zu bauen. Der Grund lag darin, dass bereits gebaute Bahnstrecken wie die [[Dresdener Bahn]] und [[Görlitzer Bahn]] nur mühsam per Pferdekutschen zu erreichen waren und nicht das Stadtzentrum Mittenwaldes erschlossen. Für den Bau der Verbindung errechnete das Comité nach einem Kostenvoranschlag einen Preis von rund zwei Millionen Goldmark, den die Mittenwalder Mitglieder nicht aufbringen konnten. Deshalb suchte sich das Comité mit der Gesellschaft [[Vering & Waechter]] einen finanziell gut ausgestatteten Partner. Die Gesellschaft war eine vom [[Kommerzienrat]] [[Carl Vering]] und vom „Königlich Preußischen Baurat“ [[Carl Waechter]] gegründete Firma, die überall in Deutschland neue Eisenbahnstrecken baute. Das Bahn-Comité aus Mittenwalde übertrug die komplette Planung und Bausauführung an Vering und Waechter.


[[Datei:Grabstein Bruno Bauer.JPG|mini|hochkant|[[Ehrengrab]] für [[Bruno Bauer]] auf dem Neuen St.-Jacobi-Kirchhof. Inschrift:<br />„Er war ein Bürger Rixdorfs“]]
Am 23. Februar 1899 kam es zur Gründung der ''Rixdorf-Mittenwalder Eisenbahn Aktiengesellschaft'', deren Startkapital bei gut 1.700.000 Goldmark lag und die, unter leicht verändertem Namen, noch heute existiert. Die Eisenbahningenieure planten eine 27 Kilometer lange Strecke mit den neun Bahnhöfen Mittenwalde Nord, Brusendorf, [[Blankenfelde-Mahlow|Groß Kienitz]], [[Schönefeld (bei Berlin)|Selchow]], [[Schönefeld (bei Berlin)|Schönefeld]], Rudow, Buckow, Britz und dem Endbahnhof Hermannstraße.


'''Neuer Kirchhof der St.-Jacobi-Gemeinde''', Hermannstraße 99–105 (Westseite)
Durch den Bau des Ringbahnhofes Hermannstraße mussten ''Vering & Waechter'' die Pläne noch einmal komplett umstellen, was zu dem Bau eines großen Umsteigepunktes zwischen der Ringbahn der Deutschen Reichsbahn und der Rixdorf-Mittenwalder Eisenbahn (RME) führte. Die Zwischenstation Britz wurde zu einer Betriebsstation umgebaut, so war dieser Bahnhof nun Hauptpunkt der Strecke. Nach einem raschen Baufortschritt konnte der damals zuständige Potsdamer Regierungspräsident bereits am 21. Juli 1899 die [[Betriebsgenehmigung]] für die Strecke erteilen. Dennoch eröffnete erst am 28. September 1900 ein Sonderzug von Mittenwalde nach Rixdorf die neue Kleinbahn, deren Vollendung die örtlichen [[Honoratioren]] gebührend feierten. Bereits vier Jahre später erfolgte eine Verlängerung von ''Mittenwalde Nord'' nach ''Schöneiche Plan''.


Der Neue Kirchhof der [[St. Jacobikirche (Berlin)|St.-Jacobi-Gemeinde]] aus dem Jahr 1867 verfügt über eine Fläche von 74.048&nbsp;m², eine zentrale Lindenallee mit mehreren Rondellen und fünf Querwege.
Die Umbenennung von Rixdorf zu Neukölln im Jahr 1912 fand ihren Niederschlag auch im Namen der Eisenbahnstrecke, die seitdem ''[[Neukölln-Mittenwalder Eisenbahn]]'' heißt.


Das Baujahr und der Architekt der im [[Romantik|romantischen]] Stil gehaltenen asymmetrischen [[Friedhofskapelle|Kapelle]] sind nicht bekannt. Sie hat eine Fassade aus gelben Verblendziegeln im [[Kreuzverbund]] und besitzt eine halbkreisförmige [[Apsis]] sowie mehrere flache Nebengebäude. Im Krieg beschädigt kam es 1952 zum Wiederaufbau der Kapelle.
==== Zweiter Weltkrieg und spätere Bahnhofsschließung ====
Der gut zehn Jahre später beginnende Zweite Weltkrieg hatte weitreichende Folgen für das Bahnnetz der Reichshauptstadt. Während der Bahnhof von Bombentreffern verschont blieb, kam es zu schweren Beschädigungen des Eingangsgebäudes, als die Kampfhandlungen bereits in Berlin stattfanden. Die Einstellung des Betriebs an der Station Hermannstraße erfolgte im April 1945. Anschließend waren gelegentlich Dampfzüge auf der Strecke unterwegs und die ersten Regelzüge fuhren wieder am 18. Juni 1945.


Auf dem St.&nbsp;Jacobi-Kirchhof befindet sich das Grab des Theologen [[Bruno Bauer]] (1809–1882), dessen Arbeiten [[Karl Marx]] und [[Friedrich Engels]] in ''Die Deutsche Ideologie'' (1845/1846) [[Polemik|polemisch]] kritisierten („Sankt Bruno“). Der Grabstein trägt die Inschrift: „Er war ein Bürger Rixdorfs“.
Die Mittenwalder Eisenbahn jedoch hatte zu Kriegszeiten durch Rüstungstransporte eine hervorragende Auslastung, die im Jahr 1942/43 mit einer [[Güterverkehr|Güterbeförderung]] von über einer Million Tonnen sowie Fahrgastzahlen von gut 3 Millionen ihren Höhepunkt erreichte.
Nach dem Krieg kam es wegen der gesprengten [[Teltowkanal|Teltowkanalbrücke]] vorübergehend zur Einstellung des Betriebs. Schon kurz darauf machten Pioniere der [[Rote Armee|Roten Armee]] die Teltowkanalbrücke behelfsmäßig befahrbar, sodass ab dem 17. Mai 1945 (!) wieder Gütertransporte aufgenommen werden konnten. Im September 1946 erfolgte eine [[Enteignung]] durch die sowjetischen Machthaber, die jedoch nur für den brandenburgischen Teil der Bahnstrecke wirksam war. Die Betriebsführung für diesen Abschnitt erhielt per [[SMAD]]-Befehl die Brandenburgische Landesbahn. Der Berliner Innenstadtteil der Strecke betrug damit nur noch 11,5 Kilometer Hauptgleis sowie einige Nebengleisanlagen.


In [[Theodor Fontane]]s Roman ''[[Irrungen, Wirrungen]]'' (1888 erschienen, spielt in Berlin um 1880) wird dieser Friedhof im 22.&nbsp;Kapitel erwähnt. Botho von Rienäcker, [[Protagonist]] dieser Geschichte, besucht hier das Grab der Ziehmutter seiner Geliebten, Lene Nimptsch. Im Roman wird im 21.&nbsp;Kapitel auch die Anfahrt recht ausführlich beschrieben: Über Kreuzberg geht es dann an der [[Volkspark Hasenheide|Hasenheide]], dem [[Rollkrug]] und dem überfüllten [[#Nördlicher Bereich, ein Kirchhof|Alten Kirchhof der St.&nbsp;Jacobi-Gemeinde]] vorbei, die Hermannstraße hinunter.
Die [[Berlin-Blockade]] von 1948/49 hatte erheblichen Einfluss auf die NME-Strecke sowie die S-Bahn. Sowjetische Soldaten trennten die Gleise der Neukölln-Mittenwalder Eisenbahn an der Sektorengrenze [[Sowjetische Besatzungszone|Sowjetische]]/[[Amerikanische Besatzungszone|Amerikanische Zone]]. Damit war der Betrieb außerhalb Berlins endgültig nicht mehr in den Händen der NME-Gesellschaft. Dies führte jedoch nicht zum wirtschaftlichen Niedergang für die kurze Strecke innerhalb der Stadt. Denn 1936 hatte die Gesellschaft eine fünf Kilometer lange Verlängerung zum Flughafen Tempelhof angelegt, über die nun – unter Umgehung der durch die DDR betriebenen Reichsbahn – die durch [[Berliner Luftbrücke|Amerikaner eingeflogene]] Kohle sofort an die Versorgungsbetriebe weitergeleitet werden konnte.


===== Südlicher Bereich, ein Kirchhof =====
Die Auswirkungen der Berlin-Blockade auf die S-Bahn waren relativ gering. Zwar wurden die sektorenübschreitenden Strecken stillgelegt, der Betrieb jedoch lief wie gewohnt ab. Denn Betreiberin der S-Bahn war die DDR-Reichsbahn, die auch in dieser Zeit eine ausreichende Stromversorgung erhielt. Nach der Spaltung Berlins verkehrte die S-Bahn also, jetzt unter der Regie der [[Deutsche Reichsbahn|Deutschen Reichsbahn]], weiter. Allerdings gab es einen auf die Streckenführung zwischen [[Bahnhof Berlin Gesundbrunnen|Gesundbrunnen]] und [[Sonnenallee]] beziehungsweise [[Köllnische Heide]] verkürzten Betrieb. Diese Einschränkung führte dazu, dass der [[Deutscher Gewerkschaftsbund|Deutsche Gewerkschaftsbund]], unterstützt durch weitere Organisationen, zu einem Fahrgastboykott der „DDR-S-Bahn“ aufrief, der Erfolg hatte und zum wirtschaftlichen Niedergang der S-Bahn in West-Berlin führte.
'''Kirchhof der Emmausgemeinde''', Hermannstraße 129–137 (Westseite)


Das Gartendenkmal ''Emmauskirchhof'' der [[Emmauskirche (Berlin)|gleichnamigen Gemeinde]] aus dem Jahr 1888 liegt am Südende der Hermannstraße kurz vor ihrem Übergang in den Britzer Damm, parallel zum neuen Autobahntunnel Richtung Westen (siehe unten [[#Radverkehr|Kapitel Radverkehr]]).
[[Bild:Berlin_Neukoelln_7Hermannstrasse.JPG|thumb|right|220px|Der S-Bahnhof Hermannstraße - seit 1993 fahren hier wieder die rot-gelben S-Bahnen]]
[[Bild:S-Bahn Berlin Hermannstrasse.JPG|thumb|right|220px|S-Bahnhof, Bahnsteig]]


Der Friedhof ist zugleich der jüngste und mit 128.781&nbsp;m² der größte Kirchhof an der Hermannstraße. Der Baumeister der Kapelle aus der Zeit um 1900 ist unbekannt. Stilistisch ist das Gebäude im Übergangsbereich zwischen [[Romantik]] und [[Gotik]] einzuordnen. Es handelt sich um einen unregelmäßigen Bau mit roter Ziegelfassade und grauen Putzflächen, die als Blenden und Bänder die Fassade strukturieren. Auf dem Dach steht ein [[Dachreiter]] mit [[Helm|Spitzhelm]]. Der Innenraum ist dreischiffig, wobei das [[Kirchenschiff|Mittelschiff]] mit einem [[Kreuzgewölbe]] und einer Halbkreisapsis ausgestattet ist. Die [[Seitenschiff]]e besitzen [[Tonnengewölbe|Spitztonnengewölbe]] und an den Säulen befinden sich romanische Figuren[[kapitell]]e.
1961, im Jahr der Teilung Berlins, schlossen die Behörden am historischen Bahnhof Hermannstraße den 1910 eröffneten Eingang zur Siegfriedstraße, im Oktober 1976 folgte
der Abriss. Zwar ließ die Deutsche Reichsbahn das zerstörte Empfangsgebäude bis 1968/69 sanieren, jedoch bereits im Jahr 1971 erneut abreißen und durch einen schlichten Neubau im Stil der 70er Jahre ersetzen. Im September 1980 streikten die Mitarbeiter der West-Berliner S-Bahn aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen. Die Deutsche Reichsbahn reagierte mit einer Quasi-Kompletteinstellung des S-Bahnnetzes im Westen. Nur noch wenige Strecken waren in Betrieb – die Ringbahn mit dem Bahnhof Hermannstraße gehörte ''nicht'' dazu.


Hier ist [[Walter Bromme]] (1885–1943) bestattet, der in den [[Goldene Zwanziger|Goldenen Zwanzigern]] beliebte [[Operette]]n und [[Schlager]] komponierte und in der Spielzeit 1923/1924 zeitweilig als Direktor des [[Komische Oper Berlin|Metropol-Theaters]] in der Behrenstraße fungierte. Die Operetten Brommes reichten von ''Die Dame im Frack'' (1919) über ''Dolly'' (1924) bis zu ''Spiel nicht mit der Liebe'' (1934).
Nicht betroffen von diesen Vorgängen war die West-Berliner NME-Strecke. Mit dem Bau des [[Heizkraftwerk]]es Rudow durch die [[Bewag (Berlin)|Bewag]] bekam die Gesellschaft sogar einen neuen Großauftrag zur Beförderung von [[Kesselwagen]] zum ''Hafen Britz'', in die ''Gradestraße'' und nach Rudow selbst, der noch heute Bestand hat und für Auslastung der Züge sorgt.


==== Zwangsarbeiterlager auf dem Kirchhof der Jerusalems- und Neuen Kirche ====
==== Neuer Start 1993 ====
{{Anker|Zwangsarbeiter}}
Der Bahnhof und mit ihm die gesamte Ringbahn fielen in einen „Dornröschenschlaf“. Auch die Übergabe der S-Bahn von der Reichsbahn an die [[BVG]] änderte daran vorerst nichts. Im Jahr 1989 – die S-Bahn gewann in West-Berlin zunehmend an Popularität – begannen die ersten Arbeiten für die Reaktivierung der Ringbahn. Die Strecke sollte von Westend nach Köllnische Heide fahren, die fehlenden Abschnitte zur Sonnenallee und nach Gesundbrunnen sollten später folgen. Die Ereignisse des November 1989 und die [[Deutsche Wiedervereinigung|Wiedervereinigung]] änderten die S-Bahn-Planungen.
[[Datei:Gedenktafel Netzestr 1 (Neukö) Zwangsarbeiterlager.jpg|mini|[[Gedenktafel]], Netzestraße 1, in [[Berlin-Neukölln]]]]
[[Datei:Berlin Neukoelln 11Hermannstrasse.JPG|mini|Gedenkstein für die [[Zwangsarbeit in der Zeit des Nationalsozialismus|Zwangsarbeiter]]]]


In den letzten Jahren des 20.&nbsp;Jahrhunderts wurde im Zusammenhang mit den Nachforschungen für den Entschädigungsfonds für [[Zwangsarbeit in der Zeit des Nationalsozialismus|Zwangsarbeiter]] bekannt, dass die Kirchen in Deutschland während des [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkriegs]] in erheblichem Ausmaß Zwangsarbeiter angefordert und deutschlandweit beschäftigt hatten.<ref>Informationssäule im Kirchhof der Jerusalems- und Neuen Kirche mit acht Bild- und Schrifttafeln. Die Zitate von Kudrenko sind diesen Tafeln entnommen.</ref> Im Sommer 2000 räumte der Berlin-Brandenburgische Bischof [[Wolfgang Huber]] ein, dass in Berlin auf dem ''Kirchhof der Jerusalems- und Neuen Kirche'' an der Hermannstraße 84–90 in den letzten drei Kriegsjahren ein Barackenlager für rund 100 Zwangsarbeiter bestand, die überwiegend zur Grabpflege und zur [[Bestattung]] von Bombenopfern zum Einsatz kamen. Es waren 39 evangelische und drei katholische Gemeinden, die sich aus dem Friedhofslager mit Bestattern versorgten. Die Kirchen sollen zudem die Ermordung von Kindern der Arbeiter stillschweigend in Kauf genommen haben. Mit aktiver Unterstützung der obersten Kirchenleitung bekam dieses ''Friedhofslager'' eine sogenannte „Rüstungsnummer“ und war damit als „kriegswichtig“ anerkannt. Der Leiter des Lagers, Gustav Weniger (ein Mitglied der [[Bekennende Kirche|Bekennenden Kirche]]), war Angestellter des evangelischen Stadtsynodalverbands. Die rechtlosen Zwangsarbeiter waren ihm als Lagerleiter und der Gestapo schutzlos ausgeliefert, jedoch kam unter ihm kein Häftling zu Tode.<ref>Bodo Bost: ''Das vergessene Friedhofslager''. In: ''Christ in der Gegenwart'', CIG, Nr. 45/2014, S.&nbsp;515</ref>
Der für 1992 geplante Start der Ringbahn verzögerte sich um ein Jahr. Die BVG verlängerte die Strecke im Südosten von ''Köllnische Heide'' bis zum Bahnhof [[Berlin-Baumschulenweg|Baumschulenweg]], einen Ost-Berliner-S-Bahnhof. Der Bahnhof Hermannstraße wurde komplett umgebaut und unter die Hermannstraßenbrücke gesetzt, sodass heute kaum noch Spuren der historischen Station vorhanden sind. Die beiden Empfangsgebäude, die direkt in die Hermannstraße münden, bekamen einen Anstrich mit zwei Farben – blau und grün. Diese Farbgebung in Anlehnung an die „Farben“ der U- und S-Bahn sollte symbolisieren, dass hier ein wichtiger Knotenpunkt entstand, denn die U-Bahn unter der Hermannstraße sollte eine Verlängerung vom bisherigen Endpunkt ''U-Bahnhof Leinestraße'' bis zum S-Bahnhof Hermannstraße bekommen. Nach gut 60 jährigem Baustopp war der U-Bahn-Anschluss an die Ringbahn und damit an das S-Bahn-Netz mit der Eröffnung am 13. Juli 1996 hergestellt.


Die [[Evangelische Kirche in Deutschland]] (EKD) hat dazu ein [[Schuldbekenntnis]] abgelegt, außerdem beteiligten sich die Kirchen an Entschädigungszahlungen.
Die feierliche Einweihung fand am 17. Dezember 1993 mit einer Parallelfahrt von zwei Zügen der Baureihe 485 statt. Seit diesem Zeitpunkt fahren zwei neue S-Bahnlinien, die S45 vom Flughafen Schönefeld und die S46 von [[Königs Wusterhausen]], auf dem neuen Ring. Heute befahren mit (S45, S46, S47) drei S-Bahnlinien, die aus dem Südosten kommen, den Ring. Hinzu kommen die beiden „Ringlinien“ (S41 und S42). Hinter dem Bahnhof Hermannstraße befindet sich eine neue zweigleisige Kehranlage, auf der die Züge vom [[Flughafen Berlin-Schönefeld|Flughafen Schönefeld]] in der [[Nebenverkehrszeit]] enden.


Unter welchen Gräuel und Entbehrungen die überwiegend [[Sowjetunion|russischen]] und [[Ukraine|ukrainischen]] Arbeiter, in der [[Zeit des Nationalsozialismus|nationalsozialistischen]] Ideologie „[[Slawen|slawische]] Untermenschen“, litten, beschreibt Wasyl Timofejewitsch Kudrenko, der mit 16&nbsp;Jahren aus der Ukraine nach Berlin verschleppt wurde und im Jahr 2005 ein Tagebuch über den Alltag und das Überleben im Lager veröffentlichte. Darin heißt es: „Die schweren Bomben fielen auf den Friedhof und schleuderten die zuvor Begrabenen wieder empor&nbsp;[…] Leichenteile, Eingeweide&nbsp;– alles auf dem Baum&nbsp;– schrecklich. Es war ein Horror. Wir ‚[[Ostarbeiter]]‘ legten sie in die Gräber zurück. Aber nicht jeder konnte das ertragen, psychisch aushalten.“
Die Wende bedeutete aber auch für die Neukölln-Mittenwalder Eisenbahn große Veränderungen. So beschloss die Berliner Stadtreinigung, in Übereinstimmung mit einem Senatsbeschluss, den Haushaltsmüll nur noch per Eisenbahn zu befördern. Das hatte zur Folge, dass Müllcontainer seitdem von der BSR-Verladestation am Teltowkanal zum Bahnhof Hermannstraße gebracht werden, wo sie von der DB Cargo weitertransportiert werden. Somit war die Neukölln-Mittenwalder Eisenbahn wieder in ihrem ursprünglichen Geschäftsfeld – dem Güterverkehr – aktiv geworden.


Die Zwangsarbeiter litten unter ständiger Todesangst, denn das Lager lag unmittelbar neben dem kriegswichtigen Flughafen Tempelhof, der besonderes Ziel der Flüge der [[Alliierte#Zweiter Weltkrieg|Alliierten]] war. Kudrenko schreibt: „Wir suchten bei den Angriffen dort Schutz, wo der Alarm uns überraschte: zwischen den Särgen, in der Kanalisation, in Rohren“. Mehrfach kam es zu Bombentreffern im Barackenlager, im Jahr 1944 brannte es in kürzester Zeit vollständig aus. Zuflucht zu [[Schutzraum|Schutzräumen]] war den Zwangsarbeitern verwehrt.
Im Dezember 2005 gab das [http://www.berlin.de/ba-neukoelln/verwaltung/bebauungsplaene/8-19.html Bezirksamt Neukölln bekannt], dass Teile der Fläche des Güterbahnhofes zu einem kleinen Gewerbegebiet umgebaut werden sollen. Betroffen sind ungenutzte Gleise, der Betrieb der NME wird zukünftig am Bahnhof Hermannstraße abgewickelt.


Zwangsarbeiter im Alter zwischen 53 und 64&nbsp;Jahren kamen namentlich als „wegen ihres körperlichen Zustandes nicht mehr verwendbar“ auf eine Liste und wurden in ein Sammellager abgeschoben. In dem Lager fand mit einiger Sicherheit keinerlei medizinische Versorgung mehr statt, zudem gab es hier so gut wie keine Ernährung&nbsp;– eine hohe Sterblichkeitsrate war die Folge. Das Kriegsende befreite die Überlebenden im Sammellager und auf dem Kirchhof.
=== U-Bahnhof Hermannstraße ===
[[Bild:U-Bahn Berlin Hermannstraße 1.JPG|thumb|right|220px|Der Endbahnhof der Linie U8 - Hermannstraße]]
[[Bild:U-Bahn Berlin Hermannstraße 2.JPG|thumb|right|220px|Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Rohbau der Station Hermannstraße in einen Luftschutzbunker umgebaut – einige Relikte sind noch heute zu sehen.]]
Im Jahr 1927 eröffnete die Stadt Berlin, zu der Neukölln seit sieben Jahren zählte, die erste Teilstrecke der damaligen U-Bahnlinie D, heute [[U-Bahnlinie 8 (Berlin)| U-Bahnlinie 8]], zwischen ''Schönleinstraße'' und ''Boddinstraße''. Die Ausdehnung auf die Strecke Gesundbrunnen – Leinestraße erfolgte etappenweise in den folgenden drei Jahren. Baupläne für eine U-Bahn zum S-Bahnhof Hermannstraße gab es bereits seit 1910. 1929 begannen die ersten Arbeiten in Richtung Süden, damals war die Fertigstellung für März 1930 geplant, doch die [[Wirtschaftskrise]] verhinderte die weitere Ausführung. 1931 stellte die Stadt [[Berlin]] als Bauherr die Arbeiten endgültig ein. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Tunnel zum Bahnhof ''Leinestraße'' und mit 23 Metern etwa ein Fünftel des zukünftigen Bahnsteigs fertig gestellt.


Eine Informationssäule (ehemals im ''Kirchhof der Jerusalems- und Neuen Kirche'') mit acht Bild- und Schrifttafeln listet alle beteiligten Berliner Gemeinden auf. Die Tafeln verzeichnen ferner die Namen der 96 Zwangsarbeiter, die namentlich bekannt sind. 2002 wurde, gleichfalls im ''Kirchhof der Jerusalems- und Neuen Kirche'', ein Gedenkstein des Berliner Bildhauers [[Rainer Fest]] eingeweiht, der auf der Oberfläche die beteiligten Gemeinden per [[Gravur]] festhält. Eine Schicht des [[Findling]]s, aus dem der Stein gearbeitet ist, schnitt Fest heraus und teilte sie in 42 Einzelteile&nbsp;– mit je einem Namen der beteiligten Gemeinden. Jede Gemeinde erhielt zur Erinnerung an ihre Verantwortung „ihren“ Stein, eine Verantwortung, die sich an der Oberfläche des Gedenksteins mit allen Namen zur Gesamtverantwortung zusammenfügt. Der Gedenkstein und die Informationssäule wurden später (spätestens 2013) auf den ''Kirchhof der St.-Thomas-Gemeinde II'' in der Hermannstraße 179–185 umgesetzt.<ref>Der Informationssäule entstammt ein Großteil der Informationen für diesen Abschnitt. Die Zitate von Kudrenko sind diesen Tafeln entnommen.</ref>
Die tiefe Lage aufgrund der Unterquerung der [[S-Bahn Berlin|S-Bahn]] prädestinierte den noch im Rohbau befindlichen Bahnhof zum Ausbau als [[Luftschutzbunker]], zu dem es im Jahr 1940 kam. Noch heute erinnern Relikte an diesen Bunker. Nach [[1961]] verfolgte der Senat die Verlängerungspläne nicht weiter, da eine Umsteigeverknüpfung mit der von der zur DDR gehörenden Reichsbahn betriebenen S-Bahn nicht erwünscht war. Den bereits errichteten Tunnel benutzte die [[BVG]] als Abstellanlage für nicht mehr gebrauchte Züge.


=== Weitere Zwangsarbeiterlager ===
Nach der Wiedervereinigung kam es zur Verwirklichung der alten Pläne mit der Zusammenführung von U- und S-Bahn am Bahnhof Hermannplatz. Die für den [[17. Dezember]] [[1993]] vorgesehene Wiederöffnung des S-Bahnrings, den die Deutsche Reichsbahn 1980 nach einem S-Bahnerstreik still gelegt hatte, setzte den Senat und die BVG unter Zeitdruck, denn die Bauarbeiten des U-Bahnhofes mussten vor der Wiedereröffnung des S-Bahnrings beginnen. Die Arbeiten umfassten die Sanierung des Altbautunnels und des schon vorhandenen Bahnsteigs, den Neubau des restlichen Bahnsteigs und die Errichtung einer 320 Meter langen Kehranlage. Außerdem waren Übergänge zum darüber liegenden S-Bahnsteig sowie mögliche Treppen zu einem geplanten Regionalbahnhof zu berücksichtigen.
Neben dem kirchlichen Zwangsarbeiterlager Hermannstraße 84–90 sind mittlerweile acht weitere Zwangsarbeiterlager bekannt:


* Hermannstraße 27. Das Lager ist in einem von [[Belgier]]n erstellten Katalog enthalten, das Lager auflistet, in denen Landsleute untergebracht waren.<ref>Arolsen Archives, 2.3.5.1. / 82368703.</ref>
Am [[13. Juli]] [[1996]] feierte Berlin die Eröffnung des 168. U-Bahnhofs, des U-Bahnhofs Hermannstraße. Wie bei fast allen Bahnhofsneubauten der jüngeren Zeit war [[Rainer Gerhard Rümmler]], übrigens zum letzten Mal, für die Gestaltung des Bahnhofes zuständig. Er orientierte sich in der Gestaltung weitgehend an den Bahnhöfen, die vor der Hermannstraße liegen und die [[Alfred Grenander]] konzipiert hatte. Sein Entwurf führte zu einem sehr sachlichen, mit türkisen Fliesen versehenen Bahnhof. An verschiedenen Aussparungen der Fliesenwände erinnern Tafeln mit den erhaltenen historischen Bunkerhinweisen an einen Teil der Baugeschichte.
* Hermannstraße 110. Lager von [[Mix & Genest]], [[Berlin-Schöneberg|Schöneberg]] (Geneststraße 5) für Belgier, [[Franzosen]]. [[Kroaten]], [[Serben]].<ref>Landesarchiv Berlin, C Rep. 375-01-08, Nr. 7818, Lagerliste des Hauptgesundheitsamtes, Neukölln, Nr. 26 / Arolsen Archives, 2.1.5.1 / 135 und 203 / Arolsen Archives, 2.3.5.1. / 82368703.</ref>
* Hermannstraße 110. Dort gab es im März 1945 auch ein ‚Lager Otto Nettelbeck‘.<ref>Arolsen Archives, 2.1.5.1. / 135:68</ref>
* Hermannstraße 111. Lager der Reichsbahn ab 1939.<ref>Arolsen Archives, 2.1.5.1. / 139:14, 216: 189 und 190</ref>
* Hermannstraße 159. Lager der [[Gaubschat Fahrzeugwerke|Gaubschat GmbH]] für Angehörige verschiedener Nationen.<ref>Landesarchiv Berlin, C Rep. 375-01-08, Nr. 7818, Lagerliste des Hauptgesundheitsamtes, Neukölln, Nr. 27</ref>
* Hermannstraße 159a. Lager der [[Opel|Adam Opel AG]] (Berlin W&#8239;35, [[Kurfürstendamm]] 207/208). Spätestens ab Anfang 1943 lebten hier [[Niederländer|Holländer]], Franzosen und [[Tscheche]]n.<ref>Landesarchiv Berlin, C Rep. 375-01-08, Nr. 7818, Lagerliste des Hauptgesundheitsamtes, Neukölln, Nr. 28.</ref>
* Hermannstraße 200. Spätestens ab Februar 1943 waren hier Holländer untergebracht.<ref>Arolsen Archives, 2.1.5.1. / 135: 97 und 104.</ref>
* Hermannstraße 216–219. Vermutlich Lager der [[Berliner Kindl|Kindl-Brauerei]] für Französinnen und Ostarbeiterinnen,<ref>Arolsen Archives, 2.1.5.1. / 135, 192, 214, 217.</ref>


== Verkehr ==
== Individualverkehr in der Hermannstraße ==
=== Autoverkehr ===
=== Öffentlicher Verkehr ===
[[Datei:Karte berlin2b hermannstrasse.jpg|mini|Lage des [[Bahnhof Berlin Hermannstraße|Bahnhofs Hermannstraße]]]]
Trotz der ausgezeichneten Einbindung in den [[Öffentlicher Personennahverkehr|Öffentlichen Personennahverkehr]] der Stadt mit U- und S-Bahn ist die Hermannstraße aufgrund ihrer Struktur nicht in der Lage, den Verkehr des bevölkerungsreichen Ballungsgebietes zufriedenstellend aufzunehmen; eine Erweiterung der Straße ist aufgrund der dichten Bebauung kaum möglich.
[[Datei:Berlin Neukoelln 6Hermannstrasse.JPG|mini|Eingang zum U-Bahnhof Hermannstraße]]


Die Poststraße Berlin – Mittenwalde – [[Dresden]], deren Einweihung im Jahr 1712 stattfand, führte über die heutige Hermannstraße. Schon früh begann die Einbindung der bevölkerungsreichen Viertel an der Straße in das Berliner Verkehrsnetz. Am 13.&nbsp;Juni 1885 eröffnete die Stadt Rixdorf eine [[Pferdebahn]]linie vom Hermannplatz zur Hermannstraße Ecke Knesebeckstraße (heute: [[Liste der Straßen und Plätze in Berlin-Neukölln#Silbersteinstraße*|Silbersteinstraße]]). Betreiber war die [[Große Berliner Pferde-Eisenbahn]], die die Strecke zwei Jahre später auch erwarb.<ref>{{Literatur |Autor=Michael Kochems |Titel=Straßen- und Stadtbahnen in Deutschland. Band 14: Berlin – Teil 2. Straßenbahn, O-Bus |Verlag=EK-Verlag |Ort=Freiburg im Breisgau |Datum=2013 |ISBN=978-3-88255-395-6 |Seiten=163}}</ref> Die aus [[Berlin-Wittenau|Wittenau]] kommende [[U-Bahn-Linie 8 (Berlin)|U-Bahn-Linie&nbsp;U8]] führt unter der Straße entlang. Über die U-Bahnhöfe [[U-Bahnhof Hermannplatz|Hermannplatz]], [[U-Bahnhof Boddinstraße|Boddinstraße]] und [[U-Bahnhof Leinestraße|Leinestraße]] verläuft die Linie bis zum 1996 eröffneten Endbahnhof [[Bahnhof Berlin Hermannstraße#U-Bahnhof|Hermannstraße]], der rund 500&nbsp;Meter vor dem Übergang der Hermannstraße in den Britzer Damm liegt. An gleicher Stelle kreuzt die [[Berliner Ringbahn|Ringbahn]], die hier den stark frequentierten [[Bahnhof Berlin Hermannstraße|S-Bahnhof Hermannstraße]] unterhält.
Die [[Verkehrsdichte|Dichte]] des [[Individualverkehr]]s liegt nicht höher als bei ähnlich stark frequentierten Straßen. Ferner hat die Anbindung an die [[Berliner Stadtring|Bundesautobahn100 (Berliner Stadtring)]] mit der [[Anschlussstelle (Autobahn)|Anschlussstelle]] ''Britzer Damm'' im Jahr 2000 zu einer spürbaren Entlastung des [[Durchgangsverkehr]]s nach Britz und Buckow geführt. Dennoch fließt der Verkehr nach wie vor überaus zähflüssig durch die Straße und ihr Durchfahren bringt für die Verkehrsteilnehmer eine hohe [[Stress|Stressbelastung]] mit sich. Gründe dafür sind:


Die Ringbahn kreuzt seit November 1877 die Hermannstraße. Allerdings wurde erst im Zuge des [[Mehrgleisigkeit|viergleisigen]] Ausbaus der Ringbahn zwischen 1887 und 1910 der Bahnhof an der Rixdorfer Hermannstraße erbaut und am 1.&nbsp;Februar 1899 eröffnet. Die Hermannstraße war damit zunächst über [[Dampflokomotive|dampfbetriebene]] Züge, ab 1928 per „[[Geschichte der Berliner S-Bahn#Die „Große Elektrisierung“ (1924–1933)|elektrischer S-Bahn]]“ ans Eisenbahnnetz angeschlossen.
Die vier Spuren und zwei Parkstreifen sind unterbrochen durch mehrere [[Verkehrsinsel]]n für U-Bahnhöfe und Bushaltestellen, an denen sich die Fahrbahn verengt. Die hohe Zahl der Nebenstraßen nimmt die Links- und Rechtsabbieger nur schleppend auf, da das große Fußgängeraufkommen in den Ampelgrünphasen nur wenige Autos passieren lässt. Die Ampelanlagen folgen in einigen Abschnitten überaus kurz hintereinander. Die dichte Bebauung mit Wohnblocks und Geschäften lässt sowohl Anwohner wie Lieferanten sehr häufig in der zweiten Spur halten oder kurzzeitig parken. Insgesamt führen diese Faktoren dazu, dass die Fahrt durch die Hermannstraße insbesondere in den [[Hauptverkehrszeit]]en in der Regel einem Slalomrennen gleicht. Ein Ausweichen ist so gut wie unmöglich, denn der Verkehr fließt in der parallelen Karl-Marx-Straße nicht viel anders. Und die Straßen der östlichen Kiezgebiete führen aufgrund ihrer Insellagen zum Teil wieder zurück auf die Hermannstraße und bieten durch die Abtrennungen durch die Kirchhöfe keine abkürzenden Durchfahrten; zudem unterliegen sämtliche angrenzenden Wohnviertel der
[[Tempolimit|Geschwindigkeitsbegrenzung]] auf 30 km/h.


Am 28. September 1900 erfolgte am Bahnhof Hermannstraße die Verknüpfung mit der [[Neukölln-Mittenwalder Eisenbahn]] (NME; bis 1919: ''Rixdorf-Mittenwalder Eisenbahn''), die einen eigenen Personenbahnsteig erhielt. Nach dem Zweiten Weltkrieg verlor deren [[Reisezug]]verkehr an Bedeutung, auf Berliner Gebiet wurde er am 1.&nbsp;Mai 1955 eingestellt.<ref>Bodo Schulz/, Michael Krolop: ''Die Privat- und Werkbahnen in Berlin (West)''. S.&nbsp;71</ref> Im Güterverkehr ist die NME nach wie vor tätig.<ref>[http://www.nmeg.de/ Homepage der NME], abgerufen am 29. Januar 2014</ref> Der S-Bahn-Verkehr am Bahnhof Hermannstraße ruhte von 1980 bis 1993.
Dieser Stop- and Go-Verkehr verursacht für Anwohner und Verkehrsteilnehmer eine hohe [[Straßenverkehrslärm|Lärmbelästigung]] und Gefährdung durch [[Schadstoff|Schadstoffkonzentrationen]].


→ ''Siehe auch: [[Bahnhof Berlin Hermannstraße]]''
=== Radfahrer ===
Die umweltbelastete Slalomstrecke verfügt lediglich im unteren Teil zwischen Hermannplatz und U-Bahnhof Boddinstraße über einen [[Radweg|Fahrradweg]]. Die übrigen Straßenbereiche sind für Radfahrer nicht zu empfehlen. Dennoch gibt es im Ballungsgebiet Hermannstraße eine außerordentlich angenehme und sogar – mitten in der Stadt – abwechslungsreiche sowie landschaftlich reizvolle Radverbindung in die benachbarten Ortsteile Britz, Schöneberg oder Kreuzberg. Diese auch hinsichtlich des Belages sehr gute Verbindung spart die Hermannstraße aus und verläuft durch die Kieze direkt neben dem Flughafen Tempelhof zum Columbiadamm. Radfahrer und Fußgänger kommen an den Stellen, die dem Autoverkehr versperrt sind, weiter.
[[Bild:Seelenbinder3.JPG|thumb|right|220px|[[Werner Seelenbinder|Werner-Seelenbinder]]-Gedenkstätte, Oderstraße]]
[[Bild:Berlin_Neukoelln_Radweg_Oderstrasse.JPG|thumb|right|220px|Der Radweg trifft auf den [[Flughafen Tempelhof]], Oderstraße; Einflugschneise an den Kirchhöfen; die Häuserfront gehört zur Leinestraße]]


=== Individualverkehr ===
Aus Richtung Britz (der Britzer Damm führt einen Radweg) beginnt die Strecke an der neuen
==== Autoverkehr ====
Autobahnanschlussstelle Britzer Damm. Die Autobahn wird hier in dem 1,7 Kilometer langen, hochmodernen und bislang permanent störanfälligen ''Tunnel Ortsteil Britz'' aus dem Jahr 2000 unter den westlichen Neuköllner Wohngebieten und unter dem Britzer Damm in Richtung ''Dreieck Neukölln'' hindurchgeführt; die Anschlussstelle führt hinunter in den Tunnel. Nach Fertigstellung legte das Land Berlin auf der Tunneldecke eine langgezogene Grünanlage mit Spiel- und Sportplätzen an, die parallel zum Gartendenkmal Emmauskirchhof verläuft. Dieser langgestreckte Streifen ist für Radfahrer wunderbar zu durchfahren. Auf Höhe des Mariendorfer Weges gelangt man über die wenig befahrene Eschersheimer Straße über die S-Bahn-Trasse in die Oderstraße und damit in den Kiezbereich. Ein verhältnismäßig neuer Radweg verläuft zweispurig zwischen Oderstraße und dem Sportpark Neukölln, der seit einigen Jahren zu Ehren des 1944 hingerichteten [[Widerstandskämpfer]]s und erfolgreichen Ringers [[Werner Seelenbinder]] dessen Namen trägt. Der Weg führt an der renovierten Eissporthalle, den folgenden Sportgebäuden und -Plätzen sowie an der Gedenkstätte für Werner Seelenbinder vorbei.
Trotz der guten Einbindung in den [[Öffentlicher Personennahverkehr|öffentlichen Personennahverkehr]] der Stadt mit U- und S-Bahn ist die Hermannstraße aufgrund ihrer Struktur nicht in der Lage, den Verkehr des bevölkerungsreichen Ballungsgebietes zufriedenstellend aufzunehmen; eine Erweiterung der Straße ist aufgrund der dichten Bebauung kaum möglich.


Die [[Verkehrsdichte|Dichte]] des [[Individualverkehr]]s liegt nicht höher als bei ähnlich stark frequentierten Straßen. Ferner hat die Anbindung an den [[Bundesautobahn 100|Berliner Stadtring]] mit der [[Anschlussstelle (Autobahn)|Anschlussstelle]] ''Britzer Damm'' im Jahr 2000 zu einer spürbaren Entlastung des [[Durchgangsverkehr]]s nach Britz und Buckow geführt. Dennoch fließt der Verkehr nach wie vor überaus zähflüssig durch die Straße und ihr Durchfahren bringt für die Verkehrsteilnehmer eine hohe [[Stress]]belastung mit sich. Gründe dafür sind:
Am Ostende des ''Kirchhofs der Jerusalems- und Neuen Kirche'' stößt der Weg direkt auf das Feld des Flughafens und führt in einem für den Autoverkehr nicht passierbaren Bogen um das Feld herum in den zweiten Teil der Oderstraße. Hier besteht parallel zum Flughafen ein uralter Radweg, der vielfach aufgeplatzt und unpassierbar ist. Ausgleichend steht dem Radverkehr die gesamte Oderstraße zur Verfügung, die so gut wie keinen Kfz-Verkehr mehr aufweist. Am Nordende der Oderstraße, an dem der motorisierte Verkehr wiederum abbiegen muss, führt ein breiter Rad- und Fußgängerweg zwischen dem ''Sommerbad Columbiadamm'' und den Freizeitanlagen an der ''Jahnsporthalle'' weiter zum Columbiadamm. Am Damm verlaufen Radwege nach Westen Richtung [[Berlin-Tempelhof|Tempelhof ]] und Schöneberg oder nach Osten Richtung U-Bahnhof Boddinstraße, an dem der Anschluss zur Hermannstraße hergestellt ist. Über den einzigen Radwegabschnitt der Hermannstraße gelangen die Radler hinunter zum Hermannplatz. Landschaftlich noch reizvoller lässt sich der Hermannplatz erreichen, wenn man den Columbiadamm überquert und in den gegenüberliegenden [[Volkspark Hasenheide]] eintaucht. Wahlweise asphaltierte Wege oder feste Sandwege leiten durch den Park Richtung Nordosten zum Hermannplatz und Richtung Nordwesten zum Kreuzberger [[Südstern]].

Die&nbsp;– je Fahrtrichtung&nbsp;– zwei [[Fahrstreifen]] mit den jeweiligen Parkstreifen sind unterbrochen durch mehrere [[Verkehrsinsel]]n für U-Bahnhöfe und Bushaltestellen, an denen sich die Fahrbahn verengt. Die hohe Zahl der Nebenstraßen nimmt die Links- und Rechtsabbieger nur schleppend auf, da das große Fußgängeraufkommen in den Grünphasen nur wenige Fahrzeuge passieren lässt. Die Ampelanlagen folgen in einigen Abschnitten überaus kurz hintereinander. Die dichte Bebauung mit Wohnblocks und Geschäften lässt sowohl Anwohner wie Lieferanten sehr häufig in der zweiten Spur halten oder kurzzeitig parken. Insgesamt führen diese Faktoren dazu, dass die Fahrt durch die Hermannstraße insbesondere in den [[Hauptverkehrszeit]]en in der Regel einer Slalomfahrt gleicht. Ein Ausweichen ist so gut wie unmöglich, denn der Verkehr fließt in der parallelen Karl-Marx-Straße nicht viel anders. Die Straßen der östlichen Kiezgebiete führen aufgrund ihrer Insellagen zudem zum Teil wieder zurück auf die Hermannstraße und bieten durch die Abtrennungen durch die Kirchhöfe keine abkürzenden Durchfahrten; zudem sind sämtliche angrenzenden Wohnviertel als [[Tempo-30-Zone]] ausgewiesen.

Dieser [[Verkehrsfluss|Stop-and-Go-Verkehr]] verursacht für Anwohner und Verkehrsteilnehmer eine hohe [[Straßenverkehrslärm|Lärmbelästigung]] und Gefährdung durch [[Schadstoff]]konzentrationen.

==== Radverkehr ====
Die umweltbelastete Slalomstrecke verfügt im unteren Teil zwischen Hermannplatz und U-Bahnhof Boddinstraße über baulich unzulängliche und schmale [[Radverkehrsanlage|Fahrradwege]]. Auf den übrigen Streckenabschnitten fahren [[Radfahrer]] im Mischverkehr auf der Fahrbahn. Es gibt im Ballungsgebiet Hermannstraße eine&nbsp;– trotz Innenstadtlage&nbsp;– abwechslungsreiche Radverbindung in die benachbarten Ortsteile [[Berlin-Britz|Britz]], [[Berlin-Schöneberg|Schöneberg]] und [[Berlin-Kreuzberg|Kreuzberg]]. Diese&nbsp;– auch hinsichtlich des Belages&nbsp;– sehr gute Verbindung spart die Hermannstraße aus und verläuft durch die Kieze direkt neben dem [[Flughafen Berlin-Tempelhof|Flughafen Tempelhof]] zum [[Columbiadamm]]. Radfahrer und Fußgänger kommen an den Stellen weiter, die dem Autoverkehr versperrt sind.

Aus Richtung Britz (der Britzer Damm führt einen Radweg) beginnt die Strecke an der neuen Autobahnanschlussstelle Britzer Damm. Die Autobahn wird hier in dem 1,7&nbsp;Kilometer langen, hochmodernen und bislang permanent störanfälligen [[Tunnel Ortskern Britz]] aus dem Jahr 2000 unter den westlichen Neuköllner Wohngebieten und unter dem Britzer Damm in Richtung Dreieck Neukölln hindurchgeführt; die Anschlussstelle führt hinunter in den Tunnel. Nach Fertigstellung legte das Land Berlin auf der Tunneldecke eine langgezogene Grünanlage mit Spiel- und Sportplätzen an (Carl-Weder-Park),<ref>{{Webarchiv |url=http://www.neubritz.de/projekte/carl_weder_park.htm |text=''Carl-Weder-Park''. |wayback=20090919011222 |archiv-bot=2019-09-10 10:49:07 InternetArchiveBot}} Neubritz.de</ref> die parallel zum Gartendenkmal Emmauskirchhof verläuft. Dieser langgestreckte Streifen ist für Radfahrer gut zu durchfahren. Auf Höhe des Mariendorfer Weges gelangt man über die wenig befahrene Eschersheimer Straße über die S-Bahn-Trasse in die Oderstraße und damit in den Kiezbereich. Ein Radweg verläuft zweispurig zwischen Oderstraße und dem Sportpark Neukölln, der seit einigen Jahren zu Ehren des 1944 hingerichteten [[Widerstand gegen den Nationalsozialismus|Widerstandskämpfers]] und erfolgreichen Ringers [[Werner Seelenbinder]], dessen Namen trägt. Der Weg führt an der renovierten Eissporthalle, den folgenden Sportgebäuden und -plätzen sowie an der Gedenkstätte für Werner Seelenbinder vorbei.

[[Datei:Tempelhof-48b.jpg|mini|hochkant=2|Radweg quert die ehemalige Einflugschneise des [[Flughafen Berlin-Tempelhof|Flughafens Tempelhof]] an den Kirchhöfen; die Häuserfront gehört zur Oderstraße]]

Am westlichen Ende des ''Kirchhofs der Jerusalems- und Neuen Kirche'' stößt der Weg direkt auf das [[Tempelhofer Feld|Feld des ehemaligen Flughafens]] und führt in einem&nbsp;– für den Autoverkehr nicht passierbaren&nbsp;– Bogen um das Feld herum in den zweiten Teil der Oderstraße. Hier besteht parallel zum Flughafen ein alter Radweg, der vielfach aufgeplatzt und unpassierbar ist. Ausgleichend steht dem Radverkehr die gesamte Oderstraße zur Verfügung, die nur einen sehr geringen Kfz-Verkehr aufweist. Am nördlichen Ende der Oderstraße, an dem der motorisierte Verkehr wiederum abbiegen muss, führt ein breiter Rad- und Fußgängerweg zwischen dem Sommerbad Columbiadamm und den Freizeitanlagen an der Jahnsporthalle weiter zum Columbiadamm. Am Damm verlaufen Radwege nach Westen Richtung [[Berlin-Tempelhof|Tempelhof]] und Schöneberg oder nach Osten Richtung [[U-Bahnhof Boddinstraße]], an dem der Anschluss zur Hermannstraße hergestellt ist. Über den einzigen Radwegabschnitt der Hermannstraße gelangen die Radlfahrer hinunter zum Hermannplatz. Landschaftlich noch reizvoller lässt sich der Hermannplatz erreichen, wenn man den Columbiadamm überquert und in den gegenüberliegenden [[Volkspark Hasenheide]] einfährt. Wahlweise asphaltierte Wege oder feste Sandwege leiten durch den Park Richtung Nordosten zum Hermannplatz und Richtung Nordwesten zum Kreuzberger [[Südstern (Berlin)|Südstern]].

[[Datei:Demonstration für einen Radweg auf der Hermannstraße (Berlin) 01.jpg|alt=Radfahrende demonstrieren auf der Hermannstraße für einen geschützten Radweg.|mini|Demonstration für einen geschützten Radweg auf der Hermannstraße im Juni 2020]]

Im März 2019 wurden Vorplanungen für einen neuen Radweg beendet, wobei ein geschützter Radweg als bevorzugte Variante genannt wurde.<ref>{{Internetquelle |url=https://fixmyberlin.de/planungen/2890/hermannstrasse |titel=Hermannstraße {{!}} Errichtung einer Radverkehrsanlage |sprache=en |abruf=2019-09-13}}</ref> Für den Beginn der sukzessiv geplanten Bauarbeiten wurde das Jahr 2020 genannt. Da bereits zuvor mit dem Umbau der parallel verlaufenden Karl-Marx-Straße begonnen wurde, soll mit dem Umbau der Hermannstraße in dem davon weiter entfernten südlichen Teil begonnen werden, um den Umleitungsverkehr aus der Karl-Marx-Straße nicht weiter zu belasten.<ref>{{Internetquelle |url=https://kleineanfragen.de/berlin/18/17168-arbeiten-leben-und-wohnen-in-neukoelln-wie-steht-es-mit-den-radwegen-in-neukoelln |titel=Arbeiten, Leben und Wohnen in Neukölln – Wie steht es mit den Radwegen in Neukölln? |abruf=2019-09-13}}</ref> Ab Mai 2020 wurden mit der [[COVID-19-Pandemie in Berlin|Covid-19-Pandemie]] mehrere [[Pop-up-Radweg]]e in der Stadt errichtet. Dies führte zu einem stärkeren politischen Diskurs um einen geschützten Radweg in der Hermannstraße und mehreren Demonstrationen für eine vorgezogene sichere Radverkehrsinfrastruktur. Im Juni stimmte die [[Bezirk in Berlin#Bezirksverordnetenversammlung|Bezirksverordnetenversammlung]] dafür ab August 2020 einen Pop-up-Radweg auf einem Teilstück der Hermannstraße einzurichten. Die [[CDU Berlin|CDU]] sprach sich gegen einen solchen Radweg aus.<ref>{{Internetquelle |url=https://checkpoint.tagesspiegel.de/telegramm/1T2aTySVUIRoy8pxZ9QVS6 |titel=Pop-up-Radweg auf der Hermannstraße geplant - Tagesspiegel Checkpoint |sprache=de |abruf=2020-06-28}}</ref> Am 23. September 2020 überreichte die Bürgerinitiative „Hermannstraße für Alle“ der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln etwa 2000 Unterschriften für einen Anwohnerantrag zur Einrichtung eines Pop-up-Radwegs.<ref>{{Internetquelle |url=https://leute.tagesspiegel.de/neukoelln/intro/2020/09/23/141016/ |titel=Intro {{!}} Tagesspiegel LEUTE Neukölln |sprache=de-DE |abruf=2020-09-23}}</ref> Am gleichen Tag beschloss die Bezirksverordnetenversammlung mit den Stimmen von SPD, Grünen und Linken einen im Juni des gleichen Jahres eingebrachten Antrag für die Einführung einer Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h, mit der Begründung, dass die Situation auf der Hermannstraße für Radfahrende sehr gefährlich sei, aber kurzfristig kein Pop-up-Radweg auf der gesamten Strecke eingerichtet werden könne.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.instagram.com/p/CFfKqghAFUY/ |titel=Marko Preuß auf Instagram: „Im Juni eingebracht, jetzt endlich mit den Stimmen von SPD, Grünen und Limken om der #bvvnk beschlossen. Wir wollen mehr Sicherheit auf der…“ |sprache=de |abruf=2020-09-23}}</ref> Der Senat wies Tempo 30 auf der Hermanstraße jedoch als nicht StVO-konform zurück. Die Initiative „Hermannstraße für alle“ stellte im September einen Einwohnerantrag auf die Einrichtung eines durchgängigen geschützten Radwegs,<ref>{{Literatur |Autor=Uta Schleiermacher |Titel=Radfahren in Berlin: Neukölln hat Pollerneid |Sammelwerk=Die Tageszeitung: taz |Datum=2020-09-23 |ISSN=0931-9085 |Online=https://taz.de/Radfahren-in-Berlin/!5711627/ |Abruf=2020-10-27}}</ref> der mit der erforderlichen Anzahl der gesammelten Unterschriften zur Beschlussfassung in die Bezirksverordnetenversammlung am 3. November 2020 eingebracht wurde.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.berlin.de/ba-neukoelln/politik-und-verwaltung/bezirksverordnetenversammlung/online/vo020.asp?VOLFDNR=7348 |titel=Drucksache - 2008/XX - Einwohner*innenantrag: Pop-up-Radweg auf der Hermannstraße |abruf=2020-10-27}}</ref> Die Zählgemeinschaft aus SPD und Grünen brachte am 9. Dezember 2020 eine in Absprache mit der Initiative entstandene alternative Beschlussempfehlung für eine durchgängige, ggf. provisorische Radinfrastruktur auf der ganzen Hermannstraße vor dem Winter 2021 in den Verkehrsausschuss ein. Sie wurde mit den Stimmen von SPD, Grünen und Linken und unter Ablehnung von CDU und AfD als Empfehlung zur Beschlussfassung an die Bezirksverordnetenversammlung verabschiedet.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.berlin.de/ba-neukoelln/politik-und-verwaltung/bezirksverordnetenversammlung/online/ |titel=ONLINE |sprache=de |abruf=2020-12-13}}</ref>


== Strukturentwicklung und Kieze ==
== Strukturentwicklung und Kieze ==
[[Bild:Berlin_Neukoelln_3Hermannstrasse.JPG|thumb|right|220px|Kindl-Boulevard]]
[[Datei:Berlin Neukoelln 3Hermannstrasse.JPG|mini|Kindl-Boulevard]]
[[Datei:Berlin Neukoelln 4Hermannstrasse.JPG|mini|Kino ''Neues Off'', Hermannstraßenkiez]]
[[Bild:Berlin_Neukoelln_4Hermannstrasse.JPG|thumb|right|220px|Kino „Neues Off“, ''Hermannstraßenkiez'']]
Die soziale Struktur der Geschäfts- und Wohnstraße bestimmen kleine Gewerbebetriebe, eine Vielzahl an Geschäften, darunter etliche türkische Märkte und Bäckereien, sowie Wohnhäuser und Wohnblocks, die teilweise aus der [[Gründerzeit]] stammen. Auf der Ostseite der Hermannstraße 214-216 entstand im Jahr 1996 das moderne Büro-und Geschäftszentrum ''Kindl-Boulevard'', das sich tief in die Fläche der ehemaligen Rollberge erstreckt. Neben Geschäften, Restaurants, den ''Rollberg-Kinos'' und Ausstellungsräumen findet hier auch das ''Frauenwirtschaftszentrum Neukölln'' Platz, das insbesondere [[Existenzgründung|Existenzgründerinnen]] Raum geben soll. Das Zentrum, in das eine [[München|Münchner]] Baufirma 400 Millionen Euro investiert hatte, steht im Kontrast zu der sonstigen Geschäftsstruktur der Straße, die zu einem erheblichen Teil von [[Einzelhandel|Einzelhändlern]] und Billigläden mit häufigen Besitzerwechseln gekennzeichnet ist.


Die soziale Struktur der Geschäfts- und Wohnstraße bestimmen kleine Gewerbebetriebe, eine Vielzahl an Geschäften, darunter zahlreiche [[Türkei|türkische]] Märkte und Bäckereien, Imbisse, Wettlokale und Spielotheken, sowie Wohnhäuser und Wohnblocks, die teilweise aus der [[Gründerzeit]] stammen. Auf der Ostseite der Hermannstraße 214–216 entstand im Jahr 1996 das moderne Büro- und Geschäftszentrum ''Kindl-Boulevard'', das sich tief in die Fläche der ehemaligen Rollberge erstreckt. Neben Geschäften, Restaurants, den ''Rollberg-Kinos'' und Ausstellungsräumen finden hier das [[Jobcenter]] Neukölln und das ''Frauenwirtschaftszentrum Neukölln'' Räumlichkeiten, das insbesondere [[Existenzgründung|Existenzgründerinnen]] Raum geben soll. Das Zentrum, in das eine [[München|Münchner]] Baufirma 400&nbsp;Millionen Euro investiert hatte, steht im Kontrast zu der sonstigen Geschäftsstruktur der Straße, die zu einem erheblichen Teil von [[Einzelhandel|Einzelhändlern]] und Billigläden mit häufigen Inhaberwechseln gekennzeichnet ist.
Die Hermannstraße wird im gesamten westlichen Teil von drei [[Kiez]]en begleitet. Im unteren Teil von dem ''Hermannstraßenkiez'', der westlich vom [[Volkspark Hasenheide]], nördlich von der ''Hasenheide'' (Straße) und südlich vom ''Columbiadamm'' begrenzt wird. Jenseits des Columbiadamms schließen sich an den Volkspark die Gelände des Flughafen Tempelhof beziehungsweise des Sportparks Neukölln an, die die südlich folgenden Kieze, den ''Schillerkiez'', den ''Warthekiez'' und das Viertel an der ''Emser Straße'' nach Westen abgrenzen.

Die Hermannstraße wird im gesamten westlichen Teil von drei [[Kiez]]en begleitet. Im unteren Teil von dem ''Hermannstraßenkiez'', der westlich vom [[Volkspark Hasenheide]], nördlich von der Straße [[Hasenheide (Straße)|Hasenheide]] und südlich vom Columbiadamm begrenzt wird. Jenseits des Columbiadamms schließen sich an den Volkspark die Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof beziehungsweise des Sportparks Neukölln an, die die südlich folgenden Kieze, den ''Schillerkiez'', den ''Warthekiez'' und das Viertel an der Emser Straße, nach Westen abgrenzen.


=== Hermannstraßenkiez ===
=== Hermannstraßenkiez ===
Der Hermannstraßenkiez um ''Wissmannstraße'' und ''Karlsgartenstraße'' am Volkspark Hasenheide entstand in der Gründerzeit als Vergnügungsviertel mit Biergärtern, Theatern und Tanzsälen. In den 1920er Jahren entwickelte sich die Hermannstraße von dieser Gegend ausgehend zu einer bedeutenden „Kinomeile“ und blieb dies auch bis zum großen Kinosterben der 1960er. Heute ist der Kiez ein reines Wohnviertel mit einigen kleineren Gartenlokalen. Für ein weltstädtisch vielfältiges Flair sorgt die [[Werkstatt der Kulturen]] in der Wissmannstraße, die mit zahlreichen Ausstellungen Besucher anzieht und sich als Dialog- und Kooperationspartner der [[Migration (Soziologie)|Migrantenszene]] in Berlin versteht und Forum für eine multikulturelle Bürgergesellschaft sein will. Die Werkstatt der Kulturen besteht seit dem 22. Oktober 1993 in dem sehenswerten historischen Gebäude einer ehemaligen Brauerei.
Der Hermannstraßenkiez um die Wissmann- und Karlsgartenstraße am Volkspark Hasenheide entstand in der [[Gründerzeit]] als Vergnügungsviertel mit [[Biergarten|Biergärten]], Theatern und Tanzsälen. In den 1920er Jahren entwickelte sich die Hermannstraße von dieser Gegend ausgehend zu einer bedeutenden „Kinomeile“ und blieb dies bis zum großen Kinosterben der 1960er Jahre. Der Kiez wurde ein reines Wohnviertel mit einigen kleineren Gartenlokalen. Für ein vielfältiges Flair sorgt die ''[[Werkstatt der Kulturen]]'' in der Wissmannstraße, die mit zahlreichen Ausstellungen Besucher anzieht und sich als Dialog- und Kooperationspartner der [[Migrationssoziologie|Migrantenszene]] in Berlin versteht und Forum für eine multikulturelle Bürgergesellschaft sein will. Die Werkstatt der Kulturen besteht seit dem 22.&nbsp;Oktober 1993 in dem sehenswerten historischen Gebäude der ehemaligen ''Löwenbrauerei – Böhmisches Brauhaus''.

Ein weiteres Stück des alten Vergnügungsviertels findet sich mit dem Kino ''Neues Off'' direkt an der Hermannstraße&nbsp;20, das 1919 als Theater und [[Varieté]] gegründet und seit 1926 unter dem Namen ''Rixi'' (Rixdorfer Lichtspiele) als Kino genutzt wurde. Trotz Restaurierung versprüht das Haus noch viel Charme vergangener Zeiten – im Foyer fällt beispielsweise ein roter [[Sarotti]]-Tresen im Design der 1950er Jahre ins Auge. Das Kino ist Teil eines viergeschossigen Wohnhauses und eines der letzten alten Lichtspielhäuser, die in Berlin noch überleben konnten.


Das Palastkino ''Stern'' gehörte zu den kleineren Filmtheatern der Zwischenkriegszeit. Es wurde in den Jahren 1925/1926 von [[Max Bischoff]] und [[Heinrich Möller (Erbauer des Palastkinos Stern)|Heinrich Möller]] sowie dem Ingenieur [[Gustav Heun]] durch einen Umbau eines ausgebrannten Hinterhaus-Saales in der Hermannstraße&nbsp;49 aufgebaut. Der breite Eingangsbereich bestand aus dem erneuerten Erdgeschoss und ersten Obergeschoss des Wohnhauses, neben der Tür befanden sich Schaukästen mit dem Kinoprogramm. Die Vorhalle bildete ein Raum mit dunkler Holzverkleidung und blaugoldener Decke. Der rechteckige Zuschauerraum bot im Parkett 638, auf dem Rang 464 und in den in den Saal ragenden Logen 98 Zuschauern Platz. 1935 baute Heinrich Möller die Fassade um, im Zweiten Weltkrieg wurden Teile des Gebäudes zerstört, die 1946 wiederhergestellt werden konnten. 1956 wurde das Kino vom Architekten de&nbsp;Born umgebaut, 1973 endete die Nutzung als Kino, und ein erneuter Umbau machte aus dem Gebäude einen Selbstbedienungsladen.
Ein weiteres Stück des alten Vergnügungsviertels findet sich mit dem [[Kino]] ''Neues Off'' direkt an der Hermannstraße 20, das 1919 als Theater und [[Varieté]] gegründet und seit 1926 unter dem Namen ''Rixi'' (Rixdorfer Lichtspiele) als Kino genutzt wurde. Trotz Restaurierung versprüht das Haus noch viel Charme vergangener Zeiten – im Foyer fällt beispielsweise ein roter [[Sarotti]]-Tresen im Design der 50er Jahre ins Auge. Das Kino ist Teil eines vierstöckigen Wohnhauses und eines der letzten alten Lichtspielhäuser, die in Berlin bis heute überleben konnten.


=== Größtes Kino Europas ===
Auch das Palastkino Stern gehörte zu den kleineren Filmtheatern der Zwischenkriegszeit. Es wurde in den Jahren 1925 bis 1926 von [[Max Bischoff]] und [[Heinrich Möller]] sowie dem Ingenieur [[Gustav Heun]] durch einen Umbau eines ausgebrannten Hinterhaus-Saales in der Hermannstraße 49 aufgebaut. Der breite Eingangsbereich bestand aus dem erneuerten Erdgeschoss und ersten Obergeschosss des Wohnhauses, neben der Tür befanden sich Schaukästen mit dem Kinoprogramm. Die Vorhalle bildete ein Raum mit dunkler Holzverkleidung und blaugoldener Decke. Der rechteckige Zuschauerraum bot im Parkett 638, auf dem Rang 464 und in den in den Saal ragenden Logen 98 Zuschauern Platz. 1935 baute Heinrich Möller die Fassade um, im Zweiten Weltkrieg wurden Teile des Gebäudes zerstört, die 1946 wieder hergestellt werden konnten. 1956 wurde das Kino von P. de Born umgebaut, 1973 endete die Nutzung als Kino und ein erneuter Umbau machte aus dem Gebäude einen Selbstbedienungsladen.
[[Datei:MercedesPalast in Neukölln-1936.jpeg|mini|Mercedes-Palast, 1936]]


In den Jahren 1926 bis 1927 entstand an der Hermannstraße 214 Ecke Rollbergstraße inmitten des Arbeiterbezirks Neukölln unter der Leitung des Architekten [[Fritz Wilms (Architekt)|Fritz Wilms]] mit dem [[Mercedes-Palast]] das seinerzeit größte [[Kino|Filmtheater]] Europas. Bis zu diesem Zeitpunkt befand sich dort der geräumige Biergarten der Kindl-Brauerei, der vor allem zur Jahrhundertwende überregional bekannt war. Fritz Wilms hatte sich in Berlin durch eine Reihe weiterer Theaterbauten einen Namen gemacht, insbesondere durch das Piccadilly in [[Berlin-Charlottenburg|Charlottenburg]]. Seine Bauten waren wenig strukturierte, klare Blockbauten. Beim ''Mercedes-Palast'' verzichtete er erstmals auf allzu [[Expressionismus|expressionistische]] Details, wie man sie von anderen seiner Bauwerke kannte. Ob dieser Trend dem Geschmack der Zeit oder den zur Verfügung stehenden Geldern geschuldet war, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Das Gebäude hat eine Baufläche von rund 3773&nbsp;m², wobei die Vorderfront an der Hermannstraße eine Länge von etwa 50&nbsp;Metern und die Seitenfläche an der Rollbergstraße von etwa 72,5&nbsp;Metern aufweist. Beiderseits des hervorgezogenen Eingangsbereichs befanden sich Ladengeschäfte und oberhalb der vier Eingänge fünf Meter hohe Plakatwände, getrennt durch vierkantige Halbsäulen. Den oberen Abschluss bildete ein Gesims mit grünen Laternen.
=== Das größte Kino Europas ===
In den Jahren 1926 bis 1927 entstand an der Hermannstraße 214, Ecke Rollbergstraße, inmitten des Arbeiterbezirks Neukölln unter der Leitung des Architekten [[Fritz Wilms]] mit dem ''Mercedes-Palast'' das seinerzeit größte [[Kino|Filmtheater]] Europas. Bis zu diesem Zeitpunkt befand sich dort der geräumige Biergarten der Kindl-Brauerei, der vor allem zur Jahrhundertwende überregional bekannt war. Fritz Wilms hatte sich in Berlin durch eine Reihe weiterer Theaterbauten einen Namen gemacht, insbesondere durch das Piccadilly in [[Berlin-Charlottenburg|Charlottenburg]]. Seine Bauten waren wenig strukturierte, klare Blockbauten. Beim Mercedes-Palast verzichtete er erstmals auf allzu [[Expressionismus|expressionistische]] Details, wie man sie von anderen seiner Bauwerke kannte. Ob dieser Trend dem Geschmack der Zeit oder den zur Verfügung stehenden Geldern geschuldet war, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Das Gebäude hat eine Baufläche von 3773,20 m<sup>2</sup>, wobei die Vorderfront an der Hermannstraße eine Länge von etwa 50 Metern und die Seitenfläche an der Rollbergstraße von etwa 72,5 Metern aufweist. Beiderseits des hervorgezogenen Eingangsbereichs befanden sich Ladengeschäfte und oberhalb der vier Eingänge fünf Meter hohe Plakatwände, getrennt durch vierkantige Halbsäulen. Den oberen Abschluss bildete ein Gesims mit grünen Laternen.


Die Innenausstattung führte diese Schlichtheit nicht fort. Im großräumigen [[Foyer]] dominierten die Farben Gold, Silber, Blau und das Scharlachrot der Wände, der Fußboden bestand aus gelbbraunen Steinplatten aus [[Solnhofen]]. Der anschließende Vorführraum hatte eine kuppelförmige, blaugrüne Decke, die, von Strahlern oberhalb der Logenbekrönung azurblau angestrahlt, einen Abendhimmel imitieren sollte. Während der Vorführung wandelte sich die Wölbung durch kleine, beleuchtete Öffnungen in einen sternenübersäten Nachthimmel. Das Zentrum der Decke bildete eine sternförmiges Rosette aus buntem Kristallglas, die von innen beleuchtet und am Rand mit [[Blattgold]] verziert war. Nach hinten schloss sich durch eine halbrunde Projektionsfläche die Bühne mit einem [[Orchestergraben]] an. Der Raum stellte den Besuchern 2320 Parkett- und 180 Logenplätze zur Verfügung.
Die Innenausstattung führte diese Schlichtheit nicht fort. Im großräumigen [[Foyer]] dominierten die Farben Gold, Silber, Blau und das Scharlachrot der Wände, der Fußboden bestand aus gelbbraunen Steinplatten aus [[Solnhofen]]. Der anschließende Vorführraum hatte eine kuppelförmige, blaugrüne Decke, die, von Strahlern oberhalb der Logenbekrönung azurblau angestrahlt, einen Abendhimmel imitieren sollte. Während der Vorführung wandelte sich die Wölbung durch kleine, beleuchtete Öffnungen in einen sternenübersäten Nachthimmel. Das Zentrum der Decke bildete eine sternförmiges Rosette aus buntem Kristallglas, die von innen beleuchtet und am Rand mit [[Blattgold]] verziert war. Nach hinten schloss sich durch eine halbrunde Projektionsfläche die Bühne mit einem [[Orchestergraben]] an. Der Raum stellte den Besuchern 2320 Parkett- und 180 Logenplätze zur Verfügung.


Zur musikalischen Illustration der noch [[Stummfilm|stummen Filme]] wurde 1927 eine zweimanualige Oskalyd-Kinoorgel der Fa. Walcker, Luedke & Hammer aus Ludwigsburg im ''Mercedes-Palast'' installiert. Emil „Mile“ Sagawe (1895–1988) war ab 1950 der ''organist in residence''. Noch 1951 spielte er, nachdem die Orgel nach seinen Wünschen durch den Orgelbaumeister Glöckner umgebaut worden war, darauf Schallplatten für die Fa. Odeon ein (''Tonfilm-Erinnerungen'', Potpourri&nbsp;I und II, Odeon O-28&nbsp;081 [mx.&nbsp;Be&nbsp;14&nbsp;142/43-I] und Odeon O-28&nbsp;082 [mx.&nbsp;Be&nbsp;14&nbsp;251/52]).<ref>Karl Heinz Dettke: ''Kinoorgeln und Kinomusik in Deutschland''. Metzler, Stuttgart/Weimar 1995, S.&nbsp;244–246; zum Oskalyd S.&nbsp;294&nbsp;f.</ref>
Die [[Deutsche Bauzeitung]] lobte in einem Bericht aus dem Jahr 1927 weniger die Ausstattung als vielmehr ein ganz anderes, nicht minder wichtiges Detail des Kinos:


Die ''[[Deutsche Bauzeitung]]'' lobte in einem Bericht aus dem Jahr 1927 weniger die Ausstattung als vielmehr ein ganz anderes, nicht minder wichtiges Detail des Kinos:
: ''„Jeder Platz kostet bei der ersten Vorstellung 0,60 M und bei den späteren Vorstellungen 1 M. Auf diese Weise ist der Mercedes-Palast im wahrsten Sinne des Wortes ein Volkstheater, da es der minderbemittelten Bevölkerung möglich ist, große Filme, die meist noch von kleinen Revuen begleitet sind, zu erschwinglichen Preisen zu sehen“'' (''Deutsche Bauzeitung''; Jahrgang 1927, Seite 638; zitiert aus Riedel 1983)


{{Zitat
Doch wurden diese Eintrittspreise für das Gros der Bevölkerung im Gefolge der 1929 einsetzenden [[Weltwirtschaftskrise]] schnell unerschwinglich: im Jahr 1930 wurde das Kino trotzdem aufgrund zu geringer Besucherzahlen erstmalig geschlossen und diente in der Folgezeit als Festsaal für Veranstaltungen in Konkurrenz zu den benachbarten Kindl-Sälen. So fand hier etwa die 12-Jahres-Feier der [[Rote Fahne|Roten Fahne]] statt; ebenso gastierte der [[Kabarett]]ist [[Leon Hirsch]] mit seinem Ensemble „[[Die Wespen (Kabarett)|Die Wespen]]“ im Mercedes-Saal. 1932 nahmen der Architekt [[Gustav Neustein]] und sein künstlerischer Mitarbeiter [[Bruno Meltendorf]] die ersten Umbauten vor. Während der [[Zeit des Nationalsozialismus|nationalsozialistischen]] Zeit war das Kino die meiste Zeit geöffnet und war der Aufführungsort für eine Reihe von Filmpremieren wie etwa dem Film ''[[Der unendliche Weg]]'' von 1942 (Regie: [[Hans Schweikart]]). Nach 1943 kam es zu einer starken Beschädigung durch Fliegerbomben.
|Text=Jeder Platz kostet bei der ersten Vorstellung 0,60&nbsp;[[Reichsmark|M]] und bei den späteren Vorstellungen 1&nbsp;M. Auf diese Weise ist der Mercedes-Palast im wahrsten Sinne des Wortes ein Volkstheater, da es der minderbemittelten Bevölkerung möglich ist, große Filme, die meist noch von kleinen Revuen begleitet sind, zu erschwinglichen Preisen zu sehen.
|Autor=''Deutsche Bauzeitung''<ref>''[[Deutsche Bauzeitung]]'', Jg. 1927, S.&nbsp;638; zitiert aus Riedel 1983</ref>}}


Doch wurden diese Eintrittspreise für das Gros der Bevölkerung im Gefolge der 1929 einsetzenden [[Weltwirtschaftskrise]] schnell unerschwinglich: im Jahr 1930 wurde das Kino trotzdem aufgrund zu geringer Besucherzahlen erstmals geschlossen und diente in der Folgezeit als Festsaal für Veranstaltungen in Konkurrenz zu den benachbarten Kindl-Sälen. So fand hier etwa die Zwölfjahresfeier der ''[[Die Rote Fahne|Roten Fahne]]'' statt; ebenso gastierte der [[Kabarett]]ist [[Leon Hirsch]] mit seinem Ensemble „[[Die Wespen (Kabarett)|Die Wespen]]“ im Mercedes-Saal. 1932 nahmen der Architekt [[Gustav Neustein]] und sein künstlerischer Mitarbeiter [[Bruno Meltendorf]] die ersten Umbauten vor. Während der [[Zeit des Nationalsozialismus|nationalsozialistischen Zeit]] war das Kino die meiste Zeit geöffnet und war der Aufführungsort für eine Reihe von Filmpremieren wie etwa dem Film ''[[Der unendliche Weg]]'' von 1942 (Regie: [[Hans Schweikart]]). Nach 1943 kam es zu einer starken Beschädigung durch [[Fliegerbombe]]n.
Die Wiederherstellung erfolgte in den Jahren 1948 bis 1951, diesmal erneut unter der Leitung von Fritz Wilms. Auch während der Bauphase fanden Vorstellungen statt, das dafür als Vorführraum unter dem Namen ''Metro-Palast'' genutzte Foyer bot immerhin noch Platz für 854 Zuschauer. Die Arbeiten gaben dem Vorführraum durch neue Wände eine trapezförmige Gestalt. Nach seiner Fertigstellung 1951 verfügte er im Parkett über 1426 und im Hochparkett noch einmal über 634 Plätze und nahm als ''Europa-Palast'' erneut den Filmbetrieb auf.
[[Bild:Berlin_Neukoelln_2Schillerkiez.JPG|thumb|right|220px|[[Schillerpromenade]], ''Schillerkiez'']]
[[Bild:Berlin_Neukoelln_Einflugschneise.JPG|thumb|right|220px|Einflugschneise, Blick über den ''St.-Jacobi-Kirchhof'']]
[[Bild:Berlin_Neukoelln_1Hermannstrasse.JPG|thumb|right|220px|Hermannstr./Ecke Warthestraße]]
1955 zog P. de Born <!-- Vorname? --> eine Zwischendecke in das Foyer ein – in der oberen Etage entstand das Kino ''Roxy'' mit 750 Plätzen. Weitere Umgestaltungen nahm 1966 [[Hans Joachim Woyke]] vor und 1969 ließ [[Woolworth]] das gesamte Gebäude zu einem Warenhaus umbauen, wobei vor allem die Fassade massive Veränderungen erfuhr. 1992 zog Woolworth in die benachbarten Kindl-Säle um und der ehemalige Mercedes-Palast musste dem Neubau des Kindl-Boulevard weichen.


Die Wiederherstellung erfolgte in den Jahren 1948 bis 1951, diesmal erneut unter der Leitung von Fritz Wilms. Bereits während der Bauphase fanden Vorstellungen statt, das dafür als Vorführraum unter dem Namen ''Metro-Palast'' genutzte Foyer bot immerhin noch Platz für 854 Zuschauer. Die Arbeiten gaben dem Vorführraum durch neue Wände eine trapezförmige Gestalt. Nach seiner Fertigstellung 1951 verfügte er im Parkett über 1426 und im Hochparkett noch einmal über 634 Plätze und nahm als ''Europa-Palast'' erneut den Filmbetrieb auf.
=== Schillerkiez, Warthekiez und Rollbergsiedlung ===
Auch das Viertel um die [[Schillerpromenade]], das auf altem Ackerland entstand, war von der Stadt Rixdorf und ihrem Bürgermeister Hermann Boddin um 1900 als „Wohnquartier für Besserverdienende“ und als Gegenpol zu der Arbeitersiedlung auf den Rollbergen konzipiert, die bereits in den Jahrzehnten zuvor errichtet worden war. Mit seinen alten Bauten und dem nach wie vor großzügigen und begrünten Mittelstreifen der 50 Meter breiten Schillerpromenade steht das Viertel seit 1996 unter [[Ensembleschutz]]. Die Promenade führt vom ''Columbiadamm'' über den zentralen ''Herrfurthplatz'' mit der ''Genezarethkirche'' aus dem Jahr 1906 direkt auf das historische Gebäude der ehemaligen ''Ingenieurschule für Bauwesen'' zu und endet dort; das [[Baudenkmal|denkmalgeschützte]] Gebäude aus dem Jahr 1914 in der ''Leinestraße'' beherbergt heute die ''Carl-Legien-Oberschule''. In den 1920er Jahren ergänzte [[Bruno Taut]], der Architekt der Britzer [[Hufeisensiedlung]], den Kiez um preiswerte Arbeiterwohnungen an der ''Oderstraße'', die im Stil seiner sozialreformerischen, nicht-kommerziellen Konzepte gehalten waren.


Im Jahr 1955 zog der Architekt de Born eine Zwischendecke in das Foyer ein – in der oberen Etage entstand das Kino ''Roxy'' mit 750 Plätzen. Weitere Umgestaltungen nahm 1966 [[Hans Joachim Woyke]] vor und 1969 ließ ''[[Woolworth Deutschland|Woolworth]]'' das gesamte Gebäude zu einem Warenhaus umbauen, wobei vor allem die Fassade massive Veränderungen erfuhr. 1992 zog ''Woolworth'' in die benachbarten Kindl-Säle um und der ehemalige ''Mercedes-Palast'' musste dem Neubau des ''[[Kindl-Boulevard]]s'' weichen.
Zählt schon der Schillerkiez in seiner Bevölkerungsstruktur heute zu den eher benachteiligten Vierteln mit einem hohen Anteil an [[Sozialhilfe (Deutschland)|Sozialhilfeempfängern]], ist im Warthekiez die strukturelle [[Arbeitslosigkeit]] und insbesondere auch die Langzeitarbeitslosigkeit besonders ausgeprägt. Die [[Sozialer Brennpunkt|sozial-räumliche Polarisierung]] ist in beiden Vierteln dem Verlust der altindustriellen Arbeitsstätten sowie der unmittelbaren Nachbarschaft zum Flughafen Tempelhof geschuldet, dessen Lärmbelästigung das Mietpreisniveau und in der Folge die Qualität der Wohnungen beträchtlich senkte. Erst in den letzten Jahren wird in diesem Bereich eine leichte Erholung spürbar, die in der weitgehenden Verlagerung des Luftverkehrs zum Flughafen Tegel begründet ist.


=== Schillerkiez, Warthekiez und Rollbergsiedlung ===
Durch Maßnahmen wie [[Quartiersmanagement]], intensivierter [[Jugendarbeit]], Modellprojekte zur [[Gewaltprävention]] oder Verbesserung der Freizeitangebote versucht der Bezirk Neukölln in Zusammenarbeit mit kirchlichen und freien Trägern, gegenzusteuern. Investionen wie in den Sportpark an der Oderstraße sollen das Viertel aufwerten, beispielsweise konnte im Herbst 2005 das mit erheblichen Mitteln restaurierte und erweiterte [[Eisstadion Neukölln]] wiedereröffnet werden. Da sich diesen westlich der Straße gelegenen Kiezen noch die östlich angrenzende [[Rollbergsiedlung]] zugesellt, die als ganz besonderer sozialer Brennpunkt gilt, ist resümierend festzustellen, dass die Hermannstraße einen besonders benachteiligten Teil Berlins durchläuft.
[[Datei:Berlin Neukoelln 2Schillerkiez.JPG|mini|[[Schillerpromenade]], Schillerkiez]]
[[Datei:Berlin Neukoelln Einflugschneise.JPG|mini|Einflugschneise, Blick über den St.&nbsp;Jacobi-Kirchhof]]
[[Datei:Berlin Neukoelln 1Hermannstrasse.JPG|mini|Hermann-/Ecke Warthestraße]]


Das Viertel um die [[Schillerpromenade]], das auf altem Ackerland entstand, war von der Stadt Rixdorf und ihrem Bürgermeister Hermann Boddin um 1900 als „Wohnquartier für Besserverdienende“ und als Gegenpol zu der Arbeitersiedlung auf den Rollbergen konzipiert, die bereits in den Jahrzehnten zuvor errichtet worden war. Mit seinen alten Bauten und dem nach wie vor großzügigen und begrünten Mittelstreifen der 50&nbsp;Meter breiten Schillerpromenade steht das Viertel seit 1996 unter [[Bauensemble#Ensembleschutz|Ensembleschutz]]. Die Promenade führt vom Columbiadamm über den zentralen Herrfurthplatz mit der Genezarethkirche aus dem Jahr 1906 direkt auf das historische Gebäude der ehemaligen ''Ingenieurschule für Bauwesen'' zu und endet dort; das [[Baudenkmal|denkmalgeschützte]] Gebäude aus dem Jahr 1914 in der Leinestraße beherbergt die ''Carl-Legien-Oberschule''. In den 1920er Jahren ergänzte [[Bruno Taut]], der Architekt der Britzer [[Hufeisensiedlung]], den Kiez um preiswerte Arbeiterwohnungen an der Oderstraße, die im Stil seiner sozialreformerischen, nicht-kommerziellen Konzepte gehalten waren.
== Literatur, Verweise, Weblinks ==
=== Sonstige Quellen ===
*Zum Abschnitt „Zwangsarbeiter...“: Informationssäule im ''Kirchhof der Jerusalems- und Neuen Kirche'' mit acht Bild- und Schrifttafeln. Die Zitate von Kudrenko sind diesen Tafeln entnommen.
=== Literatur ===
* Christiane Borgelt, Regina Jost: ''Architekturführer Berlin-Neukölln''. Stadtwandel Verlag Berlin 2003, ISBN 3-933743-9-15
* Bezirksamt Neukölln von Berlin, Abt. Bauwesen (Hrsg.): ''100 Jahre Bauen für Neukölln – Eine kommunale Baugeschichte''. Berlin 2005, ISBN 3-00-015848-0
* Udo Dittfurth: ''Strecke ohne Ende – Die Berliner Ringbahn''. GVE Verlag, Berlin 2002, ISBN 3-89218-074-1
* Willy Grigat: ''Britz einst und jetzt'', 1932. Auszugsweise wiedergegeben und hier benutzt in: ''Britzer Heimatgeschichte, Veröffentlicht im Gemeindebrief der Dorfkirche Britz''. Ausgaben Februar 1979 bis Dezember 2000. [http://81.169.154.211/sites/sgmall.nsf/a088926ea7f8a3c8c1256b6a0059f482/e33b7f3101f91c9fc1256b70006a08ce/$FILE/Britz.pdf online als pdf] <small>zum Rollkrug Seite 36, zu den Windmühlen Seite 31</small>
* Wasyl Timofejewitsch Kudrenko: ''Bist Du Bandit? Das Lagertagebuch des Zwangsarbeiters Wasyl Timofejewitsch Kudrenko''. Wichern Verlag, Berlin 2005, ISBN 3-88981-173-6 <small>Zitate nach den Informationstafeln, siehe „sonstige Quellen“</small>
* Jürgen Meyer-Kronthaler: ''Berlins U-Bahnhöfe – Die ersten hundert Jahre''. be.bra Verlag, Berlin 1996, ISBN 3-930863-16-2
* Jürgen Meyer-Kronthaler, Wolfgang Kramer: ''Berlins S-Bahnhöfe – Ein dreiviertel Jahrhundert''. be.bra. verlag, Berlin 1998, ISBN 3-930863-25-1 <small>Zitat zu ''Hermann Boddin'' Seite 120</small>
* Robert Riedel (Hrsg): ''Berlin und seine Bauten. Teil V: Bauwerke für Kunst, Erziehung und Wissenschaft, Band A: Bauten für die Kunst''. Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin 1983, ISBN 3-433-00944-9 <!-- Quelle für Mercedes-Palast und Stern-Palast-->
* Erich Schuppan (Hrsg.): ''Sklave in Euren Händen. Zwangsarbeit in Kirche und Diakonie Berlin-Brandenburg''. Wichern Verlag, Berlin 2003, ISBN 3-88981-155-8
* Klaus Konrad Weber, Peter Güttler, Ditta Ahmadi (Hrsg.): ''Berlin und seine Bauten. Teil X Band A: Anlagen und Bauten für die Versorgung (3) Bestattungswesen''. Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin 1981, ISBN 3-433-00890-6 <!-- Quelle für die Kirchhofbeschreibungen-->


Zählt schon der Schillerkiez in seiner Bevölkerungsstruktur Anfang der 2000er Jahre zu den eher benachteiligten Vierteln mit einem hohen Anteil an [[Sozialhilfe (Deutschland)|Sozialhilfeempfängern]], ist im Warthekiez die strukturelle [[Arbeitslosigkeit]] und insbesondere die Langzeitarbeitslosigkeit besonders ausgeprägt. Die [[Sozialer Brennpunkt|sozial-räumliche Polarisierung]] ist in beiden Vierteln dem Verlust der altindustriellen Arbeitsstätten sowie der unmittelbaren Nachbarschaft zum Flughafen Tempelhof geschuldet, dessen Lärmbelästigung das Mietpreisniveau und in der Folge die Qualität der Wohnungen beträchtlich senkte. Erst seit etwa dem Jahre 2000 trat in diesem Bereich eine Erholung ein, die in der Verlagerung des Luftverkehrs zu den anderen damaligen Flughäfen in [[Flughafen Berlin-Tegel|Tegel]] und [[Flughafen Berlin-Schönefeld|Schönefeld]] begründet lag. Mit der Schließung des Flughafens am 30.&nbsp;Oktober 2008 fand diese benachteiligte Situation dann ihr Ende.


Durch Maßnahmen wie [[Quartiersmanagement]], intensivierter [[Jugendarbeit]], Modellprojekte zur [[Gewaltprävention]] oder Verbesserung der Freizeitangebote versucht der Bezirk Neukölln in Zusammenarbeit mit kirchlichen und freien Trägern gegenzusteuern. Investitionen wie in den Sportpark an der Oderstraße sollen das Viertel aufwerten, beispielsweise konnte im Herbst 2005 das mit erheblichen Mitteln restaurierte und erweiterte [[Werner-Seelenbinder-Sportpark|Eisstadion Neukölln]] wiedereröffnet werden. Da sich diesen westlich der Straße gelegenen Kiezen noch die östlich angrenzende [[Rollbergsiedlung]] zugesellt, die als ganz besonderer sozialer Brennpunkt gilt, ist [[Fazit|resümierend]] festzustellen, dass die Hermannstraße einen besonders benachteiligten Teil Berlins durchläuft.
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=== Seiten- und Querstraßen (stadtauswärts gesehen) ===
[[Bild:Berlin_Neukoelln_1Emserstrasse.JPG|550px]]
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''<br />Endlose Häuserschluchten. Hier: Emser Straße kurz vor einem Sommergewitter.
* Hasenheide
* [[Karl-Marx-Straße (Berlin)|Karl-Marx-Straße]]
* Karlsgartenstraße
* Biebricher Straße
* Flughafenstraße
* Mahlower Straße
* Boddinstraße
* Selchower Straße
* Rollbergstraße
* Herrfurthstraße
* Werbellinstraße
* Briesestraße
* Kienitzer Straße
* Kopfstraße
* Allerstraße
* [[Gustav Leyke#Leykestraße|Leykestraße]]
* Okerstraße
* Leinestraße
* Thomasstraße
* Jonasstraße
* Warthestraße
* Schierker Straße
* Nogatstraße
* Emser Straße
* Siegfriedstraße
* Silbersteinstraße
* Kranoldstraße
* Mariendorfer Weg
* Delbrückstraße
* Glasower Straße
* Juliusstraße
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[[Datei:Berlin Neukoelln 1Emserstrasse.JPG|mini|zentriert|hochkant=2.8|Häuser in der Emser Straße kurz vor einem Sommergewitter]]
=== Weblinks ===
{{Commons2|Hermannstrasse (Berlin-Neukölln)|Hermannstraße und Kieze}}


== Literatur ==
* [http://www.rollberg.de/schillerpromenade/ Schockwellenreiter, Kiez Schillerpromenade]
* Christiane Borgelt, Regina Jost: ''Architekturführer Berlin-Neukölln''. Stadtwandel Verlag Berlin 2003, ISBN 3-933743-91-5.
* Bezirksamt Neukölln von Berlin, Abt. Bauwesen (Hrsg.): ''100 Jahre Bauen für Neukölln – Eine kommunale Baugeschichte''. Berlin 2005, ISBN 3-00-015848-0.
* Udo Dittfurth: ''Strecke ohne Ende – Die Berliner Ringbahn''. GVE Verlag, Berlin 2002, ISBN 3-89218-074-1.
* Willy Grigat: ''Britz einst und jetzt'', 1932. Auszugsweise wiedergegeben und hier benutzt in: ''Britzer Heimatgeschichte, Veröffentlicht im Gemeindebrief der Dorfkirche Britz''. Ausgaben Februar 1979 bis Dezember 2000. {{Webarchiv |url=http://81.169.154.211/sites/sgmall.nsf/a088926ea7f8a3c8c1256b6a0059f482/e33b7f3101f91c9fc1256b70006a08ce/$FILE/Britz.pdf |text=Britz |wayback=20060207015347}} (PDF) zum Rollkrug: S.&nbsp;36, zu den Windmühlen: S.&nbsp;31
* Wasyl Timofejewitsch Kudrenko: ''Bist Du Bandit? Das Lagertagebuch des Zwangsarbeiters Wasyl Timofejewitsch Kudrenko''. Wichern Verlag, Berlin 2005, ISBN 3-88981-173-6. <small>Zitate nach den Informationstafeln, siehe „sonstige Quellen“</small>
* Jürgen Meyer-Kronthaler: ''Berlins U-Bahnhöfe – Die ersten hundert Jahre''. be.bra Verlag, Berlin 1996, ISBN 3-930863-16-2.
* Jürgen Meyer-Kronthaler, Wolfgang Kramer: ''Berlins S-Bahnhöfe – Ein dreiviertel Jahrhundert''. be.bra. verlag, Berlin 1998, ISBN 3-930863-25-1. <small>Zitat zu ''Hermann Boddin'': S.&nbsp;120</small>
* Robert Riedel (Hrsg.): ''Berlin und seine Bauten. Teil V: Bauwerke für Kunst, Erziehung und Wissenschaft, Band A: Bauten für die Kunst''. Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin 1983, ISBN 3-433-00944-9.<!-- Quelle für Mercedes-Palast und Stern-Palast -->
* [[Erich Schuppan]] (Hrsg.): ''Sklave in Euren Händen. Zwangsarbeit in Kirche und Diakonie Berlin-Brandenburg''. Wichern Verlag, Berlin 2003, ISBN 3-88981-155-8.
* Klaus Konrad Weber, Peter Güttler, Ditta Ahmadi (Hrsg.): ''Berlin und seine Bauten. Teil X Band A: Anlagen und Bauten für die Versorgung (3) Bestattungswesen''. Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin 1981, ISBN 3-433-00890-6.<!-- Quelle für die Kirchhofbeschreibungen -->

== Weblinks ==
{{Commons|Hermannstraße (Berlin-Neukölln)|Hermannstraße und Kieze}}
* {{LuiseLexStr |art=a |bez=14 |id=H499 |zlb98=847 |kaupert=Hermannstrasse-12049-12051-Berlin |name=Hermannstraße}}
** {{LuiseLexStr |art=h |bez=14 |id=S1676 |zlb98=1930 |name=Straße nach Britz |abk=Luise}}
* {{Webarchiv |url=http://www.rollberg.de/schillerpromenade/ |text=Schockwellenreiter, Kiez Schillerpromenade |wayback=20070927030955}}
* [http://www.neukoelln-online.de/denkmale/rixdorf/siedlung_schillerpromenade.htm Neukölln online, Siedlung Schillerpromenade]
* [http://www.neukoelln-online.de/denkmale/rixdorf/siedlung_schillerpromenade.htm Neukölln online, Siedlung Schillerpromenade]
*[http://www.rbb-online.de/_/fernsehen/magazine/beitrag_jsp/key=rbb_beitrag_2563112.html rbb-online, 07.05.2005: ''Vor 60 Jahren: Befreiung der kirchlichen Zwangsarbeiter in Berlin'']
* [http://www.rbb-online.de/_/fernsehen/magazine/beitrag_jsp/key=rbb_beitrag_2563112.html rbb-online, 7. Mai 2005: ''Vor 60 Jahren: Befreiung der kirchlichen Zwangsarbeiter in Berlin'']
* [http://www.kindlboulevard.de/ Kindl-Boulevard]
* [http://www.kindlboulevard.de/ Kindl-Boulevard]
* [http://www.frauengewerbezentren.de/zentren/berlin%20neukoelln.htm Frauenwirtschaftszentrum Neukölln]
* [http://www.frauengewerbezentren.de/zentren/berlin%20neukoelln.htm Frauenwirtschaftszentrum Neukölln]
* [http://stadtschnellbahn-berlin.de/bahnhof/233.html Kurze Beschreibung des S-Bhf. Hermannstraße mit alten Bildern]
* [http://www.berliner-untergrundbahn.de/st-801.htm Beschreibung des U-Bahnabschnittes H.-Heinrich-Str. - Hermannstraße mit genauen (architektonischen) Bahnhofsbeschreibungen und Bildern]


== Einzelnachweise ==
{{Exzellent}}
<references responsive />

{{Coordinate|NS=52/28/21.72/N|EW=13/25/41.41/E|type=landmark|region=DE-BE}}

{{Exzellent|24. Dezember 2005|11939266}}


{{SORTIERUNG:Hermannstrasse #Berlin Neukolln}}
[[Kategorie:Straße in Berlin]]
[[Kategorie:Straße in Berlin]]
[[Kategorie:Stadtbaugeschichte]]
[[Kategorie:Berlin-Neukölln]]
[[Kategorie:Berliner Geschichte]]
[[Kategorie:Arminius als Namensgeber]]
[[Kategorie:Berliner U-Bahnhof]]
[[Kategorie:Straße in Europa]]
[[Kategorie:S-Bahnhof|Berlin Hermannstraße]]

Aktuelle Version vom 24. März 2024, 21:05 Uhr

Hermannstraße
Wappen
Wappen
Straße in Berlin
Hermannstraße
Hermannstraße
Hermannstraße Ecke Boddinstraße
Basisdaten
Ort Berlin
Ortsteil Neukölln
Angelegt um 1875
Hist. Namen Straße nach Britz
(1859 bis 1874)
Anschluss­straßen
Kottbusser Damm (nördlich),
Britzer Damm (südlich)
Querstraßen (Auswahl)
Hasenheide,
Karl-Marx-Straße,
Columbiadamm,
Flughafenstraße,
Silbersteinstraße,
Mariendorfer Weg
(→ vollständige Übersicht)
Plätze Hermannplatz
Bauwerke Alter Kirchhof der St.-Jacobi-Gemeinde,
Hermannshof,
Kirchhof der Emmausgemeinde,
Kirchhof der St.-Michael-Gemeinde,
Kirchhof der St.-Thomas-Gemeinde I,
Kirchhof der St.-Thomas-Gemeinde II,
Kirchhof V der Jerusalems- und Neuen Kirche,
Neuer Kirchhof der Luisenstadtgemeinde,
Neuer Kirchhof der St.-Jacobi-Gemeinde
Nutzung
Nutzergruppen Fußverkehr, Radverkehr, Autoverkehr, ÖPNV
Technische Daten
Straßenlänge 2490 Meter
Nördliches Ende der Hermannstraße am Hermannplatz
Kreuzung am Rollkrug und Rollberge 1842; die rote Linie oben bezeichnet die damalige Stadtgrenze

Die Hermannstraße führt im Berliner Ortsteil Neukölln vom Hermannplatz rund 2,6 Kilometer in Richtung Süden und setzt sich nach der Ecke Juliusstraße beziehungsweise nach der neuen Autobahnauffahrt des Berliner Stadtrings als Britzer Damm fort. Mit der Weiterführung als Buckower Damm in Richtung Großziethen ist der Straßenzug eine der historischen und größeren Berliner Nord-Süd-Verbindungen. Mehrere Kieze und Kirchhöfe bestimmen das Bild und die Struktur der dicht bebauten Wohn- und Geschäftsstraße. Bei ihrer Anlage um 1900 als bürgerliches Viertel konzipiert, zählen zwei der Kieze zu den sozialen Brennpunkten Berlins.

Verlauf auf dem Teltowhang

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Im ersten Teil verläuft die Hermannstraße – lediglich durch eine kleine Nebenstraße getrennt – parallel zum Volkspark Hasenheide. Auf diesem sanft ansteigenden Teilstück führt sie aus dem Berliner Urstromtal auf den Teltowhang hinauf, einer flachwelligen Hochebene, die sich im Mittel rund 15 Meter über das Niveau des zentralen Berlins erhebt. Der Teltowhang wechselt seine Richtung in der Hasenheide von Ost nach Süd, sodass die Hermannstraße an der Ecke zur Flughafenstraße das Höhenniveau der Teltowplatte erreicht und sich auf ihrem Hang fortsetzt.

Die parallele Neuköllner Magistrale hingegen, die Karl-Marx-Straße, liegt im tieferen Spreetalniveau mit der Folge, dass sämtliche Querverbindungen zwischen den beiden Hauptstraßen abschüssig verlaufen. Besonders anschaulich ablesbar ist diese geologische Gegebenheit an der Rollbergstraße, die vom zubetonierten ehemaligen Rollberg hinunterführt. Das Gefälle ist – für Berliner Verhältnisse – sehr ausgeprägt: die Bewohner der zur Hermannstraße hin gelegenen Rollbergsiedlung pflegten früher die eher einfachen Behausungen dieser Arbeitergegend ironisch als ihre „Chalets in den Rixdorfer Alpen“ zu bezeichnen.

Getrennt durch den Kiez an der Schillerpromenade und durch den Werner-Seelenbinder-Sportpark (ehemals: Sportpark Neukölln) verläuft die Hermannstraße ab Flughafenstraße parallel zum Gelände des Flughafens Tempelhof, der sich südlich an den Volkspark Hasenheide anschließt. In dem Bereich ab U-Bahnhof Leinestraße Richtung Süden passiert die Hermannstraße sechs verschiedene Kirchhöfe, die jeweils als schmale Streifen Richtung Westen zum Flughafen oder Richtung Osten zur Karl-Marx-Straße reichen.

Dabei schließt der St. Thomas-Kirchhof den Schillerpromenadenkiez (kurz: Schillerkiez) bis zum Flughafen für den Autoverkehr ab, was zu einer ähnlichen Insellage des Kiezes wie bei der Schöneberger Roten Insel führt. Noch isolierter liegt der anschließende Warthekiez, dessen Südgrenze der St. Jacobi-Kirchhof bildet. Das folgende Viertel um die Emser Straße, das die Hermannstraße bis zur S-Bahn-Trasse begleitet, liegt vergleichsweise wieder etwas offener.

Zwei Namenspatrone

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Die bis dahin unbenannte Straße erhielt 1859 die Bezeichnung Straße nach Britz. Ab 1875 wurde sie nach und nach von Norden her in Hermannstraße umbenannt und seit 1899 trägt sie auf der gesamten Länge ihren heutigen Namen. Für die Namensgebung gibt es eine offizielle und eine inoffizielle Version.

Arminius-Apotheke

Offiziell benannt ist die Straße nach Hermann dem Cherusker, der im von Patriotismus und Nationalismus geprägten Deutschland des 19. Jahrhunderts gebräuchlichen Namensform des Cheruskerfürsten Arminius. Der historische Arminius hatte im Jahr 9 die römischen Legionen unter Varus in der Schlacht im Teutoburger Wald vernichtend geschlagen. Von ihm ist nur die latinisierte Namensform überliefert, die Übertragung mit dem Namen Hermann ist aber wahrscheinlich nicht historisch. Der mythisch verklärte und überhöhte Arminius wurde als Hermann eine wichtige Identifikationsfigur des jungen deutschen Kaiserreichs, wofür das 1875 fertiggestellte Hermannsdenkmal bei Detmold das berühmteste Zeugnis ist.

Fast die gesamte Kaiserzeit hindurch war die beherrschende Figur der Lokalpolitik Rixdorfs, das ab 1912 Neukölln hieß und 1920 nach Berlin eingemeindet wurde, der Ortsvorsteher und spätere Bürgermeister Hermann Boddin (1844–1907). Eine Seitenstraße der Hermannstraße, die Boddinstraße, ist nach ihm benannt. Darüber hinaus gibt es den Boddinplatz, den U-Bahnhof Boddinstraße, die Hermann-Boddin-Grundschule, ein Ehrengrab auf dem landeseigenen Friedhof Britz sowie eine Gedenktafel. Die patriarchalische Dominanz, mit der Boddin „seine“ Vorstadtgemeinde beherrschte, führte unter den Rixdorfern zu der Mutmaßung, dass die Namensgebung der viel größeren, bedeutenderen Hermannstraße – für deren Ausbau er sich seit seinem Amtsantritt im Jahr 1874 massiv eingesetzt hatte – in ihrer Doppeldeutigkeit von Boddin zumindest nicht ungern gesehen wurde. Meyer-Kronthaler und Kramer teilen dazu mit: „[…] bis heute ist nicht hundertprozentig geklärt, welcher Hermann seither als Namenspatron fungiert. […] Glaubt man den Akten des Bezirksamtes, ist Boddin gemeint, obwohl bereits 1924 ein Dementi auf dem Tisch lag, das Boddins Schwager veröffentlichte.“

Auf Boddins Initiative geht die Umbenennung des als Vergnügungsviertel übel beleumundeten Rixdorfs (Gassenhauer: In Rixdorf ist Musike) zu Neukölln zurück, die Kaiser Wilhelm II. allerdings erst nach dem Tod des Bürgermeisters bewilligte. Die Umbenennung sollte die Anziehungskraft beispielsweise des neuen Viertels an der Schillerpromenade für Besserverdienende erhöhen. Die Baugenehmigung hatte Boddin als Bürgermeister durchgesetzt, das Viertel entstand nicht zuletzt auf seine Initiative – und er soll von diesen Bauten finanziell nicht unwesentlich profitiert haben.

Aus der Frühzeit der Hermannstraße

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Historische Kreuzung am Rollkrug

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Blick von den Rollbergen auf den Rollkrug am heutigen Hermannplatz, weit vor den Toren des alten Berlin, das im Hintergrund zu sehen ist. Rechts die Dresdener Heerstraße zum Kottbusser Tor, der heutige Kottbusser Damm.
Ausschnitt eines Gemäldes von Wilhelm Barth aus dem Jahr 1834
Der Rollkrug um 1900 an der Ecke zum Hermannplatz

Lange bevor die Hermannstraße ihren Namen erhielt, stand an ihrem nördlichen Ausgangspunkt mit dem historischen Rollkrug ihr erstes Gebäude, das sich damals noch weit außerhalb der Berliner Stadtgrenze südlich des Cottbusser Tors befand. Die Pferdewechselstation lag zwischen Bruchländereien und Wiesen an der Wegkreuzung, die den Hermannplatz bildet. Zu dieser Zeit passierte hier zum einen die West-Süd-Ost-Verbindung vom Halleschen Tor über Rixdorf nach Wusterhausen, die durch die Hasenheide und über die Schlächterwiesen zur alten Wusterhausener Chaussee führte. Diese Verbindung ist ab Hermannplatz weitgehend identisch mit der Bundesstraße 179, die 1849 von der Wusterhausen-Lübbener Chausseebau-Aktiengesellschaft als befestigte Kunststraße (Chaussee) erbaut wurde und, ihrem Namen entsprechend, über Wusterhausen bis nach Lübben im Spreewald verlief. Bis zur Berliner Grenze ist dieser Straßenzug dargestellt durch: Hasenheide, Karl-Marx-Straße, Buschkrugallee, Rudower Chaussee, Neuköllner Straße und Waltersdorfer Chaussee. Zum anderen kreuzte die alte Nord-Süd-Verbindung vom Kottbusser Tor nach Mittenwalde, die als Dresdener Heerstraße (heute: Kottbusser Damm) begann und sich im heutigen Straßenzug Hermannstraße, Britzer Damm usw. fortsetzte. Der Rollkrug bestand bis zum Jahr 1907 und wurde nach seinem Abriss durch ein Geschäftshaus ersetzt. In den ersten Jahren beheimatete das Gebäude eines der prominentesten Berliner Kinos.

Vier Windmühlen an der Straße

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In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts standen entlang der Hermannstraße verschiedene Windmühlen. Es gab die Mühle von Hänsche, ferner befand sich an der Ecke zur Leykestraße die Rohleder’sche und nur wenige Schritte weiter südlich gegenüber dem St. Thomas-Kirchhof die Fuhrmann’sche – allesamt Bockwindmühlen. Die einzige Holländermühle der Straße krönte zwischen 1860 und wahrscheinlich 1872 den Rollberg; die Jungfernmühle kam aus Potsdam und wurde dann weiter nach Buckow in die Goldammerstraße 34 umgesetzt, wo sie als einzige erhaltene der ehemaligen Hermannstraßenmühlen noch steht.

Hermannshof (Portalansicht)

Von 1904 bis 1905[1] entstand an der Hermannstraße 48 im zweiten Hinterhof der Hermannshof. Dies war nötig geworden, weil es zuvor keine Gewerbehöfe gab, die meisten Anwohner arbeiteten außerhalb des Kiezes. Schon seit seiner Erbauung trägt der Gewerbebau diesen Namen. Im Unterschied zu den für die Zeit typischen Rixdorfer Gewerbe-Hinterhäusern wurde der Hermannshof ebenso bekannt wie der Elisabeth- oder Oranienhof in Kreuzberg, das heißt, er erhielt einen individuellen, auf den Standort bezogenen Namen. Auch äußerlich hebt sich das Fabrikgebäude ab, beispielsweise durch die großen, kleinteilig gegliederten Fenster, die lichterfüllte Räume schaffen. Schmuckformen und Namenszug (noch im Original erhalten) betonen Mittelachse und Portal in einer für Gewerbebauten ungewöhnlichen Weise. Es sind in dem denkmalgeschützten[2] Gebäude Vereine, Wohngemeinschaften und Kunstprojekte untergebracht, es dient nicht mehr als Industriegebäude. Neben dem Hermannshof entstand gleichzeitig der Ottilenhof auf dem Grundstück an der Hermannstraße 56/57, der im Jahr 2000 grundlegend saniert wurde.

Kirchhöfe und Zwangsarbeiter

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Neben der fast ununterbrochenen Wohn- und Geschäftshausreihe bestimmen mehrere Kirchhöfe das Bild der Hermannstraße, in deren Bereich auf engstem Raum eine einzigartige Ansammlung von acht Friedhöfen zu verzeichnen ist.

Einmalige Konzentration

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Kirchhof St. Michael, eingezwängt in die Häuserlinie

Die Gründung der Friedhöfe geht überwiegend auf Gemeinden des ehemaligen Stadtteils Luisenstadt zurück. Deshalb befinden sich die Gemeinden nicht in Neukölln, sondern zu einem großen Teil in Kreuzberg. Nach den rasanten Bebauungsmaßnahmen der Gründerzeit (die Einwohnerzahl des alten Berlins, des heutigen Kernbereichs der Stadt, vervierfachte sich von 500.000 im Jahr 1861 auf zwei Millionen 1910) fanden die Berliner Gemeinden in der engen Stadt keinen Platz mehr für ihre Grabstätten und verlegten die Friedhöfe vor die Tore der Stadt. Auf den Feldern und Wiesen vor dem Cottbusser Tor fanden sich freie und preiswerte Flächen, die zudem über die Landstraße Hermannstraße gut zu erreichen waren. Die Kirchhöfe entstanden zu beiden Seiten der Straße, wobei die nach Osten, Richtung Karl-Marx-Straße verlaufenden Anlagen das abschüssige Gefälle der ehemaligen Rollberge aufweisen. Die Hälfte der acht Friedhöfe steht als Gartendenkmale unter Schutz.

Schon vor dem großen Bauboom der Stadt legte die evangelische St. Jacobi-Gemeinde im Jahr 1852 den ersten der Hermannstraßenkirchhöfe in unmittelbarer Nachbarschaft zum Rollkrug an. Dieser einzige Friedhof im unteren ersten Straßenteil liegt im Bereich zur Karl-Marx-Straße. Anders als die schmalen, querliegenden Kirchhofstreifen im mittleren Straßenteil verläuft der Kirchhof für rund einhundert Meter parallel zur Straße und sorgt gegenüber der dichten Häuserreihe des Hermannstraßenkiezes für eine ihrer wenigen grünen und offenen Passagen.

Die Konzentration liegt im mittleren Straßenbereich um den U-Bahnhof Leinestraße. Zwischen der Oker- und der Emser Straße entstanden hier in den 1860er und 1870er Jahren sechs, gleichfalls schmale und senkrecht liegende, Kirchhöfe. Die Straßenfront dieser Begräbnisstätten ist jeweils nur sehr kurz, in die Tiefe erstrecken sie sich dagegen bis über 600 Meter. Alle diese Kirchhöfe zeichnen sich durch eine lange Mittelallee aus, die durch eine unterschiedliche Anzahl von Rondellen und Querwegen aufgelockert wird. Nur im oberen Bereich findet man einige Erbbegräbnisstätten an den Seitenmauern, was auf die Bevölkerungsstruktur zurückzuführen ist. Die Kapellen und Verwaltungsgebäude stehen meist im Bereich des Eingangstores, die Rondelle besitzen gelegentlich Bildwerke, die die Tiefe der Alleen optisch unterbrechen.

Am südlichen Ende der Hermannstraße befindet sich mit dem Emmauskirchhof parallel zum neuen Autobahntunnel ein Friedhof, der gleichfalls senkrecht zur Straße liegt und die Bebauung kaum auflockern kann.

Verwirrende Nummerierung der Hermannstraße und uneinheitliche Bezeichnung der Friedhöfe

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Mit dem Beginn der Bebauung hatte die Rixdorfer Verwaltung eine Nummerierung der Häuser nach dem Hufeisenprinzip festgelegt. Diese Berliner Nummerierung geht darauf zurück, dass die vom Schlossplatz (im Stadtzentrum) gesehen rechte Seite (in diesem Fall also die westliche) fortlaufende Nummern trägt, dann die Ostseite zurück in umgekehrter Richtung bis zur höchsten Hausnummer. Die Parzellen in der Hermannstraße waren also nicht wechselseitig nach geraden und ungeraden Hausnummern von Straßenseite zu Straßenseite durchgezählt. Die Zählung begann hier mit der Nummer 1 auf der Westseite am Hermannplatz/Hasenheide und reichte bereits in den 1880er Jahren bis zur Nummer 171. Viele freie Parzellen dazwischen waren im Adressbuch als Baustellen ausgewiesen.[3] Die Friedhöfe trugen anfangs die Nummern 73 (Jerusalemer und Neue Kirche), 77 (Jakobi-Gemeinde) und 168. In der folgenden Übersicht wurden sie nach ihrer Lage jeweils von Nord nach Süd sortiert. Dabei ist zu beachten, dass sich die Kirchhöfe des mittleren Bereichs weitgehend und insbesondere die beiden Kirchhöfe der St. Thomas-Gemeinde trotz der vollkommen unterschiedlichen Nummern genau gegenüberliegen.

Im Jahr 1900 reichten die Parzellennummern der Hermannstraße schon bis zur Nummer 258, sie wurden demzufolge mit der zunehmenden Bebauung wieder neu vergeben, die Friedhöfe finden sich nun wie folgt: 79–83 St. Thomas, 84–90 Jerusalemer und Neue Kirche, 99–105 Jacobi-Gemeinde, 129–137 Emmaus-Gemeinde, 186–190 Luisen-Kirchhof und 191–195 St. Michael.[4] Die Bezeichnung der Kirchhöfe bleibt im 21. Jahrhundert in der überkommenen Form. Über dem Eingangsportal befindet sich der alte Schriftzug „Friedhof der St. Michael Gemeinde“, eine Tafel am Portal nennt den Kirchhof „Alter Friedhof der Kath. Gemeinde St. Michael“ und eine historische Tafel 20 Meter neben dem Portal trägt die Aufschrift „Kirchhof der Katholischen St. Michael Gemeinde“. Die nachfolgende Orientierung entspricht der Namensgebung der jeweiligen Gemeinden.

Acht Kirchhöfe im Einzelnen

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Nördlicher Bereich, ein Kirchhof
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Alter Kirchhof der St.-Jacobi-Gemeinde, Hermannstraße 234–253 (Ostseite)/Karl-Marx-Straße 4–10

Im unteren Straßenbereich kurz hinter dem Hermannplatz liegt der Alte Kirchhof der St. Jacobi-Gemeinde. Das Gartendenkmal zwischen Hermannstraße und Karl-Marx-Straße ließ die St.-Jacobi-Gemeinde bereits 1852 anlegen. Es handelt sich um eine weitestgehend geometrische Anlage mit Alleen und Einzelbäumen, vor allem Kastanien und Linden. Schmuckplätze sind auf den 40.908 m² nicht vorhanden.

An der Friedhofsmauer befinden sich Erbbegräbniswände und im Ostteil des Kirchhofes kam später ein Urnenhain hinzu. Die Kapelle baute von 1911 bis 1912 Stadtbaurat Reinhold Kiehl als einen rechteckigen Putzbau im antik römischen Stil. Die Wandflächen erhielten eine Struktur durch Puttenfries und Pilaster. Die Vorhalle ist offen in der Mittelachse gestaltet, daran schließt sich ein rechteckiger Hauptraum mit einer halbkreisförmigen Apsis, toskanischen Säulen an den Seiten und kleineren Pilastern und Pfeilern im Chorbereich an. Die teilweise farbige Fensterung besteht aus Rundbogenfenstern, die mit Blenden abwechseln und darüber liegenden quadratischen Fenstern. Gemeinsam mit dem Verwaltungsgebäude, dem Eingangstor und dem anschließenden Kirchhofsgitter aus metallenen Speeren und toskanischen Säulen sowie einem Kolonnadenteil ist die Kapelle zu einer Baugruppe vereint, die zur gleichen Zeit zur Ausführung kam. Nach seiner teilweisen Zerstörung im Krieg konnte die St. Jacobi-Gemeinde das Ensemble bereits kurz nach Kriegsende wiederherstellen.

Grab Reinhold Kiehls

Der Stadtrat Reinhold Kiehl, auf den denkmalgeschützte Bauten wie das Rathaus Neukölln und die Königlich-Preußische Baugewerkschule, die spätere Technische Fachhochschule für Bauwesen von 1914 und heutige Carl-Legien-Oberschule in der Leinestraße am Ende der Schillerpromenade zurückgehen, fand hier 1913 seine letzte Ruhestätte; das Grabmal trägt den Schriftzug „Seinem Andenken die Stadt Neukölln“. Neben Hermann Boddin dürfte Kiehl, nach dem das Kiehlufer am Neuköllner Schiffahrtskanal benannt wurde, der bekannteste Lokalpolitiker aus der Rixdorfer Zeit sein.

Der Indologe Albrecht Weber (1825–1901), der Maler und Grafiker Franz Skarbina (1849–1910), ebenso wie der Märchenforscher, Germanist und Volkskundler Johannes Bolte (1858–1937) wurden hier bestattet.

Mittlerer Bereich, Ostseite, drei Kirchhöfe
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Höhe U-Bahnhof Leinestraße, Reihenfolge in Richtung Süden

Kirchhof St. Michael, Kruzifix im vorderen Rondell
Kirchhof St. Michael, Erzengel Michael

Kirchhof der St.-Michael-Gemeinde, Hermannstraße 191–195 (Ostseite)

Der Kirchhof der St.-Michael-Gemeinde entstand in den Jahren 1863 bis 1895 in mehreren Etappen auf einer Fläche von 21.537 m² geometrisch entlang einer zentralen Allee mit Eichen und Linden sowie drei Rondellen. Im vorderen Rondell steht ein dominantes Kruzifix.

Die Kapelle des Kirchhofs an der Straße von einem unbekannten Architekten im spätromantischen Stil stammt aus dem Jahr 1884. Die Fassade besteht aus gelben Verblendziegeln, wobei die Straßenfront optisch in drei Bereiche geteilt ist. Im Giebel befindet sich ein Glockenträger, darunter ein Christuskopf, angebaut sind eine Leichenhalle sowie ein Verwaltungsgebäude. 1912 erfolgte eine Umgestaltung der Fassade sowie ein weiterer Ausbau der Kapelle, im Zweiten Weltkrieg kam es zu Beschädigungen und 1954 restaurierte Wilhelm Fahlbusch das Gebäude. In einer Nische im Eingangsbereich fällt eine beeindruckende Skulptur des Erzengels Michael in den Blick.

Als Ehrengräber finden sich auf dem Friedhof die Grabstätten der beiden Stadtältesten Alfred Rojek und Richard Schönborn sowie des Schriftstellers und Übersetzers August Scholz.

Neuer Kirchhof der Luisenstadtgemeinde, Hermannstraße 186–190 (Ostseite)

Der Neue Kirchhof der Luisenstadtgemeinde stammt aus dem Jahr 1865. Das 47.996 m² große Gelände besitzt eine Hauptallee, von der mehrere Nebenalleen als Querwege abgehen und ist durch vier Rondelle aufgelockert. Die Bepflanzung besteht hauptsächlich aus Linden.

Die Kapelle aus den Jahren 1958/1959 ist ein Werk der Architekten Paul und Jürgen Emmerich. Es handelt sich um einen Bau mit rechteckiger Grundfläche und einem Pultdach, der mit Klinkersteinen und Rauputz gestaltet ist, die Stirnfläche ist verglast. Die Vorhalle besitzt auf den Seitenwänden Putzschnittdarstellungen. Das Gebäude wird als Leichenhalle genutzt.

St. Thomas-Kirchhof am U-Bahnhof Leinestraße

Kirchhof der St.-Thomas-Gemeinde I, Hermannstraße 179–185 (Ostseite)

Der erste (auch: Alte) Kirchhof der St. Thomas-Gemeinde entstand 1865. Das Gartendenkmal ist 51.993 m² groß und wie alle anderen Kirchhöfe geometrisch angelegt. Das Zentrum bildet eine Platanenallee mit vier Rondellen und vier Queralleen, die von Fichten und Linden gesäumt sind. Die Randbepflanzung stellen ebenfalls Linden dar, außerdem unterteilen Taxus-Hecken die Flächen.

Die Kapelle geht auf das Jahr 1870 zurück, der Architekt ist Paul Erdmann. Es handelt sich um einen Backsteinbau mit Kreuzverbund. Die Halle ist seitlich geöffnet und besitzt eine gebrochene Apsis sowie zweiteilige Fenster. Der Innenbereich weist eine halbkreisförmige Altarnische sowie eine Empore auf. Ebenfalls auffällig ist das achteckige Blumenhaus, das wahrscheinlich in den 1920er-Jahren entstand.

Reinhold „Krücke“ Habisch (1889–1964), das Berliner Original und als „Erfinder“ der legendären vier Pfiffe im Sportpalast-Walzer heimlicher Star vieler Sechstagerennen, hat hier seine letzte Ruhestätte. Außerdem befinden sich hier das Grab des ehemaligen Berliner Oberbürgermeisters Robert Zelle, das Grab des Rixdorfer Stadtrats Gustav Leyke, Namensgeber der benachbarten Leykestraße, sowie das Gemeinschaftsgrab der Stadtältesten Marie und Wilhelm Wagner.

Auf dem Kirchhof befinden sich zudem ein Gedenkpavillon und ein Gedenkstein für ein Zwangsarbeiterlager, das sich auf dem Kirchhof V der Jerusalems- und Neuen Kirche in der Hermannstraße 84–90 befand. Der 2002 auf dem Kirchhof V errichtete Gedenkstein wurde später (spätestens 2013) auf den Kirchhof der St.-Thomas-Gemeinde II umgesetzt (siehe unten Kapitel Zwangsarbeiterlager auf dem Kirchhof der Jerusalems- und Neuen Kirche).

In der Straßenfront des Kirchhofs befindet sich seit Dezember 2019 der Sitz der Stadtentwicklungsgesellschaft mbH STATTBAU (182), die in ihrem Arbeitsfeld Stadt·Raum·Kirche in Zusammenarbeit mit dem Kirchenkreis Berlin Stadtmitte für Friedhöfe an der Hermannstraße Friedhofsentwicklungspläne entwickelt. Seit 2014 erarbeitet und 2016 beschlossen wurde ein Integriertes Friedhofsentwicklungskonzept für Berlin-Neukölln.[5]

Mittlerer Bereich, Westseite, drei Kirchhöfe, Zauberladen
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Höhe U-Bahnhof Leinestraße, Reihenfolge in Richtung Süden

Kirchhof der St.-Thomas-Gemeinde II, Hermannstraße 79–83 (Westseite)

Der jüngere Kirchhof der St.-Thomas-Gemeinde wurde 1872 angelegt. Er besitzt auf der Fläche von 65.697 m² eine Hauptallee mit Platanenbepflanzung sowie ein Rondell, ein weiteres kann vorhanden gewesen sein. Die Randbepflanzung stellen Pyramidenpappeln dar. Eine Kapelle gibt es auf diesem Kirchhof nicht, da die Kapelle auf dem gegenüberliegenden ersten Kirchhof der Gemeinde für beide Teile ausreichte. Seit Anfang 2007 wird dieser Friedhof abgeräumt und am 10. Juli 2017 als Anita-Berber-Park der Öffentlichkeit übergeben. Das aus Klinkern gemauerte, mit eisernen Gittern versehene Tor mit angrenzender Einfassung zur Hermannstraße hin ist als Denkmal erhalten.

Die 1928 gestorbene Tänzerin (Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase) und Schauspielerin (Dr. Mabuse, der Spieler von Fritz Lang) Anita Berber war hier bestattet. Das Grab ist nicht mehr vorhanden, da die Friedhofsverwaltung die Ruhestätte nach Ablauf der Belegungsfrist aufgelöst hat.

Kirchhof V der Jerusalems- und Neuen Kirche, Hermannstraße 84–90 (Westseite)

Evangelischer Kirchhof V der Jerusalems- und Neuen Kirche mit Blick zur ehemaligen Friedhofs­kapelle, jetzt als bulgarisch-ortho­doxe Kathedralkirche des Hl. Zaren Boris des Täufers geweiht

Der fünfte Kirchhof der Jerusalems- und Neuen Kirchen-Gemeinden zu Berlin aus den Jahren 1870–1872 besitzt eine zentrale Lindenallee mit sieben Querwegen und mehreren Rondellen, das Gelände ist 56.024 m² groß.

Die Kapelle legte Louis Arndt in den Jahren 1899/1900 als roten Backsteinbau im gotischen Stil an. Nach Kriegsbeschädigungen erfolgte nach Kriegsende ihr Wiederaufbau. 2002 überließ die Eigentümerin, die Evangelische Kirchengemeinde in der Friedrichstadt, die Kapelle für 30 Jahre an eine Gemeinde der Bulgarisch-Orthodoxen Kirche gegen Auflage des Bauunter- und -erhalts. An Ostern 2003 weihte der Bischof der Diözese von West- und Mitteleuropa die Kapelle als Kathedralkirche des Hl. Zaren Boris des Täufers. Der Verwaltungsbau und das Tor an der Hermannstraße entstanden bereits 1873, der Architekt ist unbekannt. 1877 erfolgte ein Umbau des Verwaltungsgebäudes zur Leichenhalle, den C. Dammeier vornahm.

Während der letzten beiden Jahre des Zweiten Weltkriegs stand am Westende des Kirchhofs, kurz vor dem ehemaligen Flughafen Tempelhof, eine Baracke für Zwangsarbeiter, die auf den umliegenden Friedhöfen arbeiten mussten. Am Standort des Zwangsarbeiterlagers wurde eine Gedenktafel errichtet. 2002 wurde zudem ein Gedenkstein des Berliner Bildhauers Rainer Fest nahe am Eingang Hermannstraße eingeweiht. Der Gedenkstein wurde später (spätestens 2013) auf den Kirchhof der St.-Thomas-Gemeinde II, Hermannstraße 179–185, umgesetzt (siehe unten Kapitel Zwangsarbeiterlager auf dem Kirchhof der Jerusalems- und Neuen Kirche).

Die Kirchhöfe St. Thomas I und Jerusalems- und neue Kirche V dienten zusätzlich gemeinsam als östliche Einflugschneise des ehemaligen Flughafens Tempelhof und waren aus diesem Grund mit Reihen von Leuchtfeuermasten durchzogen.

Zauberladen, Herrmannstraße 84–90

Auf dem Friedhofsareal befinden sich weiterhin Baracken, in einer von ihnen hatte seit 1952 das Geschäft Zauberkönig sein langjähriges Domizil. Der Magier Josef Leichtmann hatte 1884 einen Handel mit Zubehör für Zauberei in der Friedrichstraße eröffnet. Die Tochter übernahm das Geschäft zusammen mit ihrem Ehemann Arthur Kroner, musste aber 1938 an einen arischen Betreiber übergeben, weil die Leichtmanns und die Kroners Juden waren. Die frühere Angestellte Regina Schmidt wurde Inhaberin.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Teilung der Stadt in vier Sektoren zog Regina Schmidt aus dem Ostteil Berlins an einen neuen Standort in Neukölln, in eine der rasch errichteten Behelfsbauten. Nach Schmidts Tod übernahmen wieder Familienmitglieder die Geschäfte. Ab den späten 2010er Jahren wurde bekannt, dass die kirchlichen Grundstückseigentümer anstelle der Baracken neue Gebäude errichten lassen wollen, betrieben von einer gemeinnützigen Stiftung. So musste Zauberkönig im Sommer 2018 schließen, bekam aber die Möglichkeit, schräg gegenüber in der gleichen Straße neu eröffnen zu können.[6][7]

Ehrengrab für Bruno Bauer auf dem Neuen St.-Jacobi-Kirchhof. Inschrift:
„Er war ein Bürger Rixdorfs“

Neuer Kirchhof der St.-Jacobi-Gemeinde, Hermannstraße 99–105 (Westseite)

Der Neue Kirchhof der St.-Jacobi-Gemeinde aus dem Jahr 1867 verfügt über eine Fläche von 74.048 m², eine zentrale Lindenallee mit mehreren Rondellen und fünf Querwege.

Das Baujahr und der Architekt der im romantischen Stil gehaltenen asymmetrischen Kapelle sind nicht bekannt. Sie hat eine Fassade aus gelben Verblendziegeln im Kreuzverbund und besitzt eine halbkreisförmige Apsis sowie mehrere flache Nebengebäude. Im Krieg beschädigt kam es 1952 zum Wiederaufbau der Kapelle.

Auf dem St. Jacobi-Kirchhof befindet sich das Grab des Theologen Bruno Bauer (1809–1882), dessen Arbeiten Karl Marx und Friedrich Engels in Die Deutsche Ideologie (1845/1846) polemisch kritisierten („Sankt Bruno“). Der Grabstein trägt die Inschrift: „Er war ein Bürger Rixdorfs“.

In Theodor Fontanes Roman Irrungen, Wirrungen (1888 erschienen, spielt in Berlin um 1880) wird dieser Friedhof im 22. Kapitel erwähnt. Botho von Rienäcker, Protagonist dieser Geschichte, besucht hier das Grab der Ziehmutter seiner Geliebten, Lene Nimptsch. Im Roman wird im 21. Kapitel auch die Anfahrt recht ausführlich beschrieben: Über Kreuzberg geht es dann an der Hasenheide, dem Rollkrug und dem überfüllten Alten Kirchhof der St. Jacobi-Gemeinde vorbei, die Hermannstraße hinunter.

Südlicher Bereich, ein Kirchhof
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Kirchhof der Emmausgemeinde, Hermannstraße 129–137 (Westseite)

Das Gartendenkmal Emmauskirchhof der gleichnamigen Gemeinde aus dem Jahr 1888 liegt am Südende der Hermannstraße kurz vor ihrem Übergang in den Britzer Damm, parallel zum neuen Autobahntunnel Richtung Westen (siehe unten Kapitel Radverkehr).

Der Friedhof ist zugleich der jüngste und mit 128.781 m² der größte Kirchhof an der Hermannstraße. Der Baumeister der Kapelle aus der Zeit um 1900 ist unbekannt. Stilistisch ist das Gebäude im Übergangsbereich zwischen Romantik und Gotik einzuordnen. Es handelt sich um einen unregelmäßigen Bau mit roter Ziegelfassade und grauen Putzflächen, die als Blenden und Bänder die Fassade strukturieren. Auf dem Dach steht ein Dachreiter mit Spitzhelm. Der Innenraum ist dreischiffig, wobei das Mittelschiff mit einem Kreuzgewölbe und einer Halbkreisapsis ausgestattet ist. Die Seitenschiffe besitzen Spitztonnengewölbe und an den Säulen befinden sich romanische Figurenkapitelle.

Hier ist Walter Bromme (1885–1943) bestattet, der in den Goldenen Zwanzigern beliebte Operetten und Schlager komponierte und in der Spielzeit 1923/1924 zeitweilig als Direktor des Metropol-Theaters in der Behrenstraße fungierte. Die Operetten Brommes reichten von Die Dame im Frack (1919) über Dolly (1924) bis zu Spiel nicht mit der Liebe (1934).

Zwangsarbeiterlager auf dem Kirchhof der Jerusalems- und Neuen Kirche

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Gedenktafel, Netzestraße 1, in Berlin-Neukölln
Gedenkstein für die Zwangsarbeiter

In den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts wurde im Zusammenhang mit den Nachforschungen für den Entschädigungsfonds für Zwangsarbeiter bekannt, dass die Kirchen in Deutschland während des Zweiten Weltkriegs in erheblichem Ausmaß Zwangsarbeiter angefordert und deutschlandweit beschäftigt hatten.[8] Im Sommer 2000 räumte der Berlin-Brandenburgische Bischof Wolfgang Huber ein, dass in Berlin auf dem Kirchhof der Jerusalems- und Neuen Kirche an der Hermannstraße 84–90 in den letzten drei Kriegsjahren ein Barackenlager für rund 100 Zwangsarbeiter bestand, die überwiegend zur Grabpflege und zur Bestattung von Bombenopfern zum Einsatz kamen. Es waren 39 evangelische und drei katholische Gemeinden, die sich aus dem Friedhofslager mit Bestattern versorgten. Die Kirchen sollen zudem die Ermordung von Kindern der Arbeiter stillschweigend in Kauf genommen haben. Mit aktiver Unterstützung der obersten Kirchenleitung bekam dieses Friedhofslager eine sogenannte „Rüstungsnummer“ und war damit als „kriegswichtig“ anerkannt. Der Leiter des Lagers, Gustav Weniger (ein Mitglied der Bekennenden Kirche), war Angestellter des evangelischen Stadtsynodalverbands. Die rechtlosen Zwangsarbeiter waren ihm als Lagerleiter und der Gestapo schutzlos ausgeliefert, jedoch kam unter ihm kein Häftling zu Tode.[9]

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat dazu ein Schuldbekenntnis abgelegt, außerdem beteiligten sich die Kirchen an Entschädigungszahlungen.

Unter welchen Gräuel und Entbehrungen die überwiegend russischen und ukrainischen Arbeiter, in der nationalsozialistischen Ideologie „slawische Untermenschen“, litten, beschreibt Wasyl Timofejewitsch Kudrenko, der mit 16 Jahren aus der Ukraine nach Berlin verschleppt wurde und im Jahr 2005 ein Tagebuch über den Alltag und das Überleben im Lager veröffentlichte. Darin heißt es: „Die schweren Bomben fielen auf den Friedhof und schleuderten die zuvor Begrabenen wieder empor […] Leichenteile, Eingeweide – alles auf dem Baum – schrecklich. Es war ein Horror. Wir ‚Ostarbeiter‘ legten sie in die Gräber zurück. Aber nicht jeder konnte das ertragen, psychisch aushalten.“

Die Zwangsarbeiter litten unter ständiger Todesangst, denn das Lager lag unmittelbar neben dem kriegswichtigen Flughafen Tempelhof, der besonderes Ziel der Flüge der Alliierten war. Kudrenko schreibt: „Wir suchten bei den Angriffen dort Schutz, wo der Alarm uns überraschte: zwischen den Särgen, in der Kanalisation, in Rohren“. Mehrfach kam es zu Bombentreffern im Barackenlager, im Jahr 1944 brannte es in kürzester Zeit vollständig aus. Zuflucht zu Schutzräumen war den Zwangsarbeitern verwehrt.

Zwangsarbeiter im Alter zwischen 53 und 64 Jahren kamen namentlich als „wegen ihres körperlichen Zustandes nicht mehr verwendbar“ auf eine Liste und wurden in ein Sammellager abgeschoben. In dem Lager fand mit einiger Sicherheit keinerlei medizinische Versorgung mehr statt, zudem gab es hier so gut wie keine Ernährung – eine hohe Sterblichkeitsrate war die Folge. Das Kriegsende befreite die Überlebenden im Sammellager und auf dem Kirchhof.

Eine Informationssäule (ehemals im Kirchhof der Jerusalems- und Neuen Kirche) mit acht Bild- und Schrifttafeln listet alle beteiligten Berliner Gemeinden auf. Die Tafeln verzeichnen ferner die Namen der 96 Zwangsarbeiter, die namentlich bekannt sind. 2002 wurde, gleichfalls im Kirchhof der Jerusalems- und Neuen Kirche, ein Gedenkstein des Berliner Bildhauers Rainer Fest eingeweiht, der auf der Oberfläche die beteiligten Gemeinden per Gravur festhält. Eine Schicht des Findlings, aus dem der Stein gearbeitet ist, schnitt Fest heraus und teilte sie in 42 Einzelteile – mit je einem Namen der beteiligten Gemeinden. Jede Gemeinde erhielt zur Erinnerung an ihre Verantwortung „ihren“ Stein, eine Verantwortung, die sich an der Oberfläche des Gedenksteins mit allen Namen zur Gesamtverantwortung zusammenfügt. Der Gedenkstein und die Informationssäule wurden später (spätestens 2013) auf den Kirchhof der St.-Thomas-Gemeinde II in der Hermannstraße 179–185 umgesetzt.[10]

Weitere Zwangsarbeiterlager

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Neben dem kirchlichen Zwangsarbeiterlager Hermannstraße 84–90 sind mittlerweile acht weitere Zwangsarbeiterlager bekannt:

  • Hermannstraße 27. Das Lager ist in einem von Belgiern erstellten Katalog enthalten, das Lager auflistet, in denen Landsleute untergebracht waren.[11]
  • Hermannstraße 110. Lager von Mix & Genest, Schöneberg (Geneststraße 5) für Belgier, Franzosen. Kroaten, Serben.[12]
  • Hermannstraße 110. Dort gab es im März 1945 auch ein ‚Lager Otto Nettelbeck‘.[13]
  • Hermannstraße 111. Lager der Reichsbahn ab 1939.[14]
  • Hermannstraße 159. Lager der Gaubschat GmbH für Angehörige verschiedener Nationen.[15]
  • Hermannstraße 159a. Lager der Adam Opel AG (Berlin W 35, Kurfürstendamm 207/208). Spätestens ab Anfang 1943 lebten hier Holländer, Franzosen und Tschechen.[16]
  • Hermannstraße 200. Spätestens ab Februar 1943 waren hier Holländer untergebracht.[17]
  • Hermannstraße 216–219. Vermutlich Lager der Kindl-Brauerei für Französinnen und Ostarbeiterinnen,[18]

Öffentlicher Verkehr

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Lage des Bahnhofs Hermannstraße
Eingang zum U-Bahnhof Hermannstraße

Die Poststraße Berlin – Mittenwalde – Dresden, deren Einweihung im Jahr 1712 stattfand, führte über die heutige Hermannstraße. Schon früh begann die Einbindung der bevölkerungsreichen Viertel an der Straße in das Berliner Verkehrsnetz. Am 13. Juni 1885 eröffnete die Stadt Rixdorf eine Pferdebahnlinie vom Hermannplatz zur Hermannstraße Ecke Knesebeckstraße (heute: Silbersteinstraße). Betreiber war die Große Berliner Pferde-Eisenbahn, die die Strecke zwei Jahre später auch erwarb.[19] Die aus Wittenau kommende U-Bahn-Linie U8 führt unter der Straße entlang. Über die U-Bahnhöfe Hermannplatz, Boddinstraße und Leinestraße verläuft die Linie bis zum 1996 eröffneten Endbahnhof Hermannstraße, der rund 500 Meter vor dem Übergang der Hermannstraße in den Britzer Damm liegt. An gleicher Stelle kreuzt die Ringbahn, die hier den stark frequentierten S-Bahnhof Hermannstraße unterhält.

Die Ringbahn kreuzt seit November 1877 die Hermannstraße. Allerdings wurde erst im Zuge des viergleisigen Ausbaus der Ringbahn zwischen 1887 und 1910 der Bahnhof an der Rixdorfer Hermannstraße erbaut und am 1. Februar 1899 eröffnet. Die Hermannstraße war damit zunächst über dampfbetriebene Züge, ab 1928 per „elektrischer S-Bahn“ ans Eisenbahnnetz angeschlossen.

Am 28. September 1900 erfolgte am Bahnhof Hermannstraße die Verknüpfung mit der Neukölln-Mittenwalder Eisenbahn (NME; bis 1919: Rixdorf-Mittenwalder Eisenbahn), die einen eigenen Personenbahnsteig erhielt. Nach dem Zweiten Weltkrieg verlor deren Reisezugverkehr an Bedeutung, auf Berliner Gebiet wurde er am 1. Mai 1955 eingestellt.[20] Im Güterverkehr ist die NME nach wie vor tätig.[21] Der S-Bahn-Verkehr am Bahnhof Hermannstraße ruhte von 1980 bis 1993.

Siehe auch: Bahnhof Berlin Hermannstraße

Individualverkehr

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Trotz der guten Einbindung in den öffentlichen Personennahverkehr der Stadt mit U- und S-Bahn ist die Hermannstraße aufgrund ihrer Struktur nicht in der Lage, den Verkehr des bevölkerungsreichen Ballungsgebietes zufriedenstellend aufzunehmen; eine Erweiterung der Straße ist aufgrund der dichten Bebauung kaum möglich.

Die Dichte des Individualverkehrs liegt nicht höher als bei ähnlich stark frequentierten Straßen. Ferner hat die Anbindung an den Berliner Stadtring mit der Anschlussstelle Britzer Damm im Jahr 2000 zu einer spürbaren Entlastung des Durchgangsverkehrs nach Britz und Buckow geführt. Dennoch fließt der Verkehr nach wie vor überaus zähflüssig durch die Straße und ihr Durchfahren bringt für die Verkehrsteilnehmer eine hohe Stressbelastung mit sich. Gründe dafür sind:

Die – je Fahrtrichtung – zwei Fahrstreifen mit den jeweiligen Parkstreifen sind unterbrochen durch mehrere Verkehrsinseln für U-Bahnhöfe und Bushaltestellen, an denen sich die Fahrbahn verengt. Die hohe Zahl der Nebenstraßen nimmt die Links- und Rechtsabbieger nur schleppend auf, da das große Fußgängeraufkommen in den Grünphasen nur wenige Fahrzeuge passieren lässt. Die Ampelanlagen folgen in einigen Abschnitten überaus kurz hintereinander. Die dichte Bebauung mit Wohnblocks und Geschäften lässt sowohl Anwohner wie Lieferanten sehr häufig in der zweiten Spur halten oder kurzzeitig parken. Insgesamt führen diese Faktoren dazu, dass die Fahrt durch die Hermannstraße insbesondere in den Hauptverkehrszeiten in der Regel einer Slalomfahrt gleicht. Ein Ausweichen ist so gut wie unmöglich, denn der Verkehr fließt in der parallelen Karl-Marx-Straße nicht viel anders. Die Straßen der östlichen Kiezgebiete führen aufgrund ihrer Insellagen zudem zum Teil wieder zurück auf die Hermannstraße und bieten durch die Abtrennungen durch die Kirchhöfe keine abkürzenden Durchfahrten; zudem sind sämtliche angrenzenden Wohnviertel als Tempo-30-Zone ausgewiesen.

Dieser Stop-and-Go-Verkehr verursacht für Anwohner und Verkehrsteilnehmer eine hohe Lärmbelästigung und Gefährdung durch Schadstoffkonzentrationen.

Die umweltbelastete Slalomstrecke verfügt im unteren Teil zwischen Hermannplatz und U-Bahnhof Boddinstraße über baulich unzulängliche und schmale Fahrradwege. Auf den übrigen Streckenabschnitten fahren Radfahrer im Mischverkehr auf der Fahrbahn. Es gibt im Ballungsgebiet Hermannstraße eine – trotz Innenstadtlage – abwechslungsreiche Radverbindung in die benachbarten Ortsteile Britz, Schöneberg und Kreuzberg. Diese – auch hinsichtlich des Belages – sehr gute Verbindung spart die Hermannstraße aus und verläuft durch die Kieze direkt neben dem Flughafen Tempelhof zum Columbiadamm. Radfahrer und Fußgänger kommen an den Stellen weiter, die dem Autoverkehr versperrt sind.

Aus Richtung Britz (der Britzer Damm führt einen Radweg) beginnt die Strecke an der neuen Autobahnanschlussstelle Britzer Damm. Die Autobahn wird hier in dem 1,7 Kilometer langen, hochmodernen und bislang permanent störanfälligen Tunnel Ortskern Britz aus dem Jahr 2000 unter den westlichen Neuköllner Wohngebieten und unter dem Britzer Damm in Richtung Dreieck Neukölln hindurchgeführt; die Anschlussstelle führt hinunter in den Tunnel. Nach Fertigstellung legte das Land Berlin auf der Tunneldecke eine langgezogene Grünanlage mit Spiel- und Sportplätzen an (Carl-Weder-Park),[22] die parallel zum Gartendenkmal Emmauskirchhof verläuft. Dieser langgestreckte Streifen ist für Radfahrer gut zu durchfahren. Auf Höhe des Mariendorfer Weges gelangt man über die wenig befahrene Eschersheimer Straße über die S-Bahn-Trasse in die Oderstraße und damit in den Kiezbereich. Ein Radweg verläuft zweispurig zwischen Oderstraße und dem Sportpark Neukölln, der seit einigen Jahren zu Ehren des 1944 hingerichteten Widerstandskämpfers und erfolgreichen Ringers Werner Seelenbinder, dessen Namen trägt. Der Weg führt an der renovierten Eissporthalle, den folgenden Sportgebäuden und -plätzen sowie an der Gedenkstätte für Werner Seelenbinder vorbei.

Radweg quert die ehemalige Einflugschneise des Flughafens Tempelhof an den Kirchhöfen; die Häuserfront gehört zur Oderstraße

Am westlichen Ende des Kirchhofs der Jerusalems- und Neuen Kirche stößt der Weg direkt auf das Feld des ehemaligen Flughafens und führt in einem – für den Autoverkehr nicht passierbaren – Bogen um das Feld herum in den zweiten Teil der Oderstraße. Hier besteht parallel zum Flughafen ein alter Radweg, der vielfach aufgeplatzt und unpassierbar ist. Ausgleichend steht dem Radverkehr die gesamte Oderstraße zur Verfügung, die nur einen sehr geringen Kfz-Verkehr aufweist. Am nördlichen Ende der Oderstraße, an dem der motorisierte Verkehr wiederum abbiegen muss, führt ein breiter Rad- und Fußgängerweg zwischen dem Sommerbad Columbiadamm und den Freizeitanlagen an der Jahnsporthalle weiter zum Columbiadamm. Am Damm verlaufen Radwege nach Westen Richtung Tempelhof und Schöneberg oder nach Osten Richtung U-Bahnhof Boddinstraße, an dem der Anschluss zur Hermannstraße hergestellt ist. Über den einzigen Radwegabschnitt der Hermannstraße gelangen die Radlfahrer hinunter zum Hermannplatz. Landschaftlich noch reizvoller lässt sich der Hermannplatz erreichen, wenn man den Columbiadamm überquert und in den gegenüberliegenden Volkspark Hasenheide einfährt. Wahlweise asphaltierte Wege oder feste Sandwege leiten durch den Park Richtung Nordosten zum Hermannplatz und Richtung Nordwesten zum Kreuzberger Südstern.

Radfahrende demonstrieren auf der Hermannstraße für einen geschützten Radweg.
Demonstration für einen geschützten Radweg auf der Hermannstraße im Juni 2020

Im März 2019 wurden Vorplanungen für einen neuen Radweg beendet, wobei ein geschützter Radweg als bevorzugte Variante genannt wurde.[23] Für den Beginn der sukzessiv geplanten Bauarbeiten wurde das Jahr 2020 genannt. Da bereits zuvor mit dem Umbau der parallel verlaufenden Karl-Marx-Straße begonnen wurde, soll mit dem Umbau der Hermannstraße in dem davon weiter entfernten südlichen Teil begonnen werden, um den Umleitungsverkehr aus der Karl-Marx-Straße nicht weiter zu belasten.[24] Ab Mai 2020 wurden mit der Covid-19-Pandemie mehrere Pop-up-Radwege in der Stadt errichtet. Dies führte zu einem stärkeren politischen Diskurs um einen geschützten Radweg in der Hermannstraße und mehreren Demonstrationen für eine vorgezogene sichere Radverkehrsinfrastruktur. Im Juni stimmte die Bezirksverordnetenversammlung dafür ab August 2020 einen Pop-up-Radweg auf einem Teilstück der Hermannstraße einzurichten. Die CDU sprach sich gegen einen solchen Radweg aus.[25] Am 23. September 2020 überreichte die Bürgerinitiative „Hermannstraße für Alle“ der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln etwa 2000 Unterschriften für einen Anwohnerantrag zur Einrichtung eines Pop-up-Radwegs.[26] Am gleichen Tag beschloss die Bezirksverordnetenversammlung mit den Stimmen von SPD, Grünen und Linken einen im Juni des gleichen Jahres eingebrachten Antrag für die Einführung einer Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h, mit der Begründung, dass die Situation auf der Hermannstraße für Radfahrende sehr gefährlich sei, aber kurzfristig kein Pop-up-Radweg auf der gesamten Strecke eingerichtet werden könne.[27] Der Senat wies Tempo 30 auf der Hermanstraße jedoch als nicht StVO-konform zurück. Die Initiative „Hermannstraße für alle“ stellte im September einen Einwohnerantrag auf die Einrichtung eines durchgängigen geschützten Radwegs,[28] der mit der erforderlichen Anzahl der gesammelten Unterschriften zur Beschlussfassung in die Bezirksverordnetenversammlung am 3. November 2020 eingebracht wurde.[29] Die Zählgemeinschaft aus SPD und Grünen brachte am 9. Dezember 2020 eine in Absprache mit der Initiative entstandene alternative Beschlussempfehlung für eine durchgängige, ggf. provisorische Radinfrastruktur auf der ganzen Hermannstraße vor dem Winter 2021 in den Verkehrsausschuss ein. Sie wurde mit den Stimmen von SPD, Grünen und Linken und unter Ablehnung von CDU und AfD als Empfehlung zur Beschlussfassung an die Bezirksverordnetenversammlung verabschiedet.[30]

Strukturentwicklung und Kieze

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Kindl-Boulevard
Kino Neues Off, Hermannstraßenkiez

Die soziale Struktur der Geschäfts- und Wohnstraße bestimmen kleine Gewerbebetriebe, eine Vielzahl an Geschäften, darunter zahlreiche türkische Märkte und Bäckereien, Imbisse, Wettlokale und Spielotheken, sowie Wohnhäuser und Wohnblocks, die teilweise aus der Gründerzeit stammen. Auf der Ostseite der Hermannstraße 214–216 entstand im Jahr 1996 das moderne Büro- und Geschäftszentrum Kindl-Boulevard, das sich tief in die Fläche der ehemaligen Rollberge erstreckt. Neben Geschäften, Restaurants, den Rollberg-Kinos und Ausstellungsräumen finden hier das Jobcenter Neukölln und das Frauenwirtschaftszentrum Neukölln Räumlichkeiten, das insbesondere Existenzgründerinnen Raum geben soll. Das Zentrum, in das eine Münchner Baufirma 400 Millionen Euro investiert hatte, steht im Kontrast zu der sonstigen Geschäftsstruktur der Straße, die zu einem erheblichen Teil von Einzelhändlern und Billigläden mit häufigen Inhaberwechseln gekennzeichnet ist.

Die Hermannstraße wird im gesamten westlichen Teil von drei Kiezen begleitet. Im unteren Teil von dem Hermannstraßenkiez, der westlich vom Volkspark Hasenheide, nördlich von der Straße Hasenheide und südlich vom Columbiadamm begrenzt wird. Jenseits des Columbiadamms schließen sich an den Volkspark die Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof beziehungsweise des Sportparks Neukölln an, die die südlich folgenden Kieze, den Schillerkiez, den Warthekiez und das Viertel an der Emser Straße, nach Westen abgrenzen.

Hermannstraßenkiez

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Der Hermannstraßenkiez um die Wissmann- und Karlsgartenstraße am Volkspark Hasenheide entstand in der Gründerzeit als Vergnügungsviertel mit Biergärten, Theatern und Tanzsälen. In den 1920er Jahren entwickelte sich die Hermannstraße von dieser Gegend ausgehend zu einer bedeutenden „Kinomeile“ und blieb dies bis zum großen Kinosterben der 1960er Jahre. Der Kiez wurde ein reines Wohnviertel mit einigen kleineren Gartenlokalen. Für ein vielfältiges Flair sorgt die Werkstatt der Kulturen in der Wissmannstraße, die mit zahlreichen Ausstellungen Besucher anzieht und sich als Dialog- und Kooperationspartner der Migrantenszene in Berlin versteht und Forum für eine multikulturelle Bürgergesellschaft sein will. Die Werkstatt der Kulturen besteht seit dem 22. Oktober 1993 in dem sehenswerten historischen Gebäude der ehemaligen Löwenbrauerei – Böhmisches Brauhaus.

Ein weiteres Stück des alten Vergnügungsviertels findet sich mit dem Kino Neues Off direkt an der Hermannstraße 20, das 1919 als Theater und Varieté gegründet und seit 1926 unter dem Namen Rixi (Rixdorfer Lichtspiele) als Kino genutzt wurde. Trotz Restaurierung versprüht das Haus noch viel Charme vergangener Zeiten – im Foyer fällt beispielsweise ein roter Sarotti-Tresen im Design der 1950er Jahre ins Auge. Das Kino ist Teil eines viergeschossigen Wohnhauses und eines der letzten alten Lichtspielhäuser, die in Berlin noch überleben konnten.

Das Palastkino Stern gehörte zu den kleineren Filmtheatern der Zwischenkriegszeit. Es wurde in den Jahren 1925/1926 von Max Bischoff und Heinrich Möller sowie dem Ingenieur Gustav Heun durch einen Umbau eines ausgebrannten Hinterhaus-Saales in der Hermannstraße 49 aufgebaut. Der breite Eingangsbereich bestand aus dem erneuerten Erdgeschoss und ersten Obergeschoss des Wohnhauses, neben der Tür befanden sich Schaukästen mit dem Kinoprogramm. Die Vorhalle bildete ein Raum mit dunkler Holzverkleidung und blaugoldener Decke. Der rechteckige Zuschauerraum bot im Parkett 638, auf dem Rang 464 und in den in den Saal ragenden Logen 98 Zuschauern Platz. 1935 baute Heinrich Möller die Fassade um, im Zweiten Weltkrieg wurden Teile des Gebäudes zerstört, die 1946 wiederhergestellt werden konnten. 1956 wurde das Kino vom Architekten de Born umgebaut, 1973 endete die Nutzung als Kino, und ein erneuter Umbau machte aus dem Gebäude einen Selbstbedienungsladen.

Größtes Kino Europas

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Mercedes-Palast, 1936

In den Jahren 1926 bis 1927 entstand an der Hermannstraße 214 Ecke Rollbergstraße inmitten des Arbeiterbezirks Neukölln unter der Leitung des Architekten Fritz Wilms mit dem Mercedes-Palast das seinerzeit größte Filmtheater Europas. Bis zu diesem Zeitpunkt befand sich dort der geräumige Biergarten der Kindl-Brauerei, der vor allem zur Jahrhundertwende überregional bekannt war. Fritz Wilms hatte sich in Berlin durch eine Reihe weiterer Theaterbauten einen Namen gemacht, insbesondere durch das Piccadilly in Charlottenburg. Seine Bauten waren wenig strukturierte, klare Blockbauten. Beim Mercedes-Palast verzichtete er erstmals auf allzu expressionistische Details, wie man sie von anderen seiner Bauwerke kannte. Ob dieser Trend dem Geschmack der Zeit oder den zur Verfügung stehenden Geldern geschuldet war, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Das Gebäude hat eine Baufläche von rund 3773 m², wobei die Vorderfront an der Hermannstraße eine Länge von etwa 50 Metern und die Seitenfläche an der Rollbergstraße von etwa 72,5 Metern aufweist. Beiderseits des hervorgezogenen Eingangsbereichs befanden sich Ladengeschäfte und oberhalb der vier Eingänge fünf Meter hohe Plakatwände, getrennt durch vierkantige Halbsäulen. Den oberen Abschluss bildete ein Gesims mit grünen Laternen.

Die Innenausstattung führte diese Schlichtheit nicht fort. Im großräumigen Foyer dominierten die Farben Gold, Silber, Blau und das Scharlachrot der Wände, der Fußboden bestand aus gelbbraunen Steinplatten aus Solnhofen. Der anschließende Vorführraum hatte eine kuppelförmige, blaugrüne Decke, die, von Strahlern oberhalb der Logenbekrönung azurblau angestrahlt, einen Abendhimmel imitieren sollte. Während der Vorführung wandelte sich die Wölbung durch kleine, beleuchtete Öffnungen in einen sternenübersäten Nachthimmel. Das Zentrum der Decke bildete eine sternförmiges Rosette aus buntem Kristallglas, die von innen beleuchtet und am Rand mit Blattgold verziert war. Nach hinten schloss sich durch eine halbrunde Projektionsfläche die Bühne mit einem Orchestergraben an. Der Raum stellte den Besuchern 2320 Parkett- und 180 Logenplätze zur Verfügung.

Zur musikalischen Illustration der noch stummen Filme wurde 1927 eine zweimanualige Oskalyd-Kinoorgel der Fa. Walcker, Luedke & Hammer aus Ludwigsburg im Mercedes-Palast installiert. Emil „Mile“ Sagawe (1895–1988) war ab 1950 der organist in residence. Noch 1951 spielte er, nachdem die Orgel nach seinen Wünschen durch den Orgelbaumeister Glöckner umgebaut worden war, darauf Schallplatten für die Fa. Odeon ein (Tonfilm-Erinnerungen, Potpourri I und II, Odeon O-28 081 [mx. Be 14 142/43-I] und Odeon O-28 082 [mx. Be 14 251/52]).[31]

Die Deutsche Bauzeitung lobte in einem Bericht aus dem Jahr 1927 weniger die Ausstattung als vielmehr ein ganz anderes, nicht minder wichtiges Detail des Kinos:

„Jeder Platz kostet bei der ersten Vorstellung 0,60 M und bei den späteren Vorstellungen 1 M. Auf diese Weise ist der Mercedes-Palast im wahrsten Sinne des Wortes ein Volkstheater, da es der minderbemittelten Bevölkerung möglich ist, große Filme, die meist noch von kleinen Revuen begleitet sind, zu erschwinglichen Preisen zu sehen.“

Deutsche Bauzeitung[32]

Doch wurden diese Eintrittspreise für das Gros der Bevölkerung im Gefolge der 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise schnell unerschwinglich: im Jahr 1930 wurde das Kino trotzdem aufgrund zu geringer Besucherzahlen erstmals geschlossen und diente in der Folgezeit als Festsaal für Veranstaltungen in Konkurrenz zu den benachbarten Kindl-Sälen. So fand hier etwa die Zwölfjahresfeier der Roten Fahne statt; ebenso gastierte der Kabarettist Leon Hirsch mit seinem Ensemble „Die Wespen“ im Mercedes-Saal. 1932 nahmen der Architekt Gustav Neustein und sein künstlerischer Mitarbeiter Bruno Meltendorf die ersten Umbauten vor. Während der nationalsozialistischen Zeit war das Kino die meiste Zeit geöffnet und war der Aufführungsort für eine Reihe von Filmpremieren wie etwa dem Film Der unendliche Weg von 1942 (Regie: Hans Schweikart). Nach 1943 kam es zu einer starken Beschädigung durch Fliegerbomben.

Die Wiederherstellung erfolgte in den Jahren 1948 bis 1951, diesmal erneut unter der Leitung von Fritz Wilms. Bereits während der Bauphase fanden Vorstellungen statt, das dafür als Vorführraum unter dem Namen Metro-Palast genutzte Foyer bot immerhin noch Platz für 854 Zuschauer. Die Arbeiten gaben dem Vorführraum durch neue Wände eine trapezförmige Gestalt. Nach seiner Fertigstellung 1951 verfügte er im Parkett über 1426 und im Hochparkett noch einmal über 634 Plätze und nahm als Europa-Palast erneut den Filmbetrieb auf.

Im Jahr 1955 zog der Architekt de Born eine Zwischendecke in das Foyer ein – in der oberen Etage entstand das Kino Roxy mit 750 Plätzen. Weitere Umgestaltungen nahm 1966 Hans Joachim Woyke vor und 1969 ließ Woolworth das gesamte Gebäude zu einem Warenhaus umbauen, wobei vor allem die Fassade massive Veränderungen erfuhr. 1992 zog Woolworth in die benachbarten Kindl-Säle um und der ehemalige Mercedes-Palast musste dem Neubau des Kindl-Boulevards weichen.

Schillerkiez, Warthekiez und Rollbergsiedlung

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Schillerpromenade, Schillerkiez
Einflugschneise, Blick über den St. Jacobi-Kirchhof
Hermann-/Ecke Warthestraße

Das Viertel um die Schillerpromenade, das auf altem Ackerland entstand, war von der Stadt Rixdorf und ihrem Bürgermeister Hermann Boddin um 1900 als „Wohnquartier für Besserverdienende“ und als Gegenpol zu der Arbeitersiedlung auf den Rollbergen konzipiert, die bereits in den Jahrzehnten zuvor errichtet worden war. Mit seinen alten Bauten und dem nach wie vor großzügigen und begrünten Mittelstreifen der 50 Meter breiten Schillerpromenade steht das Viertel seit 1996 unter Ensembleschutz. Die Promenade führt vom Columbiadamm über den zentralen Herrfurthplatz mit der Genezarethkirche aus dem Jahr 1906 direkt auf das historische Gebäude der ehemaligen Ingenieurschule für Bauwesen zu und endet dort; das denkmalgeschützte Gebäude aus dem Jahr 1914 in der Leinestraße beherbergt die Carl-Legien-Oberschule. In den 1920er Jahren ergänzte Bruno Taut, der Architekt der Britzer Hufeisensiedlung, den Kiez um preiswerte Arbeiterwohnungen an der Oderstraße, die im Stil seiner sozialreformerischen, nicht-kommerziellen Konzepte gehalten waren.

Zählt schon der Schillerkiez in seiner Bevölkerungsstruktur Anfang der 2000er Jahre zu den eher benachteiligten Vierteln mit einem hohen Anteil an Sozialhilfeempfängern, ist im Warthekiez die strukturelle Arbeitslosigkeit und insbesondere die Langzeitarbeitslosigkeit besonders ausgeprägt. Die sozial-räumliche Polarisierung ist in beiden Vierteln dem Verlust der altindustriellen Arbeitsstätten sowie der unmittelbaren Nachbarschaft zum Flughafen Tempelhof geschuldet, dessen Lärmbelästigung das Mietpreisniveau und in der Folge die Qualität der Wohnungen beträchtlich senkte. Erst seit etwa dem Jahre 2000 trat in diesem Bereich eine Erholung ein, die in der Verlagerung des Luftverkehrs zu den anderen damaligen Flughäfen in Tegel und Schönefeld begründet lag. Mit der Schließung des Flughafens am 30. Oktober 2008 fand diese benachteiligte Situation dann ihr Ende.

Durch Maßnahmen wie Quartiersmanagement, intensivierter Jugendarbeit, Modellprojekte zur Gewaltprävention oder Verbesserung der Freizeitangebote versucht der Bezirk Neukölln in Zusammenarbeit mit kirchlichen und freien Trägern gegenzusteuern. Investitionen wie in den Sportpark an der Oderstraße sollen das Viertel aufwerten, beispielsweise konnte im Herbst 2005 das mit erheblichen Mitteln restaurierte und erweiterte Eisstadion Neukölln wiedereröffnet werden. Da sich diesen westlich der Straße gelegenen Kiezen noch die östlich angrenzende Rollbergsiedlung zugesellt, die als ganz besonderer sozialer Brennpunkt gilt, ist resümierend festzustellen, dass die Hermannstraße einen besonders benachteiligten Teil Berlins durchläuft.

Seiten- und Querstraßen (stadtauswärts gesehen)

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  • Hasenheide
  • Karl-Marx-Straße
  • Karlsgartenstraße
  • Biebricher Straße
  • Flughafenstraße
  • Mahlower Straße
  • Boddinstraße
  • Selchower Straße
  • Rollbergstraße
  • Herrfurthstraße
  • Werbellinstraße
  • Briesestraße
  • Kienitzer Straße
  • Kopfstraße
  • Allerstraße
  • Leykestraße
  • Okerstraße
  • Leinestraße
  • Thomasstraße
  • Jonasstraße
  • Warthestraße
  • Schierker Straße
  • Nogatstraße
  • Emser Straße
  • Siegfriedstraße
  • Silbersteinstraße
  • Kranoldstraße
  • Mariendorfer Weg
  • Delbrückstraße
  • Glasower Straße
  • Juliusstraße
Häuser in der Emser Straße kurz vor einem Sommergewitter
  • Christiane Borgelt, Regina Jost: Architekturführer Berlin-Neukölln. Stadtwandel Verlag Berlin 2003, ISBN 3-933743-91-5.
  • Bezirksamt Neukölln von Berlin, Abt. Bauwesen (Hrsg.): 100 Jahre Bauen für Neukölln – Eine kommunale Baugeschichte. Berlin 2005, ISBN 3-00-015848-0.
  • Udo Dittfurth: Strecke ohne Ende – Die Berliner Ringbahn. GVE Verlag, Berlin 2002, ISBN 3-89218-074-1.
  • Willy Grigat: Britz einst und jetzt, 1932. Auszugsweise wiedergegeben und hier benutzt in: Britzer Heimatgeschichte, Veröffentlicht im Gemeindebrief der Dorfkirche Britz. Ausgaben Februar 1979 bis Dezember 2000. Britz (Memento vom 7. Februar 2006 im Internet Archive) (PDF) zum Rollkrug: S. 36, zu den Windmühlen: S. 31
  • Wasyl Timofejewitsch Kudrenko: Bist Du Bandit? Das Lagertagebuch des Zwangsarbeiters Wasyl Timofejewitsch Kudrenko. Wichern Verlag, Berlin 2005, ISBN 3-88981-173-6. Zitate nach den Informationstafeln, siehe „sonstige Quellen“
  • Jürgen Meyer-Kronthaler: Berlins U-Bahnhöfe – Die ersten hundert Jahre. be.bra Verlag, Berlin 1996, ISBN 3-930863-16-2.
  • Jürgen Meyer-Kronthaler, Wolfgang Kramer: Berlins S-Bahnhöfe – Ein dreiviertel Jahrhundert. be.bra. verlag, Berlin 1998, ISBN 3-930863-25-1. Zitat zu Hermann Boddin: S. 120
  • Robert Riedel (Hrsg.): Berlin und seine Bauten. Teil V: Bauwerke für Kunst, Erziehung und Wissenschaft, Band A: Bauten für die Kunst. Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin 1983, ISBN 3-433-00944-9.
  • Erich Schuppan (Hrsg.): Sklave in Euren Händen. Zwangsarbeit in Kirche und Diakonie Berlin-Brandenburg. Wichern Verlag, Berlin 2003, ISBN 3-88981-155-8.
  • Klaus Konrad Weber, Peter Güttler, Ditta Ahmadi (Hrsg.): Berlin und seine Bauten. Teil X Band A: Anlagen und Bauten für die Versorgung (3) Bestattungswesen. Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin 1981, ISBN 3-433-00890-6.
Commons: Hermannstraße und Kieze – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Denkmale in Rixdorf – Hermannshof
  2. Denkmalliste Berlin (Memento vom 29. September 2007 im Internet Archive) (PDF)
  3. Anhang > Rixdorf > Hermannstraße. In: Berliner Adreßbuch, 1880, Anhang, S. 90, 91.
  4. Rixdorf > Hermannstraße. In: Adreßbuch für Berlin und seine Vororte, 1900, V, S. 164, 165.
  5. STATTBAU Konzept Friedhöfe Hermannstraße: pdf. (Abruf=2020-09-16).
  6. Nach 65 Jahren: Zauberkönig verschwindet vorerst aus der Herrmannstraße. Auf: bz-berlin.de
  7. Silvia Perdoni: Aus der Zauber. In: Berliner Zeitung, 8. Mai 2018, S. 10.
  8. Informationssäule im Kirchhof der Jerusalems- und Neuen Kirche mit acht Bild- und Schrifttafeln. Die Zitate von Kudrenko sind diesen Tafeln entnommen.
  9. Bodo Bost: Das vergessene Friedhofslager. In: Christ in der Gegenwart, CIG, Nr. 45/2014, S. 515
  10. Der Informationssäule entstammt ein Großteil der Informationen für diesen Abschnitt. Die Zitate von Kudrenko sind diesen Tafeln entnommen.
  11. Arolsen Archives, 2.3.5.1. / 82368703.
  12. Landesarchiv Berlin, C Rep. 375-01-08, Nr. 7818, Lagerliste des Hauptgesundheitsamtes, Neukölln, Nr. 26 / Arolsen Archives, 2.1.5.1 / 135 und 203 / Arolsen Archives, 2.3.5.1. / 82368703.
  13. Arolsen Archives, 2.1.5.1. / 135:68
  14. Arolsen Archives, 2.1.5.1. / 139:14, 216: 189 und 190
  15. Landesarchiv Berlin, C Rep. 375-01-08, Nr. 7818, Lagerliste des Hauptgesundheitsamtes, Neukölln, Nr. 27
  16. Landesarchiv Berlin, C Rep. 375-01-08, Nr. 7818, Lagerliste des Hauptgesundheitsamtes, Neukölln, Nr. 28.
  17. Arolsen Archives, 2.1.5.1. / 135: 97 und 104.
  18. Arolsen Archives, 2.1.5.1. / 135, 192, 214, 217.
  19. Michael Kochems: Straßen- und Stadtbahnen in Deutschland. Band 14: Berlin – Teil 2. Straßenbahn, O-Bus. EK-Verlag, Freiburg im Breisgau 2013, ISBN 978-3-88255-395-6, S. 163.
  20. Bodo Schulz/, Michael Krolop: Die Privat- und Werkbahnen in Berlin (West). S. 71
  21. Homepage der NME, abgerufen am 29. Januar 2014
  22. Carl-Weder-Park. (Memento des Originals vom 19. September 2009 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.neubritz.de Neubritz.de
  23. Hermannstraße | Errichtung einer Radverkehrsanlage. Abgerufen am 13. September 2019 (englisch).
  24. Arbeiten, Leben und Wohnen in Neukölln – Wie steht es mit den Radwegen in Neukölln? Abgerufen am 13. September 2019.
  25. Pop-up-Radweg auf der Hermannstraße geplant - Tagesspiegel Checkpoint. Abgerufen am 28. Juni 2020.
  26. Intro | Tagesspiegel LEUTE Neukölln. Abgerufen am 23. September 2020 (deutsch).
  27. Marko Preuß auf Instagram: „Im Juni eingebracht, jetzt endlich mit den Stimmen von SPD, Grünen und Limken om der #bvvnk beschlossen. Wir wollen mehr Sicherheit auf der…“ Abgerufen am 23. September 2020.
  28. Uta Schleiermacher: Radfahren in Berlin: Neukölln hat Pollerneid. In: Die Tageszeitung: taz. 23. September 2020, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 27. Oktober 2020]).
  29. Drucksache - 2008/XX - Einwohner*innenantrag: Pop-up-Radweg auf der Hermannstraße. Abgerufen am 27. Oktober 2020.
  30. ONLINE. Abgerufen am 13. Dezember 2020.
  31. Karl Heinz Dettke: Kinoorgeln und Kinomusik in Deutschland. Metzler, Stuttgart/Weimar 1995, S. 244–246; zum Oskalyd S. 294 f.
  32. Deutsche Bauzeitung, Jg. 1927, S. 638; zitiert aus Riedel 1983

Koordinaten: 52° 28′ 21,7″ N, 13° 25′ 41,4″ O