„Max Draeger (Jurist)“ – Versionsunterschied

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===Königsberg===
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Am 1. Dezember 1937 kam Draeger als Präsident des [[Ostpreußen|ostpreußischen]] [[Oberlandesgericht]]s nach Königsberg. Sein Versetzungswunsch an das [[Oberlandesgericht Schleswig|OLG Kiel]] wurde 1943 vom [[Gauleiter]] der [[Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei|NSDAP]] in [[Schleswig-Holstein]] durch einen gegen Draeger gerichteten Schriftwechsel mit dem [[Reichsjustizministerium]] hintertrieben.<ref> Personalakte (R 3001/54515) im [[Bundesarchiv (Deutschland)|Bundesarchiv]]</ref>
Am 1. Dezember 1937 kam Draeger als Präsident des [[Ostpreußen|ostpreußischen]] [[Oberlandesgericht]]s nach Königsberg. Ein Versetzungswunsch an das [[Oberlandesgericht Schleswig|OLG Kiel]] wurde 1943 von [[Hinrich Lohse]], [[Gauleiter]] in [[Schleswig-Holstein]] und [[Reichskommissariat Ostland|Reichskommissar Ostland]] durch Intervention beim [[Reichsjustizministerium]] verhindert.<ref> Personalakte (R 3001/54515) im [[Bundesarchiv (Deutschland)|Bundesarchiv]].</ref>


Bei Anrücken der Roten Armee löste Draeger seine Behörde auf.<ref>Walter Wagner: ''Der Volksgerichtshof im nationalsozialistischen Staat'', Erw. Neuausgabe, München 2011, S. 392.</ref> Offensichtlich geschah dies ohne Rücksprache mit dem Ministerium in Berlin. Mit Generalstaatsanwalt Szelinski verließ Draeger die Stadt Richtung Pillau, wo man sich nach Westen einschiffte. In [[Swinemünde]] (oder [[Stettin]]) angelangt, machten Draeger und Szelinski Meldung bei Justizminister [[Otto Georg Thierack|Thierack]].
Über Draegers Zeit in Königsberg von 1937 bis 1945 sind im [[Bundesarchiv (Deutschland)|Bundesarchiv]], beim [[Landgericht Duisburg]] und im [[Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz|Bundesjustizministerium]] keine Akten verfügbar. Erhalten sind zwei Aktenvermerke des [[Reichsjustizministerium]]s vom 28. und 31. Januar 1945. Danach hatte der [[Reichsverteidigungskommissar]] [[Erich Koch]] dem Reichsjustizministerium einen Funkspruch mit der Beschwerde übermittelt, ''„daß der Chefpräsident und der Generalstaatsanwalt Szelinski ohne Fühlungnahme mit dem RVK [Koch], und ohne für ordnungsgemäße Übertragung ihrer Dienstgeschäfte gesorgt zu haben, Königsberg mit ihrem Dienstkraftwagen über [[Baltijsk|Pillau]] nach Danzig verlassen haben. Die Bevölkerung sei über dieses Verhalten der Vorstandsbeamten sehr erregt. Vom Innenministerium sei in Danzig veranlaßt worden, daß die beiden Vorstandsbeamten dort festgehalten würden. Er spreche die Bitte aus, auch von unserer Behörde notwendige Schritte gegen die beiden Vorstandsbeamten zu veranlassen.“'' Das führte zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen den OLG-Präsidenten.<ref>Christian Tilitzki: ''Alltag in Ostpreußen 1940-1945. Die geheimen Lageberichte der Königsberger Justiz''. Sonderausgabe. Flechsig, Würzburg 2003, ISBN 3-88189-481-0</ref>
Dieser war durch einen Funkspruch von Gauleiter und „Reichsverteidigungskommissar“ (RVK) [[Erich Koch]] bereits alamiert worden, „daß der Chefpräsident und der Generalstaatsanwalt Szelinski ohne Fühlungnahme mit dem RVK, und ohne für ordnungsgemäße Übertragung ihrer Dienstgeschäfte gesorgt zu haben, Königsberg mit ihrem Dienstkraftwagen über [[Baltijsk|Pillau]] nach Danzig verlassen haben. Die Bevölkerung sei über dieses Verhalten der Vorstandsbeamten sehr erregt. Vom Innenministerium sei in Danzig veranlaßt worden, daß die beiden Vorstandsbeamten dort festgehalten würden. Er spreche die Bitte aus, auch von unserer Behörde notwendige Schritte gegen die beiden Vorstandsbeamten zu veranlassen.“<ref>Zwei Aktenvermerke im Bestand des [[Reichsjustizministerium]]s vom 28. und 31. Januar 1945 [wo archiviert?]</ref><ref>Christian Tilitzki: ''Alltag in Ostpreußen 1940-1945. Die geheimen Lageberichte der Königsberger Justiz''. Flechsig, Würzburg 2003, ISBN 3-88189-481-0, S. ?</ref>


In [[Swinemünde]] angelangt, machten Draeger und Szelinski Meldung bei Justizminister [[Otto Georg Thierack|Thierack]]. Mit dessen Einverständnis ließ Gauleiter [[Franz Schwede|Schwede]] beide als Deserteure verhaften und nach Berlin überstellen.<ref>Schorn, ''Der Richter im Dritten Reich'', S. 232; Walter Wagner, ''Der Volksgerichtshof im nationalsozialistischen Staat'' (Die deutsche Justiz und der Nationalsozialismus, Bd. 3), Stuttgart 1974, S. 391.</ref> Szelinski nahm sich noch in Untersuchungshaft das Leben. Der [[Volksgerichtshof]] verurteilte Draeger am 29. März 1945 wegen [[Wehrkraftzersetzung]] und [[Fahnenflucht]] zum Tode. An dem Todesurteil gegen Draeger war [[Harry Haffner]] beteiligt. Am 4. April 1945 wurde Draeger ins [[Zuchthaus Brandenburg]] eingeliefert, wo er am 20. April 1945 „ehrenhaft“ erschossen wurde.
Mit Thieracks Einverständnis ließ Gauleiter [[Franz Schwede|Schwede]] beide als Deserteure verhaften und nach Berlin überstellen.<ref>Schorn, ''Der Richter im Dritten Reich'', S. 232; Walter Wagner, S. 392.</ref> Szelinski nahm sich noch in der Untersuchungshaft das Leben. Draeger wurde vom [[Volksgerichtshof]] am 29. März 1945 wegen [[Wehrkraftzersetzung]] und [[Fahnenflucht]] zum Tode verurteilt. An dem Urteil gegen Draeger war [[Harry Haffner]] beteiligt. Am 4. April 1945 ins [[Zuchthaus Brandenburg]] eingeliefert, wurde Draeger er am 20. April 1945 „ehrenhaft“ erschossen.

Walter Wagner bewertete 1974 Draegers Flucht nach Westen sehr dienstbezogen und führte sie darauf zurück, dass eine geordnete Arbeit im belagerten Königsberg schlicht unmöglich geworden sei.<ref>Walter Wagner, S. 392.</ref> Persönliche Motive oder die irrige Annahme, in Berlin auf Zustimmung zu stoßen, zog Wagner nicht in Betracht. Er bewertete die Todesstrafe für einen Spitzenvertreter des NS-Justizapparats rückblickend als „Märtyrertod“.


Draegers Tochter Lore Helbich berichtete 2007, dass die Angehörigen von der Hinrichtung erst im Dezember 1945 erfuhren. Die Urne wurde auf dem Friedhof in [[Berlin-Friedenau]] beigesetzt.
Draegers Tochter Lore Helbich berichtete 2007, dass die Angehörigen von der Hinrichtung erst im Dezember 1945 erfuhren. Die Urne wurde auf dem Friedhof in [[Berlin-Friedenau]] beigesetzt.

Version vom 25. Januar 2017, 11:25 Uhr

Max Draeger (* 18. Januar 1885 in Marienburg, Westpreußen; † 20. April 1945 in Brandenburg an der Havel) war ein deutscher Richter. Er war der letzte Präsident des Oberlandesgerichts Königsberg.

Leben

Draegers Eltern waren der Mühlenbesitzer Draeger und seine Frau Maria geb. Senger. Er studierte Rechtswissenschaft an der Albertus-Universität Königsberg und wurde 1904 im Corps Hansea Königsberg aktiv.[1] 1909 wurde er an der Universität Greifswald zum Dr. iur. promoviert.[2] Draeger war passionierter Bergsteiger.

Danzig und Duisburg

Am 20. Mai 1920 wurde er Landrichter in Danzig, am 1. Juli 1920 Landgerichtsrat in Danzig. Am 1. Januar 1922 kam er als Oberregierungsrat zur Justizabteilung des Senats der Freien Stadt Danzig. Seit dem 1. Januar 1925 Amtsgerichtsdirektor in Danzig, wurde er am 1. November 1932 zum Landgerichtspräsident in Guben und am 7. Juli 1933 zum Staatsrat und Leiter der Wirtschaft in Danzig ernannt.

Ab 1. Oktober 1935 war er fast zwei Jahre Landgerichtspräsident des Landgerichts Duisburg, bevor er am 21. August 1937 für drei Monate Präsident des westpreußischen Oberlandesgerichts Marienwerder wurde.

Königsberg

Am 1. Dezember 1937 kam Draeger als Präsident des ostpreußischen Oberlandesgerichts nach Königsberg. Ein Versetzungswunsch an das OLG Kiel wurde 1943 von Hinrich Lohse, Gauleiter in Schleswig-Holstein und Reichskommissar Ostland durch Intervention beim Reichsjustizministerium verhindert.[3]

Bei Anrücken der Roten Armee löste Draeger seine Behörde auf.[4] Offensichtlich geschah dies ohne Rücksprache mit dem Ministerium in Berlin. Mit Generalstaatsanwalt Szelinski verließ Draeger die Stadt Richtung Pillau, wo man sich nach Westen einschiffte. In Swinemünde (oder Stettin) angelangt, machten Draeger und Szelinski Meldung bei Justizminister Thierack. Dieser war durch einen Funkspruch von Gauleiter und „Reichsverteidigungskommissar“ (RVK) Erich Koch bereits alamiert worden, „daß der Chefpräsident und der Generalstaatsanwalt Szelinski ohne Fühlungnahme mit dem RVK, und ohne für ordnungsgemäße Übertragung ihrer Dienstgeschäfte gesorgt zu haben, Königsberg mit ihrem Dienstkraftwagen über Pillau nach Danzig verlassen haben. Die Bevölkerung sei über dieses Verhalten der Vorstandsbeamten sehr erregt. Vom Innenministerium sei in Danzig veranlaßt worden, daß die beiden Vorstandsbeamten dort festgehalten würden. Er spreche die Bitte aus, auch von unserer Behörde notwendige Schritte gegen die beiden Vorstandsbeamten zu veranlassen.“[5][6]

Mit Thieracks Einverständnis ließ Gauleiter Schwede beide als Deserteure verhaften und nach Berlin überstellen.[7] Szelinski nahm sich noch in der Untersuchungshaft das Leben. Draeger wurde vom Volksgerichtshof am 29. März 1945 wegen Wehrkraftzersetzung und Fahnenflucht zum Tode verurteilt. An dem Urteil gegen Draeger war Harry Haffner beteiligt. Am 4. April 1945 ins Zuchthaus Brandenburg eingeliefert, wurde Draeger er am 20. April 1945 „ehrenhaft“ erschossen.

Walter Wagner bewertete 1974 Draegers Flucht nach Westen sehr dienstbezogen und führte sie darauf zurück, dass eine geordnete Arbeit im belagerten Königsberg schlicht unmöglich geworden sei.[8] Persönliche Motive oder die irrige Annahme, in Berlin auf Zustimmung zu stoßen, zog Wagner nicht in Betracht. Er bewertete die Todesstrafe für einen Spitzenvertreter des NS-Justizapparats rückblickend als „Märtyrertod“.

Draegers Tochter Lore Helbich berichtete 2007, dass die Angehörigen von der Hinrichtung erst im Dezember 1945 erfuhren. Die Urne wurde auf dem Friedhof in Berlin-Friedenau beigesetzt.

Rückblick

Draeger engagierte sich im Deutschen Beamtenbund und im Bund nationalsozialistischer Juristen. Schon bei Kriegsende wurde er dem Kreisauer Kreis zugeordnet. So wird er im Buch des Königsberger Pfarrers Hugo Linck als Mitglied des Königsberger Bruderrates der Bekennenden Kirche aufgeführt. Auch seine Verurteilung wegen Wehrkraftzersetzung lässt darauf schließen, dass man ihm pauschal Beziehungen zum Widerstand zur Last gelegt hat.

In den Beständen des ehemaligen Berlin Document Centers (BDC) existiert eine SA-Personalakte von Draeger; sie enthielt keine Unterlagen über das Disziplinarverfahren oder den Prozess vor dem Volksgerichtshof.

Literatur

  • Hugo Linck: Der Kirchenkampf in Ostpreußen. 1933 bis 1945. Geschichte und Dokumentation. Gräfe und Unzer, München 1968, S. 220.
  • Emil Luckat: Draeger. In: Altpreußische Biographie. Band 3. Elwert, Marburg 1975, ISBN 3-7708-0504-6.
  • Hubert Schorn: Richter im Dritten Reich. Geschichte und Dokumente. Klostermann, Frankfurt am Main 1959.
  • Christian Tilitzki: Alltag in Ostpreußen 1940-1945. Die geheimen Lageberichte der Königsberger Justiz. Sonderausgabe. Flechsig, Würzburg 2003, ISBN 3-88189-481-0.
  • Rüdiger Döhler: Der Fall Max Draeger – ein Mord aus Rache? In: Sebastian Sigler: Corpsstudenten im Widerstand gegen Hitler. Duncker & Humblot, Berlin 2014. ISBN 978-3-428-14319-1, S. 431–435.

Einzelnachweise

  1. Kösener Corpslisten 1960, 85, 189.
  2. Dissertation: Haben bei der Lebensversicherung zugunsten eines Dritten die Nachlaßgläubiger einen Zugriff auf die Versicherungssumme?
  3. Personalakte (R 3001/54515) im Bundesarchiv.
  4. Walter Wagner: Der Volksgerichtshof im nationalsozialistischen Staat, Erw. Neuausgabe, München 2011, S. 392.
  5. Zwei Aktenvermerke im Bestand des Reichsjustizministeriums vom 28. und 31. Januar 1945 [wo archiviert?]
  6. Christian Tilitzki: Alltag in Ostpreußen 1940-1945. Die geheimen Lageberichte der Königsberger Justiz. Flechsig, Würzburg 2003, ISBN 3-88189-481-0, S. ?
  7. Schorn, Der Richter im Dritten Reich, S. 232; Walter Wagner, S. 392.
  8. Walter Wagner, S. 392.