Hirntod

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Der Hirntod ist eine in der Medizin verwendete Todesdefinition bei Menschen, deren Kreislauf mit künstlichen Mitteln aufrechterhalten wird. Der Begriff bezeichnet das irreversible Ende aller Hirnfunktionen aufgrund von weiträumig absterbenden Nervenzellen. Der Hirntod gilt als sicheres inneres Todeszeichen und wird in Deutschland nach den vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer gemäß den Anforderungen des Transplantationsgesetzes festgelegten Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes diagnostiziert. Nach abgeschlossener Hirntoddiagnostik und festgestelltem Hirntod wird die Todesbescheinigung für den intensivmedizinisch behandelten Patienten ausgestellt. Als Todeszeit wird die Uhrzeit registriert, zu der die Diagnose und Dokumentation des Hirntodes abgeschlossen sind.

Geschichte

Im Menschenbild der alten Ägypter wurde das Herz als Zentralorgan des Körpers gesehen und repräsentierte daher auch die Seele des Toten. Diese Sicht prägte für Jahrtausende das kardiozentrische Menschenbild der meisten nachfolgenden Religionen und Kulturen. Das Ausbleiben des Herzschlages, begleitet vom Stillstand der Atmung und spontanen Bewegungen, blieben bis zum Zeitalter der Aufklärung die allgemein gültigen, allerdings nirgends normativ festgelegten Todeszeichen.

Mitte des 18. Jahrhunderts gab es die ersten erfolgreichen Beatmungs- und Wiederbelebungsversuche an Ertrunkenen; nach Entdeckung der galvanischen Elektrizität gelang 1774 die erste erfolgreiche Wiederbelebung durch elektrische Herzstimulation.

Das Dogma des Herzstillstandes als endgültigen Tod des Menschen geriet dadurch, aber auch durch die Ergebnisse der seitdem durchgeführten elektrischen Experimente an Gehirnen und Körpern frisch Verstorbener, ins Wanken.

M.-F.-X. Bichat folgerte aus seinen ausgedehnten anatomischen, histologischen und physiologischen Untersuchungen, dass die Aufrechterhaltung einer strukturellen zellulären Ordnung ein wesentliches Merkmal des Lebens sei und die Auflösung dieser Ordnung den Tod bedeutet. Er postulierte, dass ein Organismus aus Funktionen auf unterschiedlichen zellulären Ebenen beruhe und diese Funktionen nicht zwangsläufig gleichzeitig enden müssen. Er grenzte vegetative Grundfunktionen (Atmung, Kreislauf, Stoffwechsel) als „organisches Leben“ von dem Komplex höherer Gehirnleistungen (Bewusstsein, Sinneswahrnehmungen) ab.[1] In Konsequenz dieser Ergebnisse griff er erst viel später entwickelten Erkenntnissen vor und prägte den Begriff „Hirntod“.[2]

Hintergrund, Definition und Diagnostik

Die Definition des Hirntodes beruht auf einem 1968 veröffentlichten Konzept der Harvard Medical School.[3] Vorher galt ein Mensch als tot, wenn seine Atmung und Herztätigkeit stillstand. Doch durch die Entwicklung der Ersten Hilfe, der Beatmung und anderer intensivmedizinischer Techniken wurde auch schwer Hirngeschädigten ein Weiterleben ermöglicht – allerdings befanden sich dann einige der Patienten im irreversiblen Koma. Zur Klärung des Status dieser Patienten wurde eine neue Todesdefinition festgelegt. Dabei wurde berücksichtigt, dass diese Patienten trotz intensivmedizinischer Behandlung in absehbarer Zeit sterben würden.[4]

Der Wissenschaftliche Beirat der deutschen Bundesärztekammer definierte am 9. Mai 1997 den Hirntod wie folgt:

„Der Hirntod wird definiert als Zustand der irreversibel erloschenen Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms. Dabei wird durch kontrollierte Beatmung die Herz- und Kreislauffunktion noch künstlich aufrechterhalten.“

- Dritte Fortschreibung der „Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes“ des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer vom 9. Mai 1997

Das für die Schweiz gültige Verfahren der Todesfeststellung findet sich in den medizinisch-ethischen Richtlinien zur Feststellung des Todes mit Bezug auf Organtransplantationen der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW).[5]

Kriterien

Bevor die Untersuchungen zur Hirntodfeststellung eingeleitet werden, müssen folgende Voraussetzungen überprüfbar erfüllt sein:

  1. Vorliegen einer akuten primären oder sekundären Hirnschädigung,
  2. Ausschluss einer anderen Ursache oder Mitursache für einen (eventuell nur zeitweiligen) Ausfall der Hirnfunktionen (z. B. Vergiftung o.a.).

Klinische und apparative Kriterien sind zu unterscheiden. Die klinischen Kriterien müssen zum Beweis des Hirntodes zwingend nachgewiesen sein. Dies sind:

  1. der Verlust des Bewusstseins (Koma),
  2. eine Areflexie des Hirnstamms (z. B. mittel- bis maximal weite und lichtstarre Pupillen, fehlende Schmerzreaktion im Trigeminusbereich, fehlender Lidschlussreflex, Puppenkopfphänomen, fehlender Schluck- und Hustenreflex), wobei autonome Reflexe auf Rückenmarksebene erhalten sein können,
  3. der Verlust der Spontanatmung (Apnoe).

Durch eine erneute Untersuchung der klinischen Kriterien nach festgelegter, adäquater Wartezeit (12, 24 beziehungsweise 72 Stunden je nach Alter und Lokalisation der primären Hirnläsion) oder durch eine ergänzende apparative Untersuchung wird bewiesen, dass es sich um einen unumkehrbaren Ausfall aller Hirnfunktionen (also um Hirntod) handelt. Zu diesen apparativen Kriterien gehören:

  1. ein Null-Linien-Elektroenzephalogramm (EEG). Die EEG-Untersuchung soll in Anlehnung an die Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für klinische Neurophysiologie durchgeführt werden. Ergibt die EEG-Ableitung über einen Zeitraum von mindestens dreißig Minuten eine hirnelektrische Stille, also ein sogenanntes Null-Linien-EEG, so ist die Irreversibilität des Hirnfunktionsausfalls ohne weitere Beobachtungszeit nachgewiesen.
  2. ein mittels zerebraler Perfusionsszintigraphie oder Doppler-Sonographie festgestellter Durchblutungsstopp in allen hirnversorgenden Gefäßen. Bei der Perfusionsszintigraphie wird eine schwach radioaktiv markierte Substanz injiziert und ihre Verteilung im Gehirn verfolgt. Bei intakter Hirndurchblutung lässt sich die Markierungssubstanz über Stunden in den durchbluteten Hirnregionen nachweisen. Bei einem Hirntoten hingegen stellt sich die Schädelhöhle infolge eines Abbruchs der gesamten Hirndurchblutung „leer“ dar. Bei der Dopplersonographie werden die Hirnbasisarterien beschallt. Anhand der Reflexion des Schallsignals wird die Blutflussgeschwindigkeit in den Hirngefäßen gemessen. Die Dopplersonographie darf nur von einem hierin erfahrenen Untersucher vorgenommen werden und muss mindestens zweimal im Abstand von wenigstens 30 Minuten erfolgen.
  3. der Ausfall der akustischen oder somatosensiblen evozierten Potentiale bei einer primären Läsion des Großhirns und bei einer sekundären Hirnschädigung (Sauerstoffmangel des Gehirns z. B. nach Wiederbelebung des Herzens). Dabei ist die Reizantwort des Gehirns auf einen peripheren Nervenreiz unumkehrbar aufgehoben. Evozierte Potentiale sind hirnelektrische Potentialschwankungen auf akustische (AEP, akustisch evozierte Potentiale) oder elektrische (SEP, somatosensibel evozierte Potentiale) Reize.

Die klinischen Kriterien zum Nachweis des unumkehrbaren Ausfalls der Hirnfunktion müssen in der Bundesrepublik Deutschland zu verschiedenen Zeitpunkten von verschiedenen Ärzten, die nach den Kriterien der Bundesärztekammer über „eine mehrjährige Erfahrung in der Intensivbehandlung von Patienten mit schweren Hirnschädigungen“ verfügen müssen, bestätigt werden, um den Hirntod zweifelsfrei festzustellen. Sollen dem Patienten nach der Feststellung Organe entnommen werden, so muss die Feststellung des Hirntods durch Ärzte erfolgen, die nicht an der Organentnahme oder der Transplantation beteiligt sind. Eine zusätzliche apparative Untersuchung ist nur in den Fällen zwingend erforderlich, in denen die primäre Schädigung im Bereich des Hirnstamms oder des Kleinhirns lag (primär infratentorielle Hirnschädigung). Die apparative Zusatzuntersuchung kann jedoch als Beweis der Irreversibilität der klinischen Ausfallsymptome die Wartezeit verkürzen.

Hirntoddiagnostik

In der Informationsbroschüre Kein Weg zurück … des Arbeitskreis Organspende wird folgende Aussage gemacht:[6]

„Es ist richtig, dass die unübersehbare Vielzahl von Hirnfunktionen nicht durch klinische oder apparative Untersuchungen in ihrer Gesamtheit erfasst werden kann. Dies ist aus medizinischer Sicht auch unnötig. Vielmehr soll durch die Hirntoddiagnostik die Vollständigkeit und Endgültigkeit einer Schädigung des Gehirns als funktionierendes Ganzes festgestellt werden. Die Gültigkeit dieses Konzepts ist empirisch begründet, d. h. durch Erfahrung an vielen Tausend von Hirntod-Fällen belegt. Es erhebt nicht den Anspruch, den Tod jeder einzelnen Hirnzelle nachzuweisen.“

Elektroenzephalografie

Neben der unabdingbaren klinischen Untersuchung ist das EEG eine zusätzliche apparative Methode, die bei der Hirntoddiagnostik eingesetzt werden kann.

Die EEG-Untersuchung soll in Anlehnung an die Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für klinische Neurophysiologie durchgeführt werden. Ergibt die EEG-Ableitung über einen Zeitraum von mindestens dreißig Minuten eine hirnelektrische Stille, also ein sogenanntes Null-Linien-EEG, so ist die Irreversibilität des Hirnfunktionsausfalls ohne weitere Beobachtungszeit nachgewiesen.

Laut Aussagen der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) konnten in Ausnahmefällen EEG-Aktivitäten trotz klinischer Hirntod-Zeichen und nachgewiesenen Durchblutungsstillstandes beobachtet werden. Die Ursache: „sog. Anastomosen (Gefäßverbindungen) in den Randgebieten zwischen der (unterbrochenen) Blutversorgung hirneigener Arterien und dem noch intakten Kreislauf der äußeren Halsschlagader […], welche die Gesichtsweichteile, aber auch die Hirnhäute versorgt. Hierdurch kann es zu einem Überleben umschriebener Nervenzellpopulationen nach Eintreten des Hirntodes kommen.“[7]

Motivation

Die Diagnose des Hirntodes ist nur im Krankenhaus durch die modernen intensivmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten (künstliche Beatmung, Kreislauftherapie, Hormonersatztherapie) möglich. Durch die maschinellen Unterstützungsmaßnahmen kann die Durchblutung und Sauerstoffversorgung der Organe zeitlich begrenzt aufrechterhalten werden. Dennoch kommt es in allen Fällen nach festgestelltem Hirntod trotz aller intensivmedizinischen Maßnahmen nach Stunden oder Tagen zu einem Herzstillstand und zum Zusammenbruch des Herz-Kreislauf-Systems.

Nach Feststellung des Hirntodes wird bei Zustimmung zur Organspende die Organentnahme und Transplantation durchgeführt oder, falls die Organspende abgelehnt wurde, das Beatmungsgerät abgestellt und alle weiteren intensivmedizinischen Maßnahmen beendet.

Der Hirntod bietet ein Kriterium, auf die weitere Therapie des Patienten zu verzichten. Ein unter Umständen bestellter rechtlicher Betreuer hätte zum Beispiel keine Befugnis mehr, auf einer Fortsetzung der „lebenserhaltenden“ Therapie zu bestehen, wenn ärztlicherseits bereits der Hirntod festgestellt wurde.

Nach § 3 des Transplantationsgesetzes (TPG) ist die Hirntodfeststellung Voraussetzung zur Organentnahme. Daraus, dass in diesem Gesetz vom toten Organspender die Rede ist, wird in der Rechtswissenschaft allgemein geschlossen, dass der Hirntod auch juristisch das Todeskriterium erfüllt. Dies wird z. B. inzwischen auch im Erbrecht oder im Personenstandsrecht akzeptiert.

Wörtlich heißt es in § 3 TPG:

„(2) Die Entnahme von Organen oder Geweben ist unzulässig, wenn
  1. die Person, deren Tod festgestellt ist, der Organ- oder Gewebeentnahme widersprochen hatte,
  2. nicht vor der Entnahme bei dem Organ- oder Gewebespender der endgültige, nicht behebbare Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach Verfahrensregeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist.“

Kontroverse

Kritik aus der Wissenschaftsgemeinde

Verschiedene Mediziner und Wissenschaftler üben Kritik an der Hirntod-Definition als endgültigen Tod des Menschen.

So meint etwa der deutsche Kardiologe Paolo Bavastro, dass der Begriff des "hirntoten Menschen" eine "arglistige Täuschung" sei, da ein Mensch mit Hirnversagen zwar "ein Mensch" sei, dessen "Gehirn einen erheblichen Schaden" habe und "ein schwerstkranker, sterbender Mensch" sei, aber eben "noch kein Toter". Ärzte könnten bei hirntoten Menschen trotzdem einen Herzschlag wahrnehmen, sie würden ihre Körpertemperatur selbst regulieren, Urin und Stuhl ausscheiden, sie könnten schwitzen, auf Schmerzreize reagieren und sogar Antikörper bilden, Männer könnten Erektionen bekommen und Frauen schwanger werden und gesunde Kinder gebären. Die Vorstellung, dass "nur die Hirnaktivität den Menschen zum Menschen" mache und "der Tod des Hirns auch den Tod des Menschen bedeute", sei überholt, so Bavastro.[8][9]

Der US-amerikanische Arzt Alan Shewmon, welcher früher ein bekannter Befürworter des Hirntod-Konzeptes war, vertritt die Auffassung, dass "das Gehirn nicht als zentraler Integrator aller menschlichen Körperfunktionen" wirke. Der Neurologe hatte bis 1998 über 170 dokumentierte Fälle gefunden, in denen zwischen Feststellung des Hirntodes und Eintritt des Herzstillstands viel Zeit vergangen war. Die Spannen reichten dabei von mindestens einer Woche bis zu 14 Jahren. Die US-amerikanische "President’s Council on Bioethics" (Ethikrat der USA) schloss sich dieser Einschätzung an. Die Vorstellung von der Gleichsetzung von Hirntod und Tod sei nach Auffassung des Rates "nicht mehr aufrechtzuhalten". Das Gehirn sei "nicht der Integrator der verschiedenen Körperfunktionen", vielmehr sei "die Integration eine emergente Eigenschaft des ganzen Organismus".[10][11]

Die neurologische Fachgesellschaft der Vereinigten Staaten mahnt außerdem an, dass "die Kriterien für die Feststellung des Hirntodes nicht wissenschaftlich untermauert" seien. Beispielsweise seien die (auch in Deutschland) "vorgeschriebenen Wartezeiten zwischen der ersten und zweiten neurologischen Untersuchung" nur "grobe Erfahrungswerte und nicht zuverlässig". Kritisiert wird auch, dass "apparative Zusatzuntersuchungen", wie die "Messungen der elektrischen Aktivität und der Durchblutung des Gehirns", nicht "zum obligatorischen Standard" gehören. Unter Umständen könnten "neurologisch unerfahrene Ärzte deshalb einen Komapatienten für tot erklären", obwohl "seine Hirnrinde noch bei Bewusstsein" sei.[12]

Zudem sei die Feststellung des Hirntods mit einer Reihe von Unsicherheiten behaftet, so Joseph Verheijde, Mohamed Rady und Joan McGregor von der Non-Profit-Organisation Mayo Clinic. Sie bezweifeln, dass die etablierten Richtlinien geeignet seien, einen "irreversiblen Schaden des Gehirns mit hinreichender Sicherheit zu konstatieren". Gehirne von für hirntot erklärten Patienten wiesen nicht alle die erwarteten schweren Schäden auf. In Deutschland gelten für die Hirntoddiagnostik die Kriterien der Bundesärztekammer. Eine apparative Untersuchung sei nur bei Kindern bis zum vollendeten zweiten Lebensjahr vorgesehen. Die in den übrigen Fällen als ausreichend erachtete klinische Diagnostik "erfasse nur Teilbereiche des Gehirns". Funktionen des Mittelhirnes, des Kleinhirns und des Cortex würden gar nicht untersucht werden, gibt die deutsche Physikerin und Philosophin Sabine Müller von der Charité in Berlin zu bedenken. Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren wie der Positronenemissionstomographie oder der funktionellen Magnetresonanztomographie an Patienten mit schweren Bewusstseinsstörungen ließen an der Behauptung des irreversiblen Ausfalles aller Hirnfunktionen zweifeln.[13]

Erlanger Baby

In diesem Zusammenhang wird häufig der Fall des Erlanger Babys zitiert, in dem eine in der 15. Woche schwangere Frau nach Hirntod noch 5 Wochen am „Leben“ erhalten wurde, bei normalem Wachstum des Fetus. Dies erklärt sich dadurch, dass durch die Intensivmedizin mit Beatmung, Kreislauftherapie und Hormonersatz der Körper der Frau und damit auch der Uterus in seiner Grundfunktion erhalten blieb und damit auch das Kind unversehrt war. Durch eine Infektion kam es dann zum Ende der Schwangerschaft.

Zu berücksichtigen ist aber auch die Frage, ob es ethisch gerechtfertigt werden kann, die hirntote Mutter solange künstlich zu beatmen und zu ernähren, bis der Fetus per Schnittentbindung auf die Welt geholt werden kann. Ferner ist es zu fragen, ob es ethisch gerechtfertigt werden kann, einen Fetus in einer hirntoten Mutter bis zur Geburt wachsen zu lassen.

Die Schwangerschaft wurde in diesem Fall erst bei der Vorbereitung zur Organentnahme festgestellt. Als entschieden wurde zu versuchen, die Schwangerschaft auszutragen, wurde die Organentnahme abgesagt. Als es jedoch nach 5 Wochen zur Fehlgeburt kam, war auch die Organentnahme nicht mehr möglich.

Betreuerbestellung

Entgegen der o.g. Aussage war der hirntoten Schwangeren im übrigen ein rechtlicher Betreuer bestellt worden, um über die weitere medizinische Behandlung zu entscheiden. In dem Beschluss des Amtsgerichtes Hersbruck[14] heißt es:

„Die Bestellung eines vorläufigen Betreuers für die genannten Aufgabenkreise erschien erforderlich, ungeachtet der Tatsache, daß die Betroffene tot im Sinne des Gesetzes ist… Zur Klarstellung wird darauf hingewiesen, daß die Entscheidung des vorläufigen Betreuers über das Abschalten der funktionserhaltenden Apparate vor Entbindung oder Tod der Leibesfrucht im Mutterleib einer Genehmigung durch das Gericht bedarf. Nach diesem Zeitpunkt ist eine Genehmigung nicht mehr erforderlich.“

Störung der Totenruhe

Wenn nicht sichergestellt ist, dass mit dem Hirntod auch alle Empfindungen erloschen sind, besteht bei einer Organentnahme die Möglichkeit, dass (neben der Körperverletzung) die Würde des Organspenders verletzt wird (siehe auch Störung der Totenruhe).

Dazu gab die Bundesärztekammer im Jahr 2001 folgende Erklärung ab:

„Nach dem Hirntod gibt es keine Schmerzempfindung mehr. Deshalb sind nach dem Hirntod bei Organentnahmen keine Maßnahmen zur Schmerzverhütung (zum Beispiel Narkose) nötig. Die Tätigkeit eines Anästhesisten bei der Organentnahme dient ausschließlich der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der zu entnehmenden Organe.“

Religiöse Betrachtung

Aus Sicht der Römisch-katholischen Kirche gilt die Hirntod-Definition, nach der das Ausbleiben messbarer Hirnströme über einen Zeitraum von mindestens sechs Stunden den Tod des Menschen anzeigt.[15]

Die Haltung zum Hirntod ist in der islamischen Religion uneinheitlich.[16] Laut Aussage des Zentralrats der Muslime in Deutschland entspricht die Festlegung des Hirntodes als Todeskriterium ihrer Empfehlung und decke sich mit der Meinung der meisten islamischen Gelehrten.[17]

Literatur

  • H.-P. Schlake, K. Roosen: Der Hirntod als der Tod des Menschen, 2. Aufl., Deutsche Stiftung Organtransplantation, Neu-Isenburg, 2001, ISBN 3-9807327-0-3
  • Karim Akerma: Lebensende und Lebensbeginn. Philosophische Implikationen und mentalistische Begründung des Hirn-Todeskriteriums.; Lit Verlag, Hamburg 2006; ISBN 3-8258-9744-3
  • Alberto Bondolfi (Hrsg.): Hirntod und Organspende. Verlag Schwabe, Basel 2003; ISBN 3-7965-1968-7.
  • Johannes Hoff (Hrsg.): Wann ist der Mensch tot? Organverpflanzung und „Hirntod“-Kriterium“. Rowohlt, Reinbek 1995; ISBN 3-499-19991-2.
  • Vera Kalitzkus:Dein Tod, mein Leben. Warum wir Organspenden richtig finden und trotzdem davor zurückschrecken.Suhrkamp medizinHuman, Frankfurt 2009; ISBN 978-3-518-46114-3
  • Adrian Schmidt-Recla: Tote leben länger. Ist der Hirntod ein ausreichendes Kriterium für die Organspende?. In: MedizinRecht 2004, S. 672–677.
  • Ralf Stoecker: Der Hirntod. Ein medizinethisches Problem und seine moralphilosophische Transformation. Alber, Freiburg 2006; ISBN 3-495-48181-8.
  • Hartwig Wiedebach: Hirntod als Wertverhalt. Medizinische Bausteine aus Jonas Cohns Wertwissenschaft und Maimonides’ Theologie. LIT-Verlag, Münster 2003; ISBN 3-8258-7098-7.
  • Urban Wiesing (Hrsg.): Ethik in der Medizin. Ein Studienbuch. Reclam, Stuttgart 2004; ISBN 3-15-018341-3.
  • englische Literaturliste zum Artikel (PDF-Datei; 155 kB)

Einzelnachweise

  1. Bichat, M.-F.-X.: Physiological Researches Upon Life and Death, Smith & Maxwell, Philadelphia 1809
  2. Sutton, G.: The Physical and Chemical Path to Vitalism: Xavier Bichat's Physiological Researcheson Life and Death, Bull. Hist. Med. 58: 53-71 (1984)
  3. Begründung des Ad-hoc-committee der Harvard Medical School, abgerufen am 12. Dezember 2010
  4. Kaltizkus 2009, S.94-96
  5. Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften: Richtlinien: Feststellung des Todes mit Bezug auf Organtransplantationen (2005); PDF-Dateien mit Richtlinien, Literatur und Protokollanhang; abgerufen am 27. Juli 2008
  6. Arbeitskreis Organspende: Kein Weg zurück … Informationen zum Hirntod; 1. A.100.8/99, S. 29
  7. Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO): Der Hirntod als der Tod des Menschen; 1. A.30.12/95, S.36
  8. Deutschlandradio Kultur: "Der Hirntod ist nicht der Tod des Menschen", vom 14. Juli 2011
  9. Ärzte-Zeitung: "Heftige Kontroverse: Wann ist ein Mensch tot?", vom 22. Februar 2012
  10. Das Parlament: "Wie tot sind Hirntote? Alte Frage – neue Antworten" (2011)
  11. Die TAZ: "Neue Zweifel am Hirntod", vom 5. November 2010
  12. Der Tagesspiegel: "Wann ist ein Mensch wirklich tot?", vom 28. September 2010
  13. FAZ: "Ist die Organspende noch zu retten?", vom 14. Oktober 2010
  14. Beschluss des Amtsgerichts Hersbruck vom 16. Oktober 1992 – XVII 1556/92, NJW 1992, 3245 = FamRZ 1992, 1471
  15. Radio Vatikan: Wie tot ist hirntot?, 4. September 2008
  16. Omar Samadzade: "Hirntod und Organtransplantation aus islamischer Sicht" (2011), S. 11
  17. ZDM: "Organverpflanzung und Hirntod", vom 2. Juli 1997