Europas Planetenforschung etabliert sich

Ende September haben sich in Münster europäische Planetenforscher zu ihrer mittlerweile dritten Konferenz getroffen. Auf dem Programm standen nicht nur neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Es wurde auch über zukünftige Missionen ins Sonnensystem diskutiert.

Thorsten Dambeck
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Wenn Frank Postberg vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg recht behält, dann haben er und seine Mitarbeiter erstmals einen Ozean mit Salzwasser ausserhalb der Erde nachgewiesen. Es geht um den Saturnmond Enceladus. Mit seinen gerade einmal 500 Kilometern Durchmesser steht der kleine Eistrabant seit einigen Jahren im Fokus der amerikanisch-europäischen Cassini-Mission. So weiss man inzwischen, dass der sogenannte E-Ring des Saturns aus gewaltigen Geysiren gespeist wird, die aus Rissen am Südpol von Enceladus emporschiessen. Als Postberg und seine Kollegen vor kurzem die Eispartikel des Rings mit dem Massenspektrometer an Bord der Cassini-Sonde genauer analysierten, stiessen sie neben Wassereis auf die Signatur des Elementes Natrium. Dies hatten Planetologen für den Fall vorhergesagt, dass tief im Innern von Enceladus ein Meer existieren sollte; denn beim Kontakt des Wassers mit dem tiefer gelegenen warmen Gesteinskern würde Natriumchlorid, also Kochsalz, gelöst. Durch die beständige Aktivität der Geysire wird das Salz offenbar zusammen mit den Eiskristallen ins Weltall geschleudert und reichert sich im E-Ring des Saturns an, in dem Enceladus seine Bahn zieht.

Ein europäisches Netzwerk

Postberg ist einer von rund 450 Forschern, die Ende September für eine Woche ins westfälische Münster gereist waren, um auf der European Planetary Science Conference ihre neusten Ergebnisse vorzustellen und sich über zukünftige Projekte zu informieren. Lange wurde die Planetenforschung hauptsächlich von amerikanischen Wissenschaftern dominiert, doch nun hat dieses Forschungsfeld auch in der Alten Welt neuen Schwung bekommen. Vor vier Jahren haben sich Europas Planetenforscher im Europlanet-Netzwerk organisiert, das von der EU finanziell unterstützt wird. Fast hundert wissenschaftliche Institute, darunter auch solche aus der Schweiz, stehen europaweit hinter dem Netzwerk.

Planetary Science ist ein interdisziplinäres Feld. Es umfasst die Geowissenschaften, Teilgebiete von Physik, Astronomie und Chemie, und sogar Randbereiche der Biologie werden tangiert. Hauptsächlich stützen sich die Forscher auf die Bilder und Daten von Sonden wie Cassini, jedoch spielen auch erdgebundene Beobachtungen und Laborexperimente ihren Part. Hinzu kommen Simulationen. So stellte an der Konferenz in Münster Paul Tackley von der ETH Zürich die Ergebnisse einer numerischen Berechnung vor, mit der er den Einfluss der Sonneneinstrahlung auf Vorgänge im Innern des Merkurs untersuchte.

Auf dem sonnennächsten Planeten herrschen zwischen Pol und Äquator beträchtliche Unterschiede der Oberflächentemperatur. Sie betragen im zeitlichen Mittel 225 Grad Celsius. Nach Tackleys Simulationen können diese Temperaturdifferenzen an der Oberfläche das Muster der Konvektion im Inneren des Planeten verändern. Auf diesem Weg wirkt der Temperatureffekt bis in eine Tiefe von zirka 600 Kilometern, wo nach der Vorstellung der Planetologen das Mantelgestein auf den metallischen Kern Merkurs trifft. Auch dort wird der Wärmefluss modifiziert und damit die Konvektionsbewegung im flüssigen Metall. Diese wiederum ist die Ursache für Merkurs Magnetfeld. Als Konsequenz ergibt sich ein externer, von der Sonnenstrahlung ausgehender Beitrag zu Merkurs Magnetfeld. Ob Tackleys Theorie richtig ist, könnte sich im Frühjahr 2011 zeigen, wenn die Messenger-Sonde der Nasa den Merkur zu umkreisen beginnt und unter anderem sein Magnetfeld vermisst.

Obgleich die amerikanische Raumfahrtbehörde immer noch die meisten Planetensonden ins All schiesst, sind die USA längst nicht mehr der einzige Akteur auf diesem Feld. Japan, China und Indien entsenden eigene Sonden, und nach über zehnjähriger Pause hat auch Russland im Herbst 2009 wieder eine Mission am Start; Ziel wird der Marsmond Phobos sein. Die eigenständigen Missionen der Europäischen Weltraumbehörde (ESA) begannen vor rund zwei Jahrzehnten mit dem Flug der Giotto-Sonde zum Kometen Halley, mit der erstmals ein Kometenkern aus der Nähe porträtiert wurde. Mittlerweile haben sich solche Projekte etabliert. ESA-Sonden zu Mars, Venus und den Asteroiden liefern bereits Daten, im Jahr 2014 will man auf einem Kometenkern landen. Weitere Sonden zum Erdmond, zum Merkur oder zu den äusseren Gasplaneten werden ernsthaft diskutiert.

Insbesondere der Vorstoss zu diesen sonnenfernen Welten wird wohl nicht zuletzt aus Kostengründen in internationalem Rahmen stattfinden. Derzeit werden in Europa, den USA und Japan neue Missionen ins Jupiter-System untersucht. Laut den Plänen sollen nach der Inspektion des Gasriesen und nach Vorbeiflügen an mehreren Trabanten des Jupiters zwei Satelliten in die Umlaufbahnen der Monde Ganymed und Europa einschwenken. Unter der geologisch sehr jungen Oberfläche von Europa vermuten die Forscher einen Ozean, ähnlich wie bei Enceladus. Nach Messungen der amerikanischen Galileo-Sonde in den 1990er Jahren soll das Europa-Meer sogar globale Ausmasse erreichen. Neben vielfältigen weiteren Untersuchungen könnte mit einem Radargerät die Eiskruste Europas bis in drei Kilometer Tiefe durchleuchtet werden.

Mehrere hochrangige Wissenschaftsgremien in Amerika haben dagegen den Saturnmond Titan zu einem Ziel mit hoher Priorität erklärt, und im Cosmic-Vision-Programm der ESA liegen ebenfalls Vorschläge für einen Nachfolger des erfolgreichen Titan-Landers Huygens vor. Aus diesen Überlegungen ist die Titan Saturn System Mission hervorgegangen, deren Start gegen Ende der kommenden Dekade erfolgen könnte. Das gemeinsame europäisch-amerikanische Konzept umfasst einen amerikanischen Orbiter, der zunächst den Saturn und später Titan umkreisen soll. Europas Beitrag bestünde aus zwei Sonden, die den Saturn-Trabanten näher ins Visier nehmen: einem Ballon, der einige Monate in zehn Kilometern Höhe schwebend die Äquatorregion erforschen soll, sowie dem Mare Explorer, dessen Ziel einer der kürzlich entdeckten Seen aus Kohlenwasserstoffen wäre. Dort «wassernd», sollen einige Stunden lang chemische Analysen durchgeführt werden. Die Forscher wollen wissen, welche organischen Moleküle die exotische Chemie Titans ausmachen. Ob im kommenden Jahrzehnt eine der beiden Missionen ins äussere Sonnensystem Realität wird, ist noch unklar. Laut ESA-Wissenschafter Jean-Pierre Lebreton werden ESA und Nasa wohl im kommenden Frühjahr entscheiden, welche der beiden Missionen im Rennen bleibt.

Auch der Mars bleibt ein zentrales Ziel der Planetenforschung. Der rote Planet ist nach der Erde bereits heute der am besten kartografierte Himmelskörper. Drei Satelliten, darunter die ESA-Sonde «Mars Express», sowie drei Landegeräte senden einen beständigen Datenstrom. Besonders hochauflösendes Bildmaterial präsentierte in Münster Alfred McEwen von der University of Arizona in Tucson. Auf den Fotos der Bordkamera des «Mars Reconnaissance Orbiter» der Nasa waren noch Einschlagkrater mit einem Durchmesser von wenigen Metern zu erkennen. Wenn solche Meteoritenkrater auf früheren Aufnahmen fehlen, sind sie leicht datierbar. Ein weniger als zwei Jahre altes Exemplar, das in mittleren geografischen Breiten aufgespürt wurde, zeigt in seinem Innern ein gleissend weisses Material. Damit erhärten sich die Indizien, dass auch ausserhalb der Polargebiete dicht unter der Mars-Oberfläche Wassereis begraben ist.

Diese Resultate könnte das geplante europäische Mars-Gefährt ExoMars vor Ort bestätigen: Sein Bohrer soll bis zu zwei Meter tief in den Mars-Boden vordringen, um dort nach Wassereis und Spuren organischer Moleküle zu suchen. Doch wird das Projekt von beträchtlichen Budgetproblemen geplagt. Die Kosten von ursprünglich 650 Millionen Euro sollen sich mittlerweile fast verdoppelt haben. Der ESA-Astronaut Thomas Reiter, der kürzlich in den Vorstand des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt (DLR) aufrückte, äusserte sich folglich in Münster bezüglich ExoMars pessimistisch. Laut Medienberichten soll der Start auf Anfang 2016 verschoben werden. Ende November werden die zuständigen Minister der ESA-Mitgliedstaaten über das Schicksal des teuren Vorhabens zu befinden haben.

Und die bemannte Raumfahrt?

Bei diesem Ministerratstreffen in Den Haag wird es auch um die bemannte europäische Raumfahrt gehen. Denn nach dem erfolgreichen Jungfernflug des unbemannten automatischen Raumtransporters, Automated Transfer Vehicle (ATV), in diesem Jahr, bei dem 4,6 Tonnen Fracht und Treibstoff zur Internationalen Raumstation gebracht wurden, denkt man bei der ESA über die nächsten Schritte nach. Laut Nico Dettmann vom ESA-Zentrum im niederländischen Noordwijk könnte der Transporter zunächst so weiterentwickelt werden, dass er Frachten auch wieder zur Erde zurückbringen kann; dabei ist an bis zu 1,5 Tonnen gedacht. Denn nach dem Auslaufen der Spaceshuttle-Flüge im Jahr 2010 wird mehrere Jahre lang kein Raumfahrzeug imstande sein, solche Transporte zurück zur Erde durchzuführen.

Sollte der europäische Ministerrat die Weichen in diesem Sinne stellen, könnte frühestens ab 2015 erstmals ein Cargo Return Vehicle (CARV) an der Spitze einer Ariane-Rakete abheben. Dies könnte dann der erste Schritt sein, um das ATV zu einem Transportmittel für ESA-Astronauten fortzuentwickeln, um so bei den bemannten Flügen die Rolle des Juniorpartners Amerikas und Russlands abzustreifen. Aus dem Kreis der Münsteraner Konferenzteilnehmer ist für solche Pläne allerdings nicht mit ungeteilter Zustimmung zu rechnen. Denn die Planetenforscher fürchten, dass kostspielige bemannte Zukunftsprojekte zulasten der wissenschaftlichen Missionen gehen werden.