McLaren-Dilemma: Stallregie, jetzt oder nie!

Kommentar zum McLaren-Dilemma
Stallregie, jetzt oder nie!

Obwohl Max Verstappen seit einigen Rennen nicht mehr gewinnt, kommt Lando Norris in der Fahrer-Wertung kaum näher. Nach Meinung von F1-Experte Tobias Grüner muss McLaren seine zögernde Haltung beim Thema Stallregie jetzt schnell aufgeben, bevor der WM-Zug endgültig abgefahren ist.

Oscar Piastri & Lando Norris - McLaren - GP Italien 2024
Foto: xpb

Die Statistik dürfte Lando Norris bekannt sein. Immer wenn der Brite in der Formel 1 vom besten Startplatz losgefahren ist, lag am Ende der ersten Runde ein anderer Fahrer vorne. Vor dem Italien-Wochenende war ihm das bereits viermal in einem Grand Prix und zweimal in einem Sprint passiert. Doch als Norris in Monza in Führung liegend aus der ersten Schikane kam, da dachten wohl die meisten, dass der Fluch nun endlich besiegt ist. Mit Oscar Piastri lag ja noch ein zweiter McLaren als Absicherung zwischen Norris und dem Ferrari von Charles Leclerc. Was sollte da schon passieren?

Unsere Highlights

Doch Piastri dachte gar nicht daran, den Abschirmhelfer zu spielen. Der Youngster griff in der zweiten Schikane an. Hier gehen Überholmanöver gerne mal in die Hose, wie zahlreiche Duelle auch in diesem Jahr wieder zeigten. Doch die beiden McLaren ließen sich Luft, und Piastri übernahm die Führung. Sein Teamkollege kam aus dem Tritt und musste auch noch Leclerc passieren lassen. Kritik gab es von Norris aber keine. Er merkte lediglich an, dass es zur Kollision gekommen wäre, hätte er nicht rechtzeitig zurückgezogen.

Lando Norris & Oscar Piastri - McLaren - Formel 1 - GP Italien 2024
xpb

Wenn der Sieg möglich war, sind die Plätze zwei und drei nur ein schwacher Trost.

Piastri-Attacke schadet McLaren

Als neutraler Fan durfte man sich natürlich freuen. Da kommt ein junger Pilot, der sich in seiner zweiten Formel-1-Saison nicht damit abfinden will, nur die zweite Geige zu spielen. Er fordert den Platzhirschen heraus. Doch aus Sicht des Teams war der forsche Auftritt von Piastri sicher nicht zielführend. Als Folge mussten die Strategen Norris früher als geplant zum Undercut gegen Leclerc an die Box holen. Und im zweiten Stint machten sich die McLaren-Fahrer vorne gegenseitig Druck und verheizten ihre Reifen.

Leclerc hielt sich dahinter clever zurück, setzte konstante Rundenzeiten, brachte den Ferrari mit nur einem Stopp ins Ziel und ließ ganz Italien jubeln. Beim offiziellen Teamfoto versuchten die McLaren-Fahrer gar nicht erst, gute Laune vorzuspielen. Wenn man das schnellste Auto hat, dann sind zweite und dritte Plätze nicht gut genug. Und wie schon in Budapest wurden Norris auch noch Punkte vom eigenen Teamkollegen geklaut.

Obwohl Max Verstappen sechs Rennen in Folge nicht mehr gewinnen konnte und McLaren schon seit Miami regelmäßig siegfähig ist, fehlen immer noch 62 Zähler in der Fahrerwertung. Norris kann die Schwächen seines Konkurrenten kaum ausnutzen. Bei nur noch acht Rennen müsste er schon fast acht Punkte pro Wochenende aufholen. Sich nur auf die Schwächen von Red Bull zu verlassen, wäre zu kurz gedacht. Jeder Punkt ist wertvoll, um Verstappen vom Thron zu stoßen.

Oscar Piastri & Lando Norris - McLaren - GP Italien 2024
Motorsport Images

McLaren entschied sich dagegen, am Ende des Rennens die Plätze zu tauschen, obwohl es nicht um den Sieg ging.

Teamführung zögert Entscheidung hinaus

Er sei schon immer der "Nice Guy" gewesen, sagte Norris in einem seiner ersten Interviews mit auto motor und sport, als er von Titelkämpfen noch weit entfernt war. Von sich aus würde er nie eine Vorzugsbehandlung einfordern: "Ich bin nicht hier, um darum zu betteln, dass mich jemand vorbeilässt", betonte er auch in Monza. Das ist löblich und spricht für den fairen Sportsmann. Doch Chancen auf den WM-Titel gibt es nicht oft in der Karriere eines Rennfahrers.

Die McLaren-Bosse versuchten dem Thema Stallregie in den letzten Wochen so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen. "Wir haben zwei Nummer-1-Fahrer", sagte zum Beispiel Zak Brown nach der Niederlage gegen Leclerc. McLaren-Boss Andrea Stella weist stets darauf hin, dass auch Piastri noch mathematische Chancen auf den Titel besitzt und es noch zu früh für eine Vorzugsbehandlung sei.

Die rigorose Abwehrhaltung lässt einige im Fahrerlager schon unken, dass Manager Mark Webber aus eigener schlechter Erfahrung Spezialklauseln in den Piastri-Vertrag einfügen ließ. Stella gab nach dem Rennen immerhin zu, dass die Attacke des Australiers auf Norris in der ersten Runde dem Teamergebnis geschadet hatte. Allerdings betonte der Italiener auch, dass es nicht so einfach sei, einen Fahrer zur Nummer 1 zu machen und ihm immer den Vorzug zu geben.

Umfrage
Sollte McLaren Lando Norris zur Nummer 1 machen?
242 Mal abgestimmt
Piastri hat ein Recht auf seinen eigenen Erfolg. Stallregie ist immer Mist.
Solange Piastri eine rechnerische Chance hat, sollte McLaren noch warten.
McLaren sollte Norris jetzt zur Nummer 1 machen, um Verstappen unter Druck zu setzen.

Teamfrieden wichtiger als Fahrertitel?

In Italien hat McLaren die Chance verpasst, am Ende des Rennens noch einmal die Plätze zu tauschen und Norris wenigstens drei Pünktchen mehr aufs Konto zu schaufeln. Wäre es um den Sieg gegangen, hätte man sicher diskutieren können. So schien es eigentlich ein logischer Schritt. Dass Leclerc nicht mehr einzuholen war, hatte man am Kommandostand sicher schon einige Runden vor der Ziellinie erkennen können.

Viel mehr Zögern kann sich McLaren jetzt nicht mehr erlauben. Stella muss sich entscheiden, ob er wirklich mit aller Macht nach dem Fahrertitel greifen will oder ob ihm die gute Laune seines Nummer-1b-Piloten wichtiger ist. Nach zweieinhalb Jahren Verstappen-Dominanz sehnen sich alle Formel-1-Fans wieder nach einem spannenden Kampf um die Fahrerkrone bis zum letzten Rennen.