Fünf Maßnahmen gegen die Formel-E-Krise

Elektro-Serie in der Krise
Fünf Ideen, um die Formel E noch zu retten

Auch in ihrer zehnten Saison plagten die Formel E altbekannte Probleme. Konfuses Racing, eine unterwältigende Optik und die nicht mitgewachsene Botschaft sorgten für miese TV-Quoten. Wir beleuchten, warum es die Serie trotzdem braucht, wie man sie zeitgemäßer machen kann und weshalb ausgerechnet die Formel 1 zu ihrem Retter werden könnte.

Formel E - London 2024 - Unfall - Mahindra - Andretti-Porsche
Foto: Motorsport Images

Es hätte ein Finale für die Ewigkeit sein müssen. Bis in die letzten Runden – und darüber hinaus – wurden die Titel der zehnten Formel-E-Saison dramatisch ausgefochten. Am Ende konnten sich gleich beide Herzensmarken der Serie erlösen: Porsche und Jaguar durften ihre ersten Meisterschaften feiern. Während die Briten dank Team- und Markenehren das beste Auto für sich reklamierten, holte Porsche-Werkspilot Pascal Wehrlein als erster Deutscher die Fahrer-WM.

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Was zurecht als historisch tituliert wurde, interessierte allerdings keinen. Beim neuen Sender DF1 schauten im Schnitt 70.000 Leute das Spektakel. Zum Vergleich: ProSieben sammelte vor einem Jahr noch viermal so viele Zuschauer, zog jedoch trotzdem die vertragliche Reißleine. Die Umstände des Nachfolge-Senders von Servus TV und dessen Planungsprobleme wegen eines parallelen Tennisturniers spielten beim Finale 2024 natürlich eine nicht zu unterschlagende Rolle. Aber es bleibt dabei, dass der frühere Hype rund um die Formel E vorbei ist.

Im Fahrerlager hört man oft, dass insbesondere Deutschland ein Problemmarkt sei. Doch auch in anderen Regionen tut sich die Formel E mit ihren TV-Partnern schwer. Im traditionell stärksten Markt des Vereinigten Königreichs läuft sie mittlerweile im Pay-TV. US-Anbieter CBS nutzte zeitversetzte Highlight-Formate. Der vor einem Jahr eingewechselte Serienboss Jeff Dodds rechnet sich über soziale Medien zwar eine Millionen-Fanmenge zusammen. Auf den Tribünen sieht man von ihr aber recht selten etwas. Es ist also Zeit, dass sich was ändert.

Formel E - Shanghai 2024 - Impression
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Besonders auf konventionelleren Anlagen wie dem Formel-1-Kurs in Shanghai wird deutlich, dass die Formel E weiter an ihrer Fanbasis arbeiten muss.

1. Oldschool-Racing statt Mario Kart

Der Sport der Formel E lässt sich am besten mit einem Paradox zusammenfassen: Zu viel Abwechslung ist auf Dauer auch langweilig. Mit dem Einzug der Gen3-Autos wurde das Fahren in großen Gruppen – passend zu Olympia auch Peloton-Racing genannt – zuletzt zum Standard. Kombiniert mit den Attack-Modes sind weite Teile der Rennen nun extrem hektisch. Unter anderem will niemand mehr führen zu Beginn. Wenn es dann am Ende zählt, werden oft überharte Bandagen ausgepackt. Abgefahrenes Bodywork gehört so fast zur Regel. Dementsprechend geben viele Piloten zu, nur selten Spaß an ihrem Job zu finden.

Die verständlichsten, und damit besten Rennen der Serie sind häufig die, in denen sich schnell ein roter Faden finden lässt. Sei es durch eine engere Strecke oder Variablen wie glücklich fallende Neutralisierungen. Genau dann spielt die Formel E ihre eigentlichen Stärken wie schmalere Autos und die vernachlässigbare Dirty-Air aus. Als Gegenargument kann man sicher Klassiker wie das Daytona 500 der NASCAR mit chaotischen Schlussspurten anführen, aber über die gesamte NASCAR-Saison hinweg sind diese in der Minderheit. Sprich: Es braucht einen gesünderen Mix.

Stand jetzt sieht es so aus, als ob trotz der Auto-Updates für 2024/2025 die grundsätzliche Renn-Philosophie erhalten bleibt. Die schon länger in der Experimentierphase befindlichen Schnelllade-Stopps als mögliche Alternative zu den Attack-Zonen kranken nämlich anhaltend an diversen Problemen. Von den Teams gibt es keine grundsätzliche Kritik an der Reform, dennoch verlangen ihre Chefs von der FIA, dass sie problemfrei bei der Einführung sein muss. James Barclay, Boss der Jaguar-Rennabteilung, warnt zum Beispiel: "Wir dürfen das momentan sehr gute Produkt nicht gefährden."

Formel E - Berlin II 2024 - Maximilian Günther - Maserati-DS
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Häufig wird die Formel E eher mit Tourenwagen- als mit Monoposto-Sport verglichen. In nahezu jedem Rennen gehen mehrere der fragilen Frontflügel fliegen.

2. Effizienz ist gut, Power ist besser

Ein großer Teil des Problems, wie Formel-E-Läufe aufgezogen sind, liegt in ihrer Technik-DNA. Vom Start weg war Effizienz wichtiger als schiere Leistung. Für Ingenieure und Piloten ergibt sich dadurch ein komplexes Netzwerk an Aufgaben. Neben der Action müssen sie die streng begrenzte Energiemenge clever verplanen und zur richtigen Zeit ausreizen. Keine andere Motorsportdisziplin auf der Rundstrecke verlangt derart spezialisierte Fahrer und Strategen am Kommandostand.

Darauf basiert das wohl größte Missverständnis der Meisterschaft: Die Renner rollen manchmal am Ende nicht aus – sie versuchen verzweifelt, das Maximum bis zur Ziellinie einzuhalten. Per se steht die Elektro-WM mit ihrem Fokus auf Management der verfügbaren Ressourcen nicht allein in der Geschichte. Immer wieder gab es im Rennsport teils strenge Verbrauchsvorgaben. Das bekannteste Beispiel ist das Sportwagen-Reglement Gruppe C. Nur ist die Formel E eine Single-Seater-Serie. Und hier liegt ein weiteres, von den Offiziellen unterschätztes PR-Problem.

Denn seit vielen Jahrzehnten gilt für den Formelsport genretypisch, dass seine Autos auf Extremismus gestrickt werden. Spritlimits und weichere Reifen sind zu lösende Probleme für die Ingenieure, jedoch nicht ihre Hauptaufgabe. Fans wollen eine gesunde, verständliche Mischung aus Action, Entertainment und optisch beeindruckender Technik. Zwar hat die Formel E durch ihre bis zu 600 Kilowatt starke Gen4 schon ein deutlich muskulöseres Konzept in der Planung. Dieses sollte dann aber hoffentlich voll zum Zug kommen – und nicht von zig Sekunden langsameren Energiespar-Runden ad absurdum geführt werden. Im Zweifel müssen die Rennen eben etwas kürzer sein.

Formel E - Saudi-Arabien - Diriyah 2024 - Mitch Evans - Jaguar
Motorsport Images

Im Attack-Mode bringen die Gen3-Autos bis zu 350 Kilowatt auf die Strecke. Mangels echter Aerodynamik – trotz eines extravaganten Bodyworks – und wegen einer konservativen Hankook-Mischung kommt nicht alles auf dem Asphalt an.

3. Welttournee auf bekannten Bühnen

Verbunden mit der wachsenden Power ist eine weitere tiefgehende Zäsur verlangt. Die eigentlich unantastbare Vorgabe der Pionierzeit, ausschließlich auf Stadtkursen zu fahren, geriet zuletzt stark ins Wanken. Erst durch die Pandemie, dann durch die schnelleren Gen3-Autos wurden die kompakten Betonkanäle der Anfangsjahre wirtschaftlich und sicherheitstechnisch infrage gestellt. Die abgelaufene Jubiläumssaison sah streng gerechnet die Hälfte ihrer Rennen auf nicht Formel-E-exklusiven Kursen (Mexico City, zweimal Misano, Monaco, zweimal Shanghai und zweimal Portland).

Daran ist nichts falsch – ganz im Gegenteil. Permanente bzw. bereits aufgebaute Strecken sparen massiv Geld. Zudem sind sie deutlich nachhaltiger als die zahlreichen gescheiterten Stadt-Experimente der letzten zehn Jahre. Noch wirken die Formel-E-Autos allerdings reichlich verloren auf den im Vergleich weit offenen Arealen. Doch angesichts der schon in Saison 11 kommenden Allrad-Unterstützung und der schnelleren Reifenmischung geht es in die richtige Richtung.

Dass dem Wachstum früher oder später einige Strecken "alter Schule" – darunter womöglich Berlin-Tempelhof – zum Opfer fallen müssten, wäre zwar schade. Genauso schade ist es, sklavisch Messeparkplätze und Containerhäfen als historische Stadtkurse zu verkaufen, welche die Formel 1 so nie hinbekommen hätte. Am Ende wäre genau ihr Mix im Übrigen ein gutes Vorbild. Weitere Rennen in Singapur und Co. hätten doch was!

Formel E - Monaco 2024 - Impression
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Monaco wurde auf Anhieb das Saisonhighlight der einzigen Elektro-Weltmeisterschaft. Andere traditionelle Stadtkurse könnten ihr Profil weiter schärfen.

4. Ehrlich raced am längsten

Bei all der Kritik gehört die Formel E ebenfalls gelobt. Sie brachte ein grünes Gewissen in den Motorsport, das vorher quasi unvereinbar erschien. Damit verbunden ist blöderweise eine Hybris, die ihr immer wieder gehörig um die Ohren flog. Der bekannteste Fall sind die Diesel-Generatoren, welche zur Entlastung der Event-Areale genutzt werden müssen und mittlerweile Glycerin ("Bio-Diesel") in Strom für die Autos umsetzen. Bis heute darf sich die Serie von Menschen aus von echten Dieselabgasen versmogten Paddocks Kritik dafür anhören.

Die sich selbst als "Mutter Erdes liebster Sport" titulierende Serie schießt sich obendrauf bei ihren Kalendern regelmäßig Eigentore. Saison 10 sah zum Beispiel den Auftakt in Mexiko und den Doubleheader beim Saudi-Arabischen Großinvestor innerhalb von nur zwei Wochen. Der gleiche Abstand fand sich zwischen Japan und Italien. Skandal? Schwachsinn. Aber nicht hilfreich im Kontrast zur auf maximale PR ausgelegten Botschaft. Passend zu dieser würde ihr es guttun, wenn die Atmosphäre deutlich abkühlt.

Denn solange Autos dunkelrote Klimagrafiken als Mahnung an das Gewissen der Zuschauer auf der Verkleidung tragen und die Webseite verkündet, dass die Serie durch ihre Existenz die Luft sauber macht, wird die Fallhöhe nur größer. Niemand – zumindest außerhalb der Champagner-Ausgabe im VIP-Bereich – wird der Formel E das je abnehmen. Sport ist wie alles im Leben politisch, aber Politik sollte nicht zum Sport werden.

Formel E Berlin 2024 - Treffen der drei Auto-Generationen
Formel E

Mit ihrer Nachhaltigkeitsbotschaft hat die Formel E über zehn Saisons durchaus einen Nerv getroffen. Doch alle anderen Serien zogen bei Zielen der Kategorie Net-Zero nach. Wo bleibt da das Alleinstellungsmerkmal?

5. Die Formel E hat nichts zu verlieren

Wo steht die Formel E also nun? Weder am Abgrund noch auf dem Olymp. Allerdings nach den Ausstiegen von diversen Herstellern, Sponsoren und TV-Partnern auf dem Boden der Tatsachen. Das bietet den perfekten Zeitpunkt, ihr Konzept nicht umzuschmeißen, sondern neu zu denken. Allein in den letzten 20 Jahren gab es mit der "Nationalmannschafts"-Serie A1 Grand Prix und der "Fußballteam"-Meisterschaft Superleague Formula gleich zwei radikale Warnungen dafür, wie schnell innovative Ideen an Momentum verlieren und in ein klägliches Ende münden.

Dass die finanziell mehrmals stark wankende und bis heute nicht finanziell nachhaltig aufgestellte Formel E auf ihrem aktuellen Level existiert, unterstreicht zweifelsohne die Notwendigkeit als Ergänzung im Motorsport – nicht als Ersatz für die Formel 1, wie früher skurrilerweise gefordert wurde. An dem neuen Mehrheitseigentümer Liberty Global – ein Teil des Konzerns, dem auch die kommerziellen Rechte der F1 und MotoGP gehören – liegt es nun, echte Änderungen anzuschieben.

Der große Vorteil dabei ist, dass nur wenige nach einem möglichen Verlust der Meisterschaft ihr wirklich nachtrauern würden und damit kaum etwas auf dem Spiel steht. Zudem können die Verantwortlichen proaktiv auf die tiefdunklen Wolken reagieren, die in Form stark kriselnder Elektro-Marken und schlechter Nachfragen in Hauptmärkten auf die Szene zurasen. Mit Porsche, Jaguar und Nissan gibt es obendrauf schon jetzt langfristige Verbündete, die durchaus genügend von Motorsport verstehen. Die Weltveränderer der Formel E haben so vielleicht die letzte Chance, ihre eigene zu bewahren.