Ausstellung für moderne Kunst: NordArt in Rendsburg

Es ist, als hätte jemand die Szenerie eingefroren und das zähnefletschende Wolfsrudel zu Stahl erstarren lassen, das sich dem Samurai-Krieger bedrohlich und erbarmungslos von allen Seiten nähert. Das Schwert schon erhoben, macht sich dieser bereit für die aussichtslos erscheinende Schlacht, die Wölfe sind in der Überzahl, und sobald die Zeit weiterläuft, wird es ein Gemetzel geben. Die Stimmung, die der chinesische Künstler Liu Ruowang in seinem raumgreifenden, 110-teiligen Werk aus den Jahren 2008 bis 2010 einfängt, ist dystopisch. „Wolves are coming“, also „Wölfe kommen“, heißt es und zeigt den erbarmungslosen Kampf von Mensch gegen Kreatur, Mensch gegen Natur. Perfekt in Szene gesetzt wird es momentan in der rohen, bereits durch ihre schiere Größe einschüchternden Industriehalle der ehemaligen Eisengießerei Carlshütte bei Rendsburg, denn auch wenn Kunstbegeisterte hierzulande jährlich nach Venedig, Basel und in andere Metropolen pilgern, so findet doch eine der größten Kunstausstellungen Europas mitten in der norddeutschen Provinz statt. Im Zentrum steht der Austausch verschiedener Kulturen Die Rede ist von der Nord Art, die zeitgenössische Kunst von über 200 internationalen Künstlern zeigt und in diesem Jahr zum 25. Mal ihre Tore für die jährlich mehr als 100.000 vornehmlich aus nördlichen Gefilden stammenden Besucher öffnet. Die Ausstellung wird jedes Jahr neu konzipiert und kuratiert, aus über 3000 Bewerbungen werden die besten von einer Jury aus Künstlern, Kunsthistorikern und Kuratoren ausgewählt und ins beschauliche Büdelsdorf eingeladen – unter ihnen international renommierte Künstler ebenso wie Newcomer. Seit 2010 wird zusätzlich jedes Jahr der mit 10.000 Euro dotierte Nord-Art-Preis verliehen, der mit einer erneuten Teilnahme an der Ausstellung verbunden ist. Liu Ruowang, bereits 2016 Fokuskünstler der Nord Art, erhielt die Auszeichnung für seine großformatigen Skulptur-Installationen im Jahr 2022. Im Zentrum der Nord Art steht seit jeher der Austausch verschiedener Kulturen und deren Blick auf die Welt, Chefkurator Wolfgang Gramm formuliert das Anliegen folgendermaßen: „Wie ein Seismograph zeichnet die Kunst die Erschütterungen der Gesellschaft auf. Sie spiegelt unsere Ängste wider, aber sie versinnbildlicht auch unser aller Hoffnung auf ein besseres, ein gutes Morgen.“ Fragen nach dem Sinn des Daseins Trotz unterschiedlicher Perspektiven scheinen es — wie so häufig — insbesondere die Ängste zu sein, die Ost und West, Süd und Nord einen. Denn schaut man sich auf den über 22.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche um, so ist es nicht nur Liu Ruowang, der eine Art Invasion heraufbeschwört und Fragen aufwirft nach dem Sinn des Daseins oder dem Verhältnis des Ursprünglichen und den Errungenschaften der Zivilisation. Es scheint ein destruktives zu sein, eines, in dem entweder Mensch oder Natur endgültig kapitulieren müssen, wenn nicht allerzügigst ein Gleichgewicht gefunden werden kann. So jedenfalls kann man wohl das Werk „Judgement“, also „Urteil“, des mongolischen Künstlers Battogtokh Turbat aus dem Jahr 2022 verstehen, eine gigantische Installation aus achthundert blutrot gefärbten, mit spinnennähnlichen Beinen aus Eisen versehenen Schulterblattknochen von Schaf und Ziege, die wie riesige Insekten aus der Decke des Raumes zu quellen scheinen und Wand und Boden in einer rasenden Geschwindigkeit bevölkern. Das Eindringen der undefinierbaren tierischen Wesen in den menschlichen Lebensraum stellt im Zeitalter der immer weiter fortschreitenden Zerstörung der Erde eine Warnung dar. Jedes Schulterblatt steht dabei gleichzeitig für zehn Millionen Menschen und soll in der Gesamtheit das künftige Ableben aller 8,1 Milliarden Menschen angesichts von Naturkatastrophen und anderer in der Zukunft möglicher Heimsuchungen symbolisieren. Die Themen sind also, wie die allgemeine Weltlage, eher düster Die Ausstellung ist mahnend, dabei aber nie aufdringlich oder übergriffig. Man hat keineswegs das Gefühl, den Zeigefinger der Moralapostel auf sich zu spüren, viel eher wird hier ein Raum geboten zum Reflektieren und Nachdenken. Erstaunlich ist dabei auch, dass die im Jubiläumsjahr erneut ausgestellten Highlights vergangener Jahre heute teils aktueller erscheinen als je zuvor, was deutlich vor Augen führt, dass sich nicht nur die Welt weiterdreht und stetig verändert, sondern auch die Kunst und deren Bedeutung in ihr. Und hat man irgendwann von der in bester Weise — und geradezu im wahrsten Sinne des Wortes — bedrängenden Kunst genug, so lädt anschließend der malerische und weitläufige Skulpturenpark zu einem Spaziergang ein, in dem man nicht nur Liu Ruowang wiederbegegnen, sondern auch zahlreiche Dauerexponate aus Deutschland, Israel, Mexiko oder Japan bewundern kann. Oder aber man nimmt zwischendurch im Garten des Ausstellungscafés unter einem der großen Sonnenschirme Platz, genießt ein hervorragendes Stück Torte und erfreut sich für einen kurzen Moment an der Idylle des Lebens, die zumindest in Büdelsdorf, Schleswig-Holstein, für den Moment noch zu herrschen scheint. Nord Art 2024. 25th Anniversary. Rendsburg-Büdelsdorf; bis zum 6. Oktober. Der Katalog kostet 28 Euro.