COO von Diehl Aviation: „Leichtbau steht bei uns im Vordergrund“

Harald Mehring, COO von Diehl Aviation
„Leichtbau steht bei uns im Vordergrund“

Harald Mehring, Chief Customer Officer von Diehl Aviation, spricht über die Rolle von Zulieferern für eine saubere Luftfahrt.

„Leichtbau steht bei uns im Vordergrund“
Foto: Diehl Aviation

Harald Mehring ist seit 2015 Chief Customer Officer (COO) von Diehl Aviation. Der Luft- und Raumfahrtingenieur spricht im Interview darüber, was Zulieferer zu einer nachhaltigen Luftfahrt beitragen können und wie man Innovationen schnell ins Flugzeug bringt.

Herr Mehring, wie kann ein Zulieferer wie Diehl Aviation dazu beitragen, die Luftfahrt nachhaltiger zu machen?

Heutzutage geht es meist um neue Antriebstechnologien und nachhaltige Kraftstoffe (SAF). Allerdings wird SAF teurer sein als heutiges Kerosin. Und darum ist das Flugzeuggewicht so essenziell. Mit Blick auf die Lebensdauer einer Flugzeugkabine oder eines Flugzeugs zählt sprichwörtlich jedes Gramm. Deswegen steht bei uns das Thema Leichtbau im Vordergrund, da sind wir Technologieführer. Kürzlich haben wir mit unserer ECO Sidewall den Crystal Cabin Award in der Kategorie Sustainable Cabin gewonnen. Das ist für uns eine Auszeichnung, dass es sich lohnt, in diese Technologien zu investieren.

NACHHALTIG FLIEGEN
Bei den Crystal Cabin Awards werden immer wieder spektakuläre Ideen vorgestellt, aus denen leider oft genug am Ende nichts wird...

Dieses Jahr waren wir ja gleich zwei Mal erfolgreich. Unsere beiden Gewinner – die ECO Sidewall und die Wellbeing Zone – werden wirklich fliegen. Es ist angedacht, dass die ECO Sidewall in einem Airbus-Großraumflugzeug zum Einsatz kommt. Und die Wellbeing Zone wird in einer A350 von Qantas zu finden sein. Qantas will Ultralangstrecken fliegen, 22 Stunden. Da muss man etwas anbieten, um den Passagieren, gerade in der Economy Class, den Flug angenehmer zu gestalten. Daher wird in der Wellbeing Zone auch gesunde Ernährung angeboten und Raum für mehr Bewegung geschaffen.

Nochmal zum Leichtbau: Wie verringert Diehl Aviation das Gewicht der Kabinenausstattung?

Es gibt den sichtbaren Anteil in der Kabine. Dazu gehört zum Beispiel die schon genannte ECO Sidewall, eine Seitenverkleidung mit dem integrierten Fenster-Trichter. Sie ist zehn Prozent leichter als das, was wir heute im Flugzeug sehen und verringert den Abfall in der Herstellung um 33 Prozent. Die ECO Sidewall besteht aus einer Kevlar-Wabenstruktur, die leichter und dünner ist. Normalerweise haben wir auf der Rückseite noch eine Lage Composite-Material. Die wird ersetzt durch Kohlefaserstreifen. Das sieht aus wie eine bionische Struktur, das heißt, nur dort, wo Lastverläufe sind, werden Kohlefaser-Tapes aufgebracht. Im sichtbaren Bereich zur Kabine haben wir eine Pulverbeschichtung, die eine Folie ersetzt.

Welche Möglichkeiten bieten sich im nicht-sichtbaren Kabinenbereich?

Im nicht sichtbaren Bereich befinden sich unter anderem die Komponenten für die Frischluftzufuhr. Bei den Luftauslässen, durch die Frischluft in die Kabine eingeleitet wird, können wir durch den Einsatz von Partikelschaum das Gewicht um 30 Prozent reduzieren. Dieses Material ist zudem vollständig recycelbar und erlaubt es uns, die Anzahl der Einzelteile deutlich zu reduzieren. Dieses Bauteil sowie die recycelbaren thermoplastischen Klimarohre fliegen heute bereits im Airbus A320. Früher bestanden die Luftauslässe sowie die Rohre aus nicht recyclebaren Kunststoffen, zudem waren die Teile deutlich schwerer. Die neuen Bauweisen können recycelt werden. So haben wir thermoplastische Halterungen für Bauteile entwickelt, die zu 80 Prozent aus recyceltem Thermoplast bestehen und gleichzeitig 40 Prozent leichter sind als herkömmliche Metallbauteile.

Und was ist mit Strukturbauteilen?

Da haben wir unser ECO Bracket, eine Halterung, die zum Beispiel für die Aufhängung der Bins zum Einsatz kommt. Sie besteht aus 80 Prozent recyceltem Material, das aus Kohlefaser-Verschnitt gewonnen wird, und aus 20 Prozent neuer Kohlefaser. Das Bracket wird im 3-D-Druck erzeugt und dann gebacken mit diesen 80 Prozent Verschnitt aus der Produktion. Das ersetzt eine Halterung aus Alu, die heute aus dem Vollen gefräst wird. Das ECO Bracket ist 50 Prozent leichter und 50 Prozent günstiger.

Welches Kabinen-Thema beschäftigt Diehl Aviation noch?

Die vernetzte Kabine. Das ist aus vielerlei Hinsicht wichtig. Erstens, wenn wir Steuerungssysteme an Bord von Flugzeugen anschauen: Es wird alles kleiner, integrierter, leichter und verbraucht weniger Energie. Wenn wir weniger Energie verbrauchen, können die Generatoren der Triebwerke ebenfalls kleiner und leichter dimensioniert werden. Und am Ende steht mehr Energie des Triebwerks für Schub und Auftrieb zur Verfügung. Zweitens benötigen wir weniger, dafür multifunktional einsetzbare Controller. Heute hat beinahe jeder Aktuator seinen eigenen Rechner, seine eigene Ansteuerung. Wenn eine Rechner-Plattform für verschiedene Sensoren, für verschiedene Typen von Aktuatoren diese Aufgaben übernehmen kann, dann haben Sie am Ende weniger Komponenten an Bord. Drittens werden durch die vernetzte Kabine Abläufe effizienter gestaltet. Das fängt schon beim Boarding an. Wo kann ich mein Gepäck verstauen? Mithilfe von Sensoren kann sich die Crew auf einem Bildschirm anzeigen lassen, wo noch freier Stauraum ist. Wir können über die vernetzte Kabine auch Information gewinnen, zum Beispiel für die vorausschauende Wartung. Oder auch, um basierend auf diesen Informationen Systeme anders auszulegen.

Ihre Ingenieure haben ein System entwickelt, das Brauchwasser vom Händewaschen für die Toilettenspülung verwendet. Gibt es dafür schon einen Kunden?

Mit dem Greywater Reuse System können wir auf einem Langstreckenflug bis zu 250 Liter Trinkwasser sparen. Wir machen das in Zusammenarbeit mit Boeing. Wir haben jetzt eine europäische Airline, die das System Ende des Jahres auf einer Triple Seven in Betrieb nimmt. Es handelt sich dabei um eine In-Service-Evaluierung, dabei geht es nicht nur um das System, sondern auch um die Nutzer.

Sie sind Chief Customer Officer. Wer sind eigentlich Ihre Kunden – die Flugzeughersteller oder die Airlines?

Beide Seiten sind unsere Kunden. Neben den Luftfahrzeugherstellern arbeiten wir als Zulieferer auch mit den Airlines eng zusammen. So verwirklichen wir individuelle Ideen mit den einzelnen Airlines, die wir dann über das Retrofit als neue Lösungen ins Flugzeug bringen. Über Retrofits bzw. Kabinen-Upgrades werten Airlines die Kabine von bereits fliegenden Maschinen auf und machen sie beispielsweise auch leichter, indem neue Technologien und Materialien verwendet werden. Und hier unterstützen wir sie mit unseren Lösungen. Deswegen reden wir sehr viel mit den Airlines, um Ideen zu sammeln und zu schärfen. Das machen wir etwa in unseren Customer Collaboration Spaces in Seattle und zukünftig in Hamburg.