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Wer Gesundheitskosten senken will, muss Qualitätsdaten erheben und Sparpotential ausschöpfen

Gesundheitskosten unter der LupeDas Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen EY (Ernst & Young) rechnet vor, dass wegen steigenden Gesundheitskosten bis 2030 mit einer Verdoppelung der Krankenkassenprämien zu rechnen ist (siehe auch Artikel in “20Minuten”). EY schlägt vor, vermehrt persönliche Gesundheitsdaten von Versicherten zu sammeln und auszuwerten, um die Gesundheitsprävention und -versorgung zu optimieren. Viel dringender und wirksamer wäre es jedoch, endlich Daten zur Behandlungsqualität der Leistungserbringer (Ärzte, Spitäler, etc.) zu erheben und auszuwerten. Dies würde es erlauben, unnötige Behandlungen und medizinische Fehler, die hohe unnötige Kosten verursachen, künftig zu vermeiden. Zudem liegen längst verschiedene weitere Möglichkeiten vor, wie hunderte Millionen Franken pro Jahr eingespart werden könnten. Sie müssten nur umgesetzt werden.

Aufgrund der aktuellen Entwicklung verwundert die Prognose von EY leider nicht. Sehr erstaunlich ist aber der Lösungsvorschlag von EY, wie eine weitergehende Kostenexplosion verhindert werden soll: EY folgt dem aktuellen Trend und präsentiert Big Data als Allheilmittel. Mithilfe der umfangreichen Daten, über die die Krankenkassen bereits heute verfügen, angereichert mit persönlichen Gesundheitsdaten, welche Versicherte über Fitnessarmbänder und Ähnliches an Versicherungen übermitteln können, soll eine bessere Prävention und Behandlung von Krankheiten ermöglicht werden. In einem Punkt hat EY absolut recht. Prävention ist sehr wohl ein entscheidender Baustein für tiefere Gesundheitskosten. Mit einem Franken in der Prävention kann ein Vielfaches an Behandlungskosten eingespart werden. Die Idee von EY, den Anstieg der Gesundheitskosten mithilfe von Big Data zu stoppen, ist jedoch aus drei Gründen weder zielführend, noch realistisch:

1. Um das Schweizer Gesundheitswesen effizienter zu machen und die Versorgungsqualität zu optimieren, müssen nicht Gesundheitsdaten, sondern Qualitätsdaten erhoben und analysiert werden.

gesundheit_operation_spital_chirurg_arzt_überbehandlung_2Schätzungen zufolge sind in der Schweiz 20-30% der medizinischen Massnahmen eigentlich unnötig, sie werden aber trotzdem durchgeführt. Dadurch werden einerseits mögliche Komplikationen und andererseits hohe Zusatzkosten in Kauf genommen. Medizinische Fehler verursachen pro Jahr 2‘000-3‘000 vermeidbare Todesfälle und 350‘000 unnötige Spitaltage, was Mehrkosten von mehreren hundert Millionen Franken auslöst. Zudem sterben jedes Jahr 2‘000 Personen an einem Erreger, mit dem sie während einem Spital- oder Pflegeheimaufenthalt infiziert wurden (nosokomiale Infektion). Um diese Missstände zu beheben, müssen unbedingt Daten über die Qualität der medizinischen Leistungen erhoben und entsprechende Massnahmen ergriffen werden. Neue Projekte zur Überwachung und Verbesserung der Versorgungsqualität werden aber regelmässig von den beteiligten Akteuren verhindert.

2. Gesundheitsdaten sind sensible Daten: Versicherte sollten sich sehr gut überlegen, welche Informationen sie mit ihrer Krankenkasse teilen.

Row of people working out on treadmillsObwohl vordergründig vor allem der Präventionseffekt und ein (oft minimer) Prämienrabatt betont wird, muss man sich bewusst sein, dass Krankenkassen über Fitnessarmbänder beinahe in Echtzeit die Gesundheitsparameter ihrer Kunden auswerten und in ihre Angebote einfliessen lassen könnten. Es ist durchaus denkbar, dass so Versicherte, deren Gesundheitsdaten auf eine Verschlechterung der Gesundheit oder ein abnehmendes Gesundheitsbewusstsein hindeuten, mit höheren Prämien oder eingeschränktem Zugang zu anderen Versicherungsprodukten bestraft werden könnten. Schliesslich basiert das Krankenversicherungsgeschäft darauf, die gesundheitlichen Risiken von Versicherten abzuschätzen, und entsprechend hohe Prämien festzulegen oder eine Zusatzversicherung auch mal zu verweigern.

3. Wer wirklich die Gesundheitskosten senken und Versorgungsqualität aufrecht erhalten oder verbessern will, muss längst vorliegende Sparmöglichkeiten endlich wahrnehmen.

  • medikamente_gesundheit_tabletten_pillen_medizin_7Die Regeln des Bundesamts für Gesundheit (BAG) zur Festlegung von Medikamentenpreisen sind mangelhaft und ermöglichen Rekurse der Pharmaindustrie. Dadurch werden Preiskorrekturen blockiert, was jährliche Zusatzkosten von 900 Mio. Franken verursacht. Der Bundesrat hätte es in der Hand, der Pharmaindustrie die Stirn zu bieten und eine jährliche Prüfung aller kassenpflichtigen Medikamente einzuführen, was weitere Rekurse verhindern würde.
  • Der Tarif für ambulante Leistungen TARMED, welcher einen jährlichen Umsatz von 11 Mrd. Franken generiert, ist seit Jahren veraltet. Trotzdem haben es Ärzte, Spitäler und Krankenversicherungen noch immer nicht geschafft, sich auf eine neue Tarifstruktur zu einigen. Der letzte Versuch scheiterte im vergangenen Sommer: Die Mitglieder der Ärzteverbindung FMH haben ihre Unterstützung verweigert, weil ihre Forderung nicht durchkam: Sie wollten, dass für die exakt gleichen Leistungen neu 15 statt wie heute 11 Mrd. pro Jahr vergütet werden.