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Code of Conduct: Inkassobranche will sich legalen Anstrich geben

Die Inkassobranche hat sich ein neues Kleid geschneidert. Per 1. 12. 2020 hat der Branchenverband VSI neue Statuten in Kraft gesetzt und eine Ombudstelle ins Leben gerufen. Diese soll bei Streitigkeiten zwischen Inkassobüro und Schuldnern oder Gläubigern vermitteln. Herzstück des Faceliftings bildet der Code of Conduct (CoC). Dieser soll neben den Interessen der Gläubiger auch diejenigen der Schuldner schützen.

Ombudstelle

Die Ombudsstelle soll Verstösse gegen den CoC durch seine Mitglieder, also durch Inkassobüros, beurteilen. Die Sanktionsentscheide der Ombudsstelle stellen für die Mitglieder Schiedssprüche im Sinne des Gesetzes dar und können mit Beschwerde an das Bundesgericht weitergezogen werden.

Die Organe der Ombudsstelle setzen sich aus Verbandsmitgliedern zusammen. Die Branche beurteilt somit das Verhalten der Branche. Es darf stark hinterfragt werden, wie sinnvoll bzw. gewinnbringend und zielführend eine derartige Zusammensetzung einer Ombudsstelle ist.

Code of Conduct 

Gemäss CoC ist es eine wichtige Aufgabe der Mitglieder des SVI, die Forderungsausfälle der Gläubiger so gering wie möglich zu halten. Gewisse Branchenregeln sollen verhindern, dass die Mitglieder bei der Erfüllung dieser Aufgabe vom legalen Weg abkommen.

 

Gütliche Einigung:

  1. […]
  • Sie [die Mitglieder] sind stets bemüht, eine gütliche Einigung mit dem Schuldner zu finden.

Diese Formulierung macht (wohl unabsichtlich) deutlich, dass im Rahmen von Inkassohandlungen in grossem Stile Beträge in Rechnung gestellt werden, die vom Schuldner von Gesetzes wegen gar nicht geschuldet sind. Wie zum Beispiel Grundforderungen, die auf einer Täuschung des Schuldners basieren (z.B. Abo-Falle) bzw. nicht geschuldete Verzugsschadenbeträge.

  • Das Mitglied weist sich als Inkassounternehmen aus und erweckt nicht den Anschein anwaltlich tätig zu sein.

Diese Bestimmung der CoC-Grundsätze ist besonders interessant. Besagt sie doch schwarz auf weiss, dass die Inkassobüros auch nicht davor zurückschrecken, sich mit Titeln und Funktionen zu schmücken, die ihnen gar nicht zukommen ist. Um möglichst starken Druck auf die Schuldner aufbauen zu könne, schrecken manche Inkassobüros auch vor höchst widerrechtlichem und unlauterem Handeln nicht zurück.

Sollte der CoC den erhofften Effekt auf das Verhalten der Inkassobüros haben, so werden in Zukunft beim Konsumentenschutz weniger entsprechende Beschwerden eingehen.

Wir sind gespannt.

 

Überprüfen der Rechtmässigkeit der Forderungen:

4.1.2 Illegale Geschäfte

Sie verpflichten sich, bei Verdacht auf illegale Geschäfte ihrer Kunden eine Prüfung vorzunehmen und gegebenenfalls keine Vertragsbeziehung mit diesen einzugehen oder sie zu beenden. Diese Prüfung umfasst mindestens folgende Punkte:

  • […]
  • Unternehmen, die Rechnungen ausstellen, die nicht auf einer tatsächlichen Bestellung von Produkten oder Dienstleistungen basieren.

 Ob Inkassobüros auf Grund dieser CoC-Bestimmung in Zukunft tatsächlich keine Forderungen mehr eintreiben, für welche keine Rechtsgrundlage besteht (siehe vorangehenden Punkt)? Warten wir’s ab.

 

Verzugsschaden:

4.2.5 Verzugsschaden / Gläubigerschaden

Die Mitglieder verpflichten sich den vom Verband festgehaltenen Verzugsschaden / Gläubigerschaden einzuhalten.

Verzugsschadenforderungen werden von verschiedenster Seite her seit Jahren als klar rechtswidrig eingestuft. Gemäss Ziffer 4.2.5 besteht aber offensichtlich keinerlei Absicht, in Zukunft auf derartige Forderungen zu verzichten. Ganz im Gegenteil: Die Verbandsmitglieder werden angehalten, sich an die in der “Verzugsschadentabelle” enthaltenen Beträge zu halten. In der Verzugsschadentabelle definiert der Verband pauschal Verzugsschadenbeträge in Abhängigkeit zur Höhe der Grundforderung. Bis vor wenigen Jahren war diese Tabelle online abrufbar, inzwischen jedoch nicht mehr.

Zur Erinnerung:

– Der Schuldner hat den offenen Grundbetrag/die offene Rechnung, vereinbarte Mahngebühren und den Verzugszins zu bezahlen. Kosten für ein Inkassounternehmen muss der Schuldner nicht tragen, denn Unternehmen sind verpflichtet, ihr Inkasso selber durchzuführen.

– Der Gläubiger muss Verzugsschaden, welcher über die Verzugszinsen gemäss Art. 104 OR hinausgeht, konkret nachweisen. Die pauschale Rechnungsstellung (Verzugsschadentabelle) ist nicht zulässig. Ausführlichere Informationen zu dem Thema finden Sie in unserem Onlineratgeber.

 

Druckausübung

4.2.9 Unrechtmässige Hinweise, Ankündigungen und Androhungen

Hinweise, Ankündigungen und Androhungen, die einen falschen Eindruck erwecken, sind unzulässig. Dies ist insbesondere der Fall, wenn:

  • dem Schuldner Massnahmen in Aussicht gestellt werden, die gar nicht beabsichtigt sind;
  • dem Schuldner eine Strafanzeige in Aussicht gestellt wird, ohne dass ernsthafte Anhaltspunkte für eine solche vorlägen;
  • dem Schuldner mit einem Besuch zu Hause oder am Arbeitsort oder der Kontaktaufnahme mit Dritten in Aussicht gestellt wird. Ausgenommen sind vertraglich vereinbarte Handlungen; · der Schuldner über die Art, Höhe oder die Durchsetzung der Forderung getäuscht wird.

Nicht selten üben Inkassobüros auf Schuldner, die die überhöhten und willkürlichen Forderungen nicht bezahlen wollen, erheblichen Druck aus. Die Schuldner sollen dazu bewegt werden, die offenen Beträge zu bezahlen. Druckaufbau geschieht über Betreibungsandrohungen, Androhung einer Strafanzeige, das Informieren von Vermietern oder Arbeitgebern bis hin zu sonstigen erheblichen Nachteilen verschiedener Art.

Auch hier bleibt abzuwarten, ob diese nötigenden Handlungen in Zukunft dank dem CoC ein Ende finden werden.

Fazit

Der Konsumentenschutz bezweifelt, dass mit diesem CoC das Ziel einer Vertrauensbeziehung zwischen Mitglieder, Gläubiger, Schuldner, Behörden und Dritten (Ziffer 1 des Codes) hergestellt werden kann. Der Konsumentenschutz behält die Situation im Auge und wird weiterhin dafür einstehen, dass Konsumentinnen und Konsumenten ihre Schulden, nicht jedoch ungerechtfertigte Forderungen begleichen müssen.