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Hinterzimmer-Deal mit BAKOM: So wollen Swisscom, Salt & Co. beim Roaming weiter abkassieren

Kunden, die in die Roaming-Falle tappen, spülen den Telekom-Anbietern jedes Jahr unfreiwillig Millionen in die Kasse. Nach über 25 Jahren Roaming-Abzocke tritt am 1. Juli 2021 endlich ein wirksamer Kostenschutz in Kraft: Bevor ein Kunde sein Handy im Ausland nutzen kann, muss er einmalig eine persönliche Ausgabenlimite festlegen. Swisscom, Salt und die anderen Telekom-Anbieter versuchen nun, die neue Regelung zu umgehen und weiter abzukassieren – mit dem Segen des zuständigen Bundesamtes für Kommunikation (BAKOM).

Eigentlich ist der Fall klar: Bevor Telekom-Kunden das Handy im Ausland nützen können, setzen sie sich einmalig eine Roaming-Kostenlimite. So bestimmt es Artikel 10b der Fernmeldeverordnung, der am 1. Juli 2021 in Kraft tritt. Ist die Limite erreicht, wird die Handynutzung im Ausland blockiert. Der Kunde kann sie selbstverständlich wieder freischalten, ist sich aber bewusst, wie viel Geld er bereits ausgegeben hat. Die selbstgewählte Kostenlimite (zum Beispiel 50 Franken) schützt so die Telekom-Kunden vor hohen Rechnungen nach Auslandaufenthalten. Keine Freude an der neuen Regelung hat die Branche: «Kunden, die in die Roaming-Falle tappen, spülen den grossen Telekom-Anbieter jedes Jahr Millionen in die Kasse», sagt Sara Stalder, Geschäftsleiterin des Konsumentenschutzes.

Hinterzimmer-Deal zwischen BAKOM und Telekom-Anbieter
Zuständig für die Durchsetzung der neuen Regelung ist das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM). Noch im Februar 2021 versichert das BAKOM dem Konsumentenschutz, dass es bei der Umsetzung der Roaming-Limiten keine Schlupflöcher geben werde. Anfang Juni ist alles anders: Swisscom gibt bekannt, dass nur Neukunden ihre Limite selber wählen sollen. Für alle bestehenden Kunden werde weiterhin Swisscom die Roaming-Limite setzen – dies sei mit dem BAKOM so abgesprochen. «Damit verkäme die Regelung zur Farce», meint Sara Stalder: «Nur ein Bruchteil aller Telekom-Kunden würden ihre Roaming-Limite selber festlegen – bei der grossen Mehrheit wären es die Telekom-Anbieter selber und die sind nicht an tiefen Limiten interessiert.»

500 Franken Limite bei Wingo, Coop Mobile und M-Budget, bei Salt 1000 Franken
Auf Anfrage des Konsumentenschutzes windet sich das BAKOM und schreibt, es erachte das Vorgehen von Swisscom als «gangbaren Weg». Swisscom hat derzeit eine voreingestellte Limite (Standardlimite) von 200 Franken für Erwachsene. Offenbar ermutigt durch die nachgiebige Haltung des BAKOM wurde das Unternehmen forscher. Für die Swisscom-Marke «Wingo» tritt heute Mittwoch eine Standardlimite von 500 Franken in Kraft. Pikant: «Wingo richtet sich mit seinem Auftritt und der Preispolitik vor allem an Jugendliche und junge Erwachsene. Kaum jemand von dieser Zielgruppe würde sich selber eine Roaming-Limite von 500 Franken setzen. Swisscom will offensichtlich auf dem Buckel von jungen Leuten Kasse machen», sagt Sara Stalder. Auch bei Coop Mobile und M-Budget, die beide das Swisscom-Netz nutzen, gilt eine Limite von 500 Franken. Bei Salt beträgt die aktuell gültige Limite sogar 1000 Franken, aufgeteilt zu je 500 Franken auf Daten und Telefonie. Sunrise UPC hält sich derzeit noch bedeckt.
Spätestens ab 1. Juli 2021 müssen zwar alle Anbieter ihren Kunden ermöglichen, die Roaming-Limite selbständig zu ändern. Bloss: «Wir befürchten, dass die Anbieter zu wenig auf diese Möglichkeit hinweisen. Der vom Anbieter vorgegebenen Limite kommt daher eine grosse Bedeutung zu. Ist sie zu hoch angesetzt, wird es für viele Kunden schnell teuer», sagt Sara Stalder.

Allianz fordert maximale Limite von 100 Franken für Erwachsene
Sowohl die Juristen des Konsumentenschutzes als auch spezialisierte Anwälte halten das Vorgehen des BAKOM für rechtswidrig. «Wir erwarten vom BAKOM, dass es die bestehende Regelung durchsetzt und jeder Kunde seine Limite selber wählt, bevor er das Handy im Ausland nutzt», sagt Sara Stalder. Da die Regelung bereits am 1. Juli in Kraft tritt und es mit einer Umsetzung zeitlich eng würde, ist für den Konsumentenschutz auch eine pragmatische Lösung denkbar. «Für uns wäre es in Ordnung, wenn die Telekomanbieter die Limite selber setzen, allerdings maximal bei 100 Franken für Erwachsene und 50 Franken für Jugendliche.» Die Allianz der Konsumentenschutz-Organisationen (Konsumentenschutz, Fédération romande des consommateurs, Associazione consumatrici e consumatori della Svizzera italiana) hat den Telekom-Anbietern gestern Dienstag eine solche Lösung vorgeschlagen.