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Offener Brief: Strommarkt aus den Fugen

Die grossen Schweizer Stromanbieter schreiben Gewinne in schwindelerregender Höhe. Dennoch werden die Strompreise auch nächstes Jahr wieder angehoben. Wie hoch, gibt morgen Dienstag die schweizerische Strommarktbehörde ElCom bekannt. Das maximale Ungleichgewicht von Kosten und Preis ist möglich, weil die Haushalte an ihren lokalen Stromanbieter gefesselt sind und wegen Strommarktregeln, welche die Konsumierenden stark benachteiligen. Die Energiekonzerne schöpfen die Kaufkraft der Schweizer Haushalte ab. Der Konsumentenschutz fordert Energieminister Albert Rösti in einem offenen Brief auf, die Strombranche und ihre Kundschaft an einen Tisch zu bringen, um die Privathaushalte finanziell zu entlasten. Das Antwortschreiben von Bundesrat Albert Rösti (13.10.2023) enttäuscht – der Bundesrat ist nicht gewillt, kurzfristige Entlastungen für die Haushaltbudgets zu prüfen.

Das sogenannte Merit-Order-Strommarktdesign der Europäischen Union bewirkt, dass die Elektrizitätswerke sich nach dem Preis der teuersten Strom-Erzeuger richten. Wegen des Ukrainekrieges sind dies weiterhin die Gaskraftwerke. Die Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz bezahlen daher für billig produzierten Schweizer Solar- und Wasserstrom den gleichen Preis wie für den Strom aus ausländischen Gaskraftwerken. Dies ist mit ein Grund, dass grosse Schweizer Stromkonzerne in der jüngsten Vergangenheit Gewinne in rekordhohem Ausmass – nach eigenen Angaben über fünf Milliarden Franken – erzielten (siehe Grafik).

Trotzdem werden die Strompreise für die  an den lokalen Anbieter gebundenen und damit wehrlosen Kleinbezügerinnen und –bezüger per 2024 erneut erhöht. Sara Stalder warnt: «Es ist Zeit zu handeln, denn die Lage spitzt sich immer mehr zu: Neben den Stromtarifen steigen auch die Krankenkassenprämien, die öV-, Post- und Telekomtarife und die Preise für Lebensmittel und Konsumgüter.»

Konsumentenschutz fordert Runden Tisch

Der Konsumentenschutz fordert den zuständigen Energieminister, Bundesrat Albert Rösti, in einem offenen Brief dazu auf, zeitnah einen Runden Tisch einzuberufen, an welchem Konsumentinnen und Konsumenten, Gewerbe, Kantone, städtische und kantonale Energiedirektorinnen und -direktoren, die Strombranche und Aktionäre teilnehmen müssen. Das Ziel ist, dass die massive finanzielle Belastung für die Haushalte schnellstmöglich abgefedert wird.

Vier Entlastungsmassnahmen für die Haushaltbudgets

  1. Schweizer Preise für Schweizer Strom

Das europäische Strommarktdesign führt zu hohen Preisen, obwohl die Gestehungskosten für Schweizer Strom kaum gestiegen sein dürften. Der Konsumentenschutz fordert das Kontingentsystem «Basistarif500»: Jede Person kann pro Jahr bis 500 kWh beziehen, dessen Preis sich ausschliesslich an den Gestehungskosten der Schweizer Stromproduktion orientiert.

  1. Grundpreise müssen weg

Wegen der durch viele Stromunternehmen erhobenen Basisgebühren, Servicepauschalen oder ähnlichen Grundpreisen lohnt es sich für private Haushalte sehr oft nicht, den Stromverbrauch zu senken. So lange die Grundpreise nicht abgeschafft werden, nützen deshalb die Aufrufe des Bundesrates zum Stromsparen wenig.

  1. Netztarife für Übertragungsleitungen korrigieren

Die Netztarife machen einen substanziellen Teil des Strompreises aus. In Frühjahrsession 2023 wurde der Kapitalkostensatz für Stromnetze für das Tarifjahr 2024 von bereits zu hohen 3.83 % auf 4.13 % erhöht.[1] Haushalte bezahlen daher ab 2024 mehr für Investitionen in Stromleitungen. Zum Vergleich: der hypothekarischen Referenzzinssatz beträgt durchschnittlich 1.5 %. Der Ausbau der Übertragungsleitungen ist für die Energiewende wichtig, darf aber nicht ausschliesslich auf Kosten der Kleinbezügerinnen und –bezüger finanziert werden.

  1. Jede eingesparte kWh zählt!

Enorme Effizienzgewinne wären beim Strom möglich – mit einfachen Massnahmen und ohne Komfortverlust.[2] Die grossen Stromkonzerne sträuben sich gegen griffige Effizienzmassnahmen, weil sie weniger verdienen würden. Für den Konsumentenschutz ist klar: Effizientere Geräte und intelligenterer Verbrauch sind einfacher und rascher zu realisieren als die Vergrösserung der Stromproduktion. Sie reduzieren zudem nicht nur die Kosten der Haushalte, sondern entlasten auch die Übertragungsnetze.

Ergänzung vom 16. Oktober 2023:

Die Antwort des Bundesrats enttäuscht

In seinem Antwortschreiben vom 13.10.2023 nimmt Bundesrat Albert Rösti zu den Forderungen des Konsumentenschutzes Stellung. Er sehe durchaus Handlungsbedarf, die geforderten Punkte seien aber bereits alle vom Parlament aufgegleist. Auch bei der Netzverzinsung (WACC) spielt der Bundesrat auf Zeit: Das UVEK werde eine Arbeitsgruppe bilden und die Berechnungsmethode für die Zinsen ab 2026 anpassen.

Für die akute Belastung der privaten Haushaltsbudgets rührt der Bundesrat keinen Finger. Ein runder Tisch, um die drängendsten Probleme anzugehen, ist für ihn kein Thema. Weder die Revision des Energiegesetzgebung (Mantelerlass) noch die Anpassung der Netzverzinsung bieten den Konsumentinnen und Konsumenten kurzfristige Unterstützung in diesen Zeiten der Preisexplosionen. Die Kleinbezügerinnen und -bezüger werden also auch in den nächsten Jahren weiterhin gehörig zur Kasse gebeten.

Downloads:
Offener Brief an Bundesrat Albert Rösti (01.09.2023)
Antwortschreiben von Bundesrat Rösti (13.10.2023)
Grafik Gewinne der Schweizer Stromunternehmen

 

[1] Vgl.  Medienmitteilung Bundesrat 01.03.2023

[2] Vgl. Analyse Stromeffizienz BFE