Interview: Caroline Ciavaldini & James Pearson, Profis mit Kindern

Eine schrecklich starke Familie
Interview: Caroline Ciavaldini & James Pearson

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Seit 2010 sind Caroline Ciavaldini und James Pearson ein Paar, inzwischen verheiratet und mit zwei Kindern. Das Duo über Risiko und Elternschaft, Profi-Sein und Projekte sowie den Grad E12.

Caroline Ciavaldini & James Pearson
Foto: Jen Krause

Eine französische Wettkampfkletterin und ein britischer Tradkletterer – da sind doch Welten aufeinander geprallt, oder nicht?

Caro Definitiv! Als Brite kann James nicht über Gefühle sprechen. Diesen Konflikt werden wir wohl nie auflösen. Dass ich organisiert bin und er chaotisch ist, hat aber nichts mit der Nationalität zu tun, das ist sein persönliches Problem (lacht).
James Es stimmt, mir wurde beigebracht, dass ich meine Gefühle tief vergrabe und einfach weitermache. Caroline dagegen ist sehr gut darin, über positive ebenso wie negative Dinge zu sprechen. Auf Expeditionen kann es entscheidend sein, Konflikte zu lösen, und darin ist sie großartig. Zudem hat sie immer einen Plan A, B, C und D. Ich dagegen habe es nicht so mit Plänen. Ohne sie wäre ich nicht dort, wo ich jetzt bin. Aber vermutlich wäre sie ohne mich auch kein Kletterprofi mehr. Ich bin kreativer als Caroline, sie achtet darauf, dass meine Ideen nicht zu wild werden und funktionieren. Wir sind sehr unterschiedliche Charaktere, aber zusammen bilden wir ein ziemlich gutes Team.

Unsere Highlights
Caroline, kannst du deinen Wandel von einer Risiko-Verächterin zur Abenteuerkletterin beschreiben?

Caro Ich bin als normales Mädchen in einer normalen Familie aufgewachsen. In unserer Gesellschaft werden Mädchen noch mehr als Jungs erzogen, Risiko als etwas Dummes zu betrachten. Das hatte nichts mit Angst zu tun. Vor James hatte ich kaum Menschen getroffen, die das Risiko suchen, er war gänzlich außerhalb meiner Normalität. Durch ihn ist mir klar geworden, dass meine Einstellung zum Risiko einzig das Ergebnis meiner Erziehung war. Nun konnte ich selbst entscheiden, wo ich meinen Platz sehe. Damit hat sich meine Einstellung komplett verändert.

Caroline Ciavaldini & James Pearson
Caroline Ciavaldini & James Pearson

Caroline Ciavaldini bouldert Frogger (Fb 8A) in Brione, Tessin.

Hat sich eure Risikobereitschaft durch eure Kinder verringert?

Caro Wir kalkulieren mehr und sprechen mehr über Risiken.
James Ich will die Kinder nicht in die Situation bringen, ein Elternteil zu verlieren, das scheint mir nicht rechtfertigbar. Beim Tradklettern geht es für mich seit langem um Risikomanagement, anders als mit 17, als ich mich unsterblich fühlte. Bald wurde mir aber bewusst, dass es nicht um mich allein geht. Da sind deine Eltern, Geschwister, Freunde, dann beschließt du, mit jemand dein Leben verbringen zu wollen, dann kommen Kinder – das ist ein kontinuierlicher Prozess, bei dem immer wieder neue Elemente zu deinem Leben hinzukommen und es wertvoller machen.
Caro Du hast auch eine deutlichere Vorstellung, was passieren könnte. Und du gehst bei gefährlichen Routen nicht an dein physisches Limit.
James Und ich übe Routen, bis ich mir sicher bin, dass ich nicht stürze. Ganz sicher kannst du dir nie sein, aber du kannst dir auch zuhause im Treppenhaus den Hals brechen.

Bekommt ihr Vorwürfe, als Eltern unverantwortlich zu agieren?

Caro Ich manchmal, weil ich die Frau bin und Kinder habe.
James Besonders als du schwanger warst. Manchmal wurden wir kritisiert, weil wir mit den Kindern auf dem Bauch oder dem Rücken gesichert haben, wegen möglichen Steinschlags oder weil wir beim Sturz des Partners gegen die Wand geschleudert werden könnten.

Was antwortet ihr dann?

James Dass es aufs Gleiche rauskommt, wenn wir beim Gehen hinfallen. Du kannst nicht alles kontrollieren, auch als Eltern nicht.
Caro Alle Eltern akzeptieren ein gewisses Risiko, nur machen sich viele wenig Gedanken. Autofahren ist gefährlicher, und du hast weniger Kontrolle als wir beim Klettern.
James Natürlich gibt es keine objektiven Gründe, warum ich Harder Faster (E9 7a) oder Caroline Gaia (E8 6c) klettern muss. Wir wollen es einfach, weil es uns großartig fühlen lässt. Ich akzeptiere, dass ich zu einem gewissen Maß egoistisch bin und dass mein Tun negative Auswirkungen auf das Leben unserer Kinder haben könnte.
Caro Wenn deine Kinder erstmals allein die Treppen runtergehen, hast du Angst, aber du lässt sie ein Risiko eingehen. Und das geht immer so weiter. Du musst deine Kinder dazu erziehen, ein gewisses Maß an Risiko einzugehen, sonst dürften sie gar nicht leben. Und du kannst nur die bestmögliche Mutter sein, wenn du du selbst bleibst und nicht alles aufgibst, was dich vor den Kindern ausgemacht hat.

Caroline Ciavaldini & James Pearson
Caroline Ciavaldini & James Pearson

James und Caroline in den Slate-Steinbrüchen von Nordwales.

Habt ihr vorgesorgt für den Fall, dass euch beiden etwas zustößt?

Caro Ja, haben wir. Sollten wir beide sterben, wird meine Schwester Arthur und Zoellie großziehen. Sie hat zwei ältere Kinder und eine tolle Familie. Eine spezielle Lebensversicherung für die Kinder haben wir nicht abgeschlossen, weil Klettern dort ja immer ausgeschlossen wird.
James Nach einem kritischen Ereignis 2019 in Äthiopien, wo ich eine Riesenschuppe rausgerissen habe und diese direkt neben Caroline eingeschlagen ist, haben wir zudem beschlossen, dass wir uns nicht mehr beide zusammen in gefährliche Situationen begeben.

Wo sagt ihr heutzutage: Stopp, das ist mir zu riskant?

Caro Wir gehen nicht Bergsteigen. Als ich die Voie Petit am Grand Capucin geklettert habe, hatten wir den Eindruck, dass es im Hochgebirge viele objektive Gefahren gibt, die wir nicht kontrollieren können. Beim Tradklettern hast du mehr Kontrolle darüber, was du tust und was du riskierst, außer du kletterst an miesem Fels. Ich sage aber nicht, dass ich in meinem Leben nie mehr Bergsteigen werde. Immer, wenn ich "nie" gesagt habe, habe ich es dann doch gemacht (lacht).
James Alle riskanten Sachen versuchen wir in einer Umgebung zu tun, die wir verstehen und wo wir möglichst viel Kontrolle haben.
Caro James wollte gern mit dem Gleitschirmfliegen anfangen, aber wir haben zusammen entschieden, dass das eine schlechte Idee ist.

Was ratet ihr kletternden Eltern?

Caro Regel Nummer Eins ist, dass beide Eltern dabei sein sollten, um die Aufgaben teilen zu können. Du musst deine Erwartungen zurückschrauben und akzeptieren, dass es passieren kann, dass du Klettern gehst und letztlich nicht mal den Fels berührst. Sei nett zu dir selbst, sonst kann es frustrierend sein.
James Die Erwartungen runterzuschrauben gilt vor allem für die Quantität. Dafür ist die Qualität der Erlebnisse oft höher. Früher haben wir pro Sportklettertag sechs bis acht Routen gemacht, heute sind es zwei oder drei. Dafür genießen wir es mehr und sind motivierter, weil jede Route wertvoller ist.

Caroline Ciavaldini & James Pearson
Chris Prescott

Caroline gelang 2016 die erste Frauenbegehung der legendären Voie Petit (8b, 450m) am Grand Capucin.

Wie habt ihr euer Profitum an die neue Situation angepasst?

Caro Geändert haben wir, dass wir nicht mehr ständig um die Welt fliegen, sondern versuchen, unseren CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Dieser Wandel kam durch die Kinder, weil wir auch für sie eine
lebenswerte Welt möchten.
James Es kamen viele Dinge zusammen. Nach dem ersten Covid-Lockdown durfte man in Frankreich nur im 100-Kilometer-Umkreis von Zuhause reisen. Einen Bike & Climb Trip wollten wir damals ohnehin machen, aber entlang der Donau bis Budapest. Den haben wir dann eben um unseren Wohnort in Südfrankreich gemacht. Erst dachten wir, das würde nichts Tolles, aber es wurde einer der besten Trips, die wir je gemacht haben. Das hat uns die Augen geöffnet.
Caro Bei Expeditionen denkt man an Fernreisen. Das ist aber eher ein Produkt des Reise-Marketings. Erforschen bedeutet überrascht zu werden, Neues zu entdecken und sich dafür anzustrengen. Wir waren erstaunt, wie gut man all das in der näheren Umgebung erleben kann.
James An Weihnachten haben wir nur eine halbe Stunde von Zuhause einen Höhlenausflug gemacht, mit unseren Kindern und Carolines Schwester samt Familie. Die sind nicht besonders Abenteuer-affin, wir mussten alles organisieren und viele Risiken und Gefühle managen. Das fühlte sich nach einer kompletten Expedition an.
Caro Wir sind Profikletterer, unser Job ist es, Herausforderungen zu finden, über die man eine interessante Geschichte erzählen kann. Das ist einfach, wenn du ans Ende der Welt fliegst und mit tollen, exotischen Fotos zurückkommst. Jetzt versuchen wir, Abenteuer vor der Haustüre zu finden, die auch anderen etwas geben und helfen, einen Wandel in den Köpfen anzustoßen.

James, du sagst, du magst Social Media nicht. Du postest aber deutlich mehr als Caroline. Darf man daraus schließen, dass du, Caroline, Social Media noch weniger magst??

Caro Richtig (lacht).
James Für mich sind Social Media ein Bullshit-Nebenprodukt der Welt, wie sie sich in den letzten 10 bis 15 Jahren entwickelt hat. Andererseits glaube ich, dass sie ein Werkzeug sein könnten, um Gutes zu bewirken. Derzeit werden sie aber auf armselige Weise genutzt.

Wie viel Zeit investiert ihr in eure Medienpräsenz?

Caro Eine Menge, vermutlich mehr als die Hälfte unserer Arbeitszeit. Wir trainieren, gehen manchmal an den Fels, den Rest der Zeit verbringen wir am Computer.
James Dazu gehört auch, Projekte zu entwickeln und sie den Sponsoren schmackhaft zu präsentieren. Das ist ohne Fernreisen aufwendiger, weil es schwieriger ist, das Abenteuer sichtbar zu machen.
Caro Inzwischen mischen wir uns bei Videos auch ins Drehbuch ein. Du kannst die Message nur kontrollieren, wenn du es selbst machst.
James Die Message ist eben nicht mehr nur: Wie reisen nach x und wollen y klettern. Umso wichtiger ist es, dass wir bei Medienproduktionen mehr Kontrolle haben. Leider sind die Preise für Filmprojekte durch die Decke gegangen. Unsere erste Expedition auf die Philippinen hat ungefähr 5000 Euro gekostet: Reise, Unterkunft, Essen und die gesamte Filmproduktion. In den letzten Jahren haben wir kein Video produziert, das weniger als 30.000 Euro gekostet hat, allein die Filmproduktion. Warum, verstehe ich nicht ganz, vermutlich ist es ein Schneeball-Effekt. Klar, alles ist professioneller geworden, die Lebenshaltungskosten sind gestiegen.
Caro Vielleicht wollen wir auch kompliziertere Filme …
James … Ja, vielleicht sind wir komplizierter geworden. (beide lachen)

Caroline Ciavaldini & James Pearson
Caroline Ciavaldini & James Pearson

Weniger Auto, weniger fliegen und dafür mehr Radfahren: Inzwischen bestreitet die Familie Ciavaldini-Pearson viele Projekte mit dem Rad.

Wie macht man Sponsoren ein Video-Projekt schmackhaft?

Caro Inzwischen musst du einen Vermarktungsplan mitliefern.
James Heutzutage gibt es jeden Tag ein neues Klettervideo. Ohne guten Vermarktungsplan ist es fast so, als würde es das Video nicht geben. Und die Vermarktung kostet genauso viel wie die Produktion: Anzeigen, Sichtbarkeit, eine Tournee organisieren. Zudem muss das Projekt zu den sonstigen Projekten des Sponsors passen und zur Jahreszeit. Es sind viele Puzzle-Teile, die zusammenpassen müssen.

Was war euer Lieblingsprojekt?

Caro Für mich die Expedition 2013 nach La Réunion, wo ich aufgewachsen bin. Die Heimkehr, der Kontrast zwischen meiner Kindheit und dem Abenteuermodus, die tollen Leute, aber auch weil ich Reiseleiterin war. Letzteres eher im Rückblick, dass ich alles hinbekommen habe. Vor Ort war es sehr stressig. Und meine Begehung von Gaia.
James Für mich Japan 2018. Es ist mein Lieblingsreiseland, und das Klettern am nassen Fels in und entlang von riesigen Wasserfällen fühlte sich einerseits außerirdisch, aber gleichzeitig vertraut an. Sich zu Beginn wie ein Anfänger zu fühlen und am Ende fast ein Spezialist zu sein – ich lerne gern neue Sachen!

Bleiben wir bei Projekten: Ist eine 9a ein Ziel für dich, Caroline?

Caro Nicht wirklich. Ich sage nicht nie, aber momentan sehe ich in Frankreich keine 9a, die mich wirklich anzieht. Die inspirierendste Linie wäre für mich Dreamcatcher in Squamish. Das ist zwar komplett mein Anti-Style, aber die Route ist wunderschön! Mein Ziel war wirklich lange Zeit, Le Voyage (E10 7a) in Annot zu klettern, und das hat ja im November geklappt.

Und du, James, was sind deine Träume, was Grade betrifft?

James Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal 8C hochkomme, aber im März 2022 hat das dann in Albarracin geklappt. Jetzt denke ich, vielleicht 8C+ oder gar 9A eines Tages. Klar, ich werde immer älter, aber derzeit werde ich noch stärker – mit 38 und zwei Kindern – und das finde ich motivierend.

Caroline Ciavaldini & James Pearson
Raphael Foureau

James Pearson in seiner Kreation Bon Voyage (E12) in Annot.

Wie trainiert ihr für eure Ziele?

Caro Wir arbeiten mit Lattice Training zusammen, Ollie Torr und Maddy Cope betreuen uns. Maddy hat sich darauf spezialisiert, Frauen zu trainieren, die ein Kind bekommen haben. Generell unterscheidet sich die britische Trainingsphilosophie stark von der französischen, viel mehr Muskeltraining, Fingerboard und weniger Training an der Wand. Das setzt voraus, dass du schon ein guter Kletterer bist. Für mich und James funktioniert das super, es hat unsere Physis deutlich verbessert. Derzeit arbeite ich an einem 8A+ Boulder, wo ich früher keine Chance gehabt hätte.
James Wir sind deutlich muskulöser geworden. Das hat auch den Vorteil, dass man nicht ständig aufs Gewicht schaut.
Caro Vor allem wenn du älter wirst, ist es wichtig, deinen Körper so zu trainieren, dass er ausbalanciert ist, um den Belastungen standzuhalten und Mikro-Verletzungen zu vermeiden. Das würden wir nicht allein schaffen.
James In den letzten Monaten hat mein Trainingsplan abgesehen von einigen "freien Sessions", wo wir klettern gehen, weniger als zwei Stunden Klettern pro Woche an der Boulderwand enthalten. Der Rest ist Krafttraining und Stretching.
Caro Ich trainiere derzeit vielleicht drei Stunden die Woche an der Boulderwand, der Rest ist Krafttraining.

Wie oft trainiert ihr?

James Meist jeden Tag. Das Gute am Lattice-Training ist, dass du es aufteilen kannst. Viele Einheiten dauern nur 15 oder 20 Minuten.
Caro Viele Übungen sind mit Gewichten oder auf der Gymnastikmatte, und das geht selbst, wenn die Kinder um uns rum sind.

Trainiert ihr meistens zusammen?

James Nicht unbedingt zusammen, aber zumindest gleichzeitig – vor allem, solange Arthur und Zoellie im Kindergarten sind.

Kommen wir zu Bon Voyage, James. 2008 hattest du Walk of life mit E12 bewertet. Bald darauf wertete Dave MacLeod die Route auf E9 ab. 2023 hast du dir zehn Monate Zeit gelassen, bevor du E12 vorgeschlagen hast. Aus Sorge, erneut daneben zu liegen?

James Ich finde Grade generell verwirrend. Ich lag mit meinen Bewertungen öfter daneben, in beide Richtungen. Deshalb halte ich mich seit langem mit Graden zurück oder versuche, meine Vorschläge zumindest in einen Kontext einzuordnen. Es stimmt, bei Bon Voyage hat es mir Angst gemacht, zum zweiten Mal als erster den Grad E12 anzugeben. Ich wollte erst so viele Leute wie möglich die Route in Annot probieren lassen, um ihre Meinung zu hören.

Caroline Ciavaldini & James Pearson
Caroline Ciavaldini & James Pearson

2008 kletterte James Pearson The Walk of Life und bewertete sie mit E12, später wurde sie von Dave MacLeod auf E9 abgewertet.

Wer hat die Route probiert?

James Steve McClure hat sich am Tag nach seiner Begehung von Le Voyage nur die Griffe und ihre Position angeschaut, aber er hat viel Erfahrung mit Routen in diesem Stil. Ignacio Mulero hat Bon Voyage projektiert, konnte aber die Schlüsselsequenz nicht klettern. Jacopo Larcher war auch da, hatte aber Probleme mit der Haut. Seb Berthe war am nähesten dran, er konnte die Schlüsselpassage – also die letzten 25 Züge – in zwei Teilen klettern, die eigentliche Crux hatte er recht gut drauf. Adam Ondra will im Februar kommen – es würde mich also überraschen, wenn Bon Voyage nicht bald wiederholt wird. Ich habe die reine Schwierigkeit auf 9a geschätzt, jemand mit extrem starken, kleinen Fingern und sehr langen Armen könnte die Route leichter finden, weil sie sehr morpho ist, sowohl was die Größe der Griffe als auch ihre Abstände betrifft. Ein kleinerer Kletterer könnte sie auch für 9a+ halten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Bewertung für meine Anatomie stimmt, aber Grade sind etwas sehr Subjektives, keine exakte Wissenschaft.

War es keine Option für dich, Bon Voyage unbewertet zu lassen?

Caro James wollte erst nicht bewerten, aber ich halte das für keine gute Idee. Schau die neuen Routen von Jacopo an, die er nicht bewertet hat. Sie bleiben unter dem Radar. Nicht viele Leute probieren Tribe, und seine letzte, tolle Neutour in Annot ist völlig unbeachtet geblieben, weil er sie nicht bewertet hat.

Noch eine Frage zu Walk of Life. Heute würde man von einem Shitstorm sprechen, der in Großbritannien über dir aufgezogen ist. Daraufhin hast du England verlassen und bist nach Innsbruck gezogen.War diese "Flucht" aus heutiger Sicht nötig?

James Damals habe ich es jedenfalls nicht ausgehalten. Die englische Trad-Szene ist sehr intensiv.
Caro Dazu gehört auch viel Zeit im Pub, wo reichlich diskutiert, gelästert und geschimpft wird.
James Bier trinken ist ein wesentlicher Bestandteil des Tradkletterns, und die Tradkultur basiert auf dem Bild von harten Männern. Als ich jung war, hieß es, Training sei Betrug. Als bester Tradkletterer galt der, der die Nacht im Pub durchsäuft, morgens direkt zum Fels zieht und ohne sich aufzuwärmen eine harte, furchterregende Route klettert. Also das Gegenteil eines Athleten. Was mir zum Verhängnis wurde, war, dass ich das Sponsoring-Spiel spielte. Tradklettern galt als Passion, die man nicht mit Geld entweihen durfte. Ich stamme aus einer Arbeiterfamilie, für mich war die einzige Chance, ein Vollzeitkletterer zu sein, Geld damit zu verdienen. Viele Leute haben nur auf eine Gelegenheit gewartet, mich vom Sockel zu stoßen. Ob es nötig war, England zu verlassen, weiß ich nicht. Aber nachdem ich lange von meiner Familie und Freunden hochgejubelt worden war, war es sehr heilsam für mich zu sehen, dass die Welt voller toller Kletterer war. Ich war wieder ein Nobody, und mit Leuten wie Jakob Schubert zu klettern, hat meine Selbsteinschätzung zurechtgestutzt.

Caroline Ciavaldini & James Pearson
Caroline Ciavaldini & James Pearson

2019 kletterten Caroline und James in Äthiopien die Felsnadel Excalibur.

Seid ihr beide auch manchmal uneins was Bewertungen betrifft?

Caro Die ganze Zeit!
James Vor allem beim Bouldern.
Caro Dort helfen die – meist von Männern angegebenen – Grade Frauen selten weiter. Ich kann viele 7A-Boulder nicht klettern.
James Dafür hat Caroline eine unglaubliche Ausdauer. Wenn ich eine Route leicht finde, findet Caroline sie unendlich schwierig; wenn sie eine Route leicht findet, sehe ich kein Land. Was mich in meiner Meinung bestätigt, dass Grade …
Caro … nutzlos sind!
James Nicht nutzlos, eine ungefähre Einstufung geben sie schon. Aber sich zu streiten, ob es 7C+ oder 8A ist, scheint mir sinnlos.
Caro In Relation zu ihrer Ungenauigkeit messen wir Graden jedenfalls viel zu viel Bedeutung zu!

Worüber könnt ihr euch sonst noch trefflich streiten?

Caro Über eine gerechte 50:50-Verteilung der Arbeit zwischen uns.
James Ich bin in eher patriarchalen Strukturen aufgewachsen. Mein Vater war der Boss, meine Mutter schaute nach den Kindern und sorgte dafür, dass das Essen auf den Tisch kam. Ich stimme Caroline theoretisch völlig zu, aber wenn man nicht aufpasst, rutscht man schnell zurück in Verhaltensmuster, die man aus seinem Elternhaus gewohnt ist. Wenn ich zurückblicke, meine ich, dass es in meiner Familie von Generation zu Generation Fortschritte gab, und ich hoffe, dass Arthur sich wiederum verbessert und seine Kinder erneut. Ich schaffe es jedenfalls nicht, den Schalter komplett umzulegen und mich in einen perfekten modernen Mann zu verwandeln.

Und wie bekommt ihr dann die Kurve, euch wieder zu versöhnen?

Caro Ich denke, Schweigen nach einem Streit funktioniert nicht, und versuche darüber zu sprechen.
James Wir sind beide Dickköpfe. Ich schweige stur, sie hört stur nicht auf zu reden, in der Hoffnung, dass ich ihr recht gebe. Ich schweige, bis sie mir recht gibt, was aber auch nicht geschieht. Und so beruhigen wir uns beide und treffen uns in der Mitte (beide lachen).
Caro Wir machen fast alles zusammen, dadurch entwickeln wir uns auch gemeinsam. Das ist sehr wichtig, für andere Paare aber deutlich schwieriger. Ich denke, dass wir einen sehr engen Familienbund haben.

Caroline Ciavaldini & James Pearson
Caroline Ciavaldini & James Pearson

Baustellenarbeit in Südfrankreich: die Profi-Athleten widmen ihre Muskelkraft der Sanierung alter Häuser.

Seid ihr euch einig, was eure Pläne für die Zukunft angeht? Was kommt nach eurer Profi-Karriere?

James Wir haben herausgefunden, dass uns Konstruktions- und Bauarbeiten Spaß machen. Erst haben wir kleine Campervans ausgebaut, dann unsere beiden Wohnsitze. Dann haben wir ein drittes, baufälliges Haus gekauft und Wohnungen ausgebaut. Und jetzt haben wir eine Ruine in den Bergen gekauft, wo nur die vier Wände stehen. Wir stecken seit zehn Jahren viel Zeit in diese Arbeiten, jedes Jahr zwei, drei Monate im Sommer, wenn es zu heiß ist, um ernsthaft zu klettern.
Caro Wir sind ja auch bekannt in der Kletterwelt. Ich denke zwar nicht, dass wir Fulltime-Jobs in der Kletterbranche anstreben, aber wer weiß. Wir haben auch angefangen, Vorträge zu halten. Dazu organisiere ich Events, ein Treffen für Kletterinnen, und mache einen Podcast.
James Wir haben eine Menge Dinge am Laufen, auch ein Mentoring für junge Athleten. Wir haben viele Ideen, nur nicht genügend Zeit.

Was wünscht ihr euch für die Zukunft eurer Kinder?

James Ich wünsche mir, dass sie in einer so magischen Welt aufwachsen wie wir. Ich habe den Eindruck, dass die etwas älteren Kinder von Freunden viel mehr Last auf ihren Schultern tragen als wir in unserer Kindheit – ob es die Umwelt betrifft oder soziale Probleme.
Caro Aber auch, dass wir ihnen helfen können, eine Leidenschaft zu finden – etwas, das sie motiviert. Das macht das Leben leichter.

Und für euch selbst?

Caro Überleben? (lacht) Solange wir zusammen sind, ist alles fein!

James Wir leben ein tolles Leben, mehr können wir uns nicht wünschen.

Best of Caroline Ciavaldini & James Pearson

Caroline Ciavaldini & James Pearson
Riky Felderer The North Face

James und Caroline auf Sardinien.

Caroline (38) wuchs auf der Insel La Réunion auf, mit 12 begann sie zu klettern. 2002, 2003 und 2004 wurde sie Jugend-Weltmeisterin im Lead. Es folgten viele Podestplätze im Lead-Worldcup, 2011 gewann sie in Chamonix. Sie hat vier Tradrouten im Grad E9 und eine E10 geklettert sowie einige 8c-Sportkletterrouten.

James (38) wuchs im Peak District auf, begann mit 15 zu klettern und sammelt seither harte Tradrouten, darunter Rhapsody, Lexicon (beide E11) und Tribe. Erstbegehungen: The Groove (E10), Power Ranger (5.14 R), Bon Voyage (E12). Ihm gelangen mehrere 9a-Routen, 2022 boulderte er Juneru sit (8C) in Albarracin.

Gemeinsame Expeditionen 2013 Zembrocal (8c+, 7 SL), La Réunion; 2016 DWS auf den Philippinen; 2017 Klippenklettern auf den Faröer-Inseln; 2018 Trad- und Wasserfallklettern in Japan, 2019 Towers of Tigray, Äthiopien.

Sponsoren The North Face, Wild Country, La Sportiva, Edelweiss, Altissimo

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