Psycho­therapie für Kinder und Jugend­liche Hilfe für die junge Psyche

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Psycho­therapie für Kinder und Jugend­liche - Hilfe für die junge Psyche

Kinder- und Jugend­lichen­therapeutin. Je jünger Patient oder Patientin, desto mehr wird während der Psycho­therapie gespielt und gemalt. © picture alliance / Shotshop / Addictive Stock

Seit Corona zeigen viel mehr junge Menschen psychische Auffälligkeiten. Wann eine Psycho­therapie für Kinder oder Jugend­liche helfen kann, erläutert Stiftung Warentest.

Verlassene Schulhöfe, geschlossene Sport­ver­eine, Angst um die Groß­eltern – die Corona-Pandemie hat das Leben von Kindern und Jugend­lichen auf eine harte Probe gestellt. Mit Folgen: Vor der Pandemie zeigten etwa 18 Prozent aller Kinder und Jugend­lichen psychische Auffälligkeiten. Während der Pandemie waren es 30 Prozent, Ende 2022 immer noch 23 Prozent. Das bezeugt die COPSY-Studie des Universitäts­klinikums Hamburg und des Robert-Koch-Instituts, an der mehr als 1 000 Jungen und Mädchen ab elf Jahren und deren Eltern teil­genommen haben. Sie klagten vor allem über Ängste und Depressionen.

Zu spät zu reagieren, birgt die Gefahr, dass sich ein psychisches Problem verfestigt und bis ins Erwachsenen­alter bestehen bleibt oder immer wieder­kehrt. Zudem kann eine seelische Erkrankung in jungen Jahren massive Folgen haben. Verhindert sie einen guten Schul­abschluss, enge Freund­schaften oder selbst­ständige Entscheidungen, stellt das die Weichen fürs gesamte Leben. Nur manches lässt sich später aufholen, das wenigste nach­holen. Die Stiftung Warentest erklärt, welche Möglich­keiten zur Behand­lung es gibt.

Corona und andere Krisen belasten Kinder

Um 60 Prozent haben sich die Anfragen bei Psycho­therapeutinnen und -therapeuten in der Pandemie­zeit erhöht, ergab eine Umfrage der Deutschen Psycho­therapeuten­ver­einigung. An die Pandemie reihten sich weitere Krisen wie der Krieg in der Ukraine, der Nahostkonflikt oder Klima­katastrophen – die auch Kinder­seelen belasten. Im Interview sagt Julia Asbrand, Professorin für Klinische Psycho­logie des Kindes- und Jugend­alters an der Friedrich-Schiller-Universität Jena: „Es ist nicht so, dass ohne diese Krisen keine Kinder mehr psychisch erkranken würden, aber sie sind ein weiterer Aspekt, der junge Menschen sehr beschäftigt und ihnen das Leben schwerer machen kann, etwa weil sie Zukunfts­perspektiven rauben.“

Unabhängig davon sind Kinder und Jugend­liche generell eine psychisch leicht verletzliche Gruppe: Etwa Drei­viertel aller seelischen Erkrankungen beginnen vor dem 25. Lebens­jahr, ein Groß­teil vor dem 14. Dazu zählen das Aufmerk­samkeits­defizit ADHS sowie Depressionen, Angst­erkrankungen, Essstörungen oder Süchte.

Unser Rat

Gespräch suchen. Haben Sie den Verdacht, dass Ihr Kind psychische Probleme hat, sprechen Sie mit ihm über Ihre Beob­achtung. Erste professionelle Ansprech­partner sind Kinder­ärzte, Haus­ärzte und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten. Zögern Sie nicht zu lange.

Termin ausmachen. Für gesetzlich versicherte Kinder und Jugend­liche ist die Sprech­stunde in einer Psycho­therapiepraxis kostenlos. Spezialisierte Psycho­therapeuten finden Sie über die Bundes­psychotherapeutenkammer unter bptk.de. Die Terminservicestellen der Kassen­ärzt­lichen Vereinigung vermitteln freie Sprech­stunden­termine telefo­nisch unter 116 117 – inner­halb von vier bis fünf Wochen.

Heraus­forderungen für junge Menschen sind hoch

„Junge Menschen haben besonders viele Entwick­lungs­aufgaben zu bewältigen“, sagt Julia Asbrand. „Wir haben es in dieser Zeit mit großen Themen zu tun: Kinder und Jugend­liche müssen eine eigene Identität entwickeln, unabhängig von ihrer Familie werden und sich an die stetigen Veränderungen in ihrem Leben anpassen. Gleich­zeitig passiert bei ihnen körperlich viel. Sie sind noch voll in der Entwick­lung, noch nicht gefestigt. Äußere Krisen haben daher einen besonders großen Effekt auf sie.“

Äußere Krisen, das können die ganz großen Welt­themen sein, aber auch ganz persönliche: die Trennung der Eltern, massive Probleme in der Schule, Mobbing, der Umzug in eine andere Stadt, der Tod eines engen Verwandten, Gewalt. All das setzt jungen Seelen deutlich mehr zu als Erwachsenen.

Veränderungen wahr­nehmen

Vor allem Eltern sind für sie wichtige Gesprächs­partner. Sie sind es auch, die erkennen können, ob es dem Kind so schlecht geht, dass es professionelle Hilfe benötigt. „Eltern müssen keine Erkrankung diagnostizieren können. Aber sie erkennen am ehesten, ob ihr Kind sich zum Beispiel relativ plötzlich verändert hat“, erklärt die Psycho­logie­professorin aus Jena. Eine ganz andere Stimmung, einbrechende Schul­leistungen, der Rück­zug von Gleich­altrigen: Das sind mögliche Anzeichen. „Aber in der Pubertät können das phasen­weise auch ganz normale Verhaltens­weisen sein“, warnt Asbrand.

Bei Selbst­isolierung aufhorchen

Meidet das Kind allerdings Freundinnen und Freunde, steckt vielleicht mehr dahinter. „Dann gilt es nicht gleich, einen Termin beim Therapeuten zu machen, sondern das Kind erst einmal anzu­sprechen. Etwa, dass einem etwas aufgefallen ist, ob es ihm oder ihr nicht gut geht und ob man helfen kann.“

Heiko Borchers ist in der Fach­gruppe Kinder- und Jugend­lichen­psycho­therapie der Deutschen Psycho­therapeuten­ver­einigung aktiv. „Wenn man ein ungutes Gefühl hat und vielleicht Mutter wie Vater unabhängig voneinander eine Veränderung des Kindes fest­gestellt haben, sollte man das lieber zu früh als zu spät professionell abklären lassen“, sagt er, der selbst eine Psycho­therapiepraxis in Schleswig-Holstein hat.

Keine Zeit verlieren, Rat einholen

Kinder- und Haus­arzt können ein erster Ansprech­partner sein. Therapeut Borchers empfiehlt die psycho­therapeutische Sprech­stunde in einer entsprechenden Praxis. Sie kann bei Kindern und Jugend­lichen bis zu zehn Termine umfassen und insgesamt bis zu 250 Minuten dauern. Dabei wird untersucht, welche Symptome das Kind hat, ob es eine Psycho­therapie benötigt, vielleicht sogar akut oder welche anderen Hilfen sinn­voll sein könnten. Geht das psychische Problem beispiels­weise eher auf Ehekonflikte der Eltern zurück, kann der Besuch einer Familien­beratungs­stelle ratsam sein. Sind Medikamente sinn­voll, muss ein Psychiater hinzugezogen werden.

Aber: Der erste Schritt ist wichtig. „Gerade bei Kindern sollte man keine Zeit vertun, denn ihre Uhr läuft schneller“, betont Borchers. „Ein halbes Jahr bedeutet für ein Kind etwas ganz anderes als für einen Erwachsenen. In dieser Zeit entwickelt sich bei ihm so viel.“

Krankenkassen zahlen Psycho­therapie für Kinder

Eine Psycho­therapie gilt als wirk­sam und sicher für Kinder wie Jugend­liche. Sie kann schon in jüngsten Jahren helfen, seelische Leiden zu lindern. Gesetzliche Krankenkassen bezahlen eine Psycho­therapie für Kinder und Jugend­liche, wenn eine Diagnose vorliegt und die Psycho­therapeutin eine Zulassung besitzt, mit gesetzlichen Kassen abzu­rechnen.

Lange Warte­zeiten auf einen Therapie­platz

Therapeuten haben Psycho­logie, Pädagogik oder Sozialpädagogik studiert und anschließend eine mehr­jährige Ausbildung zum Kinder- und Jugend­lichen­psycho­therapeuten absol­viert. Aktuell sind etwa 20 Prozent der Psycho­therapeuten mit Kassenlizenz auf Kinder und Jugend­liche spezialisiert. „Die Warte­zeiten auf einen Therapie­platz sind zum Teil noch schlimmer als bei Erwachsenen. Gerade im ländlichen Raum herrscht eine extreme Versorgungs­not“, betont Expertin Julia Asbrand aus Jena.

Tipp: Welche Möglich­keiten Sie nutzen können, um einen Psycho­therapie­platz für Ihr jüngeres oder jugend­liches Kind zu finden, erfahren Sie in unserem Special zur Suche nach einem Psychotherapieplatz.

Spielerische Behand­lung

Psycho­therapeut Heiko Borchers behandelt Erwachsene sowie Kinder und Jugend­liche. Die eine Hälfte seines Behand­lungs­raums ist darum sehr viel bunter. Statt 50-minütiger Gespräche läuft vieles in der Behand­lung von Kindern spielerisch ab. Da können Hand­puppen dazu dienen, einen Konflikt in der Familie darzustellen oder Tierfiguren aus Plastik, um über Angst zu reden. Mit Stiften malen Kinder ein Problem aus der Schule auf. „In manchen Praxen finden sich Kunst­stoff­schwerter oder Boxsäcke, mit denen Kinder und Jugend­liche Aggressionen loswerden können“, erzählt Borchers. Er habe zudem viele Gesell­schafts­spiele da, über die er einer­seits die kognitive Leistungs­fähig­keit fest­stellen könne und anderer­seits mit den Kindern ins Gespräch komme.

Nicht bevor­munden, ist wichtig

„Wenn sich zwei Kinder im Grund­schul­alter verabreden, treffen sie sich nicht zum Kaffee­trinken und Quatschen, sondern zum Spielen“, sagt Professorin Asbrand. „Spiel ist ihre Art der Kommunikation und auf diesem Level interagieren Psycho­therapeuten mit ihnen.“ Bei Jugend­lichen ziehen Spiele weniger, weiß Therapeut Borchers. „Aber auch sie muss man als Therapeut da abholen, wo sie stehen. Man muss sich auf sie einlassen und sollte sie nicht bevor­munden“, sagt er.

Gespräche mit Angehörigen

In der Therapie von Kindern und Jugend­lichen spielt das persönliche Umfeld eine sehr große Rolle, anders als bei Erwachsenen. Psycho­therapeuten holen regel­mäßig die Eltern oder andere wichtige Bezugs­personen wie Geschwister, Lehr­kräfte oder Groß­eltern hinzu oder vereinbaren mit ihnen einzelne Gespräche. Ihnen stehen mindestens 100 Minuten für solche Gespräche ohne die Kinder oder Jugend­lichen zur Verfügung und sie dürfen das soziale Umfeld in jeder Therapiephase dazu­holen.

Gezielte Eltern­trainings

In den Angehörigen­gesprächen geht es unter anderem um die Lebens­situation des Kindes und darum, wie die Erwachsenen ihm helfen können. Manche Praxen bieten gezielt Eltern­trainings an. „Wenn die psychischen Probleme durch elterliche Konflikte oder Mobbing in der Schule entstehen, hilft es ja nicht, wenn ich nur mit dem Kind darüber spreche. Sondern es muss an der Situation etwas geändert werden“, sagt Asbrand.

Schwei­gepflicht gilt auch gegen­über Eltern

„Eltern haben zudem ein Recht darauf zu erfahren, was in der Behand­lung passiert“, ergänzt Borchers. Gleich­zeitig unterliegen Psycho­therapeuten der Schwei­gepflicht. Die Inhalte der Angehörigen­gespräche besprechen sie deshalb vorher mit den jungen Patienten. Meist kommen eher allgemeine Dinge zur Sprache, weniger Details. „Man kann den Eltern zum Beispiel mitteilen, dass ihr Kind von Problemen in der Schule berichtet, schildert dabei aber nicht den konkreten Vorfall, von dem es gesprochen hat“, sagt Psycho­therapeut Borchers. Er und seine Kolleginnen müssen den Balanceakt zwischen Trans­parenz und Vertrauen schaffen – damit eine Psycho­therapie mit den Jüngsten gelingen kann.

Rechte von Kindern: Was für junge Patienten gilt

Alters­grenzen. Psycho­therapeuten für Kinder und Jugend­liche behandeln junge Leute bis 21 Jahre. Ab 18 Jahren dürfen Jugend­liche auch zu Psycho­therapeuten für Erwachsene gehen.

Schwei­gepflicht. Egal, wie alt Patientin oder Patient sind: Psycho­therapeuten unterliegen der Schwei­gepflicht. Alles, was in der Behand­lung besprochen wird, müssen sie für sich behalten – und dürfen es selbst den Eltern nicht mitteilen. Gleich­zeitig haben sie eine Auskunfts­pflicht und müssen Sorgeberechtigten von der Behand­lung berichten. Das tun sie in Rück­sprache mit ihren Patienten.

Elterliche Zustimmung. Kinder unter 15 Jahren brauchen die Zustimmung von Mutter und Vater, um in eine psycho­logische Sprech­stunde gehen oder eine Psycho­therapie beginnen zu dürfen. Jugend­liche ab 15 Jahren können ohne elterliches Einverständnis eine psycho­therapeutische Praxis aufsuchen.

Privatversicherte. In welchem Umfang Kindern und Jugend­lichen mit privater Krankenversicherung eine Therapie zusteht, hängt vom Tarif ab, und muss vorab beim Kranken­versicherer erfragt werden.

„Eltern werfen es sich vor, wenn ihr Kind psychisch erkrankt“

Psycho­therapie für Kinder und Jugend­liche - Hilfe für die junge Psyche

Interview. Julia Asbrand ist Professorin für Klinische Psycho­logie des Kindes- und Jugend­alters an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. © Universität Jena

Frau Asbrand, wenn das eigene Kind psychisch auffällig wird und vielleicht sogar eine Psycho­therapie benötigt, stellen sich Eltern häufig eine Frage: Bin ich schuld?

In der Tat werfen es sich Eltern oft vor, wenn ihr Kind psychisch erkrankt. Allerdings ist es hierbei nicht sinn­voll oder hilf­reich, von Schuld zu sprechen.

Wie meinen Sie das?

In der Regel ist es nicht eine Ursache, die jemanden krank macht, sondern es ist eine Zusammen­stellung von verschiedenen Einflüssen. Zugleich leben Eltern und Kinder in einem gemein­samen System, in dem sie sich auch gegen­seitig beein­flussen.

Haben Sie ein Beispiel?

Angenommen, ein Kind schläft in den ersten Lebens­jahren schlecht. Dann bekommen die Eltern in der Zeit auch wenig Schlaf. Sie sind dadurch konstant gestresst, reagieren vielleicht mit einer kurzen Zündung, wenn das Kind Schwierig­keiten hat. Daraus kann sich eine Abwärts­spirale in gegen­seitigen Stress entwickeln. Daran hat aber keiner Schuld. Es ist eher das Problem, dass sich in solchen Situationen Sachen einschleifen können, dass die Dynamik zwischen Eltern und Kind problematisch werden kann.

Kommt dann noch mehr Stress dazu, also beispiels­weise ein Umzug, eine Trennung oder so etwas wie die Corona-Pandemie, dann kann das eine so ungüns­tige Konstellation von Risiko­faktoren sein, dass eine psychische Störung beim Kind entsteht.

Was bedeutet das für Eltern?

Sie tragen mitunter einen Anteil dazu bei, dass eine Erkrankung entstehen kann oder aufrecht­erhalten bleibt, ja. Aber es gibt eben noch ganz viele andere Sachen, die einen Einfluss darauf haben. Darin steckt auch eine gute Nach­richt: Wenn man einen eigenen Anteil beiträgt, bedeutet das ja auch, dass man das Potenzial hat, sein Kind so zu unterstützen, dass es ihm wieder besser geht.

Das ist dann auch ein Teil der Psycho­therapie: Wir schauen gemein­sam und ganz ehrlich darauf, was Eltern zur positiven Veränderung beitragen können. Dabei versucht man aber eben nicht, jemandem die Schuld zu geben, sondern heraus­zufinden, wo Eltern aktiv werden und helfen können.

Und wir prüfen auch, ob Mütter oder Väter vielleicht selbst professionelle Unterstüt­zung benötigen, zum Beispiel weil sie allein­erziehend sind, finanzielle oder eigene psychische Probleme haben.

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Kommentarliste

Nutzer­kommentare können sich auf einen früheren Stand oder einen älteren Test beziehen.

  • Profilbild Stiftung_Warentest am 03.07.2024 um 18:35 Uhr
    Ggf. nachteilig für zukünftige Versicherungen

    @cctfer: Das stimmt. Wer sich für seine mentale Gesundheit Hilfe holt, bekommt bestimmte Versicherungen nur schwer. Wie das aber trotzdem klappen kann, erklären wir im Artikel
    "Trotz Therapie gut versichert" www.test.de/Gut-versichert-trotz-Psychotherapie-6018021-0/
    Bei der Suche nach gutem Versicherungsschutz kann Ihnen ein auf Berufsunfähigkeitsversicherungen spezialisierter Fachmakler oder ein Versicherungsberater helfen.

  • cctfer am 01.07.2024 um 14:10 Uhr
    Ggf. nachteilig für zukünftige Versicherungen

    Bestimmte Versicherungsabschlüsse (bspw. Berufsunfähigkeit), die Stiftung Warentest auch empfiehlt, werden durch Psychotherapien erschwert, z. B. durch Ausschlüsse, erhöhte Kosten oder gar Absagen. Das sollte bei der Entscheidung, ob man eine Therapie aufsucht, zwar nicht berücksichtigt werden - schließlich ist Gesundheit immer wichtiger als Geld - aber im Rahmen einer ganzheitlichen Aufklärung sollte es m. E. erwähnt werden. Auch wenn es für Kinder nebensächlich ist, könnte es manche Jugendliche schon betreffen.