Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (WDG)

WDG, 6. Band, 1977

Zug, der

WDG, 6. Band, 1977
Zug, der; -es, Züge
I.
1. das Ziehen an etw., um etw. zu bewirken: mit einem einzigen Z. an der Reißleine hat er den Fallschirm geöffnet; durch einen Z. an der Notbremse kann man den Eisenbahnzug zum Stehen bringen; Mit einem Zug an der Kordel schließt sie die Vorhänge rings um das Bett Rehfisch Hexen 504; ein Griff, ein leichter, vorsichtiger Zug, und plötzlich hatte ich das kleine … Buch in der Hand St. Zweig Novellen 1,227 (Schachnovelle) er ruderte mit langen Zügen (Schlägen mit dem Ruder) hinaus auf den See er schwamm mit kräftigen Zügen (Schlägen, Stößen) seiner Arme vom Ufer weg der erste Z. (das erste Auswerfen und Einholen des Netzes) brachte den Fischern gleich eine reiche Beute
2. das Ziehen, Setzen eines Steines, einer Spielfigur bei einem Brettspiel: ein guter, schlechter, schwacher, starker, falscher Z.; die ersten drei Züge; nach zwölf Zügen hatte er schon gewonnen; einen Z. tun, umg. machen⌝, zurücknehmen; ich bin am Z. (bin an der Reihe, einen Stein, eine Figur zu setzen) /übertr./ sein Verzicht hatte sich nachträglich als raffiniert ausgedachter Z. (geschickte Maßnahme, Schachzug) erwiesen er konnte warten, aber wenn er am Zuge war (wenn er an der Reihe war zu handeln), dann gab es für ihn kein Halten er ist während der ganzen Zeit nicht zum Zuge gekommen (hat keine Gelegenheit gehabt, etw. zu tun, zu sagen) er hatte ihm alle seine Bosheiten Z. um Z. (eine um die andere, jede einzelne) vergolten Mein Vater aber sandte mir seine [Kellers] gesammelten Werke, und ich las nun staunend Zug um Zug (eines nach dem anderen) alle die herrlichen Dinge Schleich Besonnte Vergangenh. 145
3. das Einziehen, Insichaufnehmen (und Ausstoßen)
a) von Luft beim Atmen, Atemzug: er zog die frische Luft in vollen Zügen in sich ein; In den Höhlen legen sich auch die Winterschläfer im Herbst zu jener Ruhe nieder, in der … die Lungen nur noch wenige Züge tun R. Gerlach Vierfüßler 8; geh. verhüll. in den letzten Zügen liegen (sterben)
b) von Tabakrauch beim Rauchen: er nahm, tat ein paar (gierige, hastige, tiefe) Züge aus seiner Zigarette, Zigarre, Pfeife;
c) von einem Getränk beim Trinken, Schluck: er trank in gierigen, tiefen Zügen wie ein Verdurstender; er tat einen langen und andächtigen Z. aus dem Weinglas; er schlürfte den Wein in behaglichen Zügen; einen guten Z. haben (ohne abzusetzen viel auf einmal trinken) e. Glas, Tasse, Flasche auf einen Z. (ohne abzusetzen) austrinken, leeren er trank die bittere Medizin in, mit einem Zuge, in großen Zügen hinunter; er nahm einen Z. von dem scharfen Schnaps und schüttelte sich; /übertr./ seine Jugend, seinen Urlaub in vollen Zügen (ausgiebig) genießen
4. Phys. Kraft, die in eine bestimmte Richtung zieht, Zugkraft
a) Druck und Z. können als entgegengesetzt wirkende Kräfte auftreten; der Werkstoff wurde auf Druck und Z. geprüft; bei schlechter Körperhaltung wird ein verkehrter Z. auf die Wirbelsäule ausgeübt
b) /übertr./ einer Person oder Sache innewohnender Drang zu etw., das Streben zu etw., Neigung, Verlangen: er gab dem Z., der ihn in die Fremde trieb, nach; er hatte schon immer diesen Z. zur Vereinfachung, einen Z. zum Theater; wenn wir euch helfen, folgen wir nur dem Zuge unseres Herzens; Eines Tages aber überkommt sie [die Lachse] der Zug zum Meer Grzimek Wildes Tier 199
5. in bestimmter Richtung strömende Luft
a) Windstoß: ein Zug fuhr raschelnd in einen Stoß Blätter Gaiser Schlußball 163
b) meist nur feiner, durch eine Öffnung wehender, oft unangenehm empfundener Luftstrom, Zugluft: e. Fenster, Tür gegen Z. mit Filzstreifen abdichten; ich fühlte beständig einen feinen Z. im Rücken; ihr steht, sitzt hier im Z.; er ist sehr empfindlich gegen Z., verträgt Z. nicht; er hat Z. ins Ohr bekommen; diese Topfpflanze muß man vor Z. schützen, bewahren; d. Feuer, Ofen muß Z. haben (die Luft, der Wind muß kräftig durchziehen können) /übertr./ umg. durch die neuen Ideen kommt ein frischer Z. in die ganze Angelegenheit
6. das Dahinziehen, die Fortbewegung in bestimmter Richtung: der Z. der Wolken, Wildgänse (über den Himmel); der Z. der Aale ins Meer; der Z. Alexander des Großen nach Indien; die Jägervölker folgten dem Z. ihres Jagdwildes; um im Zuge (in der Richtung) des Windes günstige vorhandene Häfen oder Buchten anlaufen zu können Turek Wende 26; /in übertr. Wendungen/ papierdt. im Zuge (im Ablauf, Verlauf) der Entwicklung der Wissenschaft, im Zuge der Industrialisierung, des Aufbaus eines neuen Werkes wurden große Mittel bereitgestellt die Veranstaltung war bald im schönsten Zuge (Ablauf) umg. in einem Z., Zuge hintereinander, ohne Unterbrechung: ich habe den Roman in einem Z. ausgelesen; er hat den Brief in einem Zuge niedergeschrieben; daß ich nun ganze Wochen in einem Zuge durchschrieb Marchwitza Unter uns 76; nachdem er die Nachricht erhalten hatte, lief er in einem Zuge bis nach Hause; etw. in Z. (in Bewegung, Gang) bringen (richtig) in Z. (in Schwung) kommen jmd. ist im (besten) Z., Zuge jmd. ist bei seiner Tätigkeit gerade im (besten) Schwung: jedesmal, wenn ich im besten Zuge bin, kommt einer und stört mich, kommt etw. dazwischen; er war einmal im Zuge und ließ sich nicht mehr stoppen; spött. Wir sind im schönsten Zuge (wir sind dabei), unseren Prozeß in Bausch und Bogen zu verlieren Dürrenmatt Panne 187; Das ist der Zug (Richtung einer Entwicklung, Tendenz, Trend) der Zeit, die Rationalisierung Pfaff Regina B 13
7. dahinziehende Gruppe, Schar, Kolonne: ein Z. von Menschen, Tieren, Wagen; ein festlicher Z. kam die Hauptstraße entlang; die Schulklasse begab sich in geschlossenem Zuge vor das Denkmal; der kilometerlange Z. der Demonstranten näherte sich dem Marktplatz; an der Spitze des Zuges wurde eine Fahne getragen; die Leute formierten, ordneten sich zum Zuge, bildeten einen Z. /bildl./ Doch der große Zug [der Urlauber] richtet sich nach Norden, zum Ostseestrand Gesundheit 1967
8. einzelne Abteilung, Gruppierung einer größeren Gruppe von Menschen: die Demonstranten zogen in mehreren Zügen zur Kundgebung; Mil., DDR veralt. Truppeneinheit von etwa 30 Mann: ein Z. Infanterie, Soldaten;
9. charakteristische Form der Linie
a) beim Schriftbild, bei einer Zeichnung: die Adresse war mit großen, schönen, klaren Zügen geschrieben; die Züge seiner Schrift trugen noch kindliche Merkmale; seine verschnörkelten Züge kann ich nicht lesen; er war so kurzsichtig, daß er die feineren Züge nicht mehr erkannte; eine Zeichnung in großen, kräftigen Zügen; Aber der edle Zug der Linien und … die Symmetrie der aufrecht sich haltenden Männer weisen ins 14. Jahrhundert zurück Hamann Gesch. d. Kunst 2,383; /übertr./ der Vortrag vermittelte uns in groben, großen Zügen (in den Hauptpunkten, Umrissen) einen Überblick über die geplanten Maßnahmen er deutete uns den Gang der Handlung in kurzen Zügen an; den Inhalt eines Dramas, Romans in großen Zügen umreißen; er versuchte, in einigen Zügen ein Bild von dem Vorfall zu entwerfen, zu geben
b) im Gesicht, Gesichtsschnitt: ihr Gesicht zeichnete sich durch anmutige, klare, regelmäßige, sympathische, schöne, feine, weiche Züge aus; ein Gesicht mit harten, groben, markigen, männlich schönen, herrischen, ernsten, strengen, milden, edlen Zügen; die friedlichen, gelösten Züge des Toten; eine Person mit eckigen, kindlichen, entstellten, trotzigen, leidenden, schlaffen, verkniffenen, zerfurchten Zügen; sein Gesicht bekam einen grimmigen, spöttischen, schmerzvollen, lauernden, verträumten Z.; sein Gesicht nahm einen nachdenklichen Z. an; sie war ihrer Zwillingsschwester bis in die kleinsten Züge des Gesichts ähnlich; seine Züge schienen uns um viele Jahre gealtert; ihre von Schmerz und Leid geprägten, gezeichneten Züge; sie hatte die kindliche Lieblichkeit ihrer Züge erhalten, bewahrt; in seinen Zügen kämpften heißer Groll und tiefer Jammer C. F. Meyer 1,30 (Jenatsch) ; der Maler versenkte sich in die Züge seines Modells; Haß verzerrte ihre Züge; aus ihren Zügen war alle Farbe gewichen; ein Z. von Wehmut, Hochmut, Verachtung spielte um seinen Mund; ein Z. von Bitterkeit hatte sich in ihre Züge eingegraben; Ausdruck: er hatte einen arglistigen Z. in seinen Augen;
c) /übertr./ Wesensmerkmal, Eigenart, Charakterzug: der beste, liebenswerteste Z. an ihm war seine Freigebigkeit; ihn zeichnete ein gewisser asketischer Z. aus; die charakteristischen Züge dieser Epoche; das ist ein guter, hübscher, schöner, sympathischer Z. von dir; dein Egoismus ist ein schlechter Z.; der Dichter verlieh seinen Hauptgestalten individuelle, glaubhafte Züge; ein kennzeichnender, spezifischer Z. eines Verfahrens, Vorgangs; durch das Kostüm erhielt seine Gestalt einen grotesken, komischen Z.; die Sache hat einen Z. ins Lächerliche; er hat einen Z. ins Dämonische (er wirkt etwas dämonisch) ; das Werk des Dichters trägt eine Menge autobiographischer Züge; in einem Zuge stimmten sie überein: sie waren beide geizig; Auch ein Zug der Zeit: alle Geschäfte werden auf Umwegen erledigt Fallada Wolf 1,17
10. Vorrichtung, Griff zum Ziehen: der Z. der Klingel;
11. Windung, vertiefter Teil eines Gewindes: im Inneren des Gewehrlaufes befinden sich vier Züge;
12. Kanal, durch den Luft, Rauchgase abziehen: den Ruß aus den Zügen des Ofens entfernen;
13. eine Einheit bildende, sich lang hinziehende landschaftliche, meist bergige Erscheinung: die Züge des Erzgebirges;
14. umg. reibungsloser Ablauf, Ordnung, die jmd. durch gute Organisation, energisches Durchgreifen geschaffen hat: er hatte seine Wirtschaft, Mannschaft gut im Z.; Z. in eine Sache bringen; durch ihn kam ein neuer Z. in die Arbeitsgruppe; Er hatte Zug in den Ort gebracht, alles getan, was zu tun war Seghers 2,67
II. Anzahl miteinander verbundener, eine Einheit bildender Wagen
1. die von einer Lokomotive gezogen werden, Eisenbahnzug: ein fahrplanmäßiger, verspäteter Z.; wann fährt morgens der erste Z.?; im (falschen, überfüllten) Z. sitzen; der Z. aus, von, nach B; ein Z. mit, ohne Speisewagen, Packwagen; dieser Z. hat Wagen 1. und 2. Klasse; der Z. fährt um 3 Uhr vom Bahnsteig 1 ab; der Z. fährt von L nach G; der Z. kam pünktlich, mit Verspätung an, fuhr pünktlich, mit Verspätung ab, hat Verspätung, hat in L zehn Minuten Aufenthalt, endet in S; der Z. zieht an, ruckt an, fährt los, rast vorüber, fährt an diesem Bahnhof durch; der Z. bremst scharf, hält auf freier Strecke, ist entgleist; der Z. verkehrt nur werktags, sonntags; auf dieser Strecke verkehren täglich 20 Züge; durch Ziehen an der Notbremse kann man den Z. anhalten; ich nehme, benutze den Z. um 14 Uhr; den Z. erreichen, verpassen, versäumen, nicht mehr bekommen; umg. einen Z. gerade noch kriegen, schaffen; einen Z. zusammenstellen, abfertigen; die Reisenden stürmten den Z.; jmdn. an den Z. bringen, vom Z. abholen; in den Z. ein-, aus dem Z. aussteigen; ich bin am Zuge und hole dich ab; auf den Z. warten; mit dem Z. fahren; ich komme mit dem Z. um 20 Uhr; die Lokomotive an den Z. ankoppeln; einen Wagen an einen Z. anhängen
2. Lastkraftwagen mit Anhänger(n), Lastzug: Züge mit mehr als drei Achsen, umg. Hängern⌝; drei Züge der Feuerwehr (Feuerlöschzüge) bekämpften den Brand

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Zitationshilfe
„Zug“, in: Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (1964–1977), kuratiert und bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/wdg/Zug>.

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