Deutsches Fremdwörterbuch | |
sensibel |
1. Aufl.
Band 4 (Kirkness u. a. 1978)
Adj., im späteren 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. sensible (〈 lat. sensibilis
‘sinnlich wahrnehmbar; wahrnehmungsfähig’); a zunächst in der Bed. ‘sinnlich (wahrnehmbar, wahrnehmend)', bes. fachspr. in der Medizin für ‘empfänglich für äußere
Eindrücke (psychischer/physischer Natur), reizempfindlich’, bezogen auf die Nerven
(Ggs. insensibel); b seit früherem 18. Jh. auf die menschliche Psyche bezogen in der
Bed. ‘empfindsam, feinfühlig; empfindlich’, auch leicht abwertend ‘überempfindlich,
zartbesaitet, mimosenhaft, leicht verletzlich, reizbar, sensitiv’ (Ggs. unsensibel), auch
auf Gegenstände übertragen im Sinne von ‘vorsichtige Behandlung erfordernd’. Dazu
die seit spätem 19. Jh. (gebucht 1876 bei Kehrein) nachgewiesene Ableitung sensibilisieren V.trans. ‘Empfindlichkeit gegenüber artfremden Eiweiß bei Mensch und Tier
hervorrufen; die Bildung von Antikörpern bewirken’ (zu a), und ‘empfindlich machen
(für die Aufnahme von Reizen und Eindrücken)' (zu b), bes. auch in der Photographie
‘photographische Platten für die Lichteinwirkung empfänglich machen’ mit dem dazugehörigen Verbalsubst. Sensibilisierung F. (-; -en) und der Ableitung Sensibilisator
M. (-s; -en) ‘der photographischen Schicht zugesetzter Farbstoff, der ihre Lichtempfindlichkeit erhöht’, in neuerer Zeit die subst. Gelegenheitsbildung Sensibilismus M.
(-; ohne Pl.) ‘(hochgradige) Empfänglichkeit für Reize, äußere Eindrücke’ (zu b) und
die Personalableitung Sensibilist M. (-en; -en) ‘jmd., der für äußere Eindrücke hochgradig empfänglich ist’.
Belege
Hirsch 1662 Kirchers Musurgia 299
sensibel=vernehmlig;
1705 Auserlesene Anmerk. II
203
[weil] das Blut essen die menschlichen Mores
gar zu sensibel corrumpiret;
1713 Fama XXVI
129
welche durch ein Rohr geschahe / womit die
Urethra aufgeblasen und der Stein heraus gesauget
wurde. Allein weil dieser häufige Gang sehr sensible, und durch das Saugen mehr zusammen
gezogen als erweitert wird / hat sie der Autor vor
unbrauchbar erkläret;
Wernsdorf 1816 briefl.
(Schütz, Leben I 442)
weil ich die Witterung ...
wegen meines sensiblen Körpers scheuen musste;
1844 Handwb. d. Physiologie II 567
sensiblen Nerven;
Holtei 1854 Schneider III 184
sensibles Nervensystem;
Keyserling 1906 Gefüge 314
berühmte
Scheidung [Kants] zwischen sensiblem und intelligiblem Charakter.
Lokal-Anz. 28. 3. 1933
Die Tiere
waren offenbar durch die erste Einspritzung überempfindlich geworden. Sie waren, wie man sagt,
sensibilisiert worden.
Bögner 1930 Mundwasser (Diss.
Erlangen) 3
Sensibilisierung;
Bachmann 1935 Über
die Sensibilisierung von Kaninchen mit menschlichem
Blutserum
(Titel).
Boltz 1731 Kurialrat. 187
An einem
Trauer-Fall und höchst sensiblen Leidwesen um
so mehrers Antheil nehmen;
Moser 1765 Schwäb.
Merkw. 563
nach einem ... sehr sensiblen kleinen
Thermometro Fahrenheitiano;
Lavater 1777 Physiogn. Fragmente III 207
sensibelste Bildung;
Iffland 1785 Die Jäger I 127
sensibles Gemüth;
Goethe
1798 Br. (B XIII 130)
Die Absonderung der
Rollen von einander, durch Kleidung, Gebärde,
Sprache, die Absonderung der Situationen und die
Distinction derselben wieder in sensible kleinere
Theile, ist fürtrefflich (GWB);
1799 Kortum 262
Alle Bauern saßen da stumm und starr wie Pfeiler /
Sperrten thürweit auf Augen, Nasen und Mäuler /
Und die Bäurinnen als von sensiblerer Haut /
Weinten Thränen und schluchzten laut;
Glasbrenner
1836 Bilder I 164
Es gibt keinen sensiblern Menschen als Holtei;
Pückler 1840 Bildersaal I 348
Sehr sensible Constitutionen erreichen diesen
Zweck schon durch das bloße Einreiben in das
Innere der Hand;
Scheffel 1856 Glück (Br.) 36
früher ein tüchtiger in Betreff der Ehre sehr sensibler Kämpe;
Ratzell 1876 Städtebilder a. Nordamerika
I 223
das amerikanische Publikum an einem sehr
sensiblen Punkte, der Bewunderung erfolgreicher,
kühner Unternehmung, fasst;
Senden 1900 Ehen 21
so leicht wie seine sensible Natur sich zu Enthusiasmus und übermütiger Lebensfreude hinreissen
liess, so leicht kam der Rückschlag einer tiefen
Verstimmung;
Zander 1904 Neue Welt 3
weil der
ernste Mann die feine sensible Natur seines Weibes vor den Hässlichkeiten des Lebens ... zu behüten gewusst hatte;
Hesse 1910 Rosshalde 219
das
Kind ist offenbar sensibel und nervös;
Tempo 19. 3.
1933
weiß ich jetzt, daß aus dieser Freundschaft –
bei mir – Liebe geworden ist. Er selbst aber ist
keineswegs sensibel;
Süddtsch. Ztg. 24. 1. 1961
Das nervig nuancierte Piano überwog auf seinem
Programm, das ... einen ungemein farbig und
sensibel aufgefaßten Bach als entfernten Ahnherrn
der Orgelromantik herbeizitierte;
FAZ 22. 3.
1969
Franzose (in der Stadt lebend), Büroangestellter in guter Position ... rege, aber zurückhaltend, gepflegt, zärtlich, sensibel (Anzeige);
ebd.
7. 12. 1970
„Kapital ist sensibel“, meinte ein
Unternehmer in Karachi unter Hinweis auf die
vielen Angriffe, denen sich die Industriellen während der Wahlkampagne ausgesetzt sahen;
B. N.
5. 11. 1971
Wie soll das Regime zum Schutz für
die sogenannten „sensiblen Produkte“ aussehen?
(Das sind die paar Efta-Produkte, deren zollfreie
Einfuhr den EWG-Industrien wegen ... ungerechtfertigter Begünstigung zu scharfe Konkurrenz machen würden);
Mannh. Morgen 3./4.
1976
Ist er nun spröde oder sensibel, fragte sie
sich angesichts seines plötzlich veränderten Gesichtsausdruckes.
Krauss 1965 Perspektiven 266
Die
Herrschaft der Vernunft sieht sich von vornherein durch eine sensibilisierte romaneske Wirkung beeinträchtigt und in Frage gestellt;
Bad.
Ztg. 13. 5. 1970
Ein sehr schöner Film mit dem Reiz
eines alten Familienalbums, dem Parfum der Revolution, mit einem Hauch von deutscher Innerlichkeit, die aber vielleicht den Intellekt sensibilisiert.
Imago 12 (1926) 529
Von Hennings Sensibilisierung ... ist zwar noch ein
weiter Weg, um die Bewußtseinspsychologie an
Freuds Trieb- und Energielehre anzuschließen;
Stenger 1929 Gesch. d. Photographie 31
Sensibilisierungsmöglichkeit des Bromsilbers;
Münch. N. N.
2. 11. 1941
Es zeigte sich, daß die Sensibilisierung
der Farbauszüge für einen jeweils eng begrenzten
Spezialbereich nicht genügte; dort mußten wohl
die Empfindlichkeitskurven ihr Maximum erreichen;
1971 Festg. a. Klett 285
Leidensfähigkeit
läßt sich ... unter anderem als eine Frage der
Begabung, der Phantasie, der Sensibilisierung,
der Nervigkeit, der Steigerung des Talentes erklären.
Otto, Presse 1 (Diss. München
1940)
Naturalismus, Symbolismus, Sensibilismus,
Mystik und Impressionismus sind die Schlagworte,
die das Wesen der Kunst bezeichnen.