ArchivDeutsches �rzteblatt15/2015Infektiologie: Dilemma mit Begriffen und Zahlen

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Infektiologie: Dilemma mit Begriffen und Zahlen

Gastmeier, Petra; F�tkenheuer, Gerd

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Entgegen vieler Medienberichte wird der �berwiegende Anteil der nosokomialen Infektionen durch Erreger ausgel�st, die keine Multiresistenz gegen Antibiotika aufweisen. Die medial dargestellte �bersch�tzung betr�gt Zehnerpotenzen.

Ende M�rz hat das Bundesgesundheitsministerium einen 10-Punkte-Plan zur Vermeidung behandlungsassoziierter Infektionen und Antibiotika-Resistenzen vorgelegt. Dieser wichtige Plan hat in den Medien gro�e Aufmerksamkeit erzeugt. In seiner Pr�ambel wird aufgef�hrt, dass in Deutschland pro Jahr 400 000 bis 600 000 behandlungsassoziierte Infektionen auftreten sowie 10 000 bis 15 000 Todesf�lle damit verbunden sind.

Größenrelation: Nosokomiale Infektionen und Resistenzlage
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Gr��enrelation: Nosokomiale Infektionen und Resistenzlage

In der Presse wurden diese Aussagen vielfach anders interpretiert; es fanden sich Meldungen, dass �nach Einsch�tzung des Gesundheitsministeriums hierzulande j�hrlich zwischen 12 000 und 15 000 Menschen in Kliniken sterben, weil sie sich mit einem Keim infizieren, gegen den kein Medikament mehr hilft� (Quelle: Medscape). Selbst auf der Website des Deutschen �rzteblattes stand am 23. M�rz: �In Deutschland sterben pro Jahr zwischen 10 000 und 15 000 Menschen in den Kliniken, weil sie sich dort mit multiresistenten Keimen infiziert haben.� Die Begriffe

  • behandlungsassoziierte Infektionen
  • Infektionen durch multiresistente Erreger und
  • Infektionen durch Erreger, gegen die kein Medikament mehr hilft

werden leider in der Berichterstattung h�ufig verwechselt.

Dimension des Problems um Zehnerpotenzen �berh�ht

Selbstverst�ndlich hat das Problem der Multiresistenz in den letzten Jahren deutlich zugenommen, aber durch die oft praktizierte Gleichsetzung der Begriffe wird die Dimension des Problems zum Teil um Zehnerpotenzen �berh�ht. Dadurch kann bei den Patienten Unsicherheit und Angst erzeugt werden.

Im Folgenden versuchen wir, das Ausma� der Probleme anhand bestm�glicher Absch�tzung zu beschreiben und die Dimensionen f�r die Begriffe in Bezug auf die Krankenh�user zurechtzur�cken.

Aufgrund der Anteile der verschiedenen Erregerarten bei der letzten nationalen Pr�valenzstudie zu nosokomialen Infektionen und zur Antibiotikaanwendung in Deutschland (Dtsch Arztebl 2013; 110: 627�33) kann man hochrechnen, dass unter der Annahme von insgesamt 500 000 nosokomialen Infektionen (Mittelwert der oben genannten Zahlen) pro Jahr circa 65 000 durch Staphylococcus (S.) aureus bedingt sind, 30 000 durch Enterococcus (E.) faecium, 90 000 durch Escherichia (E.) coli, 18 000 durch Klebsiella (K.) pneumoniae und 28 000 durch Pseudomonas (P.) aeruginosa.

Legt man die Daten der Antibiotika-Resistenz-Surveillance (ARS)-Datenbank des Robert-Koch-Institutes von 2013 zugrunde, so sind 17,1 Prozent der S. aureus-St�mme Methicillin-resistent (MRSA) und 13,2 Prozent der E. faecium-St�mme Vancomycin-resistent (VRE). Bei den gramnegativen Bakterien finden sich Multiresistenzen bei 8,9 Prozent der E. coli-St�mme, 11,2 Prozent der K. pneumoniae- St�mme sowie 13,1 Prozent der P. aeruginosa-Isolate (https://ars.rki.de/). 

Kombiniert man diese Daten, dann ergeben sich circa 11 000 MRSA-Infektionen, 4 000 Infektionen durch VRE, 8 000 Infektionen durch multiresistente E. coli, 2 000 Infektionen durch multiresistente K. pneumoniae und circa 4 000 Infektionen durch multiresistente P. aeruginosa. Damit f�hren diese wichtigsten multiresistenten Erreger in Deutschland zu etwa 29 000 Infektionen. Ber�cksichtigt man weitere seltenere multiresistente Erreger, kann man etwa 30 000 Infektionen durch multiresistente Erreger in Deutschland pro Jahr erwarten. Somit waren 2013 circa sechs Prozent der nosokomialen Infektionen durch multiresistente Erreger bedingt.

Multiresistent ist nicht gleich multiresistent

Auch wenn der Begriff �multiresistent� wichtig und geeignet ist, das Problem der Antibiotikaresistenz zu veranschaulichen, so ist Multiresistenz nicht gleichbedeutend mit �kaum behandelbar�. Beispielsweise steht f�r die Therapie von MRSA-Infektionen heute eine ganze Reihe von Standardantibiotika aus mindestens sechs unterschiedlichen Substanzklassen zur Verf�gung.

Dagegen sind zur Behandlung einer Infektion mit einem voll empfindlichen, also nicht als multiresistent eingestuften P. aeruginosa in der Regel nur vier Substanzklassen vorhanden. Ein normal empfindlicher P. aeruginosa ist also in der Regel schwerer zu behandeln als ein MRSA. Insgesamt ist die Situation aktuell bei den gramnegativen Bakterien problematischer als bei den grampositiven Bakterien. Dennoch gibt es bei den meisten Infektionen mit multiresistenten gramnegativen Erregern noch therapeutische Optionen � zum Beispiel der Einsatz von Carbapenemen.

Die zuvor beschriebene Multiresistenz der gramnegativen Erreger wird nach RKI unterschieden in 3MRGN und 4MRGN (Epidemiol Bull 2011: 36: 337�39). Um 3MRGN handelt es sich, wenn eine Resistenz gegen drei Antibiotikaklassen besteht, aber Carbapeneme in der Regel noch wirksam sind. H�chst problematisch wird die Therapie von Infektionen mit den 4MRGN, also den Erregern, bei denen die wichtigsten f�r die Therapie gramnegativer Infektionen eingesetzten Antibiotikaklassen nicht mehr wirksam sind.

Bisher gibt es nur wenige Daten zum Auftreten von nosokomialen Infektionen durch 4MRGN in Deutschland. Anhaltspunkte k�nnen den Referenzdaten der Erregerkomponente des Krankenhaus-Infektions-Surveillance-Systems (STATIONS-KISS) entnommen werden (http://www.nrz-hygiene.de/surveillance/kiss/stations-kiss/erreger/). Diesen Daten liegen Informationen von 141 Stationen verschiedener Fachrichtungen und von 169 583 Patienten zugrunde.

Danach ist 2013 von folgenden Daten f�r die Inzidenzdichte (F�lle pro 1 000 Patiententage) von nosokomialen Infektionen auszugehen: f�r MRSA 0,05, f�r VRE 0,01, f�r 3MRGN 0,13 und f�r 4MRGN 0,01. Der Anteil der 4MRGN-Infektionen an allen Infektionen durch die genannten wichtigsten multiresistenten Erregerarten betr�gt demnach circa f�nf Prozent. Somit kann man von etwa 1 500 4MRGN-Infektionen ausgehen. Das entspricht einem Anteil von ca. 0,3 Prozent aller nosokomialen Infektionen in Deutschland.

Resistenzdaten beruhen auf Meldungen aus den Labors

Selbstverst�ndlich sind die genannten Zahlen mit einer erheblichen Unsicherheit behaftet, weil sie nicht direkt erhoben wurden, sondern es sich hier um die aus unserer Sicht bestm�gliche Sch�tzung handelt. Insbesondere die Erregerkomponente von STATIONS-KISS wurde 2013 aufgrund der Einf�hrung von neuen Definitionen (3MRGN, 4MRGN) aufgesetzt und beinhaltet aktuell nur die Ergebnisse des Jahres 2013. Hinzu kommt, dass die in der Antibiotika-Resistenz-Surveillance (ARS) des RKI erfassten Resistenzdaten nicht auf klinischen Daten, sondern auf Meldungen aus Labors beruhen. Somit kann dort nicht unterschieden werden zwischen Erregern, die nur eine Besiedlung hervorrufen und solchen, die eine Infektion verursachen.

Ziel des Artikels kann es deshalb nicht sein, die jeweiligen Zahlen mit hoher Pr�zision anzugeben, sondern die erheblichen Unterschiede in der Gr��enordnung zwischen nosokomialen Infektionen, nosokomialen Infektionen durch multiresistente Erreger und kaum noch durch Antibiotika zu behandelnde nosokomiale Infektionen aufzuzeigen.

Bei �bersch�tzung: falscher Einsatz knapper Ressourcen

Das Problem der Zunahme von Antibiotika-Resistenzen bei Infektionserregern ist sehr relevant und darf selbstverst�ndlich nicht verharmlost werden. Vielmehr sollte alles getan werden, damit es nicht zu einer weiteren Ausbreitung wie in anderen Regionen der Welt kommt. Um geeignete Gegenma�nahmen zu ergreifen, sollte aber zun�chst eine m�glichst genaue Bestandsaufnahme erfolgen, und eine �bersch�tzung dieses gef�hrlichen Trends kann zum falschen Einsatz knapper Ressourcen f�hren.

Der weit �berwiegende Anteil der nosokomialen Infektionen wird durch Erreger ausgel�st, die keine Multiresistenz gegen Antibiotika aufweisen. Wirksame pr�ventive Strategien sollten sich deshalb auf eine allgemeine Reduktion der Infektionszahlen fokussieren und d�rfen nicht �berwiegend auf multiresistente Erreger ausgerichtet werden.

Um epidemiologische Trends beurteilen zu k�nnen, m�ssen verl�ssliche Daten zum Auftreten von nosokomialen Infektionen in regelm��igen Abst�nden gesammelt werden. Unabdingbar f�r eine sachgerechte Einsch�tzung ist dar�ber hinaus die klinisch-infektiologische Beurteilung von Resistenzen und Resistenzstatistiken � nur dann k�nnen evidenzbasierte wirksame Gegenma�nahmen ergriffen werden.

Prof. Dr. med. Petra Gastmeier, Institut f�r Hygiene und Umweltmedizin, Charit�-Universit�tsmedizin Berlin

Prof. Dr. med. Gerd F�tkenheuer, Klinik I f�r Innere Medizin, Uniklinik K�ln

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