Bürg­schaft Wie sie funk­tioniert, wofür sie gut ist – und wer wann haftet

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Bürg­schaft - Wie sie funk­tioniert, wofür sie gut ist – und wer wann haftet

Bürg­schafts­erklärung. Wer für einen anderen bürgt, haftet im Ernst­fall für dessen Schulden. © Alamy Stock Photo / BSIP SA

Eine Bürg­schafts­erklärung ist schnell abge­geben. Doch sie bindet den Bürgen viele Jahre lang. test.de erklärt, wie Bürg­schaften funk­tionieren.

Bürg­schaft: Definition und Anwendung

Was genau ist eine Bürg­schaft?

Bürg­schaft heißt: Jemand verspricht, die Schulden einer anderen Person auszugleichen, wenn die selbst nicht zahlt. Das Bürgerliche Gesetz­buch (BGB) wörtlich: „Durch den Bürg­schafts­vertrag verpflichtet sich der Bürge gegen­über dem Gläubiger eines Dritten, für die Erfüllung der Verbindlich­keit des Dritten einzustehen,“ heißt es in § 765 BGB.

Wozu sind Bürg­schafts­erklärungen gut?

Sie dienen der Absicherung von Vertrags­part­nern. Sie sollen sich darauf verlassen können, ihr Geld zu bekommen – wenn schon nicht vom Schuldner, dann vom Bürgen. Je nach Konstellation machen Banken und Sparkassen die Vergabe eines Kredits oder die Bewil­ligung einer Kredit­linie davon abhängig, dass jemand für die Rück­zahlung des Kredits bürgt.

Typischer Anwendungs­fall: Firmen mit der Rechts­form GmbH (Gesell­schaft mit beschränkter Haftung) brauchen zum Wirt­schaften die Möglich­keit, das Konto zu über­ziehen. „Konto­korrent­kredit“ heißt diese Form der Finanzierung. Wegen der beschränkten Haftung solcher Unternehmen machen Banken und Sparkassen eine solche Kredit­linie regel­mäßig davon abhängig, dass der Geschäfts­führer und/oder die Gesell­schafter persönlich für die Rück­zahlung bürgen.

Sind solche Bürg­schaften häufig?

Ja, solche Bürg­schaften sind sehr häufig. Gerade bei Krediten zur Finanzierung von Unternehmen verlangen Banken und Sparkassen ganz oft Bürg­schaften.

Was ist mit Mietbürg­schaften?

Solche Bürg­schaften, mit denen oft die Eltern der Mieter dem Vermieter versprechen, dass notfalls sie die Miete bezahlen, sind vor allem bei Miet­verträgen über die Wohnungen von Studenten häufig. Einzel­heiten dazu in unserem Special zur Mietbürgschaft.

Formales

Kann ich mich auch per E-Mail oder Fax verbürgen?

Nein, die Bürg­schafts­erklärung muss schriftlich vorliegen. Schriftlich heißt laut Bürgerlichem Gesetz­buch: Sie muss unter­schrieben sein. Dafür reicht weder ein Scan der Unter­schrift als Datei­anhang zu einer per E-Mail erteilten Bürg­schafts­erklärung noch ein Fax aus. Zulässig ist es aber natürlich, eine tatsäch­lich schriftlich vorliegende Bürg­schafts­erklärung per Fax zu über­mitteln. Ein mit Computer erzeugtes Fax ohne echte Unter­schrift reicht aber nicht aus.

Wann Sie als Bürge haften

Muss ich auf jeden Fall zahlen, wenn der Gläubiger Zahlung verlangt?

Eigentlich müssen Sie als Bürge nur zahlen, wenn der Gläubiger gericht­lich gegen seinen Schuldner vorgegangen ist, um das ihm zustehende Geld zu erhalten. Erst wenn er erfolg­los einen Gerichts­voll­zieher geschickt hat, sind Sie als Bürge in der Pflicht. Gerade Banken und Sparkassen verlangen jedoch in der Regel Bürg­schafts­erklärungen mit einem sogenannten „Verzicht auf die Einrede der Voraus­klage“. Bei solchen selbst­schuldnerischen Bürg­schaften ist der Bürge im selben Maße in der Pflicht wie der Schuldner. Ist letzterer berechtigt, die Zahlung zu verweigern, dann braucht auch der Bürge nicht zu zahlen.

Tipp: Wenn Sie als Bürge zur Zahlung aufgefordert werden, fragen Sie stets beim Schuldner nach, bevor Sie den geforderten Betrag zahlen. Beachten Sie: Wenn der Schuldner die Zahlung zu Unrecht verweigert hat, kann der Gläubiger oft direkt gegen Sie vorgehen. Ist zweifelhaft, ob der Schuldner und damit auch der Bürge zahlen muss, kann es richtig sein, zwar zu zahlen, aber sich die Rück­forderung vorzubehalten. Lassen Sie sich im Zweifel von einer Verbraucherzentrale oder einem Rechts­anwalt beraten. Wenn Sie die Zahlung zu Unrecht verweigern, können zusätzlich noch Rechts­anwalts­honorare und Gerichts­kosten fällig werden.

In welchen Fällen kann ich noch der Haftung entgehen?

Bürg­schafts­erklärungen können wegen Sittenwid­rigkeit nichtig sein. In Frage kommt das, wenn die Höhe der Bürg­schaft eine krasse wirt­schaftliche Über­forderung des Bürgen darstellt. Es müssen aber noch weitere Umstände hinzukommen. Lassen sich Banken oder Sparkassen von Verwandten Bürg­schafts­erklärungen geben, obwohl diese für die Höhe der Bürg­schaft ein viel zu geringem Vermögen und/oder Einkommen haben, gehen die Gerichte regel­mäßig davon aus, dass eine sittenwid­rige Ausnutzung der emotionalen Beziehung zum Schuldner vorliegt.

Ein berühmtes Beispiel aus der Rechts­geschichte: Als ein Makler im Jahr 1982 bei seiner Sparkasse die Erhöhung der Kredit­linie für sein Unternehmen beantragte, verlangte die zusätzliche Sicherheiten. Sie akzeptierte die selbst­schuldnerische Bürg­schaft der 21-jährigen Tochter des Unternehmers über bis zu 100 000 deutsche Mark (DM). Sie verdiente damals als Arbeiterin in einer Fisch­fabrik 1 150 DM.
1986 geriet der Unternehmer in Schwierig­keiten. Die Sparkasse verklagte die Tochter als Bürgin auf Zahlung von 100 000 DM. Kein Problem, urteilten Land­gericht und Bundes­gerichts­hof.
Doch das Bundes­verfassungs­gericht hob die Urteile auf. „Ist (...) der Inhalt des Vertrages für eine Seite ungewöhnlich belastend und als Interes­sen­ausgleich offensicht­lich unan­gemessen, so dürfen sich die Gerichte nicht mit der Fest­stellung begnügen: „Vertrag ist Vertrag“. Sie müssen vielmehr klären, ob die Regelung eine Folge strukturell ungleicher Verhand­lungs­stärke ist, und gegebenenfalls im Rahmen der Generalklauseln des geltenden Zivil­rechts korrigierend eingreifen. “
Bundes­verfassungs­gericht, Beschluss vom 19.10.1993
Aktenzeichen: 1 BvR 567/89
Land­gericht und Bundes­gerichts­hof rollten das Verfahren darauf­hin neu auf. Diesmal wiesen die Klage der Sparkasse ab. „Die Bank darf (...) nicht an ihren Kunden mit dem Ansinnen heran­treten, ihr als Sicherheit die Bürg­schaft eines Kindes zu geben, das noch geschäfts­unerfahren ist, an der Gewährung des Kredits kein eigenes Interesse hat und bei Eintritt des Risikos voraus­sicht­lich auf längere Zeit nicht in der Lage sein wird, die gesicherte Verbindlich­keit zu tilgen“, begründete der Bundes­gerichts­hof sein Urteil.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 24.02.1998
Aktenzeichen: IX ZR 227/93

Weiteres Beispiel: Die Ehefrau eines Immobilien­unternehmers hatte sich 1993 für die Rück­zahlung eines Kredits verbürgt, den ihr Ehemann zur Finanzierung eines Mehr­familien­hauses aufgenommen hatte. Sie verdiente damals 2 400 DM. Der Kredit­betrag über­stieg 500 000 DM. 2013 nach dem Tod des Unternehmers forderte die Bank von seiner Witwe die Rück­zahlung der Rest­schuld. Das ist sittenwid­rig, urteilte der Bundes­gerichts­hof.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 15.11.2016
Aktenzeichen: XI ZR 32/16

Widerruf der Bürg­schafts­erklärung

Kann ich meine Bürg­schafts­erklärung widerrufen?

Der Bundes­gerichts­hof (BGH) hat geur­teilt: Bank­bürg­schaften sind keine Verträge über Finanz­dienst­leistungen. Der Bürge erhalte ja keine Gegen­leistung, argumentieren die Bundes­richter. Verbrauchern stehe daher kein Widerrufs­recht zu.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 22.09.2020
Aktenzeichen: XI ZR 219/19

Das Urteil ist aber umstritten. Verbraucher­anwalt Achim Tiffe kommentiert es test.de gegen­über wie folgt:
„Dass bei Bürg­schaften der Verbraucher nicht ausreichend geschützt wird, ist ein sehr altes Problem und eigentlich unhalt­bar. Dem Bürgen wird als Verbraucher das Verbraucherrecht versagt, weil er so schwach ist, dass er die Bürg­schaft unterzeichnet, ohne irgend­eine Gegen­leistung dafür zu erhalten. Der verletzliche Verbraucher, dessen Schutz der Europäischen Union ein ganz wichtiges Anliegen ist, wird also zum Beispiel als Darlehens­nehmer geschützt. Der noch verletzlichere Verbraucher, der als Bürge ohne eine Gegen­leistung Verwandten oder Freunden zuliebe eine Bürg­schafts­erklärung unter­schreibt, wird nicht geschützt.“

Umstritten ist darüber hinaus, ob der Bundes­gerichts­hof über­haupt berechtigt war, ohne Einschaltung des Europäischen Gerichts­hofs (EuGH) zu urteilen. Soweit es um die Auslegung von EU-Richt­linien geht, ist allein das EU-Gericht in Luxemburg zuständig. Einzige Ausnahme: Es ist ganz klar, wie die EU-Regeln auszulegen sind. Davon gegen die deutschen Bundes­richter in ihrem Urteil aus. Mindestens ein Bundes­richter aus dem für Bank­recht zuständigen XI. Zivil­senat des Bundes­gerichts­hofs ist allerdings anderer Ansicht. Christian Grüne­berg verweist im wichtigstem Kommentar zum Bürgerlichen Gesetz­buch (Palandt) auf das verbraucherfreundliche Urteil des EuGH zur Bürg­schaft im Fall Dietzinger.
Europäischer Gerichts­hof, Urteil vom 17.03.1998
Aktenzeichen: C-45/96

Rechts­anwalt Achim Tiffe kritisiert: Letzt­lich spiegelt sich in dem Verhalten des fürs Bank­recht zuständigen XI. Senats des BGH, Vorlagen beim EuGH wieder­holt abzu­lehnen, auch der allgemeine Rück­fall in nationales Denken wider – und eine Weigerung, EU-Recht umzu­setzen. Dies ist eine insgesamt sehr bedenk­liche Entwick­lung, von der wir nicht wissen, wo sie enden wird.“

Wird es zu dieser Frage noch ein EuGH-Urteil geben?

Wahr­scheinlich ja. Auch Land- und Ober­landes­gerichte dürfen beim EuGH nach­fragen, wie EU-Richt­linien auszulegen sind. Etliche mit der verbraucher- und EU-unfreundlichen Recht­sprechung des BGH unzufriedene Richter haben zu anderen Rechts­fragen bereits am BGH vorbei den EuGH einge­schaltet. Über kurz oder lang findet sich wahr­scheinlich auch ein Gericht, das in einem Bürg­schafts­fall in Luxemburg nach­fragt, ob Verbraucher ein Widerrufs­recht haben.

Falls der EuGH zum Ergebnis kommt, dass von Verbrauchern gegen­über Banken und Sparkassen abge­gebene Bürg­schafts­erklärungen widerruflich sind, dürften sich Verbraucher von so ziemlich jeder Bürg­schafts­erklärung lösen können.

Recht­licher Hintergrund: Eigentlich ist für den Widerruf nur zwei Wochen Zeit. Die Widerrufs­frist beginnt aber nur zu laufen, wenn Verbraucher korrekt über ihr Widerrufs­recht informiert sind. Da Banken und Sparkassen jedoch davon ausgehen, dass Bürgen nicht widerrufen dürfen, informieren sie auch nicht über ein Widerrufs­recht.

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