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Kanonbildung, die

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GrammatikSubstantiv (Femininum) · Genitiv Singular: Kanonbildung · Nominativ Plural: Kanonbildungen · wird meist im Singular verwendet
Aussprache [ˈkaːnɔnˌbɪldʊŋ]
Worttrennung Ka-non-bil-dung
Wortzerlegung Kanon Bildung
ZDL-Vollartikel

Bedeutung

bildungssprachlich Entstehung oder Festlegung einer für einen bestimmten Zweck, eine bestimmte Tradition in Bildung, Religion o. Ä. als maßgeblich angesehenen Auswahl an gültigen, vorbildhaft geltenden, zu lesenden o. ä. Texten
Beispiele:
Dankbar greifen wir […] nach Strohhalmen[,] die ein wenig Halt und Orientierung zu bieten versprechen – und dementsprechend hat die Kanonbildung auch in der Belletristik wieder Konjunktur: Kritikerpapst Marcel Reich‑Ranicki versammelt unter dem nicht unbescheidenen Titel »Der Kanon« die Creme de la Creme der deutschen Romane von Goethe bis Musil und seine Kollege Joachim Kaiser stellt in seinem »Buch der 1000 Bücher« Werke vor, die, so der Waschzettel, »von Generationen von Lesern verschlungen wurden und bis heute Maßstab geblieben sind.« [Frédéric Beigbeder: Letzte Inventur vor dem Ausverkauf – CulturMag, 13.02.2004, aufgerufen am 31.08.2020]
Der Kulturwissenschaftler Jochen Hörisch leitet den eurozentristischen Wert der Belesenheit als Allgemeinbildung historisch ab und sieht in der Kanonbildung eine Reduktion von Überkomplexität angesichts von inflationärer Textproduktion – seit Erfindung des Buchdrucks um 1450 und durch das Internet ein zweites Mal angeschoben. [Süddeutsche Zeitung, 15.11.2016]
Natürlich ist das Bild anekdotenhaft, und natürlich ist ein Mönch im Kloster nicht halb so originell wie ein Mönch am Meer. Aber warum der eine in Vergessenheit gerät und der andere unsterblich wird, ist nicht leicht zu durchschauen, und so lassen sich in der Ausstellung ganz gut die Gesetze der kulturellen Kanonbildung studieren. [Die Welt, 22.03.2011]
Während in Literatur und Musik längst die Kanonbildung vorangeschritten ist und sogar dünnblütige abendliche Fernsehshows »Unsere Besten« bestimmen wollen, eilt die Architektur hinterher. Dabei ist die Baukunst ihrer unmittelbaren Anschaulichkeit wegen hervorragend dazu geeignet, uns vor Augen zu führen, was überdauern kann, während um uns herum die Fundamente unseres abendländischen Selbstverständnisses brüchiger werden. [Neue Zürcher Zeitung, 18.11.2006]
Rücken nicht, wo ein Kanon fehlt, die Augenblicksprodukte auf den Bestseller‑Listen in die Leerstelle ein, wenn nicht gar Resignation Platz greift? Fundamentalistische und individualistische Argumentationen gegen Kanonbildungen sind weltfremd. Nicht zuletzt gehen sie von der Utopie einer grenzenlosen Lesebereitschaft, Lesefähigkeit und Lesezeit aus. All das ist abhanden gekommen – wenn es überhaupt jemals vorhanden war. Jede Zeit wird einen veränderten Kanon hervorbringen. [Der Tagesspiegel, 29.12.1996]
Von der Kanonbildung der antiken Literatur an, die durch die alexandrinischen Philologen geleistet wurde, ist die ganze Folge der Abschrift und Erhaltung der ›Klassiker‹ eine lebendige Bildungstradition, die nicht einfach Vorhandenes konserviert, sondern als Muster anerkennt und als Vorbild weitergibt. [Gadamer, Hans-Georg: Wahrheit und Methode, Tübingen: Mohr 1960, S. 154]
Als Kriterium für diese Grenzziehung [der Zugehörigkeit von Texten zum Neuen Testament] aber wurde vom 3. Jh. an fast ausschließlich die Frage nach der apostolischen Abfassung der einzelnen Schrift benutzt, während in der ältesten Zeit der Kanonbildung dieser Gesichtspunkt noch nicht allgemein herrschte, wie die Aufnahme der auch nach der Tradition nicht von Aposteln stammenden Evangelien des Mk (= Markus) und Lk (= Lukas) und der Apg (= Apostelgeschichte) in den Kanon beweist. [Lehmann, A.: Bibel. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Berlin: Directmedia Publ. 2000 [1957], S. 3880]

letzte Änderung:

Typische Verbindungen zu ›Kanonbildung‹ (berechnet)

Detailliertere Informationen bietet das DWDS-Wortprofil zu ›Kanonbildung‹.

Zitationshilfe
„Kanonbildung“, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/Kanonbildung>.

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