Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

geträtsch, n.

geträtsch, n.,
jüngere bildung, verbalsubstantiv zu dem mit traschen verwandten tratschen, trätschen. das verbum hat zweierlei bedeutungen, eine sinnliche und eine abgeleitete, vergl. tratschen, trätschen, schallend aufschlagen, klatschen, viel und austragend schwätzen Kehrein volkssprache und volkssitte in Nassau 2, 408; trätschen, rauschend, platzend niederfallen, vom regen, ausplaudern, weitersagen Vilmar 415; trätschen, mit dem fusze treten, stampfen .. klatschen, plaudern, neuigkeiten hin und her tragen Stalder 1, 298; tratschen, plaudern, naschen Schöpf Tirol. idiot. 751. das substantiv ist in der sinnlichen bedeutung nur ganz vereinzelt: heint ist wohl e gedratsch dausz (schneenasses wetter). Schmeller² 1, 681. der allgemeinere gebrauch des substantivs knüpft an die in den verschiedenen mundarten auf verschiedenen grundlagen gleichmäszig entwickelte bedeutung des klatschens, des leeren inhaltslosen geredes an. der erste beleg reicht in das 17. jahrh. zurück: gegen welche sie sich verleugnet ihres getretsches halben. Marburger criminalprocesz 1680 Vilmar 415. litterarisch gewinnt das wort im letzten drittel des 18. jahrh. boden im zusammenhang mit den volksthümlichen bestrebungen Göthes und seines kreises. von hieraus findet das wort auch eingang in die wörterbücher, unter denen die mundartlichen ihm besonderes interesse widmen:
1)
a)
geträtsch, geschwätz von trätschen, traschen, verwirrt betäubend reden, ist vom laut hergenommen. Rüdiger neuer zuwachs der teutschen, fremden und allgemeinen sprachkunde 2, 78. bei Campe 2, 352 findet sich nur ein kurzer vermerk.
b)
das trätsch, geträtsch, stadtgerücht, sinnloses einfältiges geschwätze Stalder 1, 299; getratsch, klatscherei, nascherei Schöpf Tirol. idiot. 751; geträtsch, plauderhaftigkeit Vilmar 415, vgl. Kehrein a. a. o.; geträtsche s. geschwätz Hertel Thüringer sprachschatz 246; geträtsch, geschwätz, klatscherei, üble nachrede Frischbier preuszisches wb. 1, 232.
2)
in der litteratur überwiegt die bedeutung eines unnützen leeren geredes, das vom einfachen mündlichen ausspruch besonders gern auf schriftstellerische erzeugnisse und auf ausgearbeitete vorträge übertragen wurde. die bedeutung des klatsches, die klatscherei, steht hier erst in zweiter linie; in ihr prägt sich das iterative moment aus.
a)
α)
das geträtsche, was durch Zimmermann bey gelegenheit ihrer physiognomik eigentlich über das ganze Hannöverische adelthum verbreitet war, hat ihn in harnisch gebracht. Merck (an Lavater 1778) briefw. 2, 140 Wagner; du hast in Deutschland jetzt ein geträtsch mit einem gewissen Wieland. Göthe (götter, helden und Wieland, Charon zu Merkur) 33, 268; bist doch nie dummer, als wenn du um gottes willen gescheid seyn soltest. was hat das geträtsch von einer gnädigen madam und deiner tochter da vorstellen sollen? das ist mir der alte. dem musz man so was an die nase heften, wenns morgen am marktbrunnen ausgeschellt seyn soll. Schiller (kabale 1, 2) 3, 366; sagte er mit seinem bestialischen dünkel: uns gehört die erfindung, und ihr mögt immerhin ausführen; ehe ich gestern vom papste wegging, haben wir uns besseres ausgedacht. da liesz ich ihn gleich nicht weiter reden und versetzte: weder ihr noch der pabst könnt was besseres erdenken, als wo Christus und sein kreuz gegenwärtig ist. so sagt denn aber euer höfisches geträtsch nur heraus. Göthe (Benvenuto Cellini 2, 6) 34, 264; da das verhältnisz der königin (Elisabeth) zum grafen (Essex) einer regiererin nicht würdig ist, so konnten die verfolger des Essex die würdigsten personen seyn und das ganze stück müszte an tragischer höhe gewinnen; dahingegen das geträtsch der Rottingham, Burleigh und Raleigh empörend, ja ihre endlichen bekenntnisse die krone der charakterlosigkeit sind. Zelter an Göthe (9. 5. 1816) 2, 267; ein wort gab das andre, bis der justitiarius endlich mit seiner hohen weisheit herausrückte. erst machte er einen langen senf, womit er bewies, dasz man bey einer handlung auf die bewegungsgründe sehen müsse, .. dann hub er an von hoher glückseligkeit, und entwicklung, und vollkommenheit, und was des geträtsches mehr ist, zu reden. Siegfried von Lindenberg (Karlsruhe 1791) II (25. cap.), 349; da hätte sie es ja den gevattersleuten können sagen lassen; die würden ihretwegen schon dafür gesorgt haben, zürnte die graue alte, die eben auch nicht sehr appetitlich aussah. da trat Vreneli ins mittel, durch dieses unwürdige geträtsche sehr bemüht. Gotthelf Uli der pächter 15. capitel.
β)
ich habe ein schreckliches momentanes gefühl davon, so scharf und fein und schnell als ein mensch es haben kann, so dasz wohl kein tüttelchen für mich in dem werk .. verlohren geht. aber wenn ich's mit worten sagen soll, so kan ich entweder nichts sagen, oder es wird ein geträtsch von einem commentarius perpetuus daraus. Wieland (an Merck) briefe Mercks bei Wagner (1838) 115; man erhebt nemlich jetzt wieder bei freien politischen untersuchungen ein geträtsch, wie man es ehemals bei religiösen trieb, über exoterische und esoterische wahrheiten. Fichte (über die französ. revolution 1793) 6, 76; so wird alles beschwatzt, beklatscht und in ein literärisches geträtsche aufgelöst, alles mark im thun wird in einen weichen kinderbrey von worten aufgerührt. Görres die heilige allianz und die völker (1822) 161; ein politisches manuskript wurde (von der censur im österr. Italien) stets mit reden empfangen, wie: 'jeder musz mit der regierung zufrieden sein, und das volk ist es auch, also wozu das geträtsch?' H. Reuchlin geschichte Italiens II, 1, 13.
γ)
diese (zuhörer) erkennen es, dasz sie anstatt eines ästhetischen oder philosophirenden geträtsches nun wirklich ächte geschichte hören. Niebuhr (brief vom 8. 8. 1825) 3, 150; die äuszerung Kirchmanns war ganz parlamentarisch, die dummen kerls verstanden sie nur nicht! Vincke machte albernes geträtsch. Varnhagen v. E. tagebücher 6, 91.
b)
der todt einer teuer geliebten freundinn ist noch um mich .. aber ach auch ist mir verboten einen stein zu setzen ihrem andencken, und mich verdrieszt, dasz ich nicht streiten mag mit dem gewäsch und geträtsch. Göthe (an Kestner 21, 473) br. 2, 82; jeder wuszte haarklein alle die heillosen dinge, die in dem buche — nicht standen .. wuszte auf ein haar, dasz freundschaft, rechtschaffenheit, achtung gegen würdige männer, und was weisz ichs? von dem ruchlosen verfasser dieses ehrvergessnen buchs gottloser weise unter den frevelnden fusz getreten wären .. ein Duns erzählte die neue mähr dem andern Dunse .. unterdessen nun, lieber sultan, dasz das geträtsch so einige tage dauerte, lief allmählich das buch von hand in hand. Siegfried von Lindenberg (1791) 1. vorr. 22;
skorpionen zerquetsche,
so heilt das œl den stich.
mückenstich heilt für sich;
gieb nicht acht auf geträtsche!
vergebens hüllst du in den mantel
der unschuld dich;
er schützt nicht gegen der tarantel
verläumdung stich.
Rückert (vierzeilen) 7, 497;
von Napoleon ist in diesem augenblicke keine rede mehr; hier denkt niemand mehr an seine asche, und das ist eben sehr bedenklich. denn die begeisterung, die durch das beständige geträtsche am ende in eine sehr bescheidene wärme übergegangen war, wird nach 5 monden, wenn der kaiserliche leichenzug anlangt, mit erneuten bränden aufflammen. H. Heine Lutetia 12. brief.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 12 (1897), Bd. IV,I,II (1897), Sp. 4427, Z. 28.

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Zitationshilfe
„getratsch“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/getr%C3%A4tsch>.

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