undeutsch
Bedeutungsübersicht
- als nicht typisch deutsch geltend
- a) untypisch für Deutschland oder abweichend von, nicht wie in Deutschland
- b) [besonders nationalsozialistisch] dem Deutschtum, der Vorstellung darüber zuwiderlaufend
DWDS-Vollartikel
Bedeutung
als nicht typisch deutsch geltend
Die Verwendung des Ausdrucks undeutsch setzt voraus, dass eine Sprechergruppe über einen mehr oder weniger einheitlichen Bestand an Vorstellungen, Konzepten, Kriterien usw. darüber verfügt, welche Eigenschaften, Normen, Werte, Verhaltensformen o. Ä. dem Deutschsein zuzuschreiben seien. Die Vorstellungen darüber, was als undeutsch anzusehen sei, variieren in Abhängigkeit vom subjektiven Empfinden. Manche assoziieren mit diesem Ausdruck eine Zuschreibung bzw. Festschreibung kultureller Differenz und lehnen ihn deshalb ab.
Kollokationen:
als Adjektivattribut: undeutsches Verhalten
a)
untypisch für Deutschland oder abweichend von, nicht wie in Deutschland
Kollokationen:
mit Adjektivattribut: undeutsche Leichtigkeit
Beispiele:
Der Umzug in die neue alte Hauptstadt wird begleitet von der
Aussicht auf einen rot‑grünen aufgeklärten Pragmatismus. Schon
beobachtet man allenthalben eine neue Leichtigkeit, eine geradezu
undeutsche Gelassenheit und heitere
Nüchternheit in den Köpfen und in der Politik. [Die Zeit, 29.10.1998]
Ein Design‑Manager liebt Offenbach als »bunteste und
undeutscheste deutsche Stadt … fast wie
Urlaub«. [Frankfurter Rundschau, 30.07.2009]
Die [Präsidentschafts-]Wahlen
[der USA]
[…] werden da gewonnen, wo es politisch
unkorrekt zugeht, wo Amerika am amerikanischsten und damit am
undeutschesten ist, wo man große Autos fährt,
Waffen trägt, die Todesstrafe als unverzichtbar betrachtet – und wo am
Eingang des Supermarkts steht: Wir unterstützen unsere
Truppen. [Der Spiegel, 25.08.2008 (online)]
Erstaunlich[,] wie vorauseilend der
Deutsche im Gehorsam sein kann, wenn es darum geht, sich besonders
undeutsch, also lebendig, locker, sinnlich
und beweglich zu zeigen. [Berliner Zeitung, 16.09.2005]
Nichts ist undeutscher als ein Lob
Deutschlands, denke ich. Aber undeutsch sein zu
wollen ist eben auch eine typisch deutsche Sehnsucht, das ist wieder der
Haken. [Basler Zeitung, 24.01.2001]
Da hat sich eine Erzählerin den Ruf einer Seelenergründerin
erworben, die amourösen Verwirrungen witzig, unverschmust, ja mit einem
geradezu undeutschen Sinn fürs Frivole
nachzuspüren versteht, und schon setzt Sibylle Mulot das wohlerworbene
Renommee aufs Spiel, indem sie ihren nunmehr dritten Roman besonders
ernst, deutsch und gründlich nimmt. [Der Spiegel, 27.02.1995]
b)
besonders nationalsozialistisch dem Deutschtum, der Vorstellung darüber zuwiderlaufend
Kollokationen:
als Adjektivattribut: undeutscher Geist; undeutsches Schrifttum; undeutsche Literatur, Schriften
Beispiele:
Auf dem Archivfoto vom 10. Mai 1933 werden Bücher auf dem
Berliner Opern‑Platz verbrannt. Es war einer der Höhepunkte der von der
Deutschen Studentenschaft geplanten und durchgeführten »Aktion wider den
undeutschen Geist«, in deren Rahmen
zehntausende Bücher verbrannt wurden. [Der Standard, 08.05.2008]
Seine [Ludwik Zamenhofs] Absicht
war, mit einer leicht erlernbaren, neutralen Sprache nationalistische
Barrieren zu durchbrechen und grenzenlose Verständigung zu ermöglichen.
[…] Im nationalsozialistischen Deutschland
[…] wurde die Esperanto‑Bewegung als
»jüdisch und undeutsch« verboten, im Stalinismus
der Sowjetunion wurden Esperantisten als Kosmopoliten und angebliche
Spione verfolgt. [Der Standard, 12.12.2014]
[Des Komponisten Hans] Pfitzners
haßerfüllt antisemitische Ausbrüche sind seit 1919 dokumentiert. Er
begrüßt den Nazistaat, nicht zuletzt wegen der »Ausmerzung
undeutscher Elemente in der Musik«. Er
beklagt »völkerfeindlichen Internationalismus in der Kunst, der die
Herzen der Völker vergiftet«, eine »international bolschewistische
Umsturzarbeit«, an der »die Alljuden beteiligt sind« (1926). [Süddeutsche Zeitung, 12.06.1996]
In Kiel sind von den Studenten undeutsche
Schriften ihrer bisherigen und nicht mehr tragbaren Lehrer auf den Index
gesetzt worden. Darunter Kroner, der extrem deutsche, und Otto
Klemperer, Georgs Ältester, Physiker. Hier soll Ähnliches
kommen. [Klemperer, Victor: [Tagebuch]. In: [ders.]: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Berlin: Aufbau-Taschenbuch-Verl. 1999 [1933], S. 24]
Die Aufgaben, die vor uns liegen, sind groß und gewaltig.
Politisch ein Aufatmen durch die Nation, beseitigt alle Hemmungen, alles
undeutsche Wesen, wirtschaftlich die
Möglichkeit der erneuten freien Entfaltung. […] Wir geben unserem Reichsstatthalter
[…] unserseits das Versprechen, dass, wie
wir ihn aus freiem Entschluss heraus, uns erbeten haben von den höchsten
Stellen, dass wir ihm treue Gefolgschaft im Sinne
nationalsozialistischen Denkens halten werden. [Amtseinführung des Reichsstatthalters Carl Röver in Bremen, 13. Mai 1933]
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