Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

übergang, m.

übergang, m.,
ahd. uparkanc, uperganch Graff 4, 100; mhd. überganc mhd. wb. 1, 476ᵃ; Lexer handwb. 2, 1615. ahd. und mhd. nur durch glossatoren bezeugt.
A.
transmigratio Diefenbach mittell.-hochd.-böhm. wb. 267; überganck oder ganck, transitus voc. theut. (1482) hh 7ᵃ; Diefenbach 226ᶜ, 593ᵃ/ᵇ s. vv. fase, transitus, transiectio; transitio Dentzler clavis ling. lat. (1716) 295ᵃ; Steinbach 1, 551.
1)
übergang, über einen flusz, ein gebirge, durch ein land u. ä.
a)
er (Edom) wolt nit gehellen den flechenden, das er verleiche den ubergang durch sein enden (Luther: durch ire grentze zu ziehen) numeri 20, 21 erste deutsche bibel; auf welchem (brücklein) ... ein groszer lew lage, welcher dem ankommenden den übergang zu verwehren dahin geordnet schiene A. U. v. Braunschweig Octavia (1677) 1, 213; er wollte jetzt zur insel hinüber, und Viktor sah doch kein mittel des übergangs Jean Paul 7, 157; ein gefrornes meer ... welches denn den übergang von menschen und thieren noch hat erleichtern müssen neuest. aus d. anmuth. gelehrsamk. 3, 382;
der Lutetier entfloh seinem lorberreichen schwerte,
als er ihm den übergang über eine brücke wehrte
Schönaich Heinrich d. vogler (1757) 90;
die brücke war durch die gewalt der wogen
hinweg geschwemmt, der übergang entzogen
Gries Ariostos rasender Roland 1, 229;
Caesars übergang über den Rubikon Matthisson schr. 5, 171; Schill's übergang über die Elbe Steffens was ich erlebte 6, 195; den übergang über den Ticino erzwingen Raumer gesch. d. Hohenst. 4, 184; der übergang über die brücken wird jedesmal mit einem halben sous bezahlt Pückler briefwechsel u. tageb. 2, 285; der abzug des feindes war unterbrochen und ein tag für den übergang der ... armee über die Mosel gewonnen Moltke ges. schr. u. denkw. 3, 33. mit gen. statt präpositionalverb.: gefecht und übergang der brücke von Lodi Göthe I 49, 414 Weim.; freilich mögen solche waaren besonders beim übergang der gebirge viel zu leiden haben IV 29, 211 Weim.; mit zielangabe: vielleicht hatte dieses land den menschengeschlechtern aus Asien den übergang nach unserem welttheil erleichtert J. v. Müller sämtl. werke 1, 39; zur zeit des übergangs der Asiaten nach Amerika Peschel völkerkunde 428; schiffe, die ihnen den übergang nach Asien wehren sollten Ranke 8, 4; übergang der speisen aus dem magen in die gedärme Bremser 229.
b)
der ort des überganges: spricht r(abbi) Salomon, dasz der storch seinen übergang übers meer, und auch zurückgang wisse Prätorius winterflucht d. sommervögel (1678) 75; in der neueren sprache allgemein: der übergang über die Saone sollte hartnäckig vertheidigt werden Schreyvogel ges. schr. 1, 170; Napoleon beherrscht ... die Rhone mit ihren übergängen Görres ges. schr. 2, 497; in den pässen und gebirgen und bei den übergängen der ströme Arndt schr. f. u. an s. l. Deutschen 1, 238; es waren alle übergänge der bahn abgesperrt Hoffmann v. Fallersleben ges. schr. 7, 240; alle ... stimmten überein, dasz der feind wie in Glatz so auch noch näher den vornehmsten übergängen über das gebirge ... verstärkungen an sich ziehe Ranke 28, 394; Newa steht wie granit und trägt frachtwagen und straszenlaternen im eis auf den übergängen Bismarck br. a. s. braut u. gattin 409. concret für brücke: steine, die ... einen übergang von einem ufer zum andern bildeten Fontane ges. werke I 6, 70.
2)
in bildlichem gebrauch schon früh, besonders aber seit dem 18. jahrh. beliebt:
a)
übergang zum feind Hederich (1729) 2402; übergang einer festung, la prise Frisch dict. (1719) 567; Staub-Tobler 2, 340; übergang der stadt expugnatio urbis Stieler 638; nach übergang der stadt Chemnitz schwed. krieg 2, 663; augstmonat welcher den Jüden in dem übergang der stadt Jerusalem ein angstmonat ist geworden Prätorius saturnalia (1663) 14; sie vermutheten gleich, dieses würde des Pharasmanes übergang zu den Meden bedeuten A. U. v. Braunschweig Octavia 5, 394; der übergang von einem herren zu dem andern M. J. Schmidt gesch. d. Deutschen (1778) 1, 235; übergang der Sachsen bei Leipzig Bismarck gedanken u. erinnergn. 2, 111 volksausg.;
vielleicht dasz man dort vom gefechte,
vielleicht vom übergang der stadt dir nachricht brächte
Ayrenhoff 2, 57, 10.
b)
übergang zu einem anderen glauben, syn.: übertritt. übergang der fürstin von Liegnitz zum evangelischen glauben Matthisson schr. 8, 29; keines fürsten übergang zur lutherischen partei hatte so viel aufsehen gemacht als eben dieses (d. hochmeisters d. deutsch. ordens) M. J. Schmidt gesch. d. Deutschen 5, 190; freunde welche ich meines übergangs zur katholischen religion wegen verloren habe Stolberg kriegsabfertigung (1820) 18; übergang des kaisers und seiner familie zur römischkatholischen kirche Ritter erdkunde 1, 226.
c)
übergang vom leben zum tode, euphemistisch für sterben, tod: man müszte die wichtigste veränderung die sich mit einem sterblichen nur zutragen kann, nämlich den übergang vom leben zum tode, für nichts halten neuest. aus d. anmuthigen gelehrsamk. 5, 308; er hat sie vor ihrem übergang in jenes leben noch getröstet und gesegnet Miller briefwechsel dreier ak. freunde (1778) 1, 117; mir ist, als wär't ihr im übergang, mir schon nicht mehr nah, als ginge euer weg zu den sternen maler Müller 3, 290; in dem moment seines (Göthes) übergangs nach jenseits Bettine in schr. d. Göthe-ges. 14, 284; freunde, deren seelenspeise er bleiben wird bis zu ihrem übergang ebenda 14, 280;
was ihr tod nennt, ist nicht tod,
ist euch ein froher übergang
in der engel lobgesang
J. A. Schlegel verm. ged. 2, 14;
und bin ich dann gerächt,
wenn ich in seiner heiligung ihn fasse,
bereitet und geschickt zum übergang?
Shakespeare 3, 267.
d)
übergang in anderen besitz u. ä.: übergang der ... landschaft in römischen besitz Mommsen röm. gesch. 1, 329; der übergang des dienstguts auf die tochter Eichhorn deutsche staats- u. rechtsgesch.³ 2, 572; übergang des kaiserthums von Maximilian auf Carl V. Ranke 1, 216; übergang der herzogskrone an den jüngeren bruder Treitschke deutsche gesch. im 19. jahrh. 4, 113. landschaftlich verengt: versteigerung, auction, la vente publique Gangler 230; Follmann lothr. ma. (1909) 262ᵇ; lux. ma. (1906) 194ᵇ.
e)
übergang von, aus einem zustand, zu einem, in einen anderen: übergang vom handwerk zum maschinenwerk Göthe IV 10, 294 Weim.; übergang von der gauordnung zu der städtischen Mommsen röm. gesch. 5, 81; übergang aus einem beruf und stand in den andern Freytag ges. werke 18, 118; übergang vom krieg zum frieden Bismarck gedanken u. erinnergn. 2, 118 volksausg.; übergang von kontinentalem zu ozeanischem klima Hoops waldb. u. kulturpl. 57; der übergang der seele von vernunft zu leidenschaft ist überaus schnell Heinse 3, 114 Schüddekopf; welcher plötzliche übergang von bewunderung zum schrecken! Lessing 2, 342; übergang von schwermuth zu entzückung Wieland Agathon 1, 237; ein rascher übergang von guter in schlechte laune Ebner-Eschenbach 4, 245; übergang vom wachen zum schlaf Mörike 3, 55. auch pl.: die übergänge von lachen zu thränen waren bei ihm unglaublich rasch Immermann 2, 158; die übergänge aus freude in schmerz O. Ludwig 5, 95. wandel, veränderung, umgestaltung: übergang des gelben ins blaue G. Keller ges. werke 1, 150; übergang der templerei in den bruderorden des st. Johannes Gutzkow ritter vom geist 1, 103. auch ohne präpos.-ergänzung: das bedeut des papst verlierung seiner macht, und ein grosz ubergang und ein schwer wetter Paracelsus opera (1616) 2, 588 Huser; wir leben in einer zeit des überganges Riehl deutsche arbeit 134; alle übergänge sind krisen Göthe I 23, 142 Weim.
f)
als terminus d. rhetorik u. musik: die verschiedenen arten, wie redner und dichter von einem gedanken auf den folgenden ... übergehen Sulzer theorie d. schönen künste 5, 612; seine ordnung bestehet blos in rednerischen übergängen Abbt verm. werke 6, 3, 51; die kunst der wendungen und übergänge Athenäum 2, 310; verschleifungen und übergänge Laistner nebelsagen 28; so steht auch als übergang dieser lustige auftritt sehr an ort und stelle Herder 16, 100; wir lassen uns von unserm autor weiter führen, er bringt uns durch einen leichten übergang auf eine bedeutende stelle Göthe I 45, 269 Weim.; die musik wechselte ... unaufhörlich, und so wunderlich und hart auch die übergänge nicht selten waren, so schien doch nur ein einfaches thema das ganze zu verbinden Novalis 4, 183; nun vernahmen sie eine weise nach der andern, verbunden durch die seltsamsten übergänge E. Th. A. Hoffmann 10, 49 Grisebach; wie ein guter dichter liebt die natur keine schroffen übergänge Heine 3, 25;
darauf fuhr er nach einiger pause
so mit lieblichem übergang fort in seiner erzählung:
Zachariae poet. schr. 9, 226.
g)
nuance, verbindung, zwischenstufe, auch concret (vergl. Heynatz antibarb. 2, 489): von wo aus wir dies ganze ... nicht als etwas für sich bestehendes, sondern als einen übergang, eine vorbereitung ... erblicken Europa (1803) 2, 85; der erste grad (einer philosoph.-mystischen gesellsch.) hiesz der übergang, der zweite des übergangs übergang Göthe I 28, 137 Weim.; so sammelte er ... jede einzelne (vogel-)art in den verschiedensten farben und übergängen I 34, 1, 142 Weim.; (tod und leben) sind glieder einer stetigen reihe von veränderungen, die durch stufenweise übergänge mit einander auf das genaueste verbunden sind Moses Mendelssohn (1843) 2, 128; geist und gefühl! wie viele übergänge werden erfordert, bis diese heterogena harmonisch sich nahen maler Müller 2, 120; es mag sein, dasz Montesquieu nur der übergang zum neueren gewesen Haller restaur. d. staatswiss. 1, 58; eine ununterbrochene reihe der ... mannigfaltigsten übergänge ... verbindet die ganze thierwelt Büchner kraft und stoff 79; so müszten zwischenformen und übergänge von jenen affen ... zu den heutigen menschen irgendwo entdeckt werden Peschel völkerkunde 5; bildet hier vielmehr der Sauerländer den übergang vom friedlichen haidebewohner zum wilden ... insassen des Teutoburger waldes Droste-Hülshoff 2, 342; der krückfusz bildet recht eigentümlich den übergang zwischen wasser- und landgewächsen Allmers marschenb. 1, 108.
3)
in temporalem gebrauche: vorübergehendes ereignis, vorübergehender zustand, dann auch bagatelle.
a)
ir solt euch nit betrüben, dan es ist ein wölckchen und ein behender übergang Hedio chron. Germ. (1530) P 3ᵃ; es ist alles nur ein übergang in der welt, und kein bleibende statt Franck chron. Germ. (1538) 3; dieweil derselb schmertz nur ein kurtzer ubergang, ... also das auch die gedechtnusz darvon nicht uberbleibt Fischart geschichtklitterung 155 neudr.;
buckt üch, ir wyber, im anefang,
es ist doch nun ein übergang
Murner gäuchmat 59;
nur gedult! wenn neider prahlen,
denn es ist ein übergang:
eh wir oft die hand verkehren,
wird ihr lachen schon zu zähren
Günther ged. (1751) 211.
b)
verengt: kleine nicht sonderlich besorgnis erregende krankheit Frischbier 2, 418ᵃ; ähnlich Wöste 192ᵃ; vgl. auch Zahler d. krankheiten im volksgl. des Simmenthales 14; Staub-Tobler 2, 340; sprichw.: 't isz man 'n övergang, säh de fosz, do trukken se hüm 't fell över de oren Stürenburg (1857) 163ᵃ; Danneil 9ᵃ; ich freue mich, ... dasz die hypochondrische laune, ... nur ein übergang gewesen Lessing 18, 116; 's ist ... gleich wieder vorbei, nur ein übergang H. L. Wagner theaterstücke (1779) 129.
c)
hiezu das dimin. ein übergängli pluvia brevis, haud continuanda Schönsleder prompt. (1647) S 2ᵇ; übergänglein, pluvia transiens, brevis Dentzler clavis ling. lat. (1716) 295ᵃ; übergängelchen, vorübergehender regengusz Albrecht Leipziger ma. (1881) 226ᵃ; übergangel Hügel Wien. dial. 169ᵃ; Schmidt westerwäld. idiot. 275.
4)
als verdeutschung von pascha, osterfest vereinzelt im 16. jahrh., vergl. Diefenbach gloss. 415ᵃ, s. v. pascha: übergang, fur sich gang, wandelung.
B.
zu übergehen I 3 (s. u.).
1)
in sinnlicher bedeutung nur occasionell: inundatio Diefenbach nov. gl. 220ᵇ; den andern tag hernach ... ist zu Rom durch übergang der Tiber bei hellem himmel ein unerhört gewässer kommen Adam Reiszner hist. herrn v. Frundsberg (1572) 194ᵇ; geelsucht (ist ein) übergang der gallen Paracelsus opera (1616) 1, 657 Huser.
2)
in abgezogener verwendung in der älteren sprache für excessus, schon ahd., s. Graff a. a. o.; Diefenbach gloss. 215ᵃ; do ist Beniamin der jüngling, in dem ubergang des gemütes (vulgata: in mentis excessu, Luther: im geiste entzuckt Bindseil 3, 174, var.) ps. 67, 28 erste deutsche bibel; so sol geschehen ain auszgang, ja ain übergang auss im selber und über in selber Tauler sermones (1508) A 2ᵃ; das du got ... anruffest usz gantzem hertzen mit intringlichem gebet eynes übergangs dins gemüts zu got Keisersberg bilgersch. 64ᵈ; do seind erschinen ... Moyses und Helias ... und habent geredt mit im (Jesus) von dem übergang oder überschwangk und uszbunt, den der herr künfftig ward zuvolbringen derselbe post. 2, 29ᵇ.
3)
verengt aus 2): überganck der sund halben oder übertretung voc. theut. (1482) h h 5ᵇ; übergang der schuld voc. scripturarum s. v. excessus: du unerest got durch den überganck der ee (vulgata: per praevaricationem legis; durch die übertrettung Zainerbibel) Röm. 2, 23 erste deutsche bibel.
4)
in der jägerspr.: das hinausschieszen des leithundes über die wildspur aus zu groszer hitze Krünitz 192, 347.
C.
fachausdruck der kupferstecher für die ersten operationen der zubereitung der kupferplatte Jacobsson (1784) 4, 466ᵃ.
D.
composita mit d. bestimmungswort übergang sind in d. neueren sprache, besonders in der bedeutung evolution, sehr zahlreich: übergangs-abgaben, pl. binnenzölle Elster 2, 712. —
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 2 (1918), Bd. XI,II (1936), Sp. 245, Z. 20.

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Zitationshilfe
„ubergang“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/%C3%BCbergang>.

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