Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

unzahl, f.

unzahl, f.,
in der heutigen hauptbed. zahl 4, 5 mit un IV D entsprechend, ursprünglich nichtgezähltes, nicht zu zählendes. erst seit ende des 15. jhs. literarisch bei uns bezeugt; an. útal, útala; isl. ótal; mnd. untal; mnl. ontale; nl. ontal. die sprachkritik des rationalismus lehnte das wort ab; Adelung liesz es aus, und Heynatz bemerkte im antibarb. 2, 542, es verdiene schwerlich empfehlung. innummerabilitas ein unzal Frisius, Schönsleder. die untzale A. v. Eyb spiegel d. sitten (1511) a 5ᵃ wie mhd. zale, mnl. ontale. mundartlich z. b. bei Fischer schwäb. wb. 26, 281, Schmidt Westerwald 285 bezeugt. eine mnd. bed. 'unbeschränktes hieb- und weiderecht an einem walde' Lübben-Walther 443ᵇ und die mnl. formel tale ende ontale rechtmatige en onrechtmatige rechtsgronden (mnl. wb. 5, 960) sind nicht hd. (vgl. zahl 2). für myriade Campe verd. wb. (1813) 430ᵇ.
1)
zahl 3 entsprechend, was nicht zu zählen ist: ein mädchen, das mit dem teufel unzucht getrieben, hat zu allen zeiten ausz irem vordern leib ... negel, glasz, holtz, haar ... und dergleichen ding so viel gebracht, dasz es ein unzal Ruoff hebammenb. (1580) 147. veraltet.
2)
zahl 4/5 entsprechend. magnum numerum ein unzaal oder vast groszen haufen Frisius 884ᵇ. a) mit genitiv. α) ohne artikel, ursprünglich vielleicht in mischung mit ohne zahl (zahl 3). in den beiden ersten belegen ist auffassung nach 2 c möglich:
ich hab mich gar gröblich verschult
mit unzal sunden grosz und schwer
H. Folz fastnachtsp. 2, 1202 Keller;
hor, mugen unzal augen hie
das weit und hoch corpus der sun
in sich begreifen ..., worum solt
der her Cristus, wor mensch und got,
in unzal selen, so er wolt,
nicht geistlich sein?
meisterlieder 24, 175 ff. Mayer;
di schlang, erhöhet an dem pfal,
verwundter menschen haylt onzal
Schwarzenberg der kummertrost 154ᵛ ᵃ;
denn unzal ungmachs
ist menschlich leben, spricht Hans Sachs
H. Sachs 19, 386 G.;
sölcher fisch werdend unzal ... gefangen Forer Geszners thierb. (1563) 3, 2; dieser artikellose gebrauch ist veraltet. anders: die zahl seiner genossen hiesz unzahl Fouqué gefühle 2, 262;
ob ihm gleich der mohren unzahl
schier das sonnenlicht benahm
Geibel 8, 137.
β) mit bestimmtem oder unbest. artikel: ein u. der figuren und formen Paracelsus (1616) 2, 132 b H., der greulichen laster H. Sachs 2, 393, 26 K.; der meerkatzen ein u. Forer Geszners thierb. (1563) 5ᵇ; raubgut, dasz er ein onzal bekommen Stumpf Schweizerchron. 206ᵇ ; der fröschen ein u. Weckherlin 2, 159 F.; der Römer aber eine u. ... sollen geblieben seyn S. v. Birken Donaustrand (1684) 67; eine u. solcher nachbildungen Göthe 49, 185 W., dramatischer schriftsteller IV 26, 188 W., guter blätter IV 29, 162 W.; solcher einfacher ... substanzen nahm er ... eine u. an Schopenhauer 4, 93 Gr.; eine u. sogleich zu beantwortender briefe Holtei erz. schr. 38, 43, neuer mysterien Fr. A. Lange gesch. d. materialismus 20, anspruchsvoller nullitäten Mommsen röm. gesch. 2, 262; eine wahre (auch ganze) u. besonderer gruppen W. H. Riehl d. d. arbeit 247. die untzale der wunder gots A. v. Eyb spiegel d. sitten (1511) a 5ᵃ;
die menge macht mich arm; ich kan nicht zierden haben,
zu streichen zierlich ausz die unzahl eurer gaben!
Logau 569 E.;
zehl die unzahl meiner wunden
S. Dach 597 Ö.;
aufliegen hab ich than meinn rücken,
und die unzahl verfluchter mücken!
Göthe 16, 82 (Satyros 2, 97) W.;
die u. der gelben ... blümlein Stifter 5, 1, 310. b) mit von (Behaghel d. syntax 1, 533 ff): eine u. von mobeden Göthe 7, 24 W., von briefen Fr. Schlegel jugendschr. vorr. 4, 4 M., katzen Brentano 4, 239, rollen E. Th. A. Hoffmann 4, 55 Gr., von idolen und tempeln Ritter erdkunde 2, 209, streitigkeiten Ranke s. w. 4, 93, begriffen L. Boltzmann populäre schr. 147. c) in appositiver verbindung (Behaghel d. syntax 1, 539 f, vgl. oben Folz): sie habend die juden ein unzal zuͦ tod geschlagen Keisersberg postill 3, 96; mit unzal meerwundern und fischen H. Sachs 6, 48 K.; mit onzal schiffen Fischart verzeichnusz 353 Kurz; eine u. verbindlichkeiten, kartenspiele, matronen, herren, haifische, liederbücher, stiefel, bleistiftstudien, raupen, späsze, wahrsager u. s. f. Göthe 17, 16 W.; 33, 139 W.; Niebuhr röm. gesch. 3, 414; Hauff (1890) 3, 10; Chamisso (1836) 1, 239; Gervinus gesch. d. d. dicht. 2, 285; S. Brunner erz. u. schr. 1, 108; G. Keller 2, 20; 1, 99; 6, 165; Mommsen röm. gesch. 2, 16. d) in u.: spinner und weber in u. Göthe 25, 103 W.; gefangene in u. IV 19, 217 W.; schriften, die in u. erschienen sind Steffens was ich erlebte 1, 226; Holtei 40 jahre 1, 309;
wo (im krater des Vesuvs) im sturmschritt mächtiger donner machtvoll
aus dem anwuchsdrohenden, steilen kegel
fort und fort auffahren in goldner unzahl
flammige steine
Platen ges. w. 2 (1848), 193.
e) in verb. mit andern präpositionen: ausz unsrer u. Weckherlin 1, 358 F.; hat je nur von einer solchen u. (von freunden) gehört? K. Fr. Cramer Neseggab 1, 15; es ist auszerordentlich ..., eine speise zu vervielfältigen, dasz sie für eine u. hinreiche Göthe 24, 252 W.; in dieser u. (liedern) aber nichts zu übersehen, wer vermöchte das? R. Schumann ges. schr. 2, 136. an überzahl reichend: unmöglich, sich gegen diese u. zu halten Grabbe 3, 245 B.; andere (naturforscher) halten zu sehr auf facta und sammeln deren zu einer u., wodurch nichts bewiesen wird Göthe gespräche 6, 361 B.;
titanen ... toben, wie ... flocken des schnees,
und ähnlich an unzahl
wimmelndem sternengewühl
J. H. Vosz kritische blätter 2, 377.
f) ohne solche bestimmungen:
wie viel er (Karl August) ausgespendet,
auch weit und breit vollendet,
die unzahl sich verbündet,
unsäglich glück gegründet,
das wiederholet
das leben entlang
Göthe 3, 70 W.;
wo das schöne, stets das neue
immer wächst nach allen seiten,
dasz die unzahl sich erfreue
6, 271 W. (gute nacht 14).
3)
zahl 6 entsprechend, vielleicht ungerade zahl:
welches die drei uns mahl,
der ungleichen anfang, desz herren eigne zahl,
do die zahl und unzahl lieblich beisam bestehet
Tobias Hübner die andere woche (1622) 349; Treuer Dädalus (1675) 1, 114.
4)
unsicher bleibt:
des volks hab wir an onzal gfangen
Schmelzl David (1545) 14ᵃ;
ist u. wie ein zahlwort behandelt? für in geringer unnzal (quelle bei Fischer schwäb. wb. 6, 281, 2) ist anzal vermutet.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 15 (1933), Bd. XI,III (1936), Sp. 2263, Z. 48.

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Zitationshilfe
„unzahl“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/unzahl>.

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