Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (WDG)

WDG, 5. Band, 1976

treiben

WDG, 5. Band, 1976
treiben, trieb, hat getrieben/ ist getrieben
I.
1. jmdn., etw. durch Beeinflussung, durch eine bestimmte Handlung zur Fortbewegung bringen(hat)
a) ein Tier, jmdn., etw. zum Fortbewegen in eine bestimmte Richtung, an einen bestimmten Ort veranlassen: das Vieh, die Kühe, Pferde auf die Weide t.; im Frühjahr werden die Herden auf die Almen getrieben; Um den Räderbrunnen, mühsam aufgestellt / Trieb am Drehpfahl er ein ältliches Kamel im Kreise Brecht Hirse 4; die Demonstranten wurden von der Straße getrieben; das Kind treibt einen Reifen (vor sich her); der Stürmer hat den Ball bis vors Tor getrieben; sich mit der Strömung t. lassen /bildl./ Man will uns in die Illegalität treiben Thälm. Reden 2,28 jmdn. in den Tod t. (zum Selbstmord veranlassen) etw. zu weit, auf die Spitze aufs Äußerste t. (mit etw. zu weit, bis zum Äußersten gehen) /übertr./ jmdn. jmdm. in die Arme t. (jmdn. jmdm. ausliefern) jmdn. in die Enge t. (jmdn. in Verlegenheit, Bedrängnis bringen) sich t. lassen sich widerstandslos, willenlos dem Geschehen überlassen: ich hab mich treiben lassen und statt eines Weges Vergessen gesucht Noll Holt 2,142; er ließ die Dinge t. (laufen)
b) etw. treibt etw., jmdn. in eine bestimmte Richtung, an einen bestimmten Ort etw. veranlaßt etw., jmdn., sich in eine bestimmte Richtung, an einen bestimmten Ort zu bewegen: der Wind hat das Laub in den Garten getrieben, treibt große Staubwolken durch die Straßen; der Sturm trieb uns den Regen ins Gesicht; die Sehnsucht trieb ihn nach Hause; der Hunger trieb die Tiere bis in das Dorf; es treibt ihn immer wieder an diesen Ort, dorthin; die Schmerzen trieben ihr die Tränen in die Augen; diese Bemerkung trieb ihr Röte, das Blut ins Gesicht; Angst trieb ihm Schweiß auf die Stirn; Kienzel trug ein … pelzgefüttertes Jackett, das ihm den Schweiß aus allen Poren trieb Hartung Wunderkinder 21
c) Jägerspr. Wild, Hasen t. (auf Wild, Hasen eine Treibjagd veranstalten)
2. jmdn. zu etw. t. (hat)
a) jmdn. zu einem bestimmten Handeln veranlassen, drängen, jmdn. zu etw. antreiben: jmdn. zur Eile, Arbeit t.; umg. treib mich nicht ständig; wie sie ihn stets hatte stoßen und treiben müssen Ric. Huch Dreißigjähr. Krieg 1,32; jmdn. zur Verzweiflung, zum Äußersten t. (bringen)
b) etw. treibt jmdn. zu etw. etw. veranlaßt, drängt jmdn. zu etw., etw. treibt jmdn. zu etw. an: Not, Angst, Verzweiflung hat ihn dazu getrieben; Eifersucht hatte ihn zu dieser Tat getrieben; immer wieder treibt es mich, Dinge zu tun … von denen ich weiß, daß sie zu keinem Erfolg führen Böll Wort 19; geh. Mich trieb mein Herz, die Stimme zu erheben für meinen Freund L. Frank 1,176 (Männerquartett) ; von einer Vorstellung, einem Gedanken, dem Wunsch, von Unruhe getrieben; umg. heute kann ich mitkommen, mich treibt (drängt) nichts
3. Techn. etw. treibt etw. etw. setzt etw. in Bewegung, treibt etw. an(hat): das Flugzeug wird von einem Turbinentriebwerk getrieben; Wasserkraft treibt die Turbinen des Kraftwerkes; die Mühle wird von Wasser, durch Wind, mit Dampf getrieben; die Ventilatoren werden von Elektromotoren getrieben; Als treibende Kraft [der Rotation der Atmosphäre] werden die Druckgefälle zwischen dem maximalen Luftdruck am Äquator bei Tag und den niedrigen Drücken in Gebieten mit schräg einfallender Sonnenstrahlung angesehen Urania 1971; /übertr./ er war die treibende Kraft bei der Umgruppierung; die treibenden Faktoren waren …; Marx [hatte] an der französischen Geschichte zuerst den Klassenkampf als treibendes Rad der historischen Entwicklung erkannt Mehring Marx 201
4. etw. treibt etw. wird von einer Strömung fortbewegt(ist/ hat): ein Boot treibt auf den Wellen; Holz treibt auf dem Wasser, Meer; die Wolken t. am Himmel; vor dem Kap trieben dichte Eismassen; das Schiff treibt seit einigen Stunden steuerlos auf dem Meer; irgendwohin t. (ist): der Ballon ist westwärts getrieben; das Eis fängt an zu treiben, es treibt nach außen H. W. Richter Spuren 219; treibende Eisschollen, Wolken; die Abtumist sei ins Treiben gekommen Jahnn Niederschrift 1,250; /übertr./ er [Holt] hatte dabei deutlich das Empfinden, zu treiben Noll Holt 2,46; nachdem er das steuerlose Treiben seines Lebens eingesehen hatte Musil Mann 155
5. etw. in, durch, zwischen etw. t. etw. in, durch, zwischen etw. schlagen, bohren(hat): einen Keil in einen Holzklotz t.; die Köpfe der Nägel waren tief in das Holz getrieben; Pflöcke in den Boden t.; einen Stollen, Schacht in die Erde t.; Bergm. ein Querschlag muß getrieben werden, um an das Flöz zu gelangen; einen Tunnel durch den Fels, einen Berg t.; Er trieb den Korken mit der Faust in den Flaschenhals Noll Holt 2,109 Fleisch durch den Wolf t. (drehen) den Brei durch ein Haarsieb t. (streichen) Böttch. einen Reifen auf ein Faß t. (auftreiben) /bildl./ [den Imperialisten] durfte keine Gelegenheit gegeben werden … zwischen die Arbeiterklasse und die kleinbürgerlichen und bürgerlichen Schichten einen Keil zu treiben Gesch. d. dt. Arbeiterbewegung 13,80
6. eine Pflanze treibt eine Pflanze beginnt zu wachsen, sprießt(hat): die Rose treibt; die Christrose und die Schneeheide t. oft auch im tiefen Schnee; Die Wurzeln [des Treibchicorées] bleiben bis zum Treiben in der Miete Urania 1963 eine Pflanze treibt etw. etw. kommt an einer Pflanze hervor, etw. wächst an einer Pflanze: d. Baum, Strauch treibt Knospen, Blüten, Schößlinge; der Gummibaum hat ein neues Blatt getrieben; /bildl./ Wie immer in Zeiten der Not trieben Schieberunwesen, Spekulation und Schwarzer Markt üble Blüten Gesch. d. dt. Arbeiterbewegung 12,68; [die Sprache] wächst und treibt Sprosse, aber es sterben auch ganze Zweige ab Mutterspr. 1957
7. Gartenbau Pflanzen t. Bedingungen schaffen, unter denen Pflanzen vorzeitig anfangen zu wachsen(hat): Flieder im Gewächshaus t.; d. Tulpen, Nelken sind im Treibhaus getrieben worden; Blumenzwiebeln t.; im Frühbeet getriebene Tomatenpflanzen
8. fachspr. Metall t. auf kaltes Metall mit einem besonders geformten Hammer punktförmig einwirken und es dadurch bearbeiten(hat): e. Armreif, Schale aus Kupfer t.; Blech t.; ein Muster in Silber t.; eine getriebene Brosche, Gold-, Silberarbeit; Leuchter aus getriebenem Metall
9. (hat): die Hefe, der Teig treibt (geht auf) ; die Hefe ist zu alt, sie treibt nicht mehr; Hefe treibt den Teig (läßt ihn aufgehen) ; der Teig muß erst noch t.
10. (hat): umg. Kaffee, Tee, Bier treibt (ist harntreibend)
11. die Preise in die Höhe t. die Preise in die Höhe schrauben, hochtreiben(hat): jener Herr Zeidler, der Mietherr der Wohnung, trieb … die Mieten unverschämt in die Höhe Grass Blechtrommel 475; während er durch die Ausfertigung von Assignaten die Inflation in die Höhe treibt P. Weiss Marat 100
II.
1. /weist auf eine Beschäftigung hin/ (hat)
a) sich mit etw. beschäftigen: Sprachen, Mathematik, Musik, Philosophie t.; er treibt wissenschaftliche Studien; die beiden t. Konversation; das treibt er nur zu seinem Vergnügen; etw. beruflich ausüben: ein Handwerk t.; welches Gewerbe treibt er?; in dieser Gegend wird vorwiegend Ackerbau, Viehzucht, Handel getrieben;
b) umg. mit etw. beschäftigt sein, etw. machen, tun: was treibst du denn jetzt?; was treibst du hier, den ganzen Tag, in deiner Freizeit?; was wollt ihr heute abend, am Sonntag t.?; dummes Zeug, unnütze Dinge, Unfug, Unsinn t.; er treibt wieder seine Possen;
c) /dient in abgeblaßter Bedeutung mit einem Akk.obj. zur Umschreibung eines Verbalbegriffs/ mit etw. Mißbrauch t. (etw. mißbrauchen) seinen Spott mit jmdm. t. (jmdn. verspotten) seinen Scherz mit jmdm. t. (jmdn. necken, zum Narren halten) damit treibt man keinen Scherz (damit scherzt man nicht)! ein doppeltes, falsches Spiel mit jmdm. t. (jmdn. hintergehen) Wucher t. (wuchern) Schmuggel t. (schmuggeln) Spionage t. (spionieren) großen Luxus, Aufwand t. (luxuriös, aufwendig leben) in der Laubenkolonie hat längere Zeit ein Einbrecher sein (Un)wesen getrieben (trat ein Einbrecher auf) salopp abwertend mit jmdm., etw. Schindluder t. (jmdn., etw. schändlich, nichtswürdig behandeln)
2. /bezeichnet ein bestimmtes Tun, Handeln/ (hat)
a) umg. abwertend es in einer bestimmten Art und Weise t. sich in einer bestimmten, nicht zu billigenden Art und Weise betätigen, verhalten: es toll, arg, schlimm t.; sie treibt es schon lange Zeit so; Er muß es nämlich schon in der Jugend unheimlich getrieben haben Welk Grambauer 81; er treibt es zu bunt; er hat es so lange getrieben, bis es ihr zu bunt wurde; er wird es nicht mehr lange t. (man wird ihm das Handwerk legen, seine Machenschaften aufdecken) verhüll. es geht ihm sehr schlecht, er wird es sicher nicht mehr lange t. (wird bald sterben)
b) es mit jmdm. t.
α) umg. mit jmdm. in einer bestimmten, nicht zu billigenden Art und Weise verfahren, umgehen: Wirklich, ihr habt es mit uns nicht zum besten getrieben Brecht Gedichte 195; sie haben es toll, schlimm mit ihm getrieben; Vielleicht würde Marlen, vor seiner Leiche stehend, erkennen, wie sie es mit ihm getrieben hatte Strittmatter Wundertäter 173
β) salopp mit jmdm. unerlaubte Beziehungen unterhalten: Sie trieb es mit anderen Männern Böll Die Spurlosen 61
c) jmds. Treiben jmds. Tun, Betätigung: Von zartem, kränklichem Körper … nachdenklich und reif, liebte sie es, sich von dem Treiben der Schwester und Gespielen abzusondern E. Strauss Nackter Mann 58; er erzählte von seinem Leben und Treiben, seinem Tun und Treiben; [er fand, daß er] sein gewohntes Treiben in Sonne und Sand wiederaufgenommen hatte Th. Mann 9,501 (Tod in Venedig) ; abwertend nicht zu billigende Betätigung: sein dunkles, schmutziges, schändliches, wüstes Treiben; man beobachtet sein Treiben schon längere Zeit; jmds. Treiben ein Ende machen; hinter jmds. Treiben kommen;

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Treiben, das

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1Treiben, das; -s, /ohne Pl./
das geschäftige Sich-Regen, das dauernde Hin und Her, das Getriebe: das Leben und T. in der Großstadt, auf der Straße, auf dem Bahnhof; auf dem Markt herrschte ein reges, geschäftiges, emsiges, buntes T.; das närrische T. (der Faschingstrubel) ;

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Treiben, das

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2Treiben, das; -s, -
Jägerspr.
1. Treibjagd: ein T. veranstalten; das T. dauerte zwei Stunden;
2. Gelände, in dem 1 stattfindet: der Hirsch steckt noch im Treiben Löns 4,108 (Mümmelm.)

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Zitationshilfe
„Treiben“, in: Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (1964–1977), kuratiert und bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/wdg/Treiben>.

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