Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

ferr, ferre

ferr, ferre,
procul (vgl. proculus), goth. fairra, ahd. fërro, mhd. vërre; sp. 1527 sahen wir, dasz hin und wieder 'fer' geschrieben, 'fehr' gedehnt wurde, sp. 1532, dasz allmälich 'fern' die oberhand gewann. das alte rr hielt aber bis ins 16 jh. noch lange stand, bei Megenberg liest man allenthalben verr, z. b. 99, 23. 131, 20. gar verr 118, 18; Dasypodius schrieb ferr, Frisius und Maaler verr, gar verr, vast ferr, nit verr, so verr 426ᵈ, und die Züricher bibel, welche Luthers übertragung der schweizerischen mundart gerecht zu machen sucht, vertauscht dessen fern mit verr. an der identität von fairra, fërro, vërre mit lat. porro, gr. πόῤῥω läszt sich nicht zweifeln, hinter welchem aber πόρσω liegt, während unser ferre in ferne ausgeht; demselben lautwechsel begegnen wir in turris, τύῤῥις für τύρσις neben ahd. turr, turri und turn, mhd. turn, nhd. thurm (wie mhd. varm statt varn); wurzelhaftem por, per, fair, fer, tur traten bald s, bald n hinzu. fërn (procul) hat in fairni, firni vetus, und lit. pérnay bestätigung, fërr (anno praeterito) in πέρυσι = πέρσι. vergangenheit und zukunft reichen beide in die ferne. dasz aber goth. fairra aus fairza entsprang lehrt nicht nur die analogie von airzjan = ahd. irran, sondern auch das im ags. feorsian wie im nhd. fernsen haftende rs. vielleicht gab es ein uraltes fërns für fërn.
I)
adverb.
1)
allein neben dem verbum: ahd. irô hërzâ ist fërro fona mir. Matth. 15, 8; nhd.
grüsz euch got, künic, lieber herr
wir kummen do herein aus eim dorf nit ferr,
das ligt zu aller nechst dauszen, do die Pegnitz her fleuszt.
fastn. 78, 7;
wir haben zu laufen ferr und weit.
419, 27;
die Jesabel, küng Ahabs weib,
hat ferr verjagt Helie leib.
ich musz noch ferr.
Murner schelmenz. 73, 10;
was hab wir mer?
nu tragt uns her,
drei haselhuner sein uns nit ferr!
lischlied in Wolfs zeitschr. für d. myth. 1, 467;
die waren nit ser ferre.
Uhland 496;
nu bin ich doch heut ferre gangen,
dasz ich müde worden bin.
779;
einer sitzt nah, der ander ferr, der dritt sitzt in der mitt. Keisersb. pred. über das alph. 2; ferr und nahend. buch d. l. 91, 1; der ritter wol empfand, dasz die stund seines letzten elends nicht ferr war. 258, 1; o nein, das sei ferr! bienenkorb 96ᵃ; doch lief er nicht ferr. Amadis 388; und hengt seinen gelüsten den zaun also ferr. 362;
ein guter gsell, mein lieber herr,
der fromme ritter ist nicht ferr.
Dedekind miles 2, 5;
wer weit nachfragt, der gehet weit ferr. Lehmann 209; fusz vor fusz geht man auch ferr, nur dasz man später in die herberge kommt. 82.
2)
mit folgendem von:
in kummer gieng ich ferr von haus.
ferr von dem beinhaus. Wickram rollw. 52; auch fand die schlang Evam allein und ferr von ihrem gemahl. buch d. l. 291, 3; pfui, pfui, das sei ferr von uns. bienenk. 34; und indem sie also sprachten, sahen sie dasz Galaor schon fern von in. Amadis 366;
und dasz er seinen lust erfüll
er gottes wort ferr von sich zwinget.
ferr, ferr, Jerusalem, sei von uns dise schand!
294.
3)
mit folgendem darvon oder von dannen, anhin, oben, unten: aber ir gemüt war verr darvon. Steinhöwel Esop 101ᵇ; des königs volk war nicht ferr darvon buch d. l. 270, 2; des Ladasin schlosz, welches nicht ferr von dannen gelegen. Amadis 370.
4)
de longe, longe infra, sursum: als ob er von verre etwas sähe. Steinhöwel Esop 111ᵇ; der wolf trank oben an dem bach und das lamb ferr unden. 28; du must lang da sitzen, ee du ferr anhin kompst zu gewalt und eer. Keisersb. brösaml. 59ᵇ.
5)
vor comparativen: verr grœʒer, weit gröszer. Megenberg 85, 4; verr lenger. 155, 22; verr lieber. 304, 4; verr anders (longe aliter) reden. 430, 7.
6)
bei vorangehendem so:
ich bin so ferr in tiefem tal,
dasz mich kein mensch nicht hören mag.
Uhland 143;
du bist so ferr in tiefem tal,
dasz dich kein mensch nit hören mag.
144;
ich reit nicht gern so ferr hindan.
346;
und wirfet sie von sich, so ferr als der ost von westen, der morgen vom abend ist. bienenk. 106ᵃ.
7)
conjunctionell: so ferre meiner ehren nichts verweislichs erfolge. Galmy 26; so ferr und so lang als es ir geliebt. bienenk. 30ᵃ; wir wöllen warten bisz ferr Susanna kömpt in garten herausz. Frischlin Susanna 248, oder zu bessern fer (frau) S.?
II)
adj.: über verreu lant. Megenberg 179, 4; uber verreu mer. 303, 3; von verren landen. 138, 24; wan vil mit einander uber feld gond ein ferren weg als bilger oder kaufleut. Keisersberg omeis 15;
ein gwisse botschaft uberall,
die ich weit schick in ferre land.
Murners schelmenz. 3ᵇ;
ir lieben brüder lobt den herren,
der uns drei jahr in also ferren
landen, zu Babel hat erhalten.
H. Sachs III. 1, 143ᶜ;
mit glüenden kolen den mist von ferrem umblegt oder umbzeunt. Frank weltb. 17ᵃ; wiewol er so ein ferren weg von seiner allerliebsten herzogin war. Galmy 63; von ferren landen herkommen. 123; sich zu öberst in ihr gemach füget, da sie dem ritter einen ferren weg nachsehen mocht. 209 = buch d. l. 64, 1; von ferren landen her. 272, 1; der graf, dem solche gedanken von der frauwen ferr und fremd waren. Bócc. 1, 102ᵇ; umb des groszen guͦts willen, das dir gott, weil (quam diu) du noch ferr und feind warest. kluge weise reden 1565, 131ᵃ. 1570, 139ᵇ; gott kennt das hohe von ferrem. 1570, 367ᵃ; der herr wirt wider dich bringen ein volk von ferrem. Reiszner Jerus. 2, 125ᵃ; sie nu von ferrem dem Arcalaus mit des Amadis rüstung ersahen. Amadis 224; wie der könig Lisuart von ferrem drei gerüste ritter kommen gesehen. 255; das glück, welches oftermals viel ferre mittel, wo man sie betrachtet, erfindet. 315; legt er sich in ein kostlich zugericht bett, darinn er gleich entschlief, als der so des ferren wegs und gethanen reis halber sehr lasz war. 409;
zu zeigen an, das wie sie könten
den hirs warm lifern an ferrn enden,
also weren sie allzeit gwertig
zu dienen iren freunden fertig.
Fischart gl. schif 190.
III)
steigerung, ferrer, mhd. vërrer, ahd. fërrôr:
wir müssen heint noch verrer gan.
fastn. 788, 24;
vil verrer. Megenberg 110, 11; ferrer, porro. Dasyp. 190ᵇ; herzog Reinharts lob verrer zu melden. Aimon vorr.; und von dann ferrer an die ende dahin er ew bescheiden wirdet. Chmels Maxim. s. 296 (a. 1508); ferrer solle und mag. statsp. Karl V s. 474; so laszt ir mt. inen den churfursten ferrer anzeigen. ebenda; war dem feinde ein herz gegeben weiter zu reden und ferrer zu versuchen. buch d. l. 291, 4; als sie ferrer wolten reden, hat er inen ein zeichen geben sie solten schweigen. Reiszner Jerus. 2, 139ᵇ; hierauf rannten sie so grob wider einander, dasz ire lanzen in stücker zersprungen, doch ferrer keinen schaden theten. Amadis 202; alsdann zogen die zwo frembde jungfrauwen one ferrer sprachen widerumb hinweg. 216; bedenkt euch, ob ir ferrer meiner hülf von nöten sein. 223; dis der Arcalaus ersehende zoge er one ferrer sprachen seinen weg hinder sich. 225; aber ich bitt euch ferrer, laszt uns hie nidersitzen. 259.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 7 (1861), Bd. III (1862), Sp. 1540, Z. 72.

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Zitationshilfe
„ferr“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/ferr>.

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