Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

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kirren

kirren,
mansuefacere, allicere, früher gewiss auch kürren, wie körren unter 2, a, bei H. Sachs kerren; s. unter kirre. altn. kyrra, s. dort.
1)
kirre machen, mansuefacere, domare, coercere Stieler 960, cicurare Steinbach 1, 855.
a)
von thieren: gekirrete vögel, aves cicures. Stieler; einen laubfrosch kerren H. Sachs, s. b;
in diesem paradis ist kein so grimmer bär,
er geht als wie ein schaf zam und gekirrt daher.
Weichmanns poesie der Nieders. 2, 122.
b)
von menschen, vgl. kirre II, 2:
ja ich thu im (eine bäurin ihrem manne) der streich nit sparn ...
thu in oft in mein kammer spern
und thu in als ein laubfrosch kern.
H. Sachs 3, 3, 45ᵇ (1588 33ᵃ);
der verlorn son. wie kan ich aber nach gelt stelln,
weil mirs der alt (mein vater) alls thut versperrn?
Wolf der schmorotzer. junkherr, laszt euch nit also kerrn.
3 (1588), 1, 144ᵇ,
auch das kerren sp. 614 aus H. Sachs (1558 1, 481ᵇ) gehört vielmehr hierher, etwa 'drillen, maszregeln'; ich will ihn schon kirren, ad obsequium adigam eum. Stieler;
der arzt, der seinen gegner (seine frau) scheut,
kirrt ihn durch falsche freundlichkeit.
Hagedorn 2, 106,
besänftigt ihre aufregung.
2)
locken, die jetzt vorwiegende bedeutung, während für die vorige kirre machen gewöhnlicher ist; diesz 'locken' ist eig. gleich 'kirre zu machen suchen'. in diesem sinne ist kirren bildlich seit vorigem jh. beliebt, es musz aus der mitteld. weidmannssprache aufgekommen sein.
a)
von thieren, durch lockspeise kirre machen, dasz sie herankommen: man musz die vögel kirren sive ankirren (s. 1, 381), inescandae sunt aviculae. Stieler 960; die wilden schweine mit eckern kirren, bei den jägern. Frisch 1, 516ᶜ; das wildbret kirren durch lockspeise, den fuchs an einen bestimmten ort kirren Adelung.
höret, ihr herren,
geht mit zum vogelfang,
locken und kerren
macht zeit und weile lang,
aber gut fangen
stillt das verlangen.
flieg. bl. 18. jahrh.
älter körren: wann nun der fuchs auf einen gewissen platz gekörret. Fleming t. jäger 243ᵃ. s. auch kirrung.
b)
von menschen, zu berücken, zu gewinnen suchen, verlocken, durch 'lockspeise' oder 'köder' (z. b. versprechungen, geschenke), besonders von liebe:
er sparte kein locken, die schüchterne scham
zu seinem gelüste zu kirren.
Bürger 61ᵃ (des pf. tochter zu Taub.);
dich hat die heimat der guineen
oft zärtlich und gekirrt gesehen.
was andre sterblichen ... gleich der bunten flieg' am angel
zu süszem untergange kirrt (der sinnenreiz der liebe).
Wieland 9, 61 (Musarion 1768 s. 61);
dann weisz sie (Armida) uns nach aller art zu kirren,
durch spiel und tanz und neigung zu verwirren.
Göthe 4, 117;
sie kommt! sie ists! ich will sie kirren,
s'ist auch ein mädchenhaupt, ich wills verwirren.
13, 292;
sogar päpste glaubten ihn (Voltaire) durch einige nachgiebigkeiten kirren zu müssen. 26, 62; während jedes zweifelhaften zustandes kirrt der zeitungsschreiber eine oder die andre partei. 56, 133; (Olaf) nicht wol zufrieden mit den seinen, deren viele Knud insgeheim .. mit geschenken gekirrt hatte. Dahlmann dän. gesch. 1, 112, zu gewinnen gesucht und gewonnen, beides verflieszt, wie oft;
o seele, wenn du frei willst werden,
so lieb die liebe die dich kirret.
c)
ein verflieszen mit dem zweiten kirren (3) scheint in folg. vorzuliegen:
verfolge sie (die zagende braut) kühnlich und lasz dich nicht irren,
betäub ihr die seufzer durch küssen und kirren.
zu buhlerischem girren
lasz du ihn niemals kirren,
der ernsten sprache klang.
Uhland ged. 102,
girrend locken, buhlen, es mag dabei besonders an das kirren des taubers gedacht sein, wie man auch von der henne sagt, sie kirrt die küchlein, lockt sie kirrend. daher wol auch folg.:
mein taubenherz kirret so herzen als mund.
die Fides singt es in einer hochzeitscantate. derselbe läszt ein mädchen sagen:
ich liebe nur was mich vergnügt (befriedigt),
nicht was nach gelde kirrt,
mein freies herz wird nicht besiegt,
wenn gleich der beutel schwirrt.
257.
d)
diesz ganze kirren 2 aber berührt sich und ist oft vermischt worden mit dem gleichbedeutenden körnen, gleichfalls weidmännisch, durch körner kirren:
bedächte disz das volk, so noch im finstern irrt,
wie ernstlich würd' es sich aus dem verderben reiszen!
so aber läuft es blind, wenn geiz und hochmuth kirrt
und hände geiler lust der regung körner schmeiszen.
die vermischung ward nahe gelegt durch die alte form körren (2, a), sie galt vielleicht schon im 16. jh. (s. Luther unter kirre II, 2, b). Stieler, Adelung u. a. sehen sogar kirren als blosze entstellung von körnen an, mit unrecht.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 4 (1866), Bd. V (1873), Sp. 839, Z. 63.

kirren

kirren,
stridere, crepare, ein trefflich bezeichnendes schallwort, das merkwürdiger weise der heutigen schriftsprache verloren gegangen ist; vermutlich gab es schon mhd. kirren, ahd. chirrôn; in des teufels netz 11186 (anfang d. 15. jh.) ist von schlecht gearbeiteten sätteln die rede, die tuond kirren und krachen. über das weitere s. das gleichbed. kerren (wo auch kelt. urverwandtschaft zu erwähnen war, kymr. ger m. schrei und geran schreien, gael. gàir m. u. a.), neuere verwandte s. unter 3, c. vgl. auch kirschen und girren. häufig erscheint es auch als kürren (1, b. 2, a. d), das in anbetracht des gleichbedeutenden kurren doch mehr als blosz orthographischen wert haben könnte.
1)
Es bezeichnet allerhand scharfe zitternde töne, besonders höhere, für die das i sich eignet (es gab auch karren und kurren), töne wie sie auch sonst gern durch rr ausgedrückt werden, vgl. knirren, knarren, knurren, schnarren, schnurren, schwirren, mit denen man zum theil die folg. kirren jetzt ausdrücken kann, doch bleiben fälle übrig wo die heutige schriftsprache in verlegenheit kommt. im 16. 17. jh. erscheint es in allgemeiner geltung, oberd. wie md.
a)
wenn du sprichst barm, so machst du das maul zu und kirrest hintennach. J. Böhme aurora (Stuttg. 1835) s. 120, vom klange des m, brummen, s. 2, d; ein klang der zurücke prallet, wird ein wiederhall genannt, der aus zusammenreibung das kirren (kirschen). Docemius Comenius sprachenthür 332; die fenlin kirren (im winde). Keisersberg schiff d. pen. 37ᵈ, knarren; wiewol er (Luther) sie mit dem herzen für heilig helt, und (doch) anders mit der fedder kirret (nach seiner deudschen rede). Luther 3, 51ᵇ (1560 52ᵇ), es ist dem Carlstad in den mund gelegt; ob ir wol mit der feddern anders kirret. das., vom knarren der feder auf dem papier, zugleich als bild der scheltenden ausdrücke (vgl. u. 2, d); glaser, kannengieszer, schleifer, träher und schlosser die nicht kirren (unter unfindbaren dingen). Fischart groszm. 54 (587 Sch.), vom klange des feilens u. ä.; das kirren der säge. Schönsleder e 8ᵈ; es kirrete und murrete ohn unterlasz (im bauche, von übriger luft). Simpl. 1685 1, 103, bei Kurz 1, 104 kurrete, wie auch 1685 1, 76 kurren und murren (jetzt knurren);
ein sackpfeif dann am meisten kirrt (schnarrt),
wann sie voll ist und wol geschmiert.
Kirchhof wendunm. 75;
die polnisch sackpfeif kirrt so sehre.
Fischart groszm. 43 (577 Sch.);
wan die sakpfeif nicht voll ist, so kirret sie nit. Schottel 1140ᵃ. von einem schwer beladenen oder ungeschmierten wagen: wie ein wagen vol garben kirret. Amos 2, 13; der löw förchtet .. einen kirrenden wagen oder karren. Keisersberg hell. löw f 4ᵃ (ein kirrenden wagen der nit geschmirt ist. brös. 1, 57ᵇ); dise wegen und ires kirren sind erschrockenlich (schrecklich) dem feind. f 5ᵃ; das rad das am wagen kirrt und knarrt, ist das schlimst oder musz geschmirt sein. Lehmann flor. 1, 141. vom knarren einer thüre: die thür hat gekirret von der Glycerio. V. Bolz Terenz 29ᵇ (crepuit a Glycerio ostium Andria 4, 1, 58), man hörte sie aufgehen;
ein dürenangel gar bald kierrt,
wann man in nit mit öl ouch schmiert.
Brant narr. 59, 26, vgl. u. 4, a;
sie ist geschmirt,
das sie nicht kirt.
bergreien nr. 5, 3;
die hausthür aufheben, das sie nicht kirreten. Pauli schimpf und ernst 248;
wilt du das deine thür nit kirren,
so solt dus vor wol beschmiren.
Murner schelm. 63.
Maaler erklärt kirren oder gyren, geigen (scharf tönen) wie ein zäche wyd, stridere 244ᵃ, s. gieren. Stieler 960. 958 gibt kirren von wagen, von der thüre, vom eise, als nebenform von girren; ja noch Rädlein 538ᵃ kirren, knarren, als wenn thüren und räder krachen, aber schon Frisch 1, 511ᶜ kennt es nur als alt. bei einem bair. schriftsteller des 17. jh. von wogen, wie mhd. kërren vorkommt: wie das meer von wegen der zusamenschlagung und stoszung der wellen alzeit schreiet, klingt, rauscht und kirret .. also haben wir in diser welt sehr vil geschreis, kirrens und getümmels. Albertinus der welt tummel- u. schawplatz (1612) 112, wol wie heute brüllen.
b)
ganz gleich auch kürren, zum theil bei denselben schriftstellern: wenn die sackpfeife nicht voll ist, so kürrt sie nicht. M. Neander eth. vet. 347 (29 Latendorf); darum hat er (der wagen) gekürt und ist mit krachen und schreien zugangen. Keisersberg pred. 126ᵇ; so der wag mit dem öl .. geschmirt ist, so geet er still und kürt nit mer. das.; newe wägen knarren und kürren vil. Lehmann flor. 1, 568.
2)
Auch von menschen und thieren.
a)
mit den zähnen kirren, frendere Dasyp. 363ᵇ, Schönsleder, vor zorn die zän in einanderen beiszen Maaler 244ᵃ, infrendeo dentibus, ich kirr Alberus Hh 3ᵇ (jetzt knirschen): auf das .. die gottlosen .. mit den zeenen kirren und bremsen. Luther 4, 357ᵃ; kirreten mit zennen über in. Melanchthon anm. zum Römerbriefe
zugleich mit zenen kirrten,
grisgrammten ungeschewt (die häscher Jesu).
Spee trutzn. 44.
auch die zähne kirren: scherze nicht mit im (dem eignen kinde), auf das du nicht im hernach trawren müssest und deine zeene zu letzt kirren müssen. Sirach 30, 10; das knirren so vom kirren, ritzen oder zusammen reiben und an einander stoszen der zeene entstehet. Thurneisser magna alch. 2, 223; es scheumet der mund, die zähne kirreten, der leib hub an zu zitteren. Paracelsus chir. schr. 540ᵃ. auch hier kürren: o herr domine, sprach der lolhart und kürrt über mich mit den zenen. Wyle translat. (armusen).
b)
schreien vor angst, hunger u. ä., wol hohes durchdringendes geschrei, auch wimmernd jammern: kirren vor hunger Keisersb. bilg. 113ᵈ; sihe, ich wils unter euch kirren machen, wie ein wagen vol garben kirret. Amos 2, 13; das kirren, weinen und zannen der kinder (bei der zerstörung von Pompeji). Aventin 194ᵇ; deren (der thiere) seufzen, winseln, geschrei und kirren hungers halber. Olearius rosenth. 3, 16;
dasz iederman laut schreit und kirrt (beim schiffbruche).
Rompler 177;
wie läufst du herum, kirrst und klagst, als läge dir himmel und erde auf dem rücken. H. Müller erquickst. 395, wol wimmern; so man disen bapst in einer senften daher getragen und vielleicht der träger einer ongefehr gestolpert, hat er oft kirret wie ein sauw. Kirchhof wendunm. 372ᵃ.
c)
vom schreien der schweine, wie kerren: dasz den altvatter dauchte, er höret ein ganzen haufen seuwe kirren und grenzen zo, zo, zo ... da höret das gedöne und gekirre auf. Luther tischr. 202ᵇ; das i ist vast der laut des kirrens der sew, wenn man sie sticht oder würget. Ickelsamer a 8; wann die wildschwein angesprengt werden und eins derselben kirret, so kirren und rauschen sie alle mit einander. des esels adel und der sau triumpf (1617) 169.
d)
auch für murren, brummen von menschen, s. kirricht und mhd. widerkërren murrend anfeinden Ebernant 1637: ein volk Choromandas, welches auch nicht redet, kirret aber grausamlich. Heyden Plinius 22. auch kürren: was kürrest du undern zeenen, du neidiger wolf? was brummelst du voller, dasz ich dich nit versteen kan? Wirsung Cal. N 2ᵇ; fahen sie an zu murren und kürren wider iren fürgenger (die Israeliten wider Moses). Mathesius Luther 1583 45ᵇ; sie (die böse frau) humbst, sie brumbst ärger als ein daumengrosze hurnauszen, kürret und greint ärger als ein ungeschmirbter schubkarren. Abraham a s. Clara närrinnen 125. s. dazu kerggen sp. 613 1, d.
3)
Von gewissen vogelstimmen, vom zirpen der grillen.
a)
kirren wie tauben, gemir Rädlein 538ᵃ: wie die tauben in den gründen, die alle unter einander kirren. Ezech. 7, 16, Luther schrieb aber kurren, es ist später so geändert;
hier sieht man fröhlich irren
um ihre körbe her mit einem süszen kirren
der frommen tauben schaar.
Opitz 1, 61;
es kirret und girret, verwirret
der tauber im grimme.
J. Hellwig nymphe Noris 1, 21;
es kirren und girren die tauben.
Clajus bei Schottel 910;
das ächzende, kirrende turteltäublein. H. Müller erquickst. 447 (girrendes turt 448). auch weidmännisch: kirren, das rufen der turteltauben, auch locken. C. v. Heppe leithund 265, mit dem andern kirren für locken verflieszend (sp. 840). davon kirre turteltaube, kirreule, kirrmeve. vgl. im kindermärchen nr. 61: da drückte Bürle dem raben auf den kopf dasz er quackte und 'krr krr' machte.
b)
zirpen: (man sät die sommergerste) wenn die werre (erdgrille) kirret und wenn die frösche anheben zu quarren. Colerus hausb. 1640 205 (8, 13);
ja vielmehr der hewschrecken kirren.
Glaser phasm. Frischl. 3, 4.
c)
in dieser bed. auch auszer dem hd.: nd. kirren vom ängstlichen schreien der hühner, wenn sie einen raubvogel sehen (brem. wb. 2, 775), nl. kirren von turteltauben, engl. schott. chir, chirre girren, zirpen, schwed. kirr n. gezwitscher, gegirre (dän. kurre girren); um so mehr mag auch das hd. wort echt und alt sein.
4)
Jetzt nur noch mundartlich.
a)
kärnt. kirren und kîren gellend schreien, heftig weinen Lexer 158, Fromm. 5, 102ᵃ (zu kîren vgl. Brants u. a. kieren unter 1, a); auch bair. bei Schm., tirol. Schöpf 313. schweiz.: der gedanke schauerte ihm durch seine seele und er kirrte mit den zähnen. Pestalozzi 1, 242. 2, 283, die idiot. aber geben dafür girren, gîren (Tobler 222ᵃ, s. dazu sp. 2 unten).
b)
aber auch dem md. gebiete ist es noch nicht fremd, es scheint eben erst im aussterben begriffen, in einem sächs. dorfe an der altenburg. grenze z. b. sagt man noch kirren vom knarren der räder im winter, des wagens beim lenken, der wetterfahne u. ä., im Voigtlande von scharf klingendem weinen kleiner kinder; allgemeiner gilt es noch vom girren der tauben. vgl. kerren 4.
c)
merkw. östr. kirren, aus vollem halse lachen. id. austr. 87.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 4 (1866), Bd. V (1873), Sp. 841, Z. 1.

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Zitationshilfe
„kirren“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/kirren>.

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