Deutsches Fremdwörterbuch
Filius
M. (-; -se), im frühen 18. Jh. entlehnt aus lat. filius ‘Sohn; Kind’ (wohl zu fellare ‘säugen’, also eigentlich ‘Säugling’; → Filial, → Filiale; vgl. fellieren, fellationieren), selten auch in der lat. (flekt.) Form.
Bildungsspr. (wohl über die Schüler- und Studentensprache vermittelt) und meist scherzhaft für ‘(jugendlicher) Sohn’, in Wendungen wie Wielands filius, Filius David, der Filius des Opernstars, der 13jährige/begabte/vielversprechende Filius, er bringt seinen Filius mit, auch abwertend ‘Söhnchen, Sohnemann, (behüteter, verwöhnter, verzärtelter, missratener) Sprössling’ (s. Belege 1719, 1897, 1993, 1995), in Wendungen wie der Herr Direktor nebst Gattin und Filius, dem Filius die Luxuswohnung finanzieren/den Geldhahn zudrehen.
Dazu in jüngster Zeit gelegentlich die aus lat. filia entlehnte fem. Form Filia (-; Filiae) ‘Tochter’, selten auch in ironischer Verwendung.
Vgl. daneben im späten 18. Jh. aus (flekt. Form von) kirchen-/mlat. filiatio ‘Sohnschaft, Sohnwerdung; Abstammung des Sohnes (Christus) vom Vater (Gott); Rechtsanspruch des Sohnes auf die väterlichen Güter; Gehorsam und Unterwerfung, die ein Mönch seinem Abt schuldet’ (zu filiare ‘gebären; zeugen’, zu lat. filius ‘Sohn, Kind’ bzw. filia ‘Tochter’) entlehntes Filiation F. (-; -en), anfangs vereinzelt in der Schreibung Filiazion:
a Bildungsspr. verwendet (aufbauend auf der früheren Verwendung des lat. Ausdrucks in theologischen (‘Gottessohnschaft’) oder genealogischen und juristischen Zusammenhängen (‘direkte, legitime Abstammung eines Kindes von seinen Eltern, s. u.; Rechtsansprüche des Kindes’)) mit Bezug auf Inhalte und Produkte des menschlichen Geistes sowie auf beobachtete Naturphänomene in der Bed. ‘Abstammung, Herkunft, innerer, ursächlicher Zusammenhang, Entstehung und Herleitung des einen aus dem anderen’ (vgl. Derivation, Genese), auch ‘Fortpflanzung, Weiterentwicklung, Weiterwirkung’ (s. Belege 1995, 2000), in Wendungen wie die Gesetze in ihrer natürlichen Filiation, die Filiation der Gedanken/Ideen/Probleme/Erscheinungen/Wirbelverwandlungen, die Filiation eines literarischen Motivs, das Ergebnis historischer Filiationen.
b Seit früherem 19. Jh., zunächst bezogen auf kirchliche, dann auch kommerzielle Institutionen für ‘Gründung von Filialen, Errichtung von Tochterklöstern, Tochterlogen, Nebenstellen, Zweiggeschäften’, in Zss. wie Filiationsbrief, -prinzip, dann auch von der neugegründeten Institution selbst (und ihrem Gehorsams- und Abhängigkeitsverhältnis gegenüber dem Mutterhaus) in der Bed. ‘Tochterkloster, Zweiggeschäft, Nebenstelle’ (→ Filial, → Filiale, → Dependance a; s. Belege 1995, 1998), in Wendungen wie europaweite, vorgeschobene Filiationen, Filiationen gründen.
c Seit Mitte 19. Jh. als Fachwort der Genealogie und Jurisprudenz für ‘Abstammung einer Person, Herstammung in direkter Linie, familiäre/dynastische Herkunft’, auch für ‘Nachweis der Abstammung einer Person, Stammbaum’, in Wendungen wie jmds. Filiation klären, nachweisen, untersuchen, darstellen und Zss. wie Filiationsnachweis, -probe, -reihe, -text ‘der Ahnenprobe beigefügte Urkundenbelege’, -klage ‘Vaterschaftsklage, Klage auf Anerkennung der Vaterschaft und Alimentation des Kindes’, auch im biologischen Sinn für ‘Abstammung eines Lebewesens; Fortpflanzung von Lebewesen’ (s. Beleg 1990), in Zss. wie Filiationslinie.
d Seit frühem 20. Jh. in der Bed. ‘Gliederung des Staatshaushaltsplans’.

Belege

zu Filius (11)
1719 Abentheuerl. Welt VIII 4
Der Aff erdruckt sein Kind aus allzu grosser Liebe./ Der Vater thut es auch, der läßt ihm alles zu,/ Damit das Söhngen recht nach eignen Willen thu,/ . . Darbey die Mutter dann sorgt, wacht, schafft Nacht und Tag/ Nur daß der filius prav haseliren mag;
1862 Hausblätter IV 5
Was ich dem theuren Herrn Filius darauf geantwortet habe, . . das werdet ihr euch ungefähr denken können, Kinder;
Burckhardt 1870 Br. an Preen 16
Ihr werter Filius ist bei mir ein vortrefflicher Schüler und weiß . . sehr vieles, was die anderen nicht wissen;
Bierbaum 1897 Stilpe 136
Natürlich zuerst sämtliche Hosen und Höschen, Jacken und Jäckchen des gepriesenen Filius, von der Wiege bis zur Bahre (DiBi 1);
Lokal-Anz. 11. 5. 1930
Vater ist mit seinem Filius zu uns gekommen und hat für dasselbe Geld, das er sonst für sich allein auszugeben pflegte, einen Mantel für sich und einen Anzug für seinen Jungen bekommen;
Th. Mann 1939 Lotte (W. II 625)
Hört sie urteilen, und dann verlangt von mir, daß ich für Landstände sei und Stimmrecht und Preßfreiheit und Ludens „Nemesis“ und . . den „Volksfreund“ von Wielands filius;
Zeit 31. 5. 1985
die arbeitslose Fremdsprachensekretärin, die zusammen mit ihrem Sohn, einem Studenten der Volkswirtschaft, von 142,80 Mark Arbeitslosenhilfe pro Woche und dem Bafög des Filius lebt;
1993 FAZ o. Nr.
Man gewinnt das Bild des verzogenen Sohnes eines zahlungskräftigen Rittergutsbesitzers, der dem Filius die Realisierung seiner pathetischen Ideale finanziert;
taz 22. 6. 1995
Sein Vater hatte ihm den Hahn zugedreht, nachdem er dahintergekommen war, daß der 22jährige Filius das Jura-Studium, gelinde gesagt, schleifen ließ;
Frankf. Rundsch. 17. 9. 1998
Gegen den Widerstand seines Vaters kämpfte Filius Marcus für die Unabhängigkeit des Betriebs;
Berl. Ztg. 21. 2. 2001
Noch wohnt der Filius bei seinen Eltern, in einer Drei-Zimmer-Wohnung in Kusel in der Pfalz.
zu Filia (4)
taz 9. 1. 1989
gelingt es da Eltern, ihre minderjährigen filii und filiae zur besten Computerspielzeit mit in die lichte Backsteinromanik von St. Martini zu locken;
ebd. 2. 12. 1994
Wer erinnert sich nicht an bewegte Weihnachtsfeste, wo der Filius – selten die Filia – am Heiligabend eine Modelleisenbahn unterm Christbaum fand;
Frankf. Rundsch. 13. 8. 1997
Inzwischen 19jährig hat die Filia heute nicht mehr soviel Interesse am Ackerbau im kleinen Stil, und auch der Elan ihrer Mutter scheint gebremst;
MM 7. 3. 2001
Dabei lernt man die Räumlichkeiten kennen, in denen Filius oder Filia die nächsten sechs bis neun Jahre verbringen werden, bekommt einen Eindruck von den Lehrern – und zumindest eine Idee vom „Stil“ der Schule.
zu Filiation a (12)
Rabiosus 1778 Reise 19
die vaterländischen Gesetze, in ihrer natürlichen Filiation, bekannt machen;
Goethe 1821 Wanderjahre (HA VIII 125)
Resultate waren es, die . . uns . . nötigen, vermittelst eines umgekehrten Findens und Erfindens rückwärtszugehen und uns die Filiation solcher Gedanken von weit her, von unten herauf wo möglich zu vergegenwärtigen;
ders. vor 1832 Autobiograph. Einzelheiten (HA X 543)
Ich besaß die entwickelnde entfaltende Methode, keineswegs die zusammenstellende ordnende; mit den Erscheinungen nebeneinander wußt ich nichts zu machen, hingegen mit ihrer Filiation mich eher zu benehmen;
Frantz 1870 Naturlehre 453
Er [August Comte] nennt das die Filiation der Ideen und den esprit d’ensemble;
Hillebrand 1875 Wälsches 227
man sehe, was H. Hettner für die moderne Literatur thut: wir wohnen hier der Filiation der Ideen und Zeitströmungen bei;
Gottl-Ottlilienfeld 1925 W. 660
wie lassen sich gegebene Probleme auf Probleme höherer Art zurückführen? Diese „Filiation der Probleme“ vollstreckt sich immer als ein Gleiches;
Wolfskehl 1940 Jahre 63
Ganz anderes beweisen solche Filiationen;
Flemming 1944 Wesen 33
[Literaturgeschichte soll man nicht aufteilen] in äusserliche Abhängigkeiten und „Filiationen“, sondern in organische Zusammenhänge;
1971 Festg. a. Klett 297
Filiationen des [Verlags-]Programms;
Kultermann 1987 Kunsttheorie 2
Die über Jahrtausende hinweg fruchtbare Filiation des Motivs spricht für die Intensität einer Grundvorstellung;
1995 FAZ o. Nr.
Er holte den Mythos in das neunzehnte Jahrhundert, und als er tot war, entwarfen Kommerz, Klassik, Kunst und Kitsch endlose Varianten und Filiationen des Dr. Faust . . und des unglücklichen Gretchen;
Berl. Ztg. 8. 12. 2000
jene spätsiebziger Four-to-the-floor-Klassiker . ., in denen sich erst die Wave-Disko und über diverse Filiationen dann auch EBM und der Techno antizipierten.
zu Filiation b (4)
Oertel 1831 Fremdwb. 330
Filiazion, Einrichtung einer Tochterlosche in der Freimaurerei;
Pierer 1890 Konversationslex. V 960
Filiationsbriefe, Briefe, wodurch bes. v. Bettelmönchsklöstern Laien od. Weltgeistliche gegen eine Schenkung in die Brüderschaft aufgenommen wurden, um dieselben der Segnungen des klösterlichen Lebens teilhaftig zu machen;
1995 FAZ o. Nr.
Legoland zum Beispiel, in dessen europaweiten Filiationen seit Jahrzehnten zwangsbeglückte Kinder sich langweilen und verzückte Erwachsene wieder zu Kindern werden;
Frankf. Rundsch. 28. 8. 1998
„Filiation“ hieß das Erfolgsrezept: Jedes Kloster gründete wieder selbständige Tochterklöster. Eine monastische Kettenreaktion. . . Zunächst eine Neugründung als sichere Operationsbasis, dann ihre Verstärkung durch ein engmaschiges Netz weiter vorgeschobener Filiationen.
zu Filiation c (5)
1846 Conversationslex. f. d. kathol. Deutschland I 229
der Beweis der Filiation, d. h. daß alle Personen des Stammbaumes aus einer wahren u. giltigen, erforderlichen Falles aus einer standesmäßigen Ehe entsprossen seien;
1883 Brockhaus VI 804
Filiationsprobe heißt die auf Urkunden und glaubwürdige Dokumente gestützte Nachweisung so vieler Ahnen, als in einem vorliegenden Falle erforderlich sind. Ist bei jeder auf der Ahnentafel genannten Person . . die Wahrheit des Angegebenen durch begründeten Beweis, beglaubigte Dokumente u. s. w. dargethan, so heißt dies der Filiationstext;
taz 28. 6. 1990
„Tochter aus traditionellem Berliner Schokoladenhaus später von Suchard oder so aufgekauft“, erläutert meine Gesprächspartnerin die kurze Filiationslinie von Heidi;
Frankf. Rundsch. 19. 3. 1997
Durch die vier Unterscheidungskriterien Geschlecht, relatives Alter, Generation und Filiation wird [in China] das nach der Länge der rituell geforderten Trauerzeit definierte Verwandtschaftsverhältnis bestimmt;
ebd. 30. 6. 1999
Wenn auch die Filiationsreihe der Könige von Wessex aus dem „house of Cerdic“ . . bis zum Jahr 781 nicht gesichert ist, so beginnt die bewiesene Stammreihe mit . . Ealmund, König von Kent und Wessex, gestorben 801.
zu Filiation d (3)
1923 Polit. Handwb. I 563
Filiation, Einteilung und äußerer Aufbau des Staatshaushaltsplans;
1925 Handwb. d. Kaufmanns II 323
Filiation nennt man die Gliederung des öffentlichen Haushalts oder Budgets nach Teilen, Abschnitten, Kapiteln, Titeln, Nummern u. dergl.;
1988 Brockhaus VII 281
Filiation . . Gliederung des Staatshaushaltsplanes. HS