Deutsches Fremdwörterbuch
Gen
N. (-s; -e, vereinzelt -en), Anfang 20. Jh. aufgekommene gelehrte Bildung (zu griech. γένος ‘Geschlecht, Abstammung, Gattung; Art’; → Genus), die von dem dänischen Botaniker W. L. Johannsen 1909 in seiner deutschsprachigen Schrift ‘Elemente der exacten Erblichkeitslehre’ eingeführt wurde.
Meist plur. verwendeter Terminus der Molekularbiologie in der Bed. ‘ursprünglich rein formal definierte Einheit der Vererbung eines Merkmals von einer Generation auf die nächste, Erbeinheit, -anlage, -merkmal, -faktor’, dann präzisiert auf den in den Chromosomen angesiedelten Träger einer Erbanlage ‘molekular definierte Einheit der Vererbung, Erbgutträger’, z. B. defektes, mutiertes Gen, dominantes/rezessives Gen, Gene steuern die Entwicklung aller Lebewesen, Erbkrankheiten lassen sich im Gen lokalisieren, ein zusätzliches Gen in die Zellen einschleusen, homogenes/heterogenes Gen; Genaktivierung, -anteil, -bibliothek/-bank, -familie, -food, -forschung, -lebensmittel, -ort, -manipulation, -mais, -molekül, -mutation, -soja, -struktur, -technik/-technologie ‘Teilgebiet der Molekularbiologie und Biotechnologie, das theoretische Aspekte und praktische Methoden umfasst’, -therapie, -tomate; genmanipuliert, -verändert; Regulator-, Struktur-Gen, vereinzelt übertragen verwendet (s. Beleg 1991).
Dazu die im frühen 20. Jh. vereinzelt, seit den 70er Jahren kontinuierlich nachgewiesene, aus Gen und (Chromos)om kontrahierte Kurzbildung Genom N. (-s; -e), fachspr. Bezeichnung für ein Chromosomenbündel, die Summe aller (darin befindlichen) Gene, das gesamte Erbmaterial/-gut, das neben Umwelteinflüssen für die Ausbildung eines bestimmten phänotypischen Merkmals (Erbanlage, -faktor) verantwortlich ist, z. B. Genomanalyse, -daten(-bank), -entschlüsselung, -forschung, -karte, -organisation, -pass, -programm/-projekt, -sequenz, -stück, -zentrum, mit der bereits seit Anfang 20. Jh. nachgewiesenen adj. Ableitung genomisch (weitgehend gleichbed. mit → genetisch), in Wendungen wie genomische Bibliothek, Datenmenge, Diagnostik, Instabilität, genomisches Material, Medikament, seit den 90er Jahren die subst. Ableitung Genomik F. (-; ohne Pl.) ‘Genforschung’ (→ Genetik) mit der vereinzelten Berufsbezeichnung Genomiker M. (-s; -), auch moviert Genomikerin F. (-; -nen) (vgl. Genetiker/-in, → Genetik), sowie die okkasionelle Bildung Genomisierung F. (-; -en) ‘einseitige Betrachtung und Erklärung der Entwicklung organischen Lebens unter dem genetischen Aspekt’.

Belege

zu Gen (18)
Gruber 1916 Aufgaben 23
Diese Erbmasse ist . . ein Mosaik von zahllosen einzelnen Anlagen oder „Genen“;
1920 Ehrengabe 840
Die Gene (Erbfaktoren) des Mendelismus sind die aktiven causae secundae der gesamten Zielstrebigkeit in der ganzen lebenden Welt in ihrer ganzen stammesgeschichtlichen Entwicklung;
1920–21 Jahresber. d. österr. Musealvereins LXXIX 52
daß ein Großteil der Eigenschaften des voll entwickelten Individuums bereits in der befruchteten oder entwicklungsfähigen Eizelle durch substanzielle Faktoren oder Gene . . ihre Ursache haben . . Als Sitz der Gene selbst erwies sich der Zellkern;
1932–33 Schweizer. Rundsch. XXII 2,868
auch im Seelischen [ist] eine Zeugung, eine erste durch die indirekte, in den körperlichen Anlagen, in den Genen, erfolgende Vererbung;
Nachtheim 1936 Wildtier 13
Erbanlagen, Erbfaktoren oder Gene;
Münch. N. N. 22. 2. 1944
dem harmonischen Zusammenspiel des im Kern lokalisierten Erbgutträger- oder Genkollektivs mit den im Plasma angesammelten Stoffen und Kräften;
Dtsch. AZ. 4. 6. 1944
ist dieses Genkollektiv bei Anwendung sehr starker Vergrößerungen so gut sichtbar zu machen, daß sich eine dreidimensionale Gefügekette seines Gesamtbestandes anfertigen läßt. Die einzelnen Gene erscheinen darin als dunkle Körnchen;
1950 Neue Rundsch. 286
Durch die Entdeckung der „Genen“ [!] sind wir imstande, „neue Rassen, neue Lebewesen zu schaffen“;
Mezger 1951 Kriminologie 108
indem wir vom „Gen“ als der Grundlage der Anlage und von der „Umwelt“ als gegebenen Faktoren ausgehen;
Hellpach 1952 Psychologie 11
Die Gene des Genius [Goethe] . . Goethes Gene, die Erbanlagen seines Wesens;
Stuttgarter Ztg. 6. 2. 1959
fand bei Arbeiten an Maispflanzen, daß die „permanente Veränderung eines Gens“ durch bestimmte Genen [!] möglich ist;
Wolf 1968 Besuch (W. IV o. S.)
Sehnen wir uns nach dem Tag, an dem Biologen die Eigenschaften unserer Nachkommen durch Manipulationen an der Struktur der Gene beeinflussen werden?;
ebd.
Das Gen ist eine – übrigens ziemlich kleine – Einheit der lebenden Substanz, die sich fortpflanzen, sich also selber abbilden kann;
Bad. Ztg. 3. 1. 1970
Neue GEN-Eigenschaften entdeckt (Überschr.) Wissenschaftler in Großbritannien haben neue Einzelheiten über den Aufbau von Genen, den Bauteilen der Erbmasse, gefunden;
Klingholz 1988 Gentechnik o. S.
Bald erkannten die Biologen – genau wie Mendel es gedacht hatte –, daß bei der Befruchtung einer Zelle jeder Elternteil die Hälfte eines Chromosomenpaares beisteuert. Die von Mendel beschriebenen „Merkmale“, nunmehr als Gene bezeichnet, mußten also irgendwo in den Chromosomen verankert sein. Die Wissenschaftler vermuteten dort Tausende von Genen;
Mannh. Morgen 17. 1. 1991
Der Tiefgaragenschlüssel erweist sich als der magnetisch Stärkere und tilgt die magnetischen Gene der Scheckkarte;
Berl. Ztg. 27. 6. 2000
Wie die Gene funktionieren und zusammenspielen, kann nun aus den Buchstabenfolgen des Erbstrangs herausgelesen werden;
taz 27. 8. 2001
Herr Johannsen hat . . das Kunstwort ‘GEN’ geprägt, 1909, er wollte damit die Diskussion über die materielle Existenz merkmalbestimmender Einheiten und ‘Erbanlagen’ versachlichen.
zu Genom (8)
Winkler 1920 Parthenogenesis 165
Ich schlage vor, für den haploiden Chromosomensatz, der im Verein mit dem zugehörigen Protoplasma die materielle Grundlage der systematischen Einheit darstellt, den Ausdruck: das Genom zu verwenden und Kerne, Zellen und Organismen, in denen ein gleichartiges Genom mehr als einmal in jedem Kern vorhanden ist, homogenomatisch zu nennen, solche dagegen, die verschiedenartige Genome im Kern führen, heterogenomatisch: Individuen, die dieselben Genome besitzen, sollen isogenomatisch, solche, deren Genome wesensverschieden sind, anisogenomatisch heißen;
1934 Archiv G Medizin XXVII 349
es ist weiterhin wahr, daß ein und dasselbe Genom zu ganz anderen Ergebnissen führt . . je nach der spezifischen Umwelt, in die es gestellt ist. Der Phänotypus, das Ergebnis des Zusammenwirkens von Genom (= Meront) und Plasmon (= Umweltqualität), stellt dann den . . Funktionskreis der Embryogenese dar;
Klingmüller 1976 Genmanipulation o. S. 
Der Anreicherungsfaktor für die betreffenden E.coli-Gene nach Aufnahme in das Genom speziell transduzierender Phagen beträgt demnach etwa 1 : 100;
Herbig 1978 Gen-Ingenieure o. S.
Das aus wenigen Genen bestehende Genom eines Virus . . ist vollständig entschlüsselt;
Lower 1988 Gentechnologie o. S
. Da das Erbmaterial von Viren, ihr Genom, im Vergleich zu dem von Bakterien oder von höheren Zellen überschaubar ist, kann es häufig ohne Probleme molekular kloniert werden;
taz 2. 1. 1991
Genomanalyse: Alle Macht den Genen (Überschr.) . . das „Human Genome Project“, ein Megaforschungsunternehmen, das die Kartierung des gesamten menschlichen Erbguts (Genom) zum Ziel hat;
Presse 3. 9. 1994
weil . . die Genome von Vater und Mutter . . bis zu vierundzwanzig Stunden nach der Befruchtung einander „abwartend gegenüberstehen“ und noch nach der Verschmelzung das väterliche Genom vom mütterlichen quasi „mitgeschleppt“ werde;
Vorarlb. Nachr. 18. 8. 2000
Forschern ist es gelungen . . das menschliche Genom fast gänzlich zu entschlüsseln. Das damit gelüftete Geheimnis vom Bauplan des menschlichen Lebens wird die Welt nach Aussagen der Wissenschaftler massiv verändern.
zu Genomik (3)
taz 14. 3. 1997
Denn angesichts des Ansturms der start-ups, die von der reinen Genomik – der Entdeckung von Krankheitsgenen – ausgehend die gesamte Forschung über häufig vorkommende Krankheiten zunehmend beherrschen könnten;
St. Galler Tagbl. 17. 3. 1999
Plattform des „nachhaltigen Wachstums“ über dem Marktdurchschnitt bilden die Genomik (Genforschung) und die darauf basierende Biotechnologie;
taz 16. 3. 2001
In dieser Branche [Pharmaindustrie], die durch neue Entdeckungen auf dem Feld der Genomik, aber auch durch die Globalisierung des Handels fantastische Gewinne verspricht . . Während sich mit der Genomik ungeahnte Möglichkeiten zur Bekämpfung von Krankheiten eröffnen.
zu genomisch (7)
1908 Dt. Zeitschr. f. Chirurgie XCVIII 342
Eine genauere Beobachtung aller angegebenen patho-genomischen Zeichen;
Heribert-Nilsson 1953 Synthet. Artbildung 290
In dieser graduellen und grösstenteils quantitativen Spaltungsvariabilität schlägt nur die genomische Blockvariation mit ihren festen Merkmalsgruppen durch;
Holzer 1978 Evolution oder Geschichte 174
daß ihre naturhaften Voraussetzungen für die gesellschaftliche Entwicklung aus dem höchsten Stand der tierischen Phylogenese und den darin kumulierten, ausdifferenzierten und genomisch verankerten Fähigkeiten resultieren;
Vossius/Jaenichen 1985 Patentierung o. S. 
Als genomische Genbank oder Genbibliothek bezeichnet man eine Population rekombinanter DNA-Moleküle, die das Genom eines bestimmten Organismus repräsentiert;
Salzb. Nachr. 26. 11. 1991
Für die Biologen ergibt sich daraus eine . . detaillierte Auskunft über das Verhalten genomischer und anderer biologischer Systeme;
Frankf. Rundsch. 15. 8. 1998
Genomische Instabilität bedeutet, daß Mutationen nicht bei den unmittelbaren Tochterzellen der exponierten Zellen auftreten, sondern erst nach 10 bis 15 Zellteilungen;
Berl. Ztg. 23. 5. 2001
Wann wird Schering das erste genomische Medikament auf den Markt bringen – eine Arznei also, bei der die Forschung beim Gen begann?