Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

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suchen, vb.

suchen, vb.,
in allen germanischen sprachen bezeugt: got. sokjan, ags. sēcan, as. sokian, an. soekja, afr. sēka, sēza, ahd. suohhan. aus idg. sprachen steht am nächsten lat. sāgio spüre, air. saigim gehe einer sache nach, suche; zur weiteren verwandtschaft vgl. Walde-Pokorny 2, 449. der umlaut des stammvokals erscheint im nd., er wird im md. verzeichnet von Crecelius oberhess. wb. 827; Spiess henneb. id. 248; Hertel Thüringen 240; Gerbet Vogtland 425 und auf kolonialem boden bei Schröer deutsche mundarten des ungrischen berglandes 225. neben eigentlichem suchen 'einer sache nachspüren, sich bemühen, sie aufzufinden' (dann auch 'jemanden aufsuchen, ihn bedrohen, angreifen') steht eine reich bezeugte bedeutungsgruppe mehr unsinnlicher art: 'erstreben, trachten nach', s. u. 5. der gebrauch von suchen in der rechtssprache (s. u. 7) ist nicht zu trennen von den composita besuchen, ersuchen, s. deutsches rechtswb. u. Staub-Tobler schweiz. id. 7, 220; 229.
1)
'sich bemühen, etwas zu finden', das object folgt im acc. oder ist mit um, nach angeschlossen.
a)
als sinnlicher vorgang, meist handelt es sich um einen concreten gegenstand, dessen örtliche lage ungewisz ist.
α)
allgemein: see diin muoter enti bruoder stantant uze suohhent dih Monseer fragmente 7, 23 Hench; allero giwelih thie bitit inphahit inti thie suohhit findit Tatian 40, 5;
sus begunder suochende gân
und sach ein schœne palas stân
Hartmann v. Aue Iwein 6425;
dô wart ûz den schrînen   gesuochet guot gewant
Nibelungenlied 275, 1 L.,
in gleicher verwendung auch Walther v. d. Vogelweide 30, 31; 34, 23; item 1⁄2 m vor das vortrunkene silber weder zu suchen Marienburger treszlerbuch 548 Joachim; do der abt und die münche vernamen, daz sie nicht wider zuͦ im selbes kame, in an griffen, den pulsz suchten, aber nit funden Arigo dekamerone 220 Keller; die czwei jungen rechlein ... ir speise in dem walde suchten Arigo dekamerone 93 Keller; (die bienen), die der uszern farben nit acht habent, sunder suochent sie die süssikait des honigs Steinhöwel Äsop 4 lit. ver.; den wäg mit den henden suchen iter caecum explorare Frisius dict. 518ᵇ; den andern theil der adern such mit einer nadel und zeuch in herfür Gäbelkover artzneybuch (1595) 211; wann ... ein rosz einen vollen fetten kopf hat, so suche eine qverhand unter das auge, da fühle hinein, da liegt es in der haut wie ein finger dicke M. Böhme roszartzney (1618) 18; umb herberg suchen Moscherosch gesichte Philanders 1 (1650) 31; (das) instrument wird gebraucht, wenn ein rosz ein unsaubern hals und die würme drinnen hat, so sol man sie damit suchen, auch solche gewisz in dem halse finden wird J. Walther pferdezucht (1658) 158; vom einzäumen und satteln, davon suche auch droben im 9. capitel ebda 27, dazu vgl. sursum trahere soke Diefenbach nov. gloss. 356ᵇ; unser suchen nach ihr ganz vergeblich ware A. U. v. Braunschweig Octavia (1677) 1, 333; fand sich zuletzt, freilich nach unermüdetem suchen und anklopfen, noch irgendeine gutmüthige seele U. Bräker s. schr. 1, 205; mich lüsts um einen häring (sucht um geld im sack) samml. v. schauspielen (haush. n. d. mode) 6, 66; und hiernächst hat mir der verzweifelte Guido de Columna so viel suchens (in der bibliothek) gemacht Lessing 18, 208 L.-M.; vor den häusern nach dir suchend herumbetteln Brentano 5, 162; Abdias zündete sich nichts an, sondern suchte nach der wange des weibes, kniete nieder und küsste sie zum abschiede Stifter s. w. 3, 39; hätte man das überschreiten der sächsischen grenze um vierzehn tage verschoben, so würden wir heute ... die schlachtfelder des krieges auf der landkarte von Schlesien zu suchen haben Moltke ges. schr. 1, 29; vergebens hatte Mozart unter der groszen menge italiänischer operntexte nach einem brauchbaren gesucht Jahn Mozart 4, 193. häufige verbindungen: mhd. herberge, furt suchen, s. mhd. wb. 2, 2, 9, dort auch das häufige weg suchen, das namentlich uneigentlich begegnet (s.b β), ebenso übertragen: soll das nicht seine (des teufels) letzte verstörung sein, so mus er und wirt ein ander schlupfloch suchen Luther 15, 128 W.; das die propheten alda an der saal raum und loch suchten, ihren geist und gift auszubreiten 18, 96; wie sucht frau Hulda lucken und löcher? 18, 205. ein nebensinn 'zu erwerben, sich zu verschaffen trachten' tritt hinzu, während der gedanke an die örtliche unbestimmtheit zurücktritt:
ich will mir suchen ein andern herrn
H. Sachs 21, 10 lit. ver.;
bist du ledig, such kein eefrowen Zwingli deutsche schr. 1, 133; treibet einen die noth, solche dienste ausserhalb zu suchen Moscherosch insomnis cura 44 ndr.; mancher ... kirchendienst vergeblich suchen muss B. Schupp schr. (1663) )( 2ᵇ; meine häuszlichen umstände nöthigen (mich), mir eine gehülfin zu suchen Lessing 2, 11 L.-M.; personen, die ein amt, eine anstellung suchen Göthe 25, 52 W. heute allgemein einen gesellen, einen lehrling, ein hausmädchen suchen, eine stellung suchen.
β)
der sinnliche vorgang des suchens ist in seiner art näher ersichtlich:
sinen blic
wirfet er lieblich nach dir,
suchende ob sine gir
si da dime lebne bi
Daniel 8246;
ihre wünsche in ihren augen suchend Göthe 45, 70 W.; ihre blicke spielten umher, sie schien etwas mit den augen zu suchen Eichendorff s. w. 3, 279; (er sperrte) die augen weit auf und suchte mit denselben rings auf dem platze ein haus, wie einer, der aus einem schweren traume erwacht Keller 4, 22; als ich suchend die nun ganz verdunkelte gasse hinunterblickte R. Huch triumpfgasse (1902) 2; er richtete seinen unsicher suchenden blick auf den doctor M. v. Ebner-Eschenbach 2, 46; oft sasz er stundenlang, mit stieren blicken den boden suchend M. Beer s. w. 44. in anderen fällen tritt eine bewegungsvorstellung stärker hervor: die krippe laufft dem ochsen nicht nach, der ochs musz die krippen suchen Petri der Teutschen weissheit (1604) 2, q 7ᵃ; wie Cato sagt, das hauss suche nit das land noch das land das hauss Sebiz feldbau (1579) 31; ebenso natürlich und nothwendig als dasz der frosch das wasser sucht Göthe 21, 478 W.;
und zischend, mit geschwelltem kamm
die eidechs sucht den hohlen stamm
die weitere entwicklung führte dann zur bedeutung 'hingehen und aufsuchen', s. u. 3.
γ)
anwendungsbereiche besonderer art. in der bergwerkssprache 'erz schürfen': wo ein man ercz suchen wil, das mag her thun mit rechte (14. jh.) Freiberger urkundenbuch 2, 268; die wil der suchenthalp do ist Diesselmuter bergweistum (1377), s. zeitschr. für bergrecht 13, 74; allermeniglich, so umb berürten Dachsberg ... von perchwercksarbeit, suchens und erpauens willen sich einlegen (1522) Lori baier. bergr. 185. bergwerk suchen: (wir verleihen) allen denen ..., so in diss bergwerk gangen sind und noch gan wurdent ... das gebirg und bergwerk in der grafschaft Salgans gelegen ..., also dasz si solichs nach bergwerksrecht suchen, buwen, nutzen und nieszen sollen und mögen (1521) nach Staub-Tobler 7, 214; diese kunst den berckleuten, die bergwerck suchen, ... sehr dienstlich Ercker beschreibung (1580) 1ᵃ. als 'aufspüren, fahnden nach, verfolgen', s. sucher:
suͦchin er (Saul) in (David) da gebot
Rudolf v. Ems weltchron. 24482;
und taten ir mit warheit kunt
wie man si suͦchte uf den lip
15896;
in hat auch der Machmet gepoten, das sie die christen und alle, die wider sein glauben sein, suchaten pei tag und pei nacht Schiltberger reiseb. 92 lit. ver.; ouch hant si (des bischofs dienstmannen) daz recht, ... swa ieman in ir hus entrinnet, den sol nieman sœchen (13. jh.) bei Staub-Tobler 7, 215. als 'beute suchen, plündern': dann die reutter, die in dasz landt waren gelegt, thätten nit dann voglen und suechen Basler chron. 7, 303, s. o. such. in der jägersprache: il queste bien er (der hund) sucht wohl Duesius nomencl. (1652) 185; wie man hasen suchen sol haushaltung in vorwerken 215 Ermisch-Wuttke; such! verloren! (stehende wendung, um den hund auf die spur zu schicken) Döbel jägerpractica (1754) 1, 109; Staub-Tobler 7, 213.
δ)
formelhafte redewendungen: (etwas sucht) seines gleichen hat nicht seines gleichen, ist unerreicht: ich hab einen hund, der seines gleichen sucht Klinger w. 1 (1809) 143; an zähheit sucht es (das israelitische volk) seines gleichen Göthe 24, 248 W.;
bist du der (mörder) auch,
so suchst du deines gleichen
Schiller 13, 83 G.;
in dem lebendigen, echt dramatischen ... sucht dieses recitativ seines gleichen O. Jahn Mozart 4, 620. die formel etwas zu suchen haben entstammt anscheinend der rechtssprache, s. u. 7 b. mundartlich begegnet ein unpersönlicher gebrauch, dessen sinnlicher ausgangspunkt nicht mehr ersichtlich ist: es sucht in einem, im bauch vom leichten schmerz beim bauchgrimmen, nach genusz eines abführmittels Staub-Tobler 7, 213; Martin-Lienhart 2, 323; Follmann lothr. 511; weiterhin der magen sucht knurrt Fischer schwäb. 5, 1946; s het mi schon lang gesuecht von den ersten leichten anfängen der krankheit Martin-Lienhart 2, 323.
ε)
suchen im sprichwort: man sagt: wer das erste mal gen Rom gaht, der sucht einen schalck, zum andern mal find er ihn, zum dritten bringt er ihn mit erausz Luther 6, 437 W. suchen mus mans doch zuletzt do es ist Friedrich Wilhelm sprichw. (1577) e e 1ᵃ; wenn der feind im hausz ist, musz man nicht ihn draussen suchen Lehman flor. pol. (1662) 1, 218. es suͦcht offt einer, das er vor lang funden hat sprichw. (1548) 103ᵃ; es sucht offt einer ein pferd und sitzet oben darauff Petri der Teutschen weisheit (1604) 2, D d 1ᵇ. so sucht selten einer den andern hinder dem ofen, der nit zuvor auch dahinden gestanden ist J. Mathesius Sarepta (1571) 153ᵇ; es sucht keiner den andern im sack, er sei denn zuvor selber drinn gesteckt Lehman flor. pol. (1662) 1, 50; vom vergeblichen und unnötigen suchen: suͦchst ein knopf (als sprichwort ist) an der bintzen J. Dittenberger ob sant Peter zu Rom sei gewesen (1524) a 3ᵇ, s. teil 5, 1472; aquam e pumice postulas du suͦchest würst im hundsstall Tappius adag. (1545) v 7ᵇ; den fünften zipfel am sack suchen Fischart Garg. 242 ndr.; im meer wasser suchen S. Franck sprichw. (1545) 1, 49; er hat ... Moses grab gesucht Lehman flor. pol. (1662) 2, 798.
b)
unsinnlich als geistige tätigkeit.
α)
durch nachdenken erkenntnisse, gedanken, auch ihre ausdrucksform, zu gewinnen suchen:
suahtun io innan thiu   urkundi luggu,
thaz sie nan thoh mit luginon   mohtin thar biredinon
(quaerebant falsum testimonium Matth. 26, 59) Otfrid IV 19, 24,
hier in anlehnung an die vorlage (s.γ), jedoch selbständiger:
nû sint die cardinal sô karc
daz si ungerne fliesen.
die begunden suochen unde kiesen,
mit wiu si wurden gewert
darumb darfstu nicht lange süchen und nach allen sunden trachten Luther 15, 489 W.;
wer überlegt, der sucht
bewegungsgründe, nicht zu dürfen
Lessing 3, 72 L.-M.;
philosophen, das ist, leute, die deutliche begriffe suchen Herder 5, 17 S.; (ich) habe keine worte, keine gedanken, dir zu sagen, was geschah, und nie will ich darnach suchen Klinger w. 4, 99; verstehen sie das gleich auf den augenblick oder müssen sie den verstand erst durch gegeneinanderhaltung der sätze suchen Lenz ges. schr. 2, 329; zuerst suche ich, woher es komme, dasz man so gerne in gesellschaft läuft Zimmermann einsamkeit 1, 7; wie der bearbeiter ... leichtere übergänge sucht, ... überall verständlicher ... zu werden strebt Ranke s. w. 1, 174; so sollen wir doch nicht verschmähen, die technischen regeln ... zu suchen und verständig zu gebrauchen G. Freytag technik des dramas, ges. w. 14, 5; (er) suchte schreibend erst die gedanken W. H. Riehl musik. charakterk. 1, 307;
ein sinn
wird nur von dem gefunden, der ihn sucht
Schnitzler kakadu (1899) 56.
in allgemeinerer bedeutung: wer sucht, wird zweifeln Novalis im Athenäum 1, 2, 77; häufig: die warheit suchen cercare, ricercare la verità Kramer dict. 2 (1702) 1032ᶜ;
wenn ihr im suchen euch trennt, wird erst die wahrheit erkannt
Göthe 5, 231 W.;
deutlich übertragen: darumb suͦche es von innan in dem grunde und lo din uzlouffen und din uzsuͦchen sin Tauler pred. 14, 25 Vetter; wenn sie in sich blickte und suchte, war es in ihrem geiste leer Göthe 21, 45 W.; von allen fehlern und untugenden seiner zöglinge muss der erzieher den grund in sich selbst suchen Salzmann ameisenbüchlein (1806) 17. die örtliche angabe zeigt, dasz hier der sinnliche gebrauch ins unsinnliche übertragen ist. gleiches gilt von den folgenden belegen: es ist lächerlich, den wahren geschmack ... in Frankreich zu suchen Gerstenberg recensionen 88 lit. denkm.; Griechenland ist die schule aller schönen künste gewesen; hier musz man also den ursprung der dramatischen poesi suchen Ramler einl. (1758) 2, 285;
wie oftmals suchen wir von eines reiches fall
und mächtger thronen sturz, die ursach überall
Zachariä poet. schr. 1, 89;
und man findet sie (die auflösungen der rätsel) nicht, eben weil man zu tief suchte Herder 12, 187 S.; diese gestalt der kunstschönheit, diesz bild der liebe suchte er (Winckelmann) allenthalben, wollte sie auch im bloszen abglanz sehen Herder 3, 70 S.; wenn sich Deutschland gar nicht mehr gleichet, so ist der grund davon in dem anbau desselben ... zu suchen M. I. Schmidt gesch. der Deutschen 1, 3; will man ... von einer solchen abbildung gebrauch machen, so soll man in der wirklichkeit eine annähernde gestalt suchen Göthe 49, 235 W.; wir suchen überall das unbedingte und finden nur dinge Novalis im Athenäum 1, 1, 70. als selbständiges part. präs.: (Lavater) ist ... unter den suchenden des achtzehnten jahrhunderts, wie ich diejenigen nennen möchte, welche den spuren der verlohrnen wahrheit unermüdet nachgingen, nebst Lessing der vortrefflichsten und der merkwürdigsten einer Fr. Schlegel gesch. der lit. 2, 293; in der mannigfaltigkeit dieser pläne spiegelte sich der wandel der kunstempfindungen eines suchenden jahrhunderts Treitschke 19. jh. (1894) 5, 405; noch mehr als ausdruck des unsicheren tastens: es (das leben Rodins) wird eine kindheit gehabt haben, irgendeine, eine kindheit in armut, dunkel, suchend und ungewisz R. M. Rilke Rodin (1928) 8. diese belege reichen bereits in die gruppe 'trachten, streben, sich sehnen nach' hinein, s. u. 5.
β)
formelhafte verbindungen; z. t. handelt es sich um die umsetzung einer auch in concretem sinne üblichen verbindung ins geistige, so bei dem häufigen einen weg suchen: wär auch, dasz ... ainer den andern truegen und ungleich weeg suechen wollte (1423) Lori baier. bergr. 26ᵃ; alsz nun dise brief ... verfertiget waren, hat oft gemeldter abt weg gesuͦchet, dieselben dem herzog anzuzeigen und verkunden Knebel chron. v. Kaisheim 220 lit. ver.; im fürsatz wäg zu suchen, wie er Othonem ... verrahten ... möchte Stumpf Schweizerchron. (1606) 749. und sonst: ambages agere vil auszzüg suͦchen Frisius dict. (1556) 65ᵃ; colligere causas eine entschuldigung suchen 246ᵇ; drümb bleiben sie nicht bei dem text, suchen ausflüchte Luther 20, 569 W.; vgl. 16, 2; 16, 56; 26, 396; verstanden si wol, das er ursach suchet Knebel chronik v. Kaisheim 183 lit. ver.; suchet der teufel andere mittel B. Krüger anfang u. ende der welt (1580) a 3ᵇ; du suchst eine ausrede Göthe 24, 45 W. mit subjectswechsel: (die überquellende lebenslust), die nach ausdruck sucht und ihn bald findet Böhme gesch. des tanzes 1; dies gefühl, das in seinem herzen nach worten suchte Grimm Michelangelo 1, 97; reflexiv: grosze gedanken ... suchen sich ihren ausdruck Bettine die Günderode 1, 14; wider jemanden etwas suchen: man halt sich auch freuntlich mit den nachbarn, such nichts wider sie Sebiz feldbau (1579) 37.
γ)
wie die voraufgehenden belege zeigen, hat sich suchen im laufe der sprache nicht zu einem selbständigen ausdruck einer bestimmten geistigen tätigkeit entwickeln können. auffallend sind deshalb frühe lexikalische angaben: loicus ein lerer der suchenden kunst Diefenbach 335ᵇ; vgl. damit: logicus ein kunst suchender meister Diefenbach nov. gloss. 238ᵇ; intellectus balderkennend selkraft, racio suochend selkraft vocabul. optimus 13ᵇ Wackernagel. abseits stehen auch die vielen ahd. belege, in denen suchen lat. quaerere wiedergibt ('fragen stellen, sich mit jemandem befragen'). es ist unwahrscheinlich, dasz es sich hier um lebendigen sprachgebrauch handelt: manage sint sohhenti in huuelihheru ziti gotes sunu kaboran uurti querunt multi quando sit dei filius genitus Monseer fragmente 33, 28 Hench, vgl. ebda 34, 27; aliunde quicquam querere non detur occasio allasuuanan eouueht suahchan min si kikeban frist bei Steinmeyer kl. ahd. denkm. 244, 7 (Benedictinerregel); mittiu sie sprachun inti mit in suohtun dum fabularentur et secum quaererent Tatian 224, 2; gisah her thie buochera suochente mit in scribas conquirentes cum illis 91, 6; fon thiu suohet ir nu untar iu uuantih quad de hoc queritis inter vos quia dixi 174, 3, ebenso ags.: of đisse gê sœcas bitwih iow de hoc quaeritis inter vos Bosworth-Toller suppl. 700ᵇ; so noch erste deutsche bibel 1, 403.
c)
bei jemandem, hinter jemandem etwas suchen u. ä. in dieser verbindung geht suchen in die bedeutung 'vermuten, erwarten' über. es handelt sich dabei meist um ein unbegründetes erwarten oder nichterwarten: wer verstand bei einem amanten suchet, der suchet gold in der chymisten schmeltzkolben S. v. Birken ostländ. lorbeerhayn (1657) 23; er hätte in dieser sandichten fläche keine wasserkunst gesucht Lohenstein Arminius (1689) 103ᵇ; wenn ich hinter einem paar glasthüren, wodurch ein seidner vorhang leuchtet, ein putzzimmer suche und ein ganz andres gemach dahinter treffe J. E. Schlegel w. 5, 215; diese (die phantasie) nimmt dieselben so wie sie ihr in dem cörperlichen und sichtbaren kleide vor augen gestellet erscheinen und sucht kein tieferes geheimnisz darunter als was sie siehet und empfindet J. Bodmer abh. v. d. wunderbaren 42; überhaupt musz man die (orthographie) beim sächsischen frauenzimmer nicht suchen Göthe IV 1, 112 W.; dasz man da wunder sucht, wo ... alles ganz natürlich vor sich geht W. v. Humboldt br. an Welcker 62; beweglichkeit ... der rede, die man bei einem Westfalen nicht suchen sollte Arndt s. w. 1, 115; viele der besten seiner leistungen finden wir, wo man sie nicht suchen sollte — im drama Ludwig ges. schr. 5, 39; gern in der irrealen form: ein junger professor ..., in dessen unscheinbarer gestalt ... niemand heldenmuth oder kühnheit gesucht hätte Ranke s. w. 2, 9; hatte ich doch in dem trocknen vogel die schelmerei nicht gesucht Gottsched deutsche schaubühne 5, 120. üblich wurde etwas hinter jemandem suchen: der pfarrer zuo sant Martin ... bewärt sin schlussred mit vil gschriften so grüntlich und wol, daz ich mich syn verwundret; hett es ouch nit hinder im gesuocht (1525) bei Staub-Tobler 7, 212; ei, wer solt das hinder dem bauren gesucht haben Tappius adag. (1545) v 7 β; (er) öffnete den verborgenen schatz, welcher von gold ... viel reicher war, als man hinter den bauren hätte suchen mögen Grimmelshausen Simplic. 17 ndr.; s. a. Staub-Tobler 7, 212.
2)
untersuchen, erforschen, prüfen. nicht die örtliche lage, sondern der zustand oder das wesen eines dinges wird festgestellt.
a)
discucienda ze suchenna sint (subtiliter itaque ab arguente discutienda sunt opera protervorum) ahd. gl. 2, 200, 43. vgl. nec rimamini ne sokiad 2, 581, 38 und ags.: hit is smealîce and yeornlice tô sêcanne sunt subtiliter occulta perscrutanda Bosworth-Toller suppl. 700ᵇ; probandi zi suohhanne ahd. gl. 2, 298, 16; rimare suchen, erforschen Diefenbach 498ᵇ; inquirere er-, herforschen, suchen 300ᵃ; perlustrare suchin 428ᵃ.
b)
probasti nos deus, igne nos examinasti sicut igne examinatur argentum kesuahtoos unsih ... fuire unsih ersuahtos soso fuire ist ersuahhit silbar kl. ahd. denkmäler 214, 16 Steinmeyer; we den anderen wundet met echachtenden wapenen, de wunden sal men soken und pröven Dortmunder statuten 80 Frensdorff; da oder da ist geschriben; so wollend wir dasselbig suchen, ob dem also syg Zwingli dtsche schr. 1, 130; item man sucht und beschaut auch saltz und harnasch, wann man hette daz vor gepoten städtechron. 2, 333; dasz die (wasserseher) täglich in wehrender arbeit die wasser suchen, dieselben fleiszig vermachen ..., einer den andern, wie er das wasser befunden, vermelden ... sollen (1616) bei Lori baier. bergrecht 497; es mögen andere, deren geist alles genauer suchen wil, dasjenige, was ihnen gewisse bewehrte gründe, so sie erforschet, weisen, lehren Gueintz rechtschreibung (1666) xᵇ; für das richterliche untersuchen:
thas suach er mit then forahtun   uuaz mennisgon io uuorahton
Otfrid V 20, 8;
thun sie nicht dazu, das solcher mord gesucht und gestrafft werde Luther 23, 408 W. bei personalem object 'auf die probe stellen, versuchen':
do si des gelegen wârn
unz an den funften tac,
der kunic dô der liste phlac,
daz er suochte den herzogen,
ob im getorsten nâch zogen
von Osterrîch die frechen
Ottokar v. Steiermark reimchr. 71066;
die kunigin Sabaa ... kam in zesuͦchen (var. versuͦchen) ... in verborgen geleichsamen erste deutsche bibel 5, 286;
ach arger trieger Sathanas
billich so treist du gottes hasz,
den du suchst in frasz, hoffart, gydt
der doch verstundt dein valsch und nydt
der ewigen wiszheit betbüchlin (1518) 94ᵃ.
c)
genau suchen scharf untersuchen, prüfen, vgl. teil 4, 1, 2, 3352: perquisite mit fleyssiger nachfrag und erforschung, gnaw gesuͦcht Frisius (1556) 989ᵃ; wo er (der pharisäer) solche grobe knoten hette gewirkt, würde sie das euangelion haben antzeigt, weil es ihn so genau sucht, das es auch sein purpurkleid und essen antzeigt Luther 10, 3, 178 W.; wann sie ewern ernst sehen, so werden sie fro sein, das ihr unter sie kumet wie Saul unter die propheten, wie wol wann sie daz recht genaw süchen wolten ..., so würden sie (die katholiken) euch nicht bald annehmen, sondern ubel mit euch umbgehen E. Alberus widder Jörg Witzeln mammelucken (1539) l 4ᵇ; meist 'scharf verhören': wenn der teufel, als er uns genach sucht, sprechen wirt: wo hast das in der schrieft gelesen? Luther 10, 3, 43 W.; wo man im (dem beklagten) so genow suchen wölt (1527/9) bei Staub-Tobler 7, 213; dort auch das adj. genausüchig (1529) (zu) genau nachforschend und entsprechendes genausüchigkeit (1691) ebda 7, 234. — es genau suchen, vgl. heutiges es genau nehmen: sucht es nicht so genau mit ihm (dem meier), das er nicht vieleicht ursach zu klagen bekomme Sebiz feldbau (1579) 39; mehr als 'ahnden, strafen': darum schleuszet sie ihrer blindheit nach hieraus, gott hab ihm zu viel gethan, er sei gar zu gestreng und suche es zu genau Luther tischr. 2, 83 Förstemann-B.
d)
versuchen, die probe machen: mich zwingt armuͦt, das ich hie umbgang und suͦch, ob mich got beraten wölt Fortunat 35 ndr.; öfter als technischer versuch: also wirdet die zirckellini ... geteilt, ... wer es will geneuer haben, der such es demonstratione A. Dürer underweysung (1525) e 4ᶜ; wie nun die ... krummen mauren ... in den oberen grund eingeteilt sollen werden, das suͦch man durch disen ... weg ders. underricht (1527) a 3ᵃ; in den folgenden figuren süche, wie du die löcher auf den schweitzerpfeifen ... greifen solt M. Agricola musica deudsch 24 Eitner. 'feststellen': und (sollen) nach dem trucknen wieder wägen, damit sie den abgang der nässe wieder suchen Span speculum (1698) 22.
3)
suchen als verb der bewegung: 'aufsuchen', seit frühester zeit bezeugt, auch auszerdeutsch, s. mhd. wb. 2, 9; Lexer 2, 1321; Staub-Tobler 4, 284; Schiller-Lübben 4, 284 und Sehrt wb. zum Heliand 489; Bosworth-Toller angl.-sax. dict. 854; suppl. 700.
a)
allgemein, zu vergleichen sind auch die belege unter heimsuchen, gesuchen und mhd. wb. 2, 2, 9: invisere sohhen, sohken, soohen ahd. gl. 1, 178, 23; ofto suochet frequentate 2, 761, 23; vgl. frequentantem oft sēcende Wright-Wülker anglosaxon. voc. 2, 34, 18; frequentare stedeklich suchin Diefenbach 247ᵃ; visere suchen 623ᵃ:
meistar, quadun, hugi thes:   si farent thines ferehes
mit selb steinonne;   nu suachist sie afur thanne?
(et iterum vadis illuc)
Otfrid III 23, 32;
gefangen was ich hertenklich,
da suchtent ir mich tugenlich
Mone schausp. des mittelalters 1, 286;
so mag unser einer ... wol dannan riten, unser friund suchen und in (den Zürchern) ze friund gewinnen (1352) bei Staub-Tobler 7, 214; die da ain eelich muͦter Lucrecie was und die Lucrecia oft suͦcht und noch ofter von ir haimant ward gesuͦchet und besechen Niclas v. Wyle translationen 43 Keller; es ist ouch alle unsre tag unser will ... gewesen, daz ir uns mit üwer früntlicher zuokunft suochtind, als daz hüt beschechen ist (1487) bei Staub-Tobler 7, 214;
da Peter ihr krankheit vernam,
er suchts daheim und klagt sie sehr
history Peter Lewen 455 Schade;
er solt mich kranchen suchen und den rechten weg leren, mich spissen und in minen notten trosten bei H. Haupt ein oberrheinischer revolutionär 121;
ich wil mein freundt suchen zu hausz
H. Sachs 6, 155 lit. ver.;
etliche hebammen auch, die solches (abtreiben) wehren solten, lassen sich umb geschänck und gaben willen auch also suchen und uberlaufen J. Ruoff hebammenbuch (1580) 41;
wenn du von mir ziehst
so suche meinen schwager, könig Heimer,
vielleicht blüht dort ein heitrer augenblick
Fouqué held des nordens (1810) 1, 71.
ein land, einen ort aufsuchen: nen Dithmarscher noch kopman, de dat land to Dithmarschen sœcken will edder hefft socht, schall nenen tollen geven (1341) bei Westphalen monumenta 3, 1758; Petrus zœhte (adiit) Romam (1473) bei Schiller-Lübben 4, 284; de nummande bedreigan kan, de soke de wostenie Tunicius sprichw. nr. 561; diese ursach, frembde land zu suchen buch der liebe (1587) 152ᵇ; mit adv. zusatz: alle de yenne, de myt erer veylen have de stad van Bremen soken to und af (1488) bei J. P. Cassel ungedr. urk. 78; (pfähle in der Eider) dar op de schepe to unde aff sokende stoten (1480) bei Michelsen Dithmars. urkundenb. 83. im niederdeutschen ging die entwicklung am weitesten. suchen wurde intr. verb der bewegung ('kommen, gehen'): de cœplude, de to Bremen unde darvan soket (1387) bei J. P. Cassel ungedr. urkunden 198; hebben menighen man vordreven de tho us sochte Mecklenburgisches urkundenb. (1395) nr. 12745; dat nymant in unse böme unde lantwere sœke mit waghenen (1418) Lübecker urkdb. 6, 55; to Schonen soken unde komen 9, 856.
b)
häufigere verbindungen in der älteren sprache: ih mina chirichun so nesuahda duruhc mammendi mines lichamen ... sose got habet geboden Reichenauer beichte (9./10. jh.) bei Steinmeier kl. ahd. denkm. 332, 11; vgl. ebda 330, 10 (Mainzer beichte); dia chirihhun suahhan in die kirche gehen; dia pfarrkirchen suechen, haimsuechen bei Schmeller-Fr. 2, 215. als 'wallfahrten': he globete sin grab zu suchene leben des hl. Ludwig 80, 30 Rückert; sin grab alle jâr suchen mit einem phunde wachs 86, 6; ich bin willens den tempel gottes zum heiligen grab zu suchen hertzog Aymont (1535) l 5ᵃ; die pilgerin die das heilge lant suͦhtent ... beschirmen städtechron. 9, 563; er hat sin wonung bi ainem trüwen man, mit welches rat und anzaigen er das münster sant Petter und Pals sucht Oheim Reichenauer chron. 6 lit. ver.; die heiden von allen landen suͦchent disen Machemet städtechron. 9, 534; vil edler leut ausz teutschen landen kamen gen Rhom, sant Peter und sant Paulum zu suchen J. Pauli schimpf u. ernst 72 lit. ver.; 'an den hof gehen':
ir ... liezet iuch bevillen
der reise zuo der selben zît,
der ir dem rîch gebunden sît
sînen hof ze suochen
Ottokar reimchron. 14805 Seemüller;
der furste ouch hoves dicke plac,
daz in die herren suͦchten
Elisabeth 145 Rieger;
besonders häufig vom besuch einer öffentlichen zusammenkunft; vgl. auch die belege bei Richthofen altfries. wb. 1003; Schiller-Lübben 4, 285; Staub-Tobler 7, 214:
pharrær und prelâten
die des sint gebunden,
daz si z'allen stunden
in Salzburgære bistum
suln suochen daz concilium
Ottokar v. Steiermark reimchron. 28105;
iewelk cristen man is sent plichtich zu sûchene drîes ime jâre, sint her zu sînen jâren komen is; ... vrîheit diu is aver drîer hande: scepenbâre die der bischoppe seint sûchen solen, plechhaften der dûmprôveste, lantsêten der erceprîstere Sachsenspiegel 19 Eckhardt; swer daz ehaft taidinck niht suochet, so geit er einen ohsen, der 60 D wert ist weist. 6, 117; und mussen auch alle lantsidel, die do siczen in dem obgenanten dorfe, solichen sibenden süchen von des closters wegen 6, 11; (er sei so krank,) daz he daz dinc noch kein dinc (gerichtsverhandlung) gesuchen muge (c. 1400) urkundenbuch von Freiberg 3, 30. den tag (eines tages) suchen, s. a. unter gesuchen und mhd. wb. 2, 2, 9ᵇ: der sinnebote muz ouch sweren also, daz der man, so suchtesich si, daz he daz dinc noch kein dinc gesuchen muge urkundenb. v. Freiberg 3, 30; (der klägerin wurde) ein früntlicher tag für min herrn custor zum grossen münster gesetzt, dahin sy ouch kam und den tag suochte (1451) bei Staub-Tobler 7, 214, ebda weitere belege; es wurden vil tag gesucht von fürsten und stetten städtechron. 4, 124; denselben tag wolt marggraff Albrecht nit suchen und schreib den tag wider ab städtechron. 2, 140; (den) landtag suͦchen (1514) bei Fischer schwäb. 5, 1946; öfter bezeugt auch in der verwendung mercatus concelebrare die gemeinen marckt suchen, auf die marckt oder mässen ziehen Frisius dict. (1556) 276ᵇ; daz die uwern unszn mercket nicht suchin wollint (14. jh.) bei Diefenbach-Wülcker 870; (wir) gebieten üch allen unsern getruwen undertanen ..., daz ir dieselben zwen jarmerkt suochent und üebent (1363) bei Staub-Tobler 7, 214, ebda weitere belege; das ouch ieglicher derselben jarmerkte und alle die lute, die dorzu und davon ziehen und die suchen, alle die gnade, freiheit, recht, fride, geleite, schirme, redliche gewonheit, ordnung und herkomen haben ... sollen (1417) stadtrecht von Neuenburg am Rhein 51 Merk; do ne wolden die coplude dar nicht wedder buwen, umme dat de markete dar weren vorboten to sokende van deme hertogen bei Lappenberg Bremer gesch.-quellen 61. wun und waid, waid und waszer suechen (das vieh) auf die (gemein-)weide treiben Schmeller-Fr. 2, 215; den blumen suchen vieh auf die weide treiben ebda; do man die almend suoch(t), zalt man 1 lb 8 β (1377) bei Staub-Tobler 7, 214; item süllent die, so unsers guotes pflegent ... unz ze disen pfingsten ünser almende suchen und von disshin also jerlichs (15. jh.) ebda; da sich schäfere ... mit denen ... heerden widerüm in die ... auen begeben, die gewöhnliche weide zu suchen S. v. Birken forts. d. Pegnitzschäferey (1645) 4. formelhafter: si hetten ettliche güetter ussert irem zwing und bann liggen, daruf sy weid suochten ..., getruwten, das sy als nachpuren den weidgang wie von alters har zuosammen suchen solten (1555) ebda 217.
c)
verbindungen, die bis in die gegenwart reichen:
da sucht ein jeder sein schlafbett
und sich darein verbergen thet
J. Spreng Ilias (1610) 1, 1ᵇ;
sahe ich mich gezwungen das bette zu suchen Schnabel Felsenburg 6, 21;
(mein nachbar) sucht stets mit tages anbruch erst die lagerstatt
Kretschmann s. w. 6, 364;
ihn übernahm der gram, er muszte das bett suchen Dahlmann gesch. v. Dänemark 1, 322; sein lager suchen Stifter s. w. 5, 1, 85; ich ging noch sehr lange ... herum und suchte erst, als schon alle laternen brannten, meine stube ders. 1, 61;
und er sucht sein dunkles haus
Mörike 1, 144 G.;
die welt, das weite, das freie suchen: ir solten wandern und die welt suchen und euch uben in ritterspiele V. Warbeck Magelone 4 Bolte; bleibe du hier, ich suche die weite welt Schiller 2, 389 G.; er wollte das freie suchen, fand sich aber gefangen Göthe 24, 158 W.; üblich: Silia für den ankommenden sich schämend, das weite suchte A. U. v. Braunschweig Octavia 2, 1195;
die mit worten tapfer sind
und kommts zur that, das weite schimpflich suchen
Schiller 12, 251 G.
älter luft suchen: wie der theter nit meer inhanden, sonder luft gesucht heige (1632) bei Staub-Tobler 7, 213; dann auch: derenhalben ich die flucht gesucht Schaidenreiszer Odyssea (1537) 56ᵇ; einsichten aber, ruhige überlegungen, sie verschmähen die mauern einer hauptstadt und suchen das freie land Herder 17, 26 S., doch nähern sich in diese letzten belege suchen als streben (s. u. 5) mit einem örtlichen ziel.
d)
eine unbestimmtere bewegungsvorstellung konnte sich öfter mit suchen verbinden, sie steckt z. b. auch in den mhd. formeln: den sant, die erde suochen (auch im Heliand 4852); die vüeze suochen stürzen, sich (bittend) niederwerfen, noch frühnhd.: ich such deine füss buch der liebe (1587) 87ᵇ, und begegnet auch bei sachlichem subject: den grund suchen absinken:
in dem gestreuss haubtguet, gewin,
das suecht den grund und swam ich zue dem reiffen (ufer)
Oswald v. Wolkenstein 64, 32 Schatz;
dises stuck hailt nicht so gählingen, suecht aber den grund Seuter roszartznei (1599) 268; vielleicht hierhin: dasz es ein flieszendes sälblin und nit dick werde, damit es desto besser einschlieffen und suechen könde 261. das herz suchen: das das wort 'keret euch zu mir' tief gehe und das hertze suche Luther 23, 507 W.; unter einflusz von nachsuchen: das es im in trüwen leid were und nach zum herzen suochte (1583) bei Staub-Tobler 7, 214; so macht du des enphunden han, daz minu liden vil naher suͦchent und tiefer gant ... denne ellu angenomnu liden Seuse 249 Bihlmeyer.
4)
'bedrohen, herausfordern, angreifen', eigentlich 'jemanden in feindlicher absicht aufsuchen'. der besondere nebensinn, der allein diese gruppe von der voraufgehenden trennt, ist häufig erst aus dem zusammenhang zu ersehen. die bedeutung begegnet auch im ags. und an.; vgl. die einschlägigen wb. und Schiller-Lübben 4, 285. in heutigen mundarten begegnet einen suchen jd. reizen; (es) suchen streit hervorrufen, worin die sonst ausgestorbene bedeutung noch nachklingen mag, s. Staub-Tobler 7, 213; Martin-Lienhart 2, 323; Follmann Lothr. 511.
a)
von öffentlicher fehde:
dem herzogen chom ze mære,
daz in die Romære
suochten mit so getanem her
kaiserchronik 6978 Edw. Schröder;
Liudgast und Liudgêr   die wellnt iuch suochen inz lant
Nibelungenlied 142, 4 L.; vgl. 164, 3;
ez ist bezzer daz wir die
vinde suchen dan uns sie
Ludwigs kreuzfahrt 7154 Naumann;
mit sturme suchten sie die statt
tegelich mit starkem her
ebda 1382;
dâ derhalben an den stat
sich leget ein alsô grôzez her,
weder ûf lant noch in dem mer
gesach ich rotte nie gevarn
mit alsus krefteclîchen scharn.
wellents uns hie suochen mit ir kraft,
helft mir, ich gib in rîterschaft
Parz. 663, 29;
wir geben in noch strîtes vil
und bringenz ûz ir freuden zil.
man und mâge sult ir manen,
und suocht die stat mit zwein vanen.
wir mugen an der lîten
wol ze orse zuo zin rîten:
die porten suochen wir ze fuoz
205, 4; 7;
ieclich man mûz mit helfe weren stete, burge unde lant ... wider herren unde mage unde manne, die sie gewaldeclichen suchen Sachsenspiegel 3, art. 78, § 5 Weiske-Hildebrand;
ob ez (das land) suoche ein vremdes her
daz manz iht vinde âne wer
Ulrich v. Eschenbach Alexander 2325 Toischer;
ind begerde gevolchnisse to done ... syne vyande to schedigen ind to soyken (1446) bei Schiller-Lübben 4, 285; (die Walliser haben) mit ir macht die vyend gesuocht und einen mannlichen angriff getan (1476) bei Staub-Tobler 7, 215; da wurdestu ja nicht faul sein, sondern deinen feind suchen und im kein fride lassen Luther 34, 2, 388 W.; die strafe ward aufgezogen, bis da das stündlin kam, an wilchem die Römer das garaus mit ihnen spieleten und sie auf einmal daheim sucheten Luther 52, 427 W.; wan die weil man teg sucht, die zeit mocht ieder teil den andern suchen und beschedigen städtechron. 2, 131; dannethin er sich anhub ze rüsten und des fürnemens was den küng ze suchen J. v. Watt schr. 1, 351 Götz.; den feind im läger oder in der schanz suchen inferre praelium in castra Maaler nach Staub-Tobler 7, 215; wolt aber der bezzerunge mit gewalt iemen wider sin und wolte die stet daruber suchen Augsburg. stadtbuch 123 M.; auch hat könig Florenz den könig ausz Franckreich oft daheim gesucht, desgleichen der könig aus Frankreich den könig Florentzen widerumb buch der liebe (1587) 31, vgl. heimsuchen u. die belege unten; er (der könig) wolte ... lieber ... den feind auszerhalb landes suchen als daheim und zu hause seiner warten Chemnitz schwedischer krieg (1648) 21; mit dem swert suchen:
da di heristin in der werilte
suohtin sich mit suertin
Annolied 454 Rödiger;
die teutschen herren ... haben disz land mit dem schwerdt gesuͦcht S. Frank weltb. (1534) 55ᵇ; vom angriff im gerichtlichen zweikampf: so sal der vorderer ienen suchen mit drin howen, alse recht ist; zwene howe sal he howen uber sime schilde, umme sin houbt in der luft; mit deme dritten slage sal he zu ieme kumen also nahe, daz he treffe sinen schilt oder sin swert oder den man selbe. wenne daz also geschit, so hat he in rechte gesuchet. suchet he in also nicht so verbuzit he sechzig schillinge unde muz in anderweide suchen also lange, biz daz di sigewarten bekennen, daz he in rechte gesuchet habe (dann beginnt der kampf) H. Ermisch das Freiberger stadtrecht 165. im nd. ging die verselbständigung am weitesten und gestattete auch präpositionale ergänzungen:
wolde wer sochen in dit lant,
dem wolde ich brengen wedergelt
Berthold v. Holle Crane 4801;
ich gaf im sô die wederkêre
daz her des sint nî môt gewan
noch nî sôchen ûf mich began
ebda 1925; weitere belege, s. ebda anm. zu 1862;
weret, dat iemant ... uns angrepe, beschedigede edder uppe unser welken sokende worde Göttinger urk. 2, 247 bei Schiller-Lübben 4, 285; de krich warde lengh wen en half iar, dat de heren uppe de stede unde de stede wedder uppe de heren vientliken sochten Schiller- Lübben 4, 285; do de meren quemen dat de vyende to em (könig Harold) sochten ebda; he wolde soken over de Elve in dat Luneborgher lant uppe sine viande Lübecker chr. 2, 169 Grautoff; und beschermden dat overelvesche land, dat de hertoch nicht mer wenn eins darin sochte städtechron. 7, 296.
b)
in der rechtssprache begegnet suchen häufiger in bestimmungen zum schutz des einzelnen und seines besitzes vor bedrohung, herausforderung und angriff: und ist das ain haimsuechi, der den andern vrävellichen über die swelle alde in das hus jaget alde suochet alde der an sine türe vrävellichen bozt, wirfet und stozet quelle von 1291 bei Staub-Tobler 7, 228; swer den andern in sime huse freventlich suchet (1293) Schöpflin Alsatia diplomatica 2, 96; suchet ein man den herren oder der herre den man unverclaget vor sinen mannen nah rechte, her tut wider sinen truwen Sachsensp. 3, art. 78, 8 Weiske-Hildebrandt; welicher den andern an sinen werken ... mit gewapneter hand verdachtlich suochet (1457) quelle bei Staub-Tobler 7, 215; were ouch, das ein ussburger einen indern ... als vil anreizte und suochte daz er von siner eren wegen nit möcht entberen, er müeste sich weren (15. jh.) ebda; welcher den andern zu hus oder zu hof oder an seinem werk suochte frefentlich, der verfalt dem land umb 5 pfd pfennig ebda; item wer den andern suchet in sinem huse ader hoffreide, beschirmet der sich ader sin gut, der brichet des friden nit Wormser recht 43 Kohler; unde wirt er da heime gesuochet, man sol im büezen, wan er wirt darinne ist Deutschenspiegel 191, 5 Eckhardt-Hübner; dasz ainer den andern nicht soll nachgehen, nicht allein demselben an dem leben zusuechen sondern auch mit andern waffen in geringsten ... alsz da sein armbrust, stahlgeschüz ... auf das dorf oder der herrschaft grunt anzutasten, zu suechen, vill weniger zu schlahen. ob aber ainer ainen suechte oder nachgienge ... (1614) österr. weist. 8, 645; weitere belege bei Staub-Tobler 7, 214.
c)
auszerhalb dieser beiden anwendungsbereiche kann suchen auch eigene bedeutungen entwickeln: so gar hässig hat er (dr. Eck) uns gesucht (durch schmähungen) Luther br. 1, 317 de Wette;
wer syn vatter, muoter ladt
und sie enteret hie uf erden
oder sunst sie suͦcht mit gferden
die dich so sur ermanet handt
Th. Murner mühle 438 Bebermeyer;
selbständiger hervor tritt die bedeutung 'bedrücken, heimsuchen, strafen':
nicht suche,
herre, an mir den unvlat,
damitte dich dicke hat
irzurnet mine torheit
Daniel 2376;
'bin ich allein ein sünder und ist menlich gereht, daz du din ruͦten an mir armen also uͤbest ...?' er sprach: 'nein, es ist noh nit gnuͦg. du must ze grunde in allen dingen gesuͦchet werden, sol dir recht beschehen' Seuse deutsche schr. 56 Bihlmeyer; se hebben unse armen lude woldichliken ghesocht und ghesocht laten (1396) braunschweig.-lüneb. urkundenb. 8, 150 Ludendorff; dise zwe länder werden hort gesucht, also dasz ein groszer raub an vieh und rossen quellen zur gesch. d. st. Kronstadt 5, 422. gewöhnlich tritt das adv. heim, daheim hinzu, s. das so entstandene heimsuchen:
got suohte si heime   mit herige vil chleine(me)
Diemer genesis 137, 16;
er sucht daheim die missethat der väter uber die kinder J. Jonas bei Luther 52, 427 Erl.; das got, nit allein mit gegenwertiger jetziger widerwertigkeit, sonder auch mit andern leiblichen warnungen in daheim gesuͦchet hat Sleidanus reden 54 lit. ver.; ungewöhnlich:
krieg ist die allerschärfste zucht,
womit uns got zu hause sucht
Fr. v. Logau 136 Eitner;
jemandem genau suchen: ob doch yemant sei, dem der schmerz so gnaw suoche als mir nach Staub-Tobler 7, 213, s. auch genau suchen oben 2 c; an dieses wieder anschlieszend: so bin ich die ewig wiszheit und weisz bas, was din allerbestes ist, so magst du es enpfunden han, das mein liden vil nahe suͦchet der ewigen wiszheit betbüchlin (1518) 31ᵃ. dann gesteigert: wer einmal derogleichen (die verächtliche behandlung) ungeahndet liesse, reitzete noch geringere ihm es noch näher zu suchen Lohenstein Arminius 2 (1689) 642ᵇ.
5)
suchen etwas zu erreichen, zu gewinnen trachten. ziel ist nicht mehr ein örtliches auffinden oder ein aufsuchen, wie im voraufgehenden, sondern die erfüllung eines wunsches, die verwirklichung einer absicht, eines planes. neben nominalem und pronominalem object erscheint seit frühneuhd. zeit der infinitiv, seltener ein abhängiger satz, s. g.
a)
seit frühester zeit reichlich bezeugt. die bedeutung schwankt zwischen streben, begehren, wünschen und bewusztem beabsichtigen und planen: expetunt sochent ahd. gl. 2, 146, 9; thee dea uuizzacheit suochant (qui divinationes expetunt) 2, 99, 52; quid quisistis unaz sohtut, quesivimus (quod nobis necesse fuit) sohtum (daz uns durft uuas) 3, 12, 40; expetiverunt kasuoctun, kasohtum, gisuohton 2, 101, 15 (in: qui semel in clero deputati sunt aut monachorum vitam expetiverunt); repetit suohchit ahd. gl. 2, 228, 25 (in: humana mens ... ad superiora colligitur, quia illud repetit unde descendit); haec enim omnia gentes inquirunt thisu allu suohhent thiota Tatian 38, 6; alle dise ding suchent die leut erste deutsche bibel 1, 25, doch Luther: nach solchem allem trachten die heiden;
er spráh zi then, es rúahtun,   thie sinan douf suahtun
Otfrid I 23, 35;
scono si iz (das gewand) gifuagta   so druhtin selbo suahta
IV 29, 30;
ich suohta daz noch ze leibo uuas, suohta follunga minero tago ze diu daz ih Abrahe gelicho irsterben muosi Notker 2, 610, 24 P.; also daz der mensch enhein dinch minne noch wollust sücke noch haige st. Georgener prediger 210, 27 (var.) Riederer; ein ding waz im do ein pinliches liden, daz er nieman hate, ... der dasselb suͦchti in derselben wise, als im geruͦfet waz Seuse deutsche schr. 10 Bihlmeyer; der mensch sol von natur lieber suœchen sein selbs geistliche volkommenhait Berthold v. Chiemsee tewtsche theologei 13 R.; alles, das ich mit so grosser arbeit, in meinem harten und schwären wanderen ... gesucht und erworben hab Hutten opera 1, 411 Böcking; er hatts aber williglich than, nichts ihm selb drinnen gefurcht noch gesucht (nullo vel adactus metu vel spe illectus) Luther 10, 1, 1, 365 W.; Carlstad (hat) einen wunderlichen kopf, der imer was sonderlichs sucht 18, 179; nu hab ich mit alle meinem schreiben nicht mehr gesucht, auch noch nichts suche, an bapst und allen meinen feinden, denn solch bekenntnis, das ir ding erkennet würde ungegründ in der schrift ders. 1 (Jena 1555) 443ᵃ; den hoichwisen dusser werlt, de gesmuckede rede söken Rotmann restitution 4 ndr.; wan das volk sucht allein gelt Pauli schimpf u. ernst 21 lit. ver.;
aber ain weiser höher sucht
acht nicht der schal, sonder der frucht
Fischart bibl. hist. 276 Kurz;
was sucht anders Martinus Luther wann ain lutere raine dargebung ewangelischer lere Eberlin v. Günzburg 1, 4 ndr.; unter disem allem stehet das hertz auf das kirchengut, das sie suͦchen und zu sich sapplen J. Andree erinnerung (1567) 92;
was wir suchen, gwind ein krebsgang
J. Ayrer 1590 Keller;
ein jegliche kunst, die da mehr suchet, die ist falsch Paracelsus opera (1616) 2, 72 H.; wer vergengliches suchet ... jedermanns jammerklage (1621) a 1ᵃ; die kunst wäre mir ohne mein suchen und nachtrachten zugestanden Grimmelshausen 4, 688 Keller;
der menschen uppigkeit sucht purpur, gold und seiden
J. Rachel sat. ged. 58 ndr.;
wer ein bösen tag hat gehabt, der musz ein gute nacht suchen Lehman flor. pol. (1662) 2, 938; obgleich ... solcher hauptzweck nicht genugsam beobachtet noch gesucht wird Leibniz deutsche schr. 1, 422; bei ihm auch ein ganz vereinzelter absoluter gebrauch: Frankreich wird allein einer suchenden monarchie verdacht 1, 202 (d. i. ausdehnung seiner macht); denn nicht das haben, sondern das suchen des reichthums verboten ist P. F. Sperling Nicodemus quaerens 2 (1719) 69; folglich ist es etwas gutes an sich selbst, das man bei gelegenheit zu suchen hätte J. E. Schlegel w. 3, 446; bald suchten sie die verurtheilung oder lossprechung einer angeklagten person Lessing 8, 29 L.-M.; wir, die wir seine (gottes) diener sind, suchen nicht euer haab und gut, sondern das heil eurer seelen M. I. Schmidt gesch. d. Deutschen 1 (1778) 580;
ich bitt euch alle, sagt, was die verdienen,
die meinen tod mit teufels ränken suchen
Shakespeare 9, 114;
ältere verhältnisse sind zerstoben und neue mag man nicht mehr im getümmel suchen Göthe IV 28, 63 W.; edle junge gemüther, die mehr als eine blosze sinnliche liebe suchen Lenz vertheidigung des herrn Wieland 30 lit.-denkm.; wer aber ohne sein suchen in diese bekanntschaft (mit der geisterwelt) kommt, der bete Jung-Stilling s. schr. 6, 456; (der glaube) rettet noch den vom verderben, der, von begierden verführt, von dem stätigen suchen nach dem höchsten abirrt W. v. Humboldt ges. schr. 5, 226; es fehlt unsrer zeit ..., so sehr sie die natur sucht, eben der sinn für natur Tieck schr. 4, 58; die bursen (an den universitäten) lösten sich auf, die grade wurden nicht mehr gesucht Ranke s. w. 1, 182; (Östreich) hat die preuszische allianz statt der Würzburger gesucht Bismarck ged. u. erinn. 2, 19; gegensätze ... schienen mehr gesucht als vermieden zu sein Fontane ges. w. I 5, 19. bei sachlichem subject erhält suchen sinnlichere bedeutungsfärbung:
hier siehst du, wie die fluth stets neue grenzen sucht
J. J. Schwabe belust. 1, 130;
die wassermasse des stroms sucht nach ausgleichung des niveaus durch die stromscheidung Ritter erdk. 1, 85. die weite der anwendungsmöglichkeit von suchen als 'streben' zeigt eine gegenüberstellung der grenzfälle. dabei zeigen sich ansätze zu eigenen bedeutungsentwicklungen: etwas bestimmtes erwerben wollen: si habes novam tunicam da veterem alteri, das du es nicht als genaug zu dir suchst Luther 25, 445 W., oder gar: dat se (in der ehe) kinder soken und anders nicht Rotmann restitution 4 ndr.; als 'bewuszt planen, beabsichtigen': zu erkunden ..., ob auch etwas wider e. cfl. g. ader derselben bruder des Luthers ader anders halben gesucht wurde H. v. d. Planitz berichte 453; was suchst du damit, dasz du dem Theophan dieses sagst Lessing 2, 69 L.-M.; als 'wünschen, begehren': appetunt lustont ahd. gl. 2, 330, 66; dan sulch anbeter suchet der vater Luther 2, 81 W.; vereinzelt auch dann, wenn das wollen in die tat umgesetzt wird: welicher pfaltzgraf ... das, was ihm die recht genommen, mit gewalt suechen wollen v. Brandis ehrenkränzel (1678) 183; ob er (der durchzug durch ein fremdes land) auf den versagungsfall könte und solte mit rechtmäsziger gewalt gesucht werden v. Fleming vollk. soldat (1726) 84; die märsche und durchzüge durch eines andern potentaten land werden, so viel nur immer möglich, zurückegehalten und nicht eher gesucht, als bisz es die unumgängliche noth erfordert 211. selbständige bedeutung erlangte nur suchen als 'bitten, fordern', s. u. 6.
b)
feste verbindungen mit inconcreten. auf sie ist suchen als 'streben' im gegenwärtigen sprachgebrauch fast ganz eingeengt: ruhe suchen Monseer fragmente 7, 12 Hench; friden kleine ahd. sprachdenkm. 193, 22 Steinmeyer; trost Otfrid I 16, 6; für das mhd. vgl. gnade, helfe, hulde, rat suchen (an einen) mhd. wb. 2, 2, 9ᵃ; kurtzwyl bei Steinhausen privatbr. 1, 69; aplas zu sandt Benedicten Marienburger treszlerb. 242 Joachim; recht (1462) bei Fischer schwäb. 5, 1946, s. u. 7 c; gelücke Arigo decamerone 340; narung 130; nucz Diefenbach s. v. procurare; ere adder wirdikeit Alsfelder passionsspiel 54 Grein; gesellschaft zu jemandem Fortunatus 143 ndr.; lob bi den menschen Zwingli deutsche schr. 1, 274; den gemainen nuz Knebel chron. v. Kaisheim 153 lit. ver.; das wolgefallen der hailigen J. Strausz christenl. unterricht (1523) a 3ᵃ; zahlreiche der heute noch üblichen verbindungen bei Luther: trost 26, 217 W.; zuflucht bei jem. 18, 261; hülf und radt 18, 236 W.; freundschaft mit jem. 20, 415 W.; das seine 19, 358 W. (vgl. friaþwa ... ni sokeiþ sein ain 1. Kor. 13, 5; suachit thas sinaz Otfrid III 16, 19); fürwicz 29, 5 W.; genies 34, 2, 318 W.; mutwillen an etwas 18, 320 W.; jemandes verderben B. Ringwald hdb. a 11ᵃ; hülf Alberus dict. 92ᵃ; gunst oder rhum 7ᵇ; ruhm oder grossen nahmen G. v. Berlichingen lebensbeschr. 4; ursach (gelegenheit) S. Franck chron. Germ. (1538) 22ᵇ; brot (not sucht brot) sprichw. (1541) 2, 45ᵇ; dienst Barth. Krüger Hans Clawert 27 ndr.; fröud Frisius 1098ᵇ; krieg und streit buch der liebe (1587) 120ᵇ; gelegenheit (d. i. händel) Fronsperger kriegsb. 1 (1578) 111ᵃ; gewinn Nigrinus v. zäub. (1592) 122; heil mit fersengelt Stumpf Schweizerchron. 163ᵃ; rache (1626) Staub-Tobler 7, 213; des vaterlandes wolfahrt Neumark palmb. (1668) 178; jemandes kundschaft Bucholtz Herkuliskus (1665) 23; freundschaft bei jem. Ziegler asiatische Banise (1689) 280; vergebung Kramer dict. 2 (1702) 1032ᶜ; der compagnie bestes v. Fleming vollk. soldat (1726) 152; sein brod U. Bräcker s. schr. 1, 221; zeitvertreib Zimmermann einsamkeit 1, 6; streit an jemanden J. J. Bodmer crit. poet. schr. 1, 41; händel an jemanden Göthe IV 12, 335 W.; gerechtigkeit Schiller 5, 344 G.; das ziel 13, 313; jemandes nähere bekanntschaft und rath Göthe 23, 68 W.; zerstreuung Bettine d. Günderode 1, 6; händel mit jem. Bismarck ged. u. erinn. 2, 102 volksausg.; fühlung bei jem. 2, 241; deckung 1, 97; seinen unterhalt O. Jahn Mozart 4, 275. in erweiterter bedeutung: frieden suchen den frieden herstellen Staub-Tobler 1, 1307 (quelle von 1501). aus der sprache der bibel stammt altes die seele suchen, schon im Tatian 11, 1: qui querebant animam meam die mina sela suchton Notker 2, 138 Piper; die predig ... warnet uns vor drien vinden die unser sel suchen Tauler 12, 20 Vetter; wann sy seint dot, die do suchent (querebant) die sele des kindes erste deutsche bibel 1, 11; vgl. ags. sāwle sēcan Bosworth-Toller 854; anderen ausgang hat dagegen mundartliches d'seel suchen im sinne von 'jemanden umbringen' (scherzhaft): mit eineme sone scharfen messer könnte mer einem schon d'seel suchen Martin-Lienhart 2, 323.
c)
eine präpositionale verbindung tritt näher bestimmend hinzu: in (bei, an, unter) einer betätigung etwas suchen:
wer setzt sin lust uff zyttlich guͦt
und darinn suͦcht sin freyd vnd muͦt
S. Brant narrenschiff 6 Z.;
nicht uber menschen, sonder uber sew und hunde sollten soliche leute regiren, die nicht mehr denn ihren nutz oder ehre im regiment suchen Luther 15, 36 W.; daneben: das einer sein lust und freude daran suche, das es nur den leuten übel gehe 34, 2, 394; in dieser reformacion niemmandt sich selbs suchen ... soll (1538) Diefenbach-Wülcker 870; (er hat) seinen vorteil zur flucht gesucht Stumpf Schweizerchron. 343ᵇ; daz ain solh hochfertig mensch ... darin sein aigene ere und hochfart suoecht Berthold v. Chiemsee theologey 70 Reithm.; zeitvertreib in leibesübungen gesuchet Chr. Weise polit. redner (1677) 35; der feind würde ... seinen vortheil darunter suchen v. Fleming vollk. soldat (1726) 263; im duelliren seine revenge suchen Chr. Weise erznarren 21 ndr.; die in der rauhigkeit des ausdrucks eine schönheit suchen Gottsched crit. dichtkunst 7; sein glück in dem wohle der andern suchen Göthe 17, 179 W.; der mensch sucht in der betäubung seinen trost E. M. Arndt schr. für u. an s. l. Deutschen 1, 438; darin sucht Luther seinen vornehmsten ruhm, dasz ... Ranke s. w. 2, 313; (die) glück im wechselvolles leben suchten Ebner-Eschenbach ges. schr. 4, 10; wie 'gesucht': hier ist eine blume, dort eine schleife ... angebracht, und zuweilen suchet sie hierinnen eine kleine unregelmäszigkeit J. E. Schlegel w. 5, 193.
d)
suchen in religiöser sprache. auch hier überwiegen feste verbindungen: gottes helfa suochen Notker 2, 50, 9 P.; genada sina Otfrid II 12, 75; das er sin ruͦw allein in dir suͦcht der ewigen wiszheit betbüchlin (1518) 4ᵃ; sehend wir nit jetz in menschlichen erfindungen mer trosts dann bi got gesuͦcht Zwingli freiheit der speisen 17 ndr.; in got die vergebung der sunden zu suchen J. Strausz beichtpüchlin (1523) a 2ᵇ; bei im gedeien des bergwerks suchen Mathesius Sarepta 1571, vorr. 2ᵇ. — das reich gottes suchen: az erist suahhat rihhi cotes ..., reht sinaz (quaerite regnum dei) kl. ahd. denkmäler 201, 36 Steinmeyer. gott suchen: suahhanti cotan requirens deum ebda 212, 31; got ... allein such und lieb hab Keisersberg bilgersch. (1512) b 2ᵃ; ich kam nie leer zurück, wenn ich unter druck und noth gott gesucht hatte Göthe 22, 305 W.; ein so wahres bedürfnis der gott suchenden seele Ranke s. w. 1, 198. gern in der mystik: dis inwendig suchen von grunde Tauler 164, 4 Vetter; ein innerlich suchen 164, 9; ein verborgen suchen 350, 21; weitere belege im register; der (himmlische bräutigam) nun mehr gahr nahe ist allen denen, die ihn mit ernst aus hertzlicher liebe suchen A. v. Franckenberg klageschreiben (1658) 439.
e)
tritt zu suchen im sinne von 'zu gewinnen, zu erwerben trachten' eine concretere ortsangabe, so rücken die belege in die nähe der sinnlichen ausgangsbedeutung (s. 1): alte leut müssen ire sterke suͦchen in der kanten, in weichen betten und hinder dem ofen Tappius adag. (1545) B bᵇ; in einem baumgarten, in wölchem er die hertzogin oft kurtzweil suͦchen wuszt J. Wickram 1, 11 Bolte; unter allen elementen ist die erd dem menschen am anmütigsten, dieweil er ... entlich sein ruhe darin suchet Sebiz feldbau (1579) 24; damit die leut ir kraft in der schüssel und schalen suchten J. Mathesius Sarepta (1571) 10ᵃ; und er sein brod musst in der erden suchen 7ᵇ; der mensch suchet auch sein heilung in kräutern Paracelsus op. (1616) 2, 326 Huser; mein bessere fortun in der welt zu suchen Grimmelshausen 2, 331 Keller;
der knappe karges brot in klüften sucht
Göthe 2, 141 W.;
(gezwungen,) ihr heil in Obernubien zu suchen Ritter erdk. 1, 584.
f)
reflexives sich suchen 'zu einander hinstreben' zeigt gleichfalls sinnlichen bedeutungsgehalt, es verbindet sich damit leicht eine mehr oder minder fühlbare bewegungsvorstellung: die groben selen suchen sich so wie die feinen Hermes Sophiens reise 1 (1770) 202; sie entzweien und suchen sich wieder Göthe II 6, 10 W.;
die laulichten lüfte ...
sich fliehend und suchend
Göthe 2, 41;
lasset ewige harmonien
bald sich suchen, bald sich fliehen
und zuletzt vermählen
4, 291;
seit alter zeit beruhte die römische oekonomie auf den beiden ewig sich suchenden und ewig hadernden factoren, der bäuerlichen und der geldwirtschaft Mommsen röm. gesch. 2, 75. verbunden mit finden: gleich sucht sich, gleich findt sich S. Franck sprichw. (1541) 2, 60ᵇ; Ewald und Lina traten in eine neue welt, in der sie nur sich suchten, nur sich fanden Pfeffel pros. vers. 5, 185; mit selbständiger bedeutung: sihe, wie sucht sichs, helffe, was da helffen kan, eine lüge mus allemal sieben ander luͦgen haben Luther 18, 209 W., vergleichbar: de hebbt sich söcht sie passen gut zusammen Mensing schlesw.-holst. wb. 4, 707.
g)
mit abhängigem infinitiv oder abhängigem satz. der infinitiv ist heute allgemein üblich, doch erst in frühnhd. zeit als sprachläufig zu erweisen. ahd. gibt es noch keinen beweisenden beleg. die häufigen bezeugungen im Tatian (9, 2; 54, 2; 79, 12; 88, 6; 101, 2; 104, 1; 104, 9 usw.) gehen auf übertragung des lat. quaerere mit nachfolgendem infinitiv zurück, gleiches gilt von anderen ahd. belegen: ahd. gl. 2, 657, 54 (ni souchi ne quere doceri); Monseer fragmente 14, 6; 15, 1; auch mhd. kaum bezeugt:
daz er si nu verschalden
ir rehtes nit ensuhte
Elisabeth 5883;
auch die ersten frühnhd. belege sind von der fremdsprachlichen vorlage beeinfluszt: wann es ist kunftig, das Herodes suͦcht das kint es ze verliesen (quaerat puerum ad perdendum eum) erste deutsche bibel 1, 11; aber ich wil geburlicher disz sachen fürkomen und suͦchen mich selbs mit gifte ze ertöten N. v. Wyle translationen 30, 23; vgl. 31, 2; (ihr frauen) mit grossem fleisze und künsten suchet (die schönheit) ze mern (cercate d'accrescere) Arigo Decamerone 105; dieselbig kilch ... sucht nit zitlich eer, grosz land und lut under sich ze drucken Zwingli deutsche schriften 1, 140; hat e. c. g. nit gehört, das begert und gesuͦcht würt, mich gefangen gen Rom ze schicken U. v. Hutten 1, 384 B.; doch suoech ich nit ze gefallen oder ze schmaicken den lewten Berthold v. Chiemsee teutsche theologei 6 R.;
(der Türke) dein untherton mit mörden, rauben
tyrannisch zu verderben sucht
H. Sachs 1, 219 lit. ver.; vgl. 1, 227;
diese krankheit ... sucht sich widerumb in mir zu erneuwern Amadis 1, 104 lit. ver.; da er doch vornehmlich sucht, ein herr über ihrer mutter ducaten zu werden Grimmelshausen 2, 340 Keller; das volck suchen an sich zu bringen Kramer dict. 2 (1702) 1207ᵃ; wir haben durch die untersuchung unserer eigenen kräften und unserer schwäche uns den weg zu der kenntnis anderer gesucht zu brechen chron. der gesellsch. der mahler 17 Vetter; eine nichtswürdige verstoszene, die durch kleine kunstgriffe die schande von sich abzuwehren sucht Lessing 2, 325 L.-M.; (er) suchte sich die abwesenheit meines gemahls zu nutze zu machen Gellert w. 4, 209; ich wills künftig suchen allein tragen zu lernen Göthe IV 3, 71 W.; institutionen, die sich zu beseitigen und auszuschlieszen suchen Ranke s. w. 1, 4; man hat gesucht, eine präcisere fassung ... zu finden Moltke ges. schr. 7, 103; scharen von bettelkindern ... suchten durch die fenster einen blick zu gewinnen Storm w. 1, 15; suche immer zu nützen, suche nie dich unentberlich zu machen Ebner-Eschenbach 1, 34. mit abhängigem satz:
suahton fon then liutin   thaz sie in nigin
Otfrid IV 6, 40;
ist alles sein suchen, das er der T. gunst ... müge hindern Neithart Terenz 83 Fischer; der mit gott nit einsz ist, der hebt an, sucht und sorget, wie er doch wolle gnugthun Luther 6, 207 W.; suchten sie, wie si sich mochten verbergen Schaidenreiszer Odyssea (1537) 24ᵇ; (sie) suchen, wie sie uns hinrichten Moscherosch insomnis cura 26 ndr.; suchen sie, dasz jedesmal, so oft es gesungen wird, von irgend einem wohlgelaunten manne, eine neue strophe eingeschaltet ... wird Göthe IV 21, 205 W.;
und jede dieser bösen feen
sucht, wie sie mich umspinne
Cl. Brentano ges. schr. 2, 416.
6)
bitten, ersuchen, verlangen, fordern. auch hier handelt es sich um ein bemühen, etwas zu erreichen, nur wird die absicht einem anderen (höhergestellten) gegenüber mündlich (schriftlich) geäuszert.
a)
bitten, erbitten, ersuchen (von [an] jemanden etwas suchen; jemanden um etwas suchen; etwas suchen): et ideo si qua requirenda sunt a priore pidiu ibu huuelihhiu ze suahhanne sint fona heririn kl. ahd. denkm. 209, 9 Steinmeyer;
do si des kunigs ernst gefrieschen,
sie suochten unde ieschen,
ob in der kunic wold erlæben
anscheinend formelhaft:
ouch will ich iu vil gern
darumbe dienen, swa irz suocht
2267; ebenso 4360;
der das almusen offenlich suchet (1480); ebenso solte (er) den vater ... nicht mit klugen geschliffen worten gelockt und gesucht haben umb ein jawort Luther 8 (Jena 1568) 379ᵇ; sondern still geschwiegen, damit er ... mercke, was wir hiemit suchen und begern J. Mathesius Sarepta (1575) 45ᵃ; des Moysis suchen und begehren J. Ayrer processus juris (1600) 270; obwol ... ümb einen stillstand der waffen gesuchet ward Micraelius altes Pommerland (1640) 5, 243; dasz sein könig ... auf ihr (der stadt) flehentliches suchen und bitten darzu bewogen ... worden v. Chemnitz schwed. krieg 1, 14; der kaiser bedankte sich, dasz er auf sein suchen nach Rom gekommen A. U. v. Braunschweig Octavia 1, 10; der heilige Servulus (hat) zu Rom ... unter einem schupfen ... gelegen und von den vorbeigehenden ein almosen gesucht Abraham a s. Clara 1 (1649) 703; demnach aber dasselbe (gedicht) ... zu unterschiedenen malen bei mir gesucht und begehrt Neumark palmb. (1668) 330; auf höfliches suchen und erbitten Immermann 1, 186 Boxb.; suchen betteln Martin-Lienhart 2, 323; oft als 'werben':
sie möcht ...
dem konig sein suchen erwehrn
J. Ayrer 1963 Keller;
wenn er in seinem suchen glücklich ist Lessing 2, 31 L.-M. die seit frühmittelhochdeutscher zeit übliche verbindung etwas an jemanden suchen bleibt bis in die klassische zeit hinein gebräuchlich, vgl. die belege im mhd. wb. 2, 2, 9, bei Staub-Tobler schweiz. 7, 217:
swie man es doch von êrst began
an der Beier herren suochen
Ottokar v. Steiermark reimchron. 2145;
denn ich solchs an e. f. g. nicht lehrens- oder meisternsweise suche Luther br. 3, 546 de Wette; als nun der könig an die fürstin gnade hat gesuchet buch der liebe (1587) 269; was vor ein wiederwertiges begehren suchet ihr an mir Creizenach schausp. engl. comödianten 86; derowegen (ist) an mich von christlichen gottseeligen und lehrbegierigen personen ... gesucht worden, (die) predigten ... zu publicieren Dannhawer catechismusmilch (1657) 1, x 3ᵇ; wenn es ein handwerckspursch, ein studentenlaquei oder bauerskerl an mir gesucht hätte, ich wäre der zeit es nimmermehr eingegangen jungfer Robinson 88;
ich musz dir nur gestehen, das ich im
begriffe war —
(Nathan:) doch nicht, das nehmliche
an mich zu suchen
Lessing 3, 96 L.-M.;
und dasz, wer was an ihn zu suchen habe, es diesen abend noch thun könne Göthe 36, 25 W.; den herzog brauche ich nicht zu erwarten, weil ich nichts an ihn zu suchen habe Schiller 1, 160 G. vor allem gehört suchen in diesem sinne dem brief- und cancleistil an: ifg. ... würden solches bei der röm. kais. maj. zu suchen nicht unterlassen Schweinichen denkw. 161 Ö.; die lehen unterthenigst zu suchen und die lehenspflicht wirklichen in eigner persohn zu thun (1572) nach Diefenbach-Wülcker 870; ihre kayserl. mayestet werde sie, dasz sie deroselben wie sie sonsten gerne wolten, in diesem ihren suchen (um Türkenhilfe) dieszmahl nicht entgegengehen können, allergnädigst vor entschuldigt halten Hipp. a Lapide dissertatio 246; so suecht und begehret auch der von Minckwitz noch täglich eine vorbesserung seines deputats acta publica (1618) 1, 36; ich will dise lehen wiedereinst unterthenigst gemuthet und gesuchet haben (1641) nach Diefenbach-Wülcker 870; (die obrigkeit), welche die abstellung und bestrafung bei dem commandirenden officier zu suchen v. Fleming vollk. soldat (1726) 255; den obersten Illo hatte er ... überredet, in Wien den grafentitel zu suchen und ihm dabei seine kräftigste fürsprache zugesagt Schiller 8, 334 G.; so glauben wir keine fehlbitte zu thun, wann wir ... um beilegung des gesuchten characters unterthänigst ansuchen Göthe IV 30, 58 W. gern als subst. infinitiv, heutigem gesuch entsprechend, vgl. 'da dann in kanzleien auch das suchen für gesuch gebraucht wird' Adelung 4 (1780) 874: on weither appellation und suchens peinl. gerichtsordn. Karls V. 13 K.; und dicz mein suechen nicht in ungnaden gegen mir vormerkhen (1567) bei Diefenbach-Wülcker 870; das übrige ihr suchen betreffend Chemnitz schwed. krieg (1648) 1, 219; so gelanget an ... herrn als des verstorbenen getreuen freunde unser inniges suchen, er wolle den abend bevor sich hieher verfügen Harsdörffer teutscher secretarius 2, 28; wendete deshalben sein suchen in einem andern schreiben mit aller höflichkeit von mir ab A. U. v. Braunschweig Octavia (1677) 2, 440; dasz i. hochfl. durchl. so gnädig erscheinen und auf mein unterthänigstes demütigstes suchen das gegenwärtige hochzeitfest ... bestrahlen wollen Chr. Weise polit. redner (1677) 755; deszwegen wollen mir monsieur vergeben, dasz ich für diszmal ihrem gefälligen suchen musz entgegen sein Menantes art zu schreiben (1718) 119; versehe mich geneigter willfahrung in ansehen mein suchen denen rechten gemäsz Chr. Thomasius ged. u. erinn. (1720) 2, 142.
b)
'eine forderung stellen', besonders ausgebildet in der rechtssprache (s. 7 a), jedoch deuten auf einen frühen allgemeinen gebrauch as. soken (te us) abfordern, s. Sehrt wb. zum Heliand und die zahlreichen ahd. glossierungen: ad requirendum zi sohhene ahd. gl. 1, 235, 36; expetierit suachit 1, 278, 31 (subiacebit damno quantum maritus mulieris expetierit et orbitri indicaverint); exigatis suachet 1, 473, 14 (usurasne singuli a fratribus vestris exigitis); exactor, qui res exigit suachit 1, 509, 2; exigant gisuohhant 2, 266, 30 (ut districte tunc a nobis exigant hoc quod nos modo invisibilis conditor aequanimiter partat); exigitur gisuohit 2, 281, 26 (pecunia ... a vobis cum usura exigitur); exigere gisuochan 2, 295, 19 (a memetipso exigere volo); tumbo, in therra naht thina sela suochent fon thir stulte, hac nocte animam tuam repetunt a te Tatian 105, 3; und such es (das geliehene) von dem elenden und von dem frembden (a peregrino et advena exiges) erste deutsche bibel 4, 182; 3, 149, 16; wer meine wort nicht hören wird, ... von dem will ichs suchen Luther 24, 11 W.; dan gottis ere das erst, letzt, hochst ist, das wir im geben kunnen und er auch nichts meher sucht und fordert 2, 94. als sachlich fordern, notwendig machen:
eigun sie iz bithenkit   thaz sillaba in ni wenkit,
sies alles wio ni ruachent   ni so thie fuazi suachent
(wie die versfüsze es erfordern)
Otfrid I 1, 24;
thes selben pades suazi   suachit reine fuazi
I 18, 35;
si autem necessitas loci aut paupertas exigerit armida suachit Benedictinerregel § 48, s. Steinmeyer kl. ahd. denkm. 254, 22; den dise artznei süchet (querit) vor allen dingen ein leren buch Murner, s. U. v. Hutten opera 5, 421 Böcking.
7)
suchen in der rechtssprache, vgl. auch oben 4 b.
a)
beanspruchen, fordern auf grund eines rechtstitels, s. a. recht suchen unter c, und vgl. die zahlreichen belege bei Staub-Tobler 7, 216: enthebt marggraf Ludwig das closter sanct Mariaberg von ainer malzeit, so ain landtfirst in Tyrol daselbsten zu suechen gehabt v. Brandis gesch. der landeshauptl. 58; der überschusz von einem traidzehend, so sie bei etlichen häusern auf denen feldern zu suechen haben (1627) öst. weist. 10, 76; dasz man sich bei solcher bezahlungk billich erholen sollen und nue mehr bei den herrn fürsten und ständen nichts zu suchen sein würde acta publica 1, 42. den anspruch geltend machen, auch durch die tat: item, ob ainer dem andern nimbt sein acker, so soll ainer, desz dasz trait ist, sein acker und trait suechen und mag dasz nemben vor sant Georgen tag mit dem pflueg; verweilt er sich aber, so mag ers suechen und nemben nach sant Geörgen tag und mag dasz nach frumber leüt rath nemben mit dem knopf (in garben) österr. weisth. 8, 107 (a. d. j. 1469); dasz si alsdan ... verzicht nemen für all ansprach ..., daz si ir vordrung und ansprach ... suchen sollen oder mugen österr. weist. 6, 231; wer darzue gerechtigkait oder ansprach vermaint ze haben und ist im gericht wonhaft, der soll daz in jarsfrist melden und suechen österr. weist. 1, 216; dasz ain probst zum Creutz deren ding nie kaines befuͦgt und seine vorfaren zum Creutz nie gesuͦcht städtechron. 32, 319. vom anspruch auf schadenersatz: das wür dann unsere erben gegen irem leib und gueth unnd iren erben unnser schaden suechen sollen und mügen nach allen unnsern wolgefallen v. Brandis landeshauptleute von Tirol 46; wurd aber iemant von söllichen inleuten oder dinstpoten beswärt oder gefrävelt, das sol man mit gerichtshilf datz denselben inleuten oder dinstpoten suechen nach dem und seu verhandelt haben und recht ist österr. weist. 1, 287; alles unheil und verderbliches wesen sollte bei den säumigen ständen an dero habe, gut und vermögen zu suchen und sich daran der nothleidende stand oder mitglied zu erholen berechtigt und befugt sein (1621) acta publica 128; seine schulden suchen debita consectari Frisius dict. (1556) 306ᵃ: meine freunde haben mir gerathen, es (das geliehene geld) gerichtlich zu suchen Rabener w. 3, 353. (den) bluemen suechen für verfallenen gültenzins das pfandrecht auf den blumen geltend machen Staub-Tobler 7, 216; ähnlich pfand suchen 5, 1139; alle die orth, alwo ... zuvor kein bluembhesuech oder nuzung gesuecht worden österr. weist. 6, 459. an jem. etwas suchen an ihn eine forderung stellen: es will auch keiner der gewesenen handelsconsorten wegen der im nahmen beider geschehenen verrichtung an dem andern etwas suchen massen sie einander wechselweise auch diszfalls lossprechen Menantes neue briefe (1723) 409.
b)
die formelhafte verbindung etwas zu suchen haben, die vorwiegend uneigentlich verwendet wird, geht anscheinend auf den rechtssprachlichen gebrauch zurück, s. die belege zu eingang von a: ich frage mit aller bescheidenheit ..., was sie vor diesem hause zu suchen haben Lessing 2, 153 L.-M.; er erhielt aber die stolze antwort, dasz er nichts bei ihm zu suchen habe Archenholz England u. Italien (1785) I 1, 28; was ... der nahme senior vor des doctor Lessens nahmen zu suchen hat, verstehe ich nicht Lichtenberg nachlasz 32; geh nun, Trin, sagte sie, ... was hast du nun noch hier zu suchen Storm 1, 73; seltener: um einzusehen, dasz für sie in der welt nichts zu suchen Ebner-Eschenbach ges. schr. 4, 5. zu vergleichen ist auch die gegenformel: (an einem orte) nichts verloren haben.
c)
vor gericht klage erheben (jemanden suchen ihn gerichtlich belangen; etwas suchen wegen einer angelegenheit klage erheben), vgl. besuchen und ersuchen im deutschen rechtswb. und bei Staub-Tobler 7, 220; 229: arcessire soahhen, suahchan, sohan ahd. gl. 1, 32, 4; mnd. soken edder vorderen; soken edder vorvolgen (öfter in mittelalterl. urk. aus Hannover), s. Schiller-Lübben 4, 285: geschegen aber icht bruche uf demselben der stat gute von ir eigen inwonern, das sullen sie vor uns, unsern voiten ader amptleuthen suchen (1432) urkundenb. der stadt Freiberg 1, 147; in welchem jar Appenzell von kaiser Fridrichen gefreit ward, für kein frömbde gericht schuldig sein um des rechten willen ze keren, sonder man al landleut vor irem stab suͦchen und daselbs sich rechtens vergnüegen laszen sölte J. v. Watt 2, 223; sy söllend denselben ... darumbe suchen, es were nit billig, das andere dessen sölten entgelten (1553) bei Staub-Tobler 7, 216; das er die statt nieman anders sölle suchen dan for unseren heren burgermeister und räte der stat Zürich (1559) ebda; 12. april wurde ich und herr Georgius Matthiae zum herrn richter geschicket, dasz wir vorläufig anzeigen sollten, dasz das capitul diese injurie suchen würde (1765) quellen zur gesch. der stadt Kronstadt 4, 377; unde bidde den voghet, dat he ine veleghe (schützen) vor unrechter ghewalt ...; weigherde ime des de voghet, he soke dat an deme rade bei Schiller-Lübben 4, 285; unde mosten enne daer nicht mit rechte umme soeken münster. chron. 1, 271 Ficker; min herren söllen (ihn) suoche, da er gsessen sige (1567) bei Staub-Tobler 7, 215. im schweizerischen ist jemanden für, um etwas suchen noch heute gebräuchlich im sinne von 'ihn wegen etwas gerichtlich belangen'.
d)
die formel recht suchen rechtlichen anspruch erheben: dücht aber sin erben recht darzu zu han, daz sollen si suchen vor geistlichem gericht (1418) bei Sattler gesch. Württembergs unter den grafen (1768) 5, beil. 96; der soll ... inner jaresfrist nach seiner meldung sein recht suchen, anders hat er sein rechten verloren (1494) österr. weist. 6, 229; item, das perkrecht scholl man suechen zu weingarten (15. jh.) ebda 11, 331. einen rechtsentscheid suchen: darumb sol ainer wider den anderen ain freuntleich recht suechen und sol im das der richter ... widervaren lassen (15. jh.) österr. weist. 6, 18; die soltend mit dem rechten procedieren und das recht suͦchen über hertzog Fridrichen Richental Constanzer concil 95 lit. ver.; und hette dehein teil an dem andern útzit zu sprechen, der solt recht darumb suchen nach sinem inhalt Diebold Schilling Berner chron. 5; allgemeiner: damit ein jeder ... sein richter und recht zu suchen und zu finden wisse Fronsperger kriegsb. 1 (1578) a 3ᵇ; allwo jedweder sein recht auf das kürtzeste suchen kann Thomasius ged. u. erinn. (1720) 2, 162. vom gerichtsstand: unser gnedigister herr laszt verpieten, das niemant frembte recht suech, ain jeder den andern vor seinem richter fürneme, wie recht ist österr. weist. 2, 72; bei synonymen: an deme (dem stellvertreter des berchmesters) scal me dat gerichte soken gelec alse an dem berchmester Goslarer bergr. § 131 nach Schiller-Lübben 4, 285; iederzeit ein idweder den compactaten nach die justitz zue suchen vorwiesen worden acta publica (1618) 1, 44.
8)
das part. prät. gesucht in selbständiger verwendung, s. gesucht teil 4, 2, 1, 4285; 'geschätzt, begehrt':
du bist gesucht und werth bei jedem, der dich kennt
König ged. (1745) 368;
einen groszen vertrieb gesuchter waaren Göthe 25, 108 W.; das geliebte, gesuchte, angebetete geschöpf 21, 46; Mozart war nie ein gesuchter ... musiklehrer Jahn Mozart 3, 192; ne gesuechter doktor ein gesuchter, tüchtiger arzt Martin-Lienhart 2, 323. weit gesucht fern liegend, weither geholt: das ist eben weit gnug gesuchet (dasz der papst weltlichen besitz brauche, um sich zu schützen) Sleidanus reden 231 lit. ver.; das ist gar weit gesucht questo è un ricercare da ben lontano Kramer 2 (1702) 1033ᵃ;
nur licht und wahrheit her!
ein weit gesuchter reim gefället ohngefähr
B. Neukirch ged. (1744) d 5;
deram weitesten gesuchte witz hatte allemal den vorzug bei ihr J. E. Schlegel w. 3, 487; zuvörderst ist Hamlet blond — das heisz ich weit gesucht ..., woher schlieszen sie das? Göthe 22, 175 W.; daneben steht einfaches gesucht: nun es aber so oft fürfället, kan man nit anders achten dann dasz ein gesucht ding und mit fleisz oder vorsätziglich geschehen G. Nigrinus anticalvinismus (1595) 102; einen krieg wider sie anzufahen und zu führen unter einem gesuchten schein H. v. Lewenklau neue chron. (1590) 73; man verfället auf gesuchte schwürigkeiten Leibniz deutsche schr. 2, 101; unter den gesuchtesten vorwänden O. Ludwig ges. schr. 2, 66. gewöhnlich ganz objectiv als 'gewählt, geziert, gespreizt, unnatürlich', gern vom sprachlichen ausdruck: eine armuth, nicht der sprache, sondern des redenden, ... eine gesuchte eitelkeit Gottsched anm. gelehrsamkeit 8, 888; auf einen kunstrichter, der in meinen sinngedichten ängstlich gesuchten witz sieht Kästner verm. schr. 2, 247; dasz das gleichnisz gesucht ist, das räume ich ihnen ein Dusch schr. (1758) 26; ich habe von haus aus einen eigenen komischen styl; aber er ist weder gesucht noch geborgt Bode Montaignes ged. u. meinungen 2, 208; bei einer gesuchten, kostbaren, schwülstigen sprache kann niemals empfindung sein Lessing 10, 31 L.-M.; seine modulationen und harmonien sind oft ängstlich gesucht Schubart ästhetik der tonkunst 234; nachher war sie still, sprach wenig und in etwas gesuchten ausdrücken A. v. Droste-Hülshoff br. an L. Schücking 156; mit etwas gesuchter einfachheit gekleidet Schnitzler freiwild 33. daneben, wenn auch selten, in positivem sinne: um ... ein gesuchtes wort zu brauchen Klinger w. 9, 8; dasz meine schönheit so unterscheidend sei, dasz selbst die gesuchteste vermummung sie nicht verstellen könnte 1, 235; ich wünschte, dasz unsere dramatischen dichter auch in solchen kleinigkeiten ein wenig gesuchterer und auf den ton der groszen welt aufmerksamer sein wollten Lessing 9, 218. die traditionsformel gesucht und ungesucht ist der lat. formel quaesita et inquisita u. ä. nachgebildet und seit mitte des 12. jhs. bezeugt, vgl. Fischer schwäb. 3, 569; Lexer 2, 1321; Staub-Tobler 7, 217; teil 4, 1, 2, 4285 und zur zwillingsformel teil 11, 3, 26; zur bedeutung: zu welcher dienst haben wir auch geben den übrigen tail gemeltes walts ... mit allen ausz- und eingang, mit allem, unz so gesuecht oder aber zu suechen wäre (16. jh.) österr. weist. 6, 51; s. auch die formel besucht und unbesucht teil 11, 1, 372; Schmeller-Fr. 2, 215; rechtsalterthümer 43; Staub-Tobler 7, 231; rechtswörterbuch 2, 206.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 6 (1936), Bd. X,IV (1942), Sp. 834, Z. 73.

sucht, adj.

sucht, adj.,
krank, nur im mnd. belegt, vgl. Schiller-Lübben 4, 458. vielleicht gehört aber auch die luxemburgische wendung suᵉcht em eppes sin 'lust zu etwas haben' wb. d. lux. ma. (1906) 433 hierher, wo dann sucht die (¹sucht III entsprechende) bedeutung 'begierig' hätte.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 6 (1936), Bd. X,IV (1942), Sp. 895, Z. 73.

1sucht, f.

¹sucht, f.,
morbus, passio, cupiditas.
herkunft und form. das wort ist ein gemeingerm. i-fem. (got. sauhts, nur im pl. belegt, vgl. W. Schulze kl. schriften 546; an. sótt; ags. suht, einmal in der jg. genesis belegt und aus dem as. übernommen wie nordhumbr. ridesoht aus an. riđusótt; afries. secht, daneben sechte, siochte; mnl. sucht, socht, zocht, daneben sochte) und hat nach übereinstimmendem ausweis der germ. dialekte die ursprungsbedeutung 'krankheit'. grammatisch stellt es sich als verbalsubstantiv mit (idg.) ti-suffix zu got. siukan 'krank sein'. dagegen ist die idg. verwandtschaft noch nicht mit sicherheit bestimmt und die bedeutungsvorgeschichte des wortes daher noch nicht geklärt. vgl. siech teil 10, 1, 838. die dort vertretene zusammenstellung mit schwach wird noch von Scheftelowitz Bezzenbergers beitr. z. kde d. idg. spr. 28, 707 (mit anknüpfung an armen. k ͑akem 'löse auf') und in unhaltbarer weise von Wood mod. lang. not. 25, 74 (mit anknüpfung an aind. svajás 'eine art schlange', svájatē 'umschlingt') verteidigt, bei Walde-Pokorny 2, 473 aber mit recht abgelehnt. Zupitza germ. gutt. 165 vergleicht lit. saugùs 'behutsam', saugóju, saugóti 'etwas in acht nehmen, behüten, bewahren'; danach wäre für die idg. wurzel seug-, sug- die grundbedeutung 'bekümmert' in doppeltem sinne, als 'traurig, gekränkt, krank' und als 'besorgt um etwas' anzusetzen (so Walde-Pokorny 2, 472). das ist im hinblick auf den späteren historischen befund und auf verwandte wortentwicklungen wenig wahrscheinlich. vielleicht hat Löwe dt. et. wb.² 146 (aufgenommen bei Kluge et. wb.¹¹ 563 und Holthausen altengl. et. wb. 290) recht, der siech zu armen. hiucanim 'sieche hin' stellt. die lautform des dt. wortes bleibt im allg. fest. im einzelnen finden sich doch, bes. dialektisch, eine reihe von abweichungen. in glossen des 8.-14. jh. ist mehr als zwanzigmal suth, -suth, zweimal -soth bezeugt. die häufigkeit der fälle und die tatsache, dasz auf einem teil des schwäb. gebiets noch heute sūt, sūᵉt gesprochen wird (Fischer 5, 1947), läszt vermuten, dasz es sich um mehr als eine graphische variante handelt, vgl. auch Schatz ahd. gr. § 246. auch der vocal in -soth hat analoga. im ahd. ist noch -soht, -socth, -soͮth, stets im 2. compositionsglied, belegt, s. Schatz ahd. gr. § 17. Veldeke hat socht. dieselbe form findet sich heute in Toggenburg (Wiget 39) und Niederhessen (Hofmann 236). auf Helgoland ist -soch(t) üblich (Siebs² 284), in den dt. sprachinseln der venetianischen Alpen -sof (Schmeller-Bergmann cimbr. wb. 172). andere formen des vocals sind: ū (Schwaben, z. t. auch Elsasz); uᵉ (Luxemburg, spurenweise auch Schwaben); ü (Ostfriesland). nordfries. sjucht, sjocht hat mit sucht nichts zu tun, sondern beruht auf afries. siohte ˂ *siukida. — der auslautende dental verklingt gelegentlich. schon ahd. begegnet mehrmals -suh und -souch, im 15. jh. vereinzelt such; heute gilt in Schleswig-Holstein diese aussprache durchweg (Mensing 4, 927); helgoländisches soch(t) und cimbrisches -sof vergleicht sich (s. o.). — auch der anlaut variiert, allerdings selten. eine Augsburger quelle des 16. jh. bietet einmal schucht oder sucht (chr. d. dt. städte 33, 454) — vgl. schuche im urkdb. d. st. Freiberg i. S. 1, 60 Ermisch —; dazu stellt sich nassauisch schucht (Kehrein 1, 369). etwas häufiger ist vermischung mit zucht. schon im 15. jh. begegnet einmal diese schreibung für sucht (Diefenbach gl. 367ᶜ). auf einem teil des schweiz., des lothring. und des elsäss. gebietes flieszt heute sucht über die artikelverbindung d'sucht mit zucht zusammen (Staub-Tobler 7, 274; Follmann 511; Frommanns dt. maa. 6, 10; Andresen volksetymol.⁷ 368). neben sucht erscheint in älterer sprache des öfteren die form suchte. sie taucht im 12. jh. in der kaiserchronik auf und kommt obd. bis gegen ende des 16. jh. vor (j. Titurel, voc. ex quo, Basler quellen). ende des 13. jh. setzen md. belege ein, die dann zahlenmäszig das übergewicht erlangen (im passional regelmäszig suchte, häufig auch in md. vocabularien, ebenso in oberhess. und bes. in rhein. quellen bis gegen 1500; in letzteren auch suchde). den beschlusz macht Kilian 1605. es handelt sich allem anschein nach um eine compromiszbildung aus sucht und mhd. siuchede, sûchede, mnd. sûkede, sûkte, nhd. seuchte (s. teil 10, 1, 699): aus den beiden bedeutungsgleichen wörtern bildet sich ein neues, indem das eine seinen stammvocal, das andere seinen auslaut durchsetzt. da suchte schlieszlich wieder mit sucht zusammenfällt, wird es im folgenden trennungslos mitbehandelt. der formgerechte plural von sucht heiszt ahd. as. suhti, mhd. sühte, obd. seit dem späteren mittelalter sücht. diese form hält sich in der Schweiz stellenweise bis ins 16. jh.; ja vereinzelt noch 1645, s. Staub-Tobler 7, 274. der daneben vom 12.-16. jh. gelegentlich auftretende pl. suhte (kaiserchronik, passional, Hesler), sucht (Joh. Agricola, Bertesius) gehört z. t. der oben behandelten zweisilbigen secundärform des sg. zu, z. t. ist die bezeichnung des umlauts graphisch unterblieben. seit dem beginn des 16. jh. aber kommt ein nach den schwachen n-stämmen analogisch gebildeter pl. suchten auf, der die ältere bildung rasch verdrängt und im 16. und 17. jh. bes. auf alem. boden reich bezeugt ist. seltener findet sich daneben süchten (letzter beleg bei Joh. Müller 1665), eine compromiszbildung aus sücht und suchten. J. v. Watt gebraucht einmal suchten und süchten dicht nebeneinander (dt. hist. schr. 3, 146 Götzinger); die auflagen der Zürcher bibel wechseln ab (z. b. deut. 7, 15: 1530 und 1548 süchten, 1531 suchten). seit dem späteren 17. jh. ist suchten bis ins 19. jh. alleinherrschend. indessen kommt der pl. doch wesentlich nur mehr für die grundbedeutung 'krankheit' in anwendung. zwar verzeichnet Nemnich 1801 auch suchten 'passiones'; Campe 1810 läszt auch suchten der seele zu; und E. M. Arndt verwendet den pl. noch in diesem sinn. aber Adelung (vers. e. gramm.-krit. wb. 4, 875) hatte festgestellt, dasz sucht als 'begierde' ohne pl. sei. erst in neuester zeit erscheint wieder der echte pl. süchte (bei G. Falke, H. Stehr, W. Schäfer, H. Grimm), nunmehr für die geistige bedeutung des wortes, und ist in dieser function für unser heutiges sprachgefühl verbindlich.in den mundarten der gegenwart ist der pl. meist ungebräuchlich. gelegentlich kommt noch die alte form sücht vor (so bair., vgl. Schmeller-Fr. 2, 220); sonst suchten (vereinzelt in der Schweiz, auch in Mecklenburg und Lübeck); nordfries. sjuchten, sjochten.
bedeutung und gebrauch.
I.
'körperliche krankheit'. nach anfänglich breitester herrschaft verliert das wort in seinem ursprungssinn 'körperliche krankheit' immer mehr an geltungsraum und bedeutungsfülle, bis es (als simplex) aus der schriftsprache fast gänzlich schwindet. in ältester zeit gemeinsamer besitz des ganzen dt. sprachgebiets, wird sucht auf nd. boden seit beginn der mnd. zeit beinahe vollständig durch sûke, sûkede verdrängt; in den nd. maa. taucht es stellenweise, meist in alten magischen formeln (A 3), wieder auf. im md. bereich hält sich das wort zwar länger, doch büszt es seit dem späteren mittelalter an umfang der anwendungen und sinngebiete ein (vgl. etwa B 4 b). seine eigentliche domäne sind die obd. sprachlandschaften; noch die heutigen maa. weisen es aus. im ganzen wahrt sucht bis zum 16. jh. über seine zahlreichen synonyme die oberhand, wiewohl es von anfang an auch verbindungen mit ihnen eingehen kann. (so erscheint suht bei Tatian und Otfrid öfters in verbindung mit ummaht oder swero.) seit beginn des 16. jh. wird der fall häufiger, dasz sucht durch ein hinzutretendes synonym (plage, siechtag, vor allem krankheit) gekräftigt und gestützt werden musz. von den lexikographen ist Faber (thes., 1587) der erste, bei dem sucht in den sippen 'morbus, febris, pestis' fehlt. im 17. jh. setzt der entschiedene rückzug ein. in der 2. hälfte des 18. jh. ist sucht als krankheitsbezeichnung schriftsprachlich veraltet, im 19. jh. erloschen. krankheit, seuche und siechtum teilen sich in das erbe. lediglich in einigen verbindungen wie chronische sucht und gelbe sucht hält sich der begriff ein paar jahre länger, in fallende sucht sogar bis in die neueste zeit. dazu kommt die neuaufnahme des wortes in einer bestimmten medizinwissenschaftlichen sonderbedeutung (B 3 d). wo sucht sonst (als simplex oder in anderen verbindungen) im späteren 19. jh. auftritt, liegt archaisierende sprachgebung (Scheffel, Fr. W. Weber) oder intuitive- erfühlung des ursinns (Nietzsche) vor. anders in den mundarten, bes. den obd.: sie hegen das wort in teilweise reicher begriffsverzweigung weiter. und auf dem ganzen sprachgebiet einschlieszlich der schriftsprache lebt der alte sinn von sucht in einer reihe von zusammensetzungen (bleich-, gelb-, fallsucht u. s. w.) fort.
A.
die dämonistische grundfarbe. seiner herkunft und bildung nach ist sucht ein sachwort (s. B 1), aber in der entwicklungsgeschichtlich frühesten schicht seines auftretens erscheint es als zeichen für eine lebendige wesenheit. die krankheiten des körpers wurden ursprünglich (und werden im volksglauben bis heute) als etwas gewaltsam von auszen her eindringendes, als eingriff, ja als erscheinungsform dämonischer mächte, in biblischer denkweise als besessenheitsphänomene empfunden und persönlich aufgefaszt. von dieser anschauung wird nicht nur der gattungsbegriffliche grundsinn (B 1), sondern auch die älteste gruppe der sonderbedeutungen (wie 'fieber' B 3 b und 'seuche' B 4 b) und verbindungen (wie fallende sucht C 3 a α) ergriffen und gefärbt. das äuszert sich in der satzstructur, in bestimmten redensarten (s. A 2) und bis in die jüngste zeit in magischen formeln des volkes (s. A 3). eine reihe von zeugnissen sind mythol.⁴ 2, 965-966 und 3, 336-339 gesammelt.
1)
einige ältere belege für die auffassung der sucht als einer wirkung feindlicher geister oder für ihre dämonistische personification:
losde af theru lefhedi liudi manage,
af sulicun suhtiun, so than allaro suuaroston
an firiho barnun fiund biuurpun
Heliand 1215 Sievers;
thie siechun quamun alle tho zemo abande;
firdreib er al thio suhti joh iro ummahti
Otfrid 3, 14, 56 Erdm.
(obtulerunt ei multos daemonia habentes ... et omnes male habentes curavit Matth. 8, 16);
thaz sie (die jünger) diufal fluhtin in armilichen suhtin
ebda 3, 14, 87;
voll durchgeführte verlebendigung: also leo fermulita suht alliu miniu bein (quasi leo sic contrivit [sc. gott] omnia ossa mea Jes. 38, 13) Notker 2, 611 Piper; auch mhd. ähnliches:
die tievel sie vertrîbent,
die sühte niht belîbent
Otto v. Freising Laubacher Barlaam 4796;
in vielen weiteren belegen der folgenden abschnitte lassen syntaktische fügung und verbwahl noch etwas durchschimmern von der dämonistischen grundanschauung; und selbst wo in jüngeren quellen an reale sinnerfüllung nicht mehr gedacht ist, spiegelt doch die sprache zuweilen die alte vorstellung wieder. die sucht 'stöszt an, fällt an, überfällt, überläuft, packt, greift an, überwältigt den menschen' (mythol.⁴ 2, 965). erst wo passivische wendungen auftreten, hat sich die natürliche deutung der krankheiten auch sprachlich durchgesetzt.
2)
bes. in den zahlreichen fluch- und verwünschungsformeln der älteren sprache lebt die dämonistische auffassung kräftig fort: man hielt auch domalen (zur zeit des Sempacher krieges) sachen für zuoreden, die man jetziger zyt nitt darfür hallt noch straft, alls da die allten etwan einem ein sucht oder krankheit gewünscht oder einen lug oder trutzwort (um 1600) R. Cysat collectanea bei Staub-Tobler 7, 271. die sucht-formeln bilden nur eine gruppe neben anderen, in denen bestimmte, namentlich benannte krankheiten berufen werden (z. b. die drüss gehe dich an! du sollst die kränke kriegen! dasz euch pock schent! dasz dich der ritten schütt! vgl. u. a. Wander sprichw.-lex. 4, 956). immer handelt es sich in der grundvorstellung darum, dem gegner durch einen magischen beschwörungsact den krankheitsdämon auf den hals zu ziehen. welche krankheit der verwünschende jeweils meint, das läszt sich vielfach gar nicht ausmachen; auch liegt der nachdruck weniger auf der inhaltlichen bestimmung als auf dem pathos des fluches als solchen: wem nun die sucht gefluͦcht wirt, der mag diser (vorgenannten) sucht eyne verstehen, welche er wille Joh. Agricola 750 sprichw. (1534) nr. 532; vgl. auch:
drob der bettler erzürnet war
und aller bettler plag mir flucht
und wünscht mir die und jhene sucht
H. Sachs 17, 341 lit. ver.;
gelegentlich begegnen umfassende wendungen: hin zallen sühten! Seifrit Helbling 2, 746 Seemüller;
dasz dich denn müssen alle sucht!
Bertesius Frischlins phasma act 2, sc. 2;
nur ab und an deutet der zusammenhang auf eine näher zu fassende sucht, etwa auf den aussatz, öfter auf das fieber. folgende sprachlichen typen lassen sich aufweisen:
a)
sinnlich ausmalende verwünschungen:
des var diu suht in iuwer ôren!
minnesinger 3, 438ᵃ v. d. Hagen;
diu suht an iuwern lôsen kragen!
wolf u. geisz bei J. Grimm Reinh. fuchs 302;
ganck, haff de soucht in dynem nacken!
Karlmeinet 3, 18 Keller;
bes. deutlich zeigt den dämonistischen grundcharakter der formel die folgende stelle, wo die sucht (hier im sinne von 'aussatz', s. B 3 a) als tiergestaltiger kobold aufgefaszt erscheint:
sô dich diu suht benasche,
daz dir hût und hâr abgê!
Seifrit Helbling 1, 1202 Seemüller
(vgl. dazu Seemüllers anm. s. 314 und Höfler 700).
b)
formeln, in deren verbalvorgang voller oder allmählich schwächerwerdend ein dämonisches handeln zum ausdruck kommt; die sucht erstöszt, erschlägt, schütte(l)t, besteht, geht an, waltet; z. b.: dasz in die sucht erstosze! Luther tischreden 294ᵇ Aurifaber; dasz dich die sucht erschlage! Sarcerius pastorale (1566) 499;
ach das dichs alte falbel schütt,
die sucht, das fieber und der ritt
Hayneccius H. Pfriem 30 ndr.;
... ê bestê in diu suht,
dan daz er immer sîne zuht
an mich gelege mêr
frauenzucht 443 bei Lambel erz. u. schwänke;
der vatter sprach: das dich die sucht
muͤsse huͤt bestan
Laszbergs liedersaal 1, 538;
meine alte, must sie die sucht bestohn
Hayneccius H. Pfriem 43 ndr.;
die sucht gehe yhn an Joh. Agricola 750 sprichw. (1534) nr. 532; vgl. ferner Wander sprichw.-lex. 4, 956;
das walt das falbel und die sucht
Hayneccius H. Pfriem 77 ndr.;
herzog Georg (von Sachsen) ... stemmte die hände in die seite; kopfschüttelnd rief er seinen fluch aus: 'das walt die sucht' Ranke (1867) 1, 284 (zum j. 1519).
c)
elliptische formeln: dasz dich die sucht! Eiselein sprichw. u. sinnreden (1840) 583 (aus volksmund); vgl. ferner die belege aus Helbling und Bertesius oben unter A 2 und den beleg aus 'wolf und geisz' unter A 2 a.
3)
bis in die gegenwart hinein hat sich die alte krankheitsdämonologie im volksaberglauben lebendig erhalten; und merkwürdigerweise hat sich der terminus sucht gerade auf nd. boden, wo er sonst frühzeitig zurücktrat, in magischen bannungsformeln fest behauptet. freilich dürfte er hier bereits als abstrahierende zusammenfassung der sucht-composita zu verstehen sein; denn wo einzel-suchten benannt werden, treten sie immer in solcher form auf. auch ihre zahl ist fixiert: es gibt 7 bzw. 77 oder 9 bzw. 99 suchten; vgl. über diese zahlenmagie Kuhn zs. f. vgl. sprachf. 13, 128 ff.; Weinhold die myst. neunzahl bei den Deutschen, abh. d. Berl. ak. d. wiss. 1897; Höfler 715 f.; Haase zs. d. ver. f. volkskde 8, 59 f.; Bartsch sagen, märchen u. gebräuche aus Mecklenburg 2, 116 -118. die suchten sind dämonische wesen und werden vermittels eines festen rituals besprochen.
a)
beschwörungsformeln:
fruchtbom, ik klag di,
de suchten de plagt mi;
de erste vagel, de öber min hus flüggt,
de nimmt de swindsucht mit ünner sin flücht
die heimat (Kiel) 19, 207 (aus der Lübecker gegend);
appelbom, ik klaͦg di,
mine 77sterlei sücht de plaͦgt mi;
jeden vaͦgel, de über mi flüggt,
bitt ik üm min un dine sücht
zs. d. ver. f. volkskde 8, 59 (aus der Ruppiner gegend)
('dieser spruch musz des morgens vor sonnenaufgang vor einem fremden apfelbaume gesprochen werden');
die sücht und die wid
die liegen beid in strit;
die wid die gewann,
die sücht und die verschwand
zs. d. ver. f. volkskde 8, 60 (aus der Ruppiner gegend)
(bleichsucht, bisweilen auch gelbsucht ist gemeint);
fruchtbom, ik klag di,
de suchten de plagt mi;
de fruchtbom gewinnt,
de suchten verswinnt
die heimat (Kiel) 19, 207 (aus der Lübecker gegend);
vgl. Mensing schlesw.-holst. wb. 2, 240. (für suchten kann auch eine specielle bezeichnung eingesetzt werden: de gelsucht, lidsucht, gelenksucht, bleeksucht.)
b)
ein anderes ritual hat sich in Pommern und Mecklenburg ausgebildet (auch im Havelland ist es bezeugt): die suchtenprobe und das suchtenbrechen (s. sp. 895). durch die erstere wird festgestellt, von wieviel suchten der kranke befallen ist; sind sie ermittelt, dann werden sie durch magische handlungen gebrochen, d. h. ausgetrieben. vgl. suchten breken 'durch sympathie die krankheit heilen' Mi Mecklenb. 89ᵃ. meist sind es in Mecklenburg auszehrung und andere schleichende krankheiten, die so beschworen werden. beschreibungen des vorgangs, der im einzelnen varianten aufweist, s. bei Bartsch sagen, märchen u. gebräuche aus Mecklenburg 2, 116 f.; am urquell 3, 236-238; Weinhold abh. d. Berl. ak. d. wiss. 1897, 24 f.; Wuttke dt. volksabergl. d. gegenw.³ 232 und 358. der vollziehende spruch lautet z. b.: ik brek N. N. de suchten im namen gottes des vaters, des sohnes und des hl. geistes am urquell a. a. o. (aus Mecklenburg). auch tierkrankheiten können gebrochen werden; die entsprechende formel lautet in Fehrbellin:
sucht, sucht, du böse,
wie du gekommen in dreien tagen,
so komm und erlöse
in drei (oder dreimal drei) tagen.
dazu verhelfe gott usw. amen
zs. d. ver. f. volkskde 8, 390 f.
B.
sucht als autonomer begriff.
1)
sucht ist seiner grundbedeutung nach ein concreter gattungsbegriff und dient als generelle bezeichnung für jede krankheit des menschlichen körpers, die mit deutlichen symptomen in erscheinung tritt und nicht auf mechanische ursachen (verletzung oder verwundung) zurückgeht.
a)
so schon in den frühesten glossaren (seit dem 8. jh.) und lexikographisch bis ins 17., in ausläufern bis ins 18. jh. festgehalten. in glossaren des 8.-13. jh. erscheint suht, suth als übersetzung von morbus, languor, molestia, querelae, vgl. ahd. gll. 1, 14; 64/65; 211. 2, 223; 227; 247. 4, 369. in glossaren des 15. jh.: morbus sucht, suchte, zucht, sycht Diefenbach gl. 367ᶜ. diese linie geht bis zu Steinbach vollst. dt. wb. (1734). schon im 16. jh. wird sucht stellenweise von krankheit an die zweite stelle gedrängt: morbus kranckheit, sucht, siechtag Frisius (1556) 836ᵇ; morbus ein kranckheit, sucht Calepinus XI ling. (1598) 911ᵇ; bei Faber (1587), Decimator (1608) und Reyher (1686) wird morbus nicht mehr durch sucht glossiert. in der folgezeit wird das wort von den lexikographen mehr aus den zusammensetzungen abstrahiert, als dasz es noch als eigenform lebendig empfunden würde: sucht (simplex non adeo usitata) morbus Steinbach dt. wb. (1725) 377; 'sucht ... kunte vor alters allein stehen ...; aber man findet es jezt meistens hinten an, als geelsucht ...' Frisch teutsch-lat. wb. (1741) 2, 266ᵃ; vgl. auch Joh. Jac. Schmidt bibl. medicus (1743) 493 f. seit Adelung ('die sucht, ein wort, welches ehedem eine jede krankheit bedeutet, sie sey von welcher art sie wolle ... im hd. ist es in dieser weitern bedeutung veraltet, indem es sich nur noch in einigen zusammensetzungen und nahmen einzelner krankheiten erhalten hat ...' vers. e. gramm.-krit. wb. 4, 875) gilt in den dt. wbb. einfaches sucht im sinne von 'morbus' schriftsprachlich als überlebtwie das bis auf wenige ausnahmen auch dem literarischen befund entspricht.
b)
als gattungsbegriff, der nach der absicht des sprechenden die verschiedenen möglichkeiten näherer bestimmung offen läszt, erscheint sucht in indefiniten fügungen aller art: ther heilant ... heilta iogiuuelihha suht inti iogiuuelihha ummaht in themo folke Tatian 22, 1; (wer als erster in den teich Bethsaida stieg) heil uuas von so uuelichero suhti uuns bihabet ebda 88, 1;
dehein suht ist sô getân,
und wirt diu salbe gestrichen dran,
sine müeze deste semfter sîn
Wirnt v. Grafenberg Wigalois 10372 Kapteyn;
wo die lung einem schwirt oder andere sucht ann iro hat, sol man bibergeyle im in die nasen röuchen Herold-Forer Gesners thierbuch (1563) 26ᵇ; der gebrauch setzt sich bis ins 18. jh. hinein unverändert fort: ein neuerer genius hat den einfall, für jede sucht einen arzt zu bestellen, um jede gründlich zu erforschen H. P. Sturz (1779) 1, 194; sprichwörtlich: were der sucht bei zeyt Seb. Franck sprüchw. (1541) 2, 39ᵇ.
c)
im gleichen sinne faszt der plural alle oder mehrere einzelkrankheiten allgemeinbegrifflich zusammen:
... quad that siu uuari mid suhtiun bifangen
Heliand 2988 Sievers;
(Jesus) heilta manage fon suhtin inti fon sueren inti fon ubilen geiston Tatian 64, 2; gleichfalls sehr häufig und wandellos durchstehend:
man sit da (bei der hl. Cordula in Köln) noch gnade vinden,
wat suchden den minschen anegeit
G. Hagen buch v. d. st. Köln 385 chr. d. dt. st.;
der tod ertötet in tausenterlay weisz die elenden menschen, mit frost, mit hitz ... und sunst mit manicherlay gebrechen und suchten A. v. Eyb spiegel der sitten (1511) k 5ᵃ; schon im 16. jh. wird dieser pl. öfters nicht mehr als mehrzahl des simplex sucht, sondern als zusammenfassung der mit -sucht componierten krankheitsbezeichnungen empfunden: es seind vil sucht, die schwindsucht ..., die geelsucht ..., die geltsucht, die weynsucht, die biersucht Joh. Agricola 750 sprichw. (1534) nr. 532; letzlich greifft sie gern die wassersucht ... an, sampt andern gefehrlichen süchten, welche sie gar hinrichten Wirsung artzneybuch (1588) 539ᵇ; wo der pl. von sucht seit dem 18. jh. in der angegebenen bedeutung noch erscheint, da hat er stets diese engere function: ich gebrauchte stahl, china, kräutersäfte ..., je nachdem ich die schwindsucht, die wassersucht, die gelbsucht oder irgend eine von den hundert suchten befürchtete H. P. Sturz (1779) 1, 194; bei den tanzproben hätte ich die schwind- und gallsucht und alle möglichen suchten an den hals bekommen K. Schulze-Kummerfeld lebenserinnerungen 2, 119 Benezé; es steht nur bey ihm, unter allen suchten und seuchen nach belieben zu wählen, denn er findet, wenn er will, die zeichen und zufälle von allen an sich Bremser medizin. parömien (1806) 133; in neuerer zeit nur gelegentlich in mundartlicher dichtung: a kunnt alli krankaten hailn, warns aft auswenigö schäden oder inwenigö fieber und suchten Stelzhamer aus ewigen dicht. (1884) 4, 31.
d)
ebenso kann aber (singularisches) sucht auch auf eine bestimmte krankheit hinweisen, mag sie nun im vorhergehenden genannt sein bzw. aus dem zusammenhang sich ergeben oder nicht: (die blutflüssige spürte) thaz siu heil uuas fon theru suhti Tatian 60, 4;
... tho sie ina (Lazarus) fan themu grabe sahun
sidon gesunden, thene the er suht farnam
Heliand 4111 Sievers;
sô enhœret anders niht dar zuo
niuwan der maget herzebluot:
daz wære vür iuwer suht guot
Hartmann v. Aue a. Heinrich 232 Paul;
(Petrus) sprach mit schonen worten sus
zu der gihtigen maget:
wiltu die suchte han verjaget,
so la dir werden nu bekant
passional 199, 43 Hahn;
bereits mit functioneller schwächung des begriffs: als er wider haim kam, begraif in ain grosse sucht ainer unleidlichen kranckhait Füetrer bayer. chr. 45 Spiller;
nicht gar ein lange zeit vergieng,
das der held durch zufällig ding
fiel in ein vast schwere krankheit.
solchs was dem Unfalo nit leid,
merkt, das die sucht täglich zunam,
darum er zu dem helden kam
Maximilian Teuerdank 157 Gödeke;
die kinder mit solcher sucht (fallsucht) beladen, sol man gar ordenlich mit speisz und tranck halten, die warm unnd trucken sind Ruoff hebammenbuch (1580) 239;
weil aber d' sucht (ein eitriges geschwür im leib, apostem) überhand genommen,
muszt man mit scharfen mittlen kommen
Opel-Cohn dreiszigj. krieg 94;
ironisch-bildlich (sucht als 'frauenkrankheit', d. h. erotische unbefriedigtheit, die als krankheit vorgetäuscht wird):
zapffenkraut, so viel genug, macht von dieser sucht genesen
Logau sinnged. 298 lit. ver.
2)
von der basis 1 b aus tritt gelegentlich eine erweiterung des bedeutungsraumes ein, indem der bezug auf concrete krankheitsbilder hinter dem allgemeinen vorstellungsinhalt körperlichen übelbefindens zurücktritt, das sachwort sich einer zustandsbezeichnung nähert. sucht rückt dann in die stelle eines negativen gegenbegriffes zu gesundheit ein und umschreibt den zustand des krankseins schlechthin. in der regel steht es in diesem sinne ohne artikel:
suht joh suero manager (thes giwuagun wir er),
ni bristit thoh in thes thiu min ...
Otfrid 5, 23, 151 Erdm.;
du irrefsest mih mit suhte unde chicchest mih mit keniste Notker 2, 612 Piper; des dinc also stet unde gewant ist, daz he zu dinge nicht wil noch enmac, ab in lichte irrete suchte oder unbederbekeit oder manicherleie sache urkdb. d. st. Freiberg i. S. 3, 150 Ermisch; personificiert: dann werden im zwen knecht zuͦgedingt, der heiszet einr schmertz, der ander sucht A. v. Pforr buch d. beispiele 19 lit. ver.; als auch die sucht unnd kranckheit desz menschlichen verweszlichen leibs im wenigsten nichts gegen der fälschung und verlust der aller kostbarlichsten seelen zu schätzen Guarinoni grewel der verwüstung (1610) a 6ᵇ;
dünckts iemand fremde, dasz ich in der angst verschwinde,
dasz theurer mittel fleisz und werther kräuter macht,
dasz weiser ärtzte kunst mir noch nicht wider bracht,
was sucht und angst verzehrt?
Gryphius lyr. ged. 62 lit. ver.;
in feinfühliger neubelebung des alten sinnes aus dem abstracten compositum heraus: herrschsucht: doch wer hiesze es sucht, wenn das hohe hinab nach macht gelüstet! wahrlich, nichts sieches und süchtiges ist an solchem gelüsten und niedersteigen! Nietzsche 6 (1896) 278.
3)
anderseits, auf der linie 1 d, erfährt das wort eine begriffliche verengung, indem es für bestimmte (häufiger auftretende) einzelkrankheiten oder krankheitsgruppen prägnant wird.
a)
zufrühest für 'auszehrung, schwindsucht' (s. u. schweinende, schwindende, auch abnehmende sucht); in glossen des 9.-13. jh.: tabes suht ahd. gll. 1, 466. 2, 766. 3, 262; tabitudo suht ebda 1, 577; 587; im vergleich: daz leid uuas mir so harto ana, daz iz mih in suhte uuis sleuuen (tabescere) teta Notker 2, 535 Piper. vereinzelt im 11./12. jh. für 'tobsucht' (s. u. taube, tobende, wütende, rasende, törichte sucht): rabies suth ahd. gll. 3, 507. gelegentlich mhd. für 'aussatz' (s. u. aussätzige sucht):
Lazarus dicit ad Mariam:
hore Maria, dorch dine zuht,
ich wene wol, ich hab die suht,
von der ich liden groze not
schausp. d. mittelalters 1, 91 Mone;
vgl. ferner den beleg aus Seifrit Helbling, oben unter A 2 a. landschaftlich auch für die weibliche periode (s. u. natürliche sucht): so ein frau ir sucht zu wenig oder zu vil hat Ortolf v. Bayern artzneybuch (1488), bei Schmeller-Fr. 2, 219; die buggel ist gut den frauwen zu ihr sucht, die da heiszt menstrum (18. jh.) bei Staub-Tobler 7, 271.
b)
am häufigsten in älterer sprache für fieberhafte erkrankungen, auch geradezu für 'fieber'; eine klare und durchgehende abgrenzung des anwendungsgebietes gegenüber den synonymen ritte und fieber ist nicht erkennbar, trotz mythol.⁴ 2, 966 (s. auch C 2: heisze, hitzige, hitzende, brennende, aber auch kalte und frierende sucht):
ich wâne, dat sî (die minne) starker sî
dan die socht oft dat fiever
Veldeke Eneide 9855 Behaghel;
daz (gekochtes veilchen) pringt den siechen slâf in hitzigem siehtum, sam die süht sint und sämleich siehtüem Konrad v. Megenberg buch d. natur 425 Pfeiffer; der mund ward ime als turr von innen und ussnan als einem siechen, der an einer suht lit Seuse 47 Bihlmeyer; in obd. und md. vocabularien des 15. jh.: febris suchte, ritte vel suht, rit vel sucht Diefenbach gl. 228ᶜ; nov. gl. 169ᵇ; febris continua suht voc. opt. 36, 76 Wackernagel; acuta (febris violentior du Cange-Favre 1, 67ᶜ) sucht Diefenbach gl. 11ᵇ; 636ᶜ; vgl. auch dess. nov. gl. 7ᵇ; febricitare die sucht haben dess. gl. 228ᵇ. seit dem 16. jh. scheint sucht in dieser bedeutung nur noch in einigen maa. fortzuleben, da aber bis in die gegenwart: in Graubünden ist sucht 'hitziges fieber', nach älterer angabe auch 'nervenfieber', vgl. Staub-Tobler 7, 271; in einzelnen gegenden des Elsasz umschreibt die sucht (nicht wie sonst d'sucht) die 'influenza', vgl. Martin-Lienhart 2, 326.
c)
in den lebenden mundarten treibt sucht noch darüber hinaus einige sonderbedeutungen; so nassauisch schucht in gleichem sinne wie kränk 'fallsucht, epilepsie' Kehrein 1, 369; tirolisch sucht 'entzündung an einer stelle des körpers, wie z. b. in den augen' Schöpf 727; s. auch Schmeller-Fr. 2, 219; im Bernerland 'gliedersucht, rheumatismus' Staub-Tobler 7, 271.
d)
in neuester zeit hat die medizinische fachsprache das wort wiederaufgenommen, um ihm einen früher unbekannten und offensichtlich aus der bedeutung III abgeleiteten, specifischen inhalt zu geben: 'hörigkeit gegenüber rausch- und betäubungsgiften' (morphinismus, kokainismus u. s. w.). dies ist die einzige verwendung, in der alleinstehendes sucht als krankheitsname schriftsprachlich heute noch lebt: es handelt sich ... um stark wirkende ... mittel, die zudem die unangenehme eigenschaft haben, bei länger dauerndem gebrauch ... zur gewöhnung und zur sucht zu führen dt. zukunft v. 22. 4. 1934, s. 18; (ein arzt sagt:) ich frage gar nicht nach der dauer der sucht, nach der stärke und der menge des morphins Perkonig bergsegen (1928) 25.
4)
endlich kann sucht sich auf gewisse krankheitstypen einschränken.
a)
als grundlage für die unter b folgende bedeutung ist sucht 'ansteckende krankheit' anzusetzen. freilich erscheint in den belegen schon von frühester zeit an dieser allgemeine grundsinn durch die specifische anwendung b mehr oder weniger überdeckt. (das erklärt sich zum guten teil medizingeschichtlich: ansteckungskrankheiten nahmen bei den hygienischen und therapeutischen verhältnissen älterer zeit sehr leicht seuchencharakter an; so flossen auch die begriffe ineinander.) erst in den wörterbüchern des 18. jh. hebt man aus älterem und dialektischem gebrauch gelegentlich den allgemeinen sinn heraus: sucht ansteckende krankheit Kramer niderhochteutsch dict. (1719) 2, 210ᵃ; 'bes. brauchte man es, wie seuche, ehedem von ansteckenden, gefährlichen krankheiten' Adelung vers. e. gramm.-krit. wb. 4, 875; ähnlich Campe 4, 745; vgl. auch Zaupser vers. e. baier. u. oberpfälz. id. 75 und A. v. Klein dt. provinzialwb. 1, 2, 181.
b)
indem das weitere bestimmungselement der epidemischen verbreitung in den begriff a eindringt und beherrschend wird, nimmt sucht die bedeutung 'seuche' an. sie dürfte von allen bedeutungen des wortes bis ins 17. jh. die geläufigste seinfreilich nicht in gleichmäsziger räumlicher verteilung. zuerst auf nd. boden, seit dem spätmittelalter auch md. beginnt sucht im angegebenen sinne vor seuche zurückzuweichen; seit dem anfang des 16. jh. erscheint es so gut wie nur in obd. texten; dort aber herrscht es mit ausschlieszlichkeitbis seit dem 18. jh. in der schriftsprache das nd.-md. seuche auch auf obd. gebiet sich durchsetzt. nur die maa. bewahren noch etwas von dem alten bild; ja in ihnen zeigt sich spurenweise sucht für 'seuche' selbst da erhalten, wo die literarische überlieferung es seit dem mittelalter bereits aufgegeben hat. (vgl. für die wortgeographischen verhältnisse auch den artikel seuche, teil 10, 1, 696, ferner die unten citierten ausführungen von Kluge.)
α)
belege seit dem 9. jh.: labes lues suth vel quicquid nocet ahd. gll. 4, 229; inti sint thanne suhti inti hungara inti erdbibunga Tatian 145, 5 (et erunt pestilentiae et fames Matth. 24, 7 und Luc. 21, 11; vgl. zu dieser stelle auch Heliand 4327 und Otfrid 4, 7, 12);
alles des uf der erde
wahsunt unde lebentich werde,
dem [ne] werre hitze noch vrost,
schor noch dehein suht
genesis 113, 36 Diemer;
wo Luther seuche hat, ändert die Zürcher bibel zumeist in sucht, vgl. Kluge von Luther bis Lessing 82; z. b.: (Jesus) gab inen macht über die unsaubren geyst, daz sy die selbigen ausztribind und heiletind allerley sucht und allerley kranckheyt Zürcher bibel (1531) Matth. 10, 1 (Luther: allerley seuche und allerley kranckheit); ein sucht kam under die knecht, die nam vil dahin Stumpf Schweizer chr. (1606) 24ᵇ;
wie sucht von vieler art und manches schädlichs thier
die juden übergieng
Opitz (1690) 4, 299;
dasz böse dämpf auszgangen von der erden und pestilenz und suchten verursachen Ziegler (1647) bei Staub-Tobler 7, 271; auch in bildlicher verwendung: sie solten solche priester, die da weiber hetten, ... fliehen als ein sucht und gifft Nigrinus papist. inquisition (1589) 390; oder in sprichwörtlichem gebrauch:
zuspaht und umbsunst ist die flucht,
wan man behaftet mit der sucht
Weckherlin 1, 162 Fischer;
im 18. jh. verschwindet sucht in der vorliegenden bedeutung aus der schriftsprache; wo es später noch auftritt, da schon unter mundartlichen einflusz, z. b. bei einem Solothurner volksdichter: die mutter spürt halt das feuchte winterwetter und die herrschende sucht Jos. Joachim (1898) bei Staub-Tobler 7, 271. die obd. dialekte bewahren die bedeutung als eine der gewöhnlichsten des wortes bis heute, vgl. für die Schweiz Stalder 2, 417 und Staub-Tobler 7, 271, für das Elsasz Martin-Lienhart 2, 326, für Lothringen Follmann 511, für Schwaben Fischer 5, 1947, für Bayern Zaupser 75 und Schmeller-Fr. 2, 219, für Vorarlberg Frommanns dt. maa. 4, 1. aber vereinzelt findet sich sucht 'seuche, epidemie' (neben der allgemeineren bedeutung 'krankheit') auch md., vgl. Spiesz henneberg. id. 249; ja selbst im friesischen (und zwar als simplex allein in diesem sinn), vgl. Schmidt-Petersen nordfries. 113 und Mungard Sölring spraak 185.
β)
dasz sucht vor allem zur bezeichnung der am häufigsten und furchtbarsten auftretenden seuche, der pestepidemie, diente, darauf weisen schon glossenbelege des 10.-13. jh.: pestis suht ahd. gll. 1, 630. 3, 254; pestilentiae suhti ebda 2, 266. dasz es sich indessen (trotz Maaler 395ᵃ: die sucht pestis, und trotz Adelung vers. e. gramm.-krit. wb. 4, 875: 'daher die pest noch jetzt im gemeinen leben einiger gegenden die sucht genannt wird') nicht um einen festen bedeutungsübergang, sondern nur um eine anwendung handelt, zeigt Diefenbach gl. 431ᶜ: pestilentia eyn suchte; das zeigen auch die literarischen belege:
noch was die vorbenante sucht (der gehe tot)
alda zu Rome stark genuc
passional 199, 82 Köpke;
(im j. 1356) qwam daz zweite grosz sterben, also daz di lude an allen enden in duschen landen storben mit groszen haufen an der selben suchte, als si sturben in dem ersten sterben limb. chr. cap. 44 Wysz; dann söliche sucht und kranckheit wuͤtet domals lange jar Stumpf gem. eydgnosschafft chr. (1548) 147ᵃ;
dieweil du woltest wissen gern,
warumb doch Phæbus thu beschweren
das gantz geläger mit der sucht
Spreng Ilias (1610) 3ᵃ;
vergleichsweise: jha mehr dann dise sucht ist Luther, weil die pestilentz nur den leib, er aber ... viler tausent seelen dem teuffel in den rachen gesteckt Nas antipapist. eins u. hundert (1567) 1, 147ᵃ.
γ)
andere anwendungen; pockenepidemie:
suht chom grozze undir sie,
ja gesahet ir nie
so manegen siechen man
von den blateren vreissam
exodus 142, 27 Diemer;
influenza- oder grippeepidemie: auff dis jar (1510) im maien erhuͦb sich ain sucht an fil örten ... im Bairland ..., dasz den leitten wee ward im habt, auch ain huͦsten, gantz seltzeklich chr. d. dt. städte 23, 466; diphtherie: demnach kam ein unerkante sucht, genämt die brune, under der eidgnossen knecht im veld Anshelm Berner chr. 4, 225; im elsässischen dialekt u. a. für grassierenden husten, vgl. Martin-Lienhart 2, 326; im schwäbischen bes. für influenzaartige erkrankungen epidemischer natur mit starkem schnupfen und katarrh, vgl. Fischer 5, 1947; im bairischen 'eine vorübergehende, sich zu gleicher zeit mehreren individuen mittheilende, krankhafte erscheinung, wie z. b. augenentzündung, halsweh, schnupfen, katarrh und dergl.', vgl. Schmeller-Fr. 2, 219.
c)
in Graubünden bezeichnet sucht alle schwer heilbaren leiden, vgl. Staub-Tobler 7, 271; in Pommern und Mecklenburg alle schleichenden krankheiten, vgl. Wuttke dt. volksabergl. d. gegenw.³ 358. umgekehrt werden im bayrischen Schwaben leichte erkrankungen, unpäszlichkeiten als sucht benannt: 'selbst erkrankungen, so lange mit ihnen kein höheres schmerzgefühl verbunden ist, werden nicht beachtet, es ist eben nur ein übergängle, eine sucht.' Bavaria (landes- u. volkskde d. kgr. Bayern) 2, 2 (1863) 888; vgl. auch Fischer 5, 1947.
5)
sucht als krankheitsbezeichnung kann auch auf den tierischen körper bezogen werden; freilich gehören die zeugnisse zumeist den sondersprachen und dialekten an.
a)
allgemein, krankheit als natürliche todesursache (im gegensatz zur erlegung oder schlachtung): morticinium os (aas) von suchte Diefenbach gl. 368ᶜ.
b)
als gattungsbegriff, der verschiedene einzelkrankheiten zusammenfaszt oder eine bestimmte krankheit generell umschreibt: die streng ... verwendet sich in die sucht, die die Walchen die manvel haisset Mynsinger von falken, pferden u. hunden 72 lit. ver.; er kondt sy (die habichte) auch abrichten und von iren siechtagen oder süchten entledigen Herold-Forer Gesners thierbuch (1563) 127ᵃ; artzney und bäder, die suchten der hunde, so von kalten undauigen flüssen herkommen, zu vertreiben H. Fr. v. Fleming vollk. teutsche jäger (1719) 191.
c)
mit betonung des seuchencharakters: sucht gemeine plag; allerley kranckheit so gmeinlich über leut und vych auszgadt Maaler (1561) 395ᵃ; dann es war ein sucht under die rosz kommen Wurstisen Aemilii u. Ferroni historien (1572) 1, 110; sucht im sinne von 'tierseuche' noch heute im kanton Freiburg üblich, vgl. Staub-Tobler 7, 273; aus der ma. nimmt gelegentlich auch neuere dichtung das wort wieder auf: wallfahren? warum? ist eine sucht in deinem stall? hustest du blut aus dem magen? Watzlik der teufel wildert (1933) 7.
d)
prägnante gebrauchsweisen.
α)
'starrkrampf oder lähmung der pferde', schon ahd. (9. jh.): consparsio suht, de robore dicitur ahd. gll. 2, 249 (vgl. Germ. 8, 13 und zur bedeutung von robur Vegetius, art. vet. 3, 24, auch Diefenbach nov. gl. 110ᵃ). erst im heutigen Schweizerdeutsch findet sich sucht in prägnantem sinn als pferdekrankheit, wahrscheinlich 'lähmung', wiederum belegt, vgl. Friedli Bärndütsch 3, 147.
β)
'maul- und klauenseuche des rindviehs': zuo verhüetung der sucht solle man in allen ställen mit wachholderholz ... einen starken rauch machen (1792 Thurgau) bei Staub-Tobler 7, 273; so auch heute noch in einigen maa. der Schweiz, vgl. Staub-T. a. a. o.; ebenso in einem bezirk des Elsasz, vgl. Martin-Lienhart 2, 326. auch 'lungenseuche beim rindvieh': wen die lungenfäuli oder sucht in einem ohrt grasiert, so ist ein gutes mitel für das gesunde vieh (19. jh., kanton Zürich) bei Staub-Tobler 7, 273. bei kühen und ziegen in Graubünden und Glarus eine krankheit, die sich durch anschwellung des euters, abnahme und verschlechterung der milch, steifheit des körpers, trübung der augen u. a. äuszert, auch gälti genannt, vgl. J. R. Steinmüller beschr. d. schweiz. alpen- u. landwirtsch. 1 (1802); F. Anderegg ill. lehrb. f. d. ges. schweiz. alpwirtsch. (1898); Stalder 2, 417; Staub-Tobler 5, 846 und 7, 273.
γ)
eine schweinekrankheit: 'der flug (in Graubünden die sucht) ist eine krankheit unter den schweinen, die sich vorzüglich unter diesen tieren in Bern und Schaffhausen zeigt; in ersterer gegend heiszt sie auch das schwarze. wahrscheinlich ist sie das, was Bechstein das verfangen nennt, wobei ihnen die ohren kalt werden und die freszlust sich verliert' neue alpina 2 (1827) bei Staub-Tobler 1, 1180; vgl. auch ebda 7, 273. im Aargau und Thurgau soviel wie rotlauf, eine bei schweinen auftretende krankheit mit rotem hautausschlag, vgl. Staub-Tobler 3, 1119 und 7, 273.
δ)
'hundestaupe', allg. im schwäbischen (auf junge hunde bezogen), vgl. Fischer 5, 1947, s. auch Meyers gr. konv.-lex.⁶ 19, 166 und Höfler 701. ferner ein bei jungen hunden und katzen, auch kälbern, im wachstumsstadium auftretender magen- und darmkatarrh (epizootische diarrhoe), vgl. für die Schweiz (wo das wort in dieser bedeutung sehr verbreitet ist) Staub-Tobler 7, 273 und Hunziker Aargauer wb. 265; ferner Ch. Schmidt Straszb. 107; Lenz Handschuhsheim 70; auch die unbestimmt gehaltene angabe von Schmeller-Fr. 2, 219 gehört wohl hierher; s. auch Höfler 701. nach dem schweizerischen volksglauben musz jeder hund diese krankheit als notwendige entwicklungskrise durchmachen, um dann aber auch gegen weitere anfälligkeiten gefestigt zu sein; diese vorstellung wird zuweilen auf menschen übertragen; die redensart är het d'sucht no nid g'haa bedeutet dann: 'er hat noch keinen kater gehabt, ist noch nicht trinkfest', vgl. Friedli Bärndütsch 5, 462.
6)
ganz vereinzelt wird sogar die erkrankung einer pflanze als sucht bezeichnet: die weinreben bekommen bisweilen eine solche sucht, dasz sie die trauben fallen lassen, ihre blätter weisz, gelb und dürre und ihre stöcke weich und schlapp werden Jablonski allg. lex. d. künste u. wiss. (1748) 1371ᵇ.
7)
feste verbale verbindungen, vorwiegend der älteren sprache angehörend, vielfach redensartlich gebraucht.
a)
den begriff 'krank sein' (verstärkt: schwer krank darnieder liegen) umschreiben folgende wendungen: an der (einer) sucht liegen, s. hs.liches arzneibuch des 12. jh. (cit. im mhd. wb.); Ulrich v. Türheim Willehalm (cit. bei Lexer);
... o wee,
dasz ich min kind ye hab gsee;
wär ich darfür an einer sucht
glägen, da ich gbar dise frucht
Haberer spyl v. Abraham (1562) bei Staub-Tobler 7, 271.
— in sucht (in der sucht, in süchten) liegen (niederliegen), s. Lohengrin 3073 Rückert; Konrad v. Megenberg buch der natur 393 Pfeiffer; passional 98, 74 Hahn; in beteuerungsformel:
ich læg lieber in der suht,
dann ich iuch sol sehen an
J. Enikel weltchr. 22980 Strauch.
— die sucht haben, in beteuerungsformel:
ich hiet vil lieber di suht,
dann ich sîn süll vor iu verjehen
J. Enikel weltchr., anhang 2, 1354 Strauch.
— in (an) der (derselben) sucht krank liegen begegnet häufigebenso wie das gleichbedeutende in dem (demselben, diesem) spital krank liegen (sein) — in übertragener redensartlicher verwendung und geht auf eine lat. formel (in eodem valetudinario iacere, z. b. bei Seneca) zurück: ich bin auch in der sucht kranck gelegen Seb. Franck sprichw. (1541) 84ᵃ; weitere angaben bei Wander sprichw.-lex. 4, 956; varianten vgl. ferner bei Eyering proverb. copia 3 (1604) 52; Körte sprichw. (1837) 417; Eiselein sprichw. u. sinnreden (1840) 583. der sinn ist: 'ich leide selber an diesem fehler, habe keine berechtigung, mich zu überheben' oder abgeschwächt (unter löschung des moralischen bezugs) 'ich bin in gleicher lage'. — mit (groszen) suchten arbeiten 'todkrank sein, in den letzten zügen liegen', s. Hartlieb C. v. Heisterbach, dial. mirac. 322 Drescher.
b)
den begriff 'krank werden' drücken folgende verbindungen aus: sich in (in die, in eine) sucht legen 'sich aufs krankenbett legen', s. passional 297, 58 Köpke; häufiger wiederum in beteuerungsformeln:
ich hiet mich ê geleit in ein suht,
ê ich dhein unzuht
hiet an ihtiu begân
J. Enikel weltchr. 27113 Strauch;
ähnlich gesamtabenteuer 2, 606;
ich legte mich ê in die suht, ...
ê ich iu arges umb ein hâr
iemer iht gespræche
wolf u. geisz, bei J. Grimm Reinh. fuchs 302.
— in eine sucht fallen 'plötzlich erkranken', s. Ludwigs kreuzfahrt 178 Naumann; passional 157, 77 Hahn; Hartlieb C. v. Heisterbach, dial. mirac. 333 Drescher.
c)
eine sucht legen 'sich krank stellen': als antwerte wir em, wir welden, das her die weyle eyne sucht lege acten d. ständetage Preuszens unter d. dt. orden 3, 447 Töppen.
d)
die sucht ausliegen 'genesen, (wieder) gesund werden':
dô si ir suht het ûz gelegen,
do gediente si vil wol ir solt
gute frau 1942 Sommer (zs. f. dt. altert. 2, 449).
e)
der begriff 'gesund sein (bleiben)' kann durch negative constructionen mit sucht ausgedrückt werden:
dîn wunden die sint sühte vrî (sind geheilt)
Eckenlied bei C. v. d. Rhön 226 (cit. bei Lexer)
(hier bezieht sich sucht ausnahmsweise einmal auf eine verwundung);
ezz wir diser reinen fruht,
wir sîn gar frî vor der suht (bleiben gesund)
J. Enikel weltchr. 606 Strauch;
bildlich:
weil abgeschiedenheit sich niemand macht gemein,
so musz sie ohne sucht (makellos) und eine jungfrau sein
Angelus Silesius cherub. wandersm. 46 ndr.
f)
ebenso der begriff 'gesund machen':
hei maicht uch suchten ane
G. Hagen buch v. d. st. Köln 460 chr. d. dt. st.
8)
eine scheinbar weitabliegende bedeutung findet sich in zwei glossenbelegen des 8./9. bzw. 11. jh.: aer corruptus luft giuemmit suht ahd. gll. 1, 272 (zu deut. 28, 22); tempestas suht ebda 2, 641 (zu Vergil, georg. 3, 479). in beiden fällen (vgl. auch Höfler 701 und über das synonym luft giwemmit ebda 378) ist sucht soviel wie 'seuchenträchtige, miasmenhaltige witterung oder luft'. der zusammenhang mit bedeutung 4 b ('seuche') ist klar, die art der bedeutungsentwicklung aber undurchsichtig. gegen die annahme, dasz es sich um ungenauigkeiten oder miszverständnisse der glossatoren handele, spricht ein (sonst ganz isoliertes) zeugnis aus dem neueren mansfeldischen: sucht heiszt dort 'dunst, schwüle' (Jecht 110). das sieht ganz nach einem blassen ausläufer der in den ahd. belegen zutagetretenden sinnabzweigung aus.
9)
ebenfalls aus bedeutung 4 b ('seuche') scheint sich eine im schweizerischen vereinzelt belegte gebrauchsweise abzuleiten: aber in etlichen unseren gruͦben ... ist ein andere verderbliche sucht, nemblich die bergmenlin, die sehr greuwlichen sähen Ph. Bech Agricolas bergwerckbuch (1621) 180. hier ist sucht 'ein weit verbreiteter übelstand' zwar nicht mehr körperlicher, aber noch durchaus concreter natur. (insofern ist die übertragung anderer art als in II.) — nicht unmittelbar anzuschlieszen, aber vielleicht ähnlich entwickelt (freilich mehr aus der primären bedeutung 1 'krankheit') sind gewisse, aus der lebenden ma. und ma.lich gefärbter redeweise bezeugte wendungen, in denen sucht den sinn von 'plage' vertritt; schweizerisch: es ist eine sucht um dich, du quälst stets jemanden Staub-Tobler 7, 274; schwäbisch: mit dem menscheⁿ hat maⁿ eⁱⁿᵉ sucht Fischer 5, 1947. auch elsässisch sucht im sinne von 'unangenehme sache' klingt an: s isᵗ e fatali sucht ... u. ä. Martin-Lienhart 2, 326. man mag redensarten neuerer umgangssprache vergleichen, wie es ist die pest! möglich ist aber auch vermischung mit zucht (das im Elsasz ohnehin mit sucht durcheinandergeht, vgl. o. 'herkunft und form').
C.
sucht mit (stehendem) adjectiv-attribut, für menschen- und viehkrankheiten.
1)
die krankheit wird nach ihrem grad oder ihrer form, nach ihrem auftreten oder verlauf durch ein mehr oder weniger allgemeines epitheton charakterisiert. überwiegend dient dieses epitheton dazu, die epidemische natur des fraglichen leidens verstärkend herauszustellen.
a)
das epitheton bringt die schwere und tücke, das quälende und schreckenerregende der krankheit zum ausdruck.
α)
schwere sucht hat die allg. grundbedeutung 'schwere, gefährliche und langwierige krankheit'; daher öfters der pl. in zusammenfassender function, schon früh:
that sie mostin helean halte endi blinde,
liudeo lefhedi, legarbed manag,
suara suhti
Heliand 1843 Sievers;
auf seuchen bezogen: auch pestilenz und süchten schwer (folgen auf ein erdbeben) Rebman (1620) bei Staub-Tobler 7, 272; auch der sg. umgreift eine krankheitsform: mit einer schweren sucht behaftet seyn esser' attinto d'un gravissimo male Kramer teutsch-ital. dict. 2, 1036ᶜ; speciell eine epidemische: unde de krygeslüde van wegen der langen belegeringen unde schwaren sucht noch matt unde möde weren Rüssow chr. v. Lyfflandt (1584) in scr. rer. Livon. 2, 141; im sinne des vorletzten belegs nimmt noch Fr. W. Weber archaisierend die wendung auf (allerdings insofern unter miszverstehen des alten sprachgebrauchs, als er mit sucht die folgen einer verwundung meint):
wars durch fromme kraft des guten,
wars durch dunkle macht des bösen,
dasz nach mondelangem ringen
ich von schwerer sucht genesen?
Fr. W. Weber Dreizehnlinden¹³⁶ (1907) 289.
seiner function als gattungsbegriff entsprechend kann schwere sucht im einzelnen auf verschiedene krankheiten (bzw. seuchen) hinweisen, so auf die lepra:
dû soltest dich von êrst gewert
hân dirre sühte swære
Konrad v. Würzburg Engelhard 5853 Haupt-J.;
oder die pest:
Calchas die ursach bald entdeckt,
warumb gott Phœbus hett erweckt
die schwere sucht
Spreng Ilias (1610) 1ᵃ.
bildlich erscheint schwere sucht im religiös-moralischen bereich, um die allg. menschliche sündhaftigkeit oder einzelne laster zu vereindringlichen: du ... solt dick und gern geen in das spital diser welt, da warzuͦnemen wie diszer und der arm sünder ligend in der schwären sucht irer sünden Geiler v. Keisersberg predigen teutsch (1508) 32ᵈ;
trunckenheit, du schwere sucht,
zu zorn bringst manchen und unzucht
Petri d. Teutschen weiszheit (1604) 2, T t 7ᵃ;
im erotischen bereich steht es für 'liebeskrankheit':
... die röthe, dieses blicken,
der schweisz, das hertzenweh, disz auff und nieder schicken
der säufftzer zeiget ja, dasz ihre beste frucht
ein wahres stücke sey der rechten schweren sucht
Opitz (1690) 1, 59.
β)
böse sucht stellt sich als jüngere variante nach grundbedeutung und anwendungen dicht daneben; pluralischer gebrauch ist häufig und zielt meist auf schwere seuchen: der herr wirt ... die bösen suchten der Egypter ... keine über dich füeren Zürcher bibel (1531) Deut. 7, 15; ähnlich dann auch singularisch (hier in der regel als krankheit des individuums):
und möcht mich etwann maszen
vil manche böse sucht,
die sunst stäts auff mir blyb
lied d. 16. jh. bei Montanus schwankb. 656 lit. ver.;
noch im 19. jh. in archaisierender sprache:
saft den süpplein ihrer küche,
herzarznei für böse sucht,
dunkeln locken wohlgerüche
zog sie (die Römerin) aus der edeln frucht (krokus)
Scheffel gaudeamus (1868) 161;
oder in volksmäsziger redeweise:
seht diese wurzel hier! sie heilet alle wunden ...
sie ist ein hauptrecept für jede böse sucht
volksschauspiele in Bayern u. Öst.-Ung. 281 Hartmann.
wie schwere sucht wird auch böse sucht gelegentlich auf bestimmte krankheiten specialisiert, etwa auf die pest:
Apollo schosz in schneller eyl
under die Griechen tödlich pfeyl,
darvon ein grosze menig starb
und an der bösen sucht verdarb
Spreng Ilias (1610) 9ᵃ;
auf die epilepsie:
... und man meynt,
ob (dasz wohl) heil ihr (der wiesel) blut die böse sucht
Brockes ird. vergnügen 6 (1739) 238;
auf die maul- und klauenseuche beim rindvieh: dasz keinem kein vehe ab oder under gang der bösen sucht (18. jh.) bei Staub-Tobler 7, 273. auch die leichtigkeit des übergangs in bildliche gebrauchsweisen hat böse sucht mit schwere sucht gemeinsam. es kann gefährliche gährungserscheinungen des öffentlichen lebens ausdrücken, die sich seuchenartig fortpflanzen, z. b. eine verschwörung oder meuterei: als nun diese ding in dem griechischen heer gehandelt, und diese böse sucht weiter umb sich gefressen, ist dieses alles ... dem hauptmann Aristides angezeigt worden Xylander Plutarchus (1580) 159ᵃ; religiös-moralisch genommen, geht es auf die sündige menschennatur im allg. oder auf einzelne laster: die böse sucht von der erbsünd Geiler v. Keisersberg schiff der penitentz (1514) 24ᵃ;
und het man noch der tugent acht,
vil menschen wurden frum gemacht,
von den wir haben selten zucht,
der ligen vil in beszer sucht (sündenleben)
J. v. Schwarzenberg trostspruch 45 ndr.;
es ist ein sondere böse sucht und unart an uns menschen, dasz ... Schopff (um 1600) bei Fischer schwäb. 5, 1947; mit deutlicher färbung nach III hinüber: so ward ich von jener bösen sucht befallen, die uns verleitet, aus der quälerei der geliebten eine unterhaltung zu schaffen Göthe 27, 111 W. (in befallen steckt noch die krankheitsvorstellung, verleitet weist schon auf sucht als trieb); im erotischen sinnbezirk verbildlicht böse sucht als 'liebeskrankheit' (hier deutlich abwertend) den zustand blinder, verzehrender leidenschaft:
dann liebe ist ein böse sucht,
da durch der mensch wirdt so verrucht,
das er nit acht ehr oder schandt
bei Dähnhardt griech. dramen in dt. bearb. 2, 293 lit. ver.
γ)
leidige sucht heiszt ganz überwiegend 'seuche, epidemie' und meint in den dahingehörigen belegen immer die pest: disere leidige sucht und grausambes sterben (16. jh.) bei Staub-Tobler 7, 272; es sind anno 1635 an der leidigen sucht in die 150 ... personen in gott selig entschlaffen (1637) ebda; und ist ... der engere auszschusz zum öfftern zusammen kommen, nemblich ... anno 1635 ... zu Botzen wegen eingeriszner laidigen sucht unnd der nothwendigen sterbhuetswachten Frz. A. v. Brandis des tirol. adlers ehrenkräntzel (1678) 221; dann mitten in gedachten monat Julii risse ein die laidige sucht Abr. a s. Clara mercks Wien (1680) 11; vgl. noch: die leidige sucht, die pest the sickness, the plague, the pestilence, the pest (Ludwig) teutsch-engl. lex. (1716) 1922. ganz vereinzelt, im Grödnertal, wird leidige sucht zur bezeichnung der epilepsie gebraucht (Schöpf tirol. 727). leidige sucht als pest auch in bildlicher verwendung: dahero sahe ich augenscheinlich, in was erbare gesellschafft die leidige sucht der hurerey zu leiten pfleget Zendorius (d. i. Joh. Beer) teutsche winternächte (1682) 629.
δ)
giftige, vergiftete sucht 'bösartige seuche'; fast immer ist die pest gemeint: wa ain person mit diser giftigen sucht befleckt (ist) chr. d. dt. städte 33, 221 (zum j. 1563);
gar ein vergiffte sucht und plag
under die Griechen er (Phöbus) in clag
darkommen liesz; vil volckes starb
und schnell desz gähen todts verdarb
Spreng Ilias (1610) 1ᵇ;
pestilenz und giftige suchten Wysz (1672) bei Staub-Tobler 7, 272; verstärkend oder verdeutlichend können noch weitere von den adjectiven hinzutreten, die mit sucht in fester verbindung stehen; unter bes. hervorhebung des epidemischen charakters (vgl. u. gemeine sucht): pestis eyn gemeyn gifftig plag oder sucht Dasypodius dict. latinogerm. (1537) 179ᵇ; unter bes. hervorhebung des contagiösen charakters (vgl. u. erbliche sucht): sei gleich pestilenz ein erbliche vergifte sucht Werdmüller (1564) bei Staub-Tobler 7, 272; unter bes. hervorhebung des bösartigen charakters (vgl. o. schwere sucht), bildlich: zu letzt dar auff zu fuglichen remedien widder diese schwere gifftige sucht (Luthers lehre) zu procedieren Wormser reichsacht (1521) bei Luther 15, 267 W.bittere sucht in gleicher bedeutung, aber nur gelegentlich vorkommend: vor hunger söllend sy verschweynen und verzert werden vom feber unnd vonn bittern süchten Zürcher bibel (1531) Deut. 32, 24 (Luther 1523 /28 von bittern seuchen, 1545 jehem tod).
ε)
grimme sucht erscheint gelegentlich im 17. jh. als eine jener zeittypischen wendungen, die einen festen pathetischen ausdruckswert mit unbestimmt schillerndem sachinhalt verbinden; um den allg. bedeutungskern 'krankheit' oder auch 'seuche' legt sich eine atmosphäre von erbarmungslosigkeit und schrecken, um die es dem dichter wesentlich zu tun ist (das gilt bes. für Gryphius):
erschrick nicht, wann die schwartze pest
im finstern schon wird schleichen,
und grimme sucht sich spüren leszt
bey mittagzeit ingleichen
Opitz (1690) 3, 175 (psalmen);
ich schmachte fern von dir in schmertzen ohne zahl
und winsle voll von weh in diesem thränensaal,
indem die grimme sucht den körper gantz zustöret
Gryphius lyr. ged. 30 lit. ver.
b)
das epitheton weist auf den tödlichen ausgang des leidens. tödliche sucht 'todbringende seuche', insbes. 'pest': het synd ouch in dem jar veele hellig gebirnt (plötzlich gestorben) an eyn todliche sucht die men pestilenzie nœmet 'mscr. aus d. 13. jh.' bei Wallraf altdt. hist.-dipl. wb. 80. —sterbende sucht 'pestepidemie': pestilentia eyn suchte, sterbende suchte Diefenbach gl. 431ᶜ.
c)
das epitheton hebt alter (bzw. neuheit) oder dauer der krankheit hervor. alte sucht 'chronische krankheit': veternum (i. e. morbus antiquus) alt sucht Diefenbach gl. 616ᶜ; daneben alte suche, alde syecte; vgl. auch Höfler 701. — lange sucht dasselbe: cronica (passio) die lang suͦcht Diefenbach gl. 640ᵇ. —chronische sucht dasselbe, bildlich: darum ist das übel (gemeint sind politische verhältnisse), das mehr im charakter einer chronischen sucht schleichend die kräfte untergräbt, nicht minder zerrüttend als jene acuten entzündungen J. Görres hl. allianz (1822) 52. —neue sucht begegnet vereinzelt als bezeichnung des volkes für eine plötzlich auftretende, bis dahin unbekannte epidemie, so 1438 in Köln: (bittprocessionen werden abgehalten) want it alle cristenheit durch starf welsch ind duitsch ind ouch in heidenschaf allet mit der nuiwer suchden ende ouch mit gelicher rasender suchden chr. d. dt. städte 13, 180 (nach Höfler 920 handelt es sich um 'eine fieberhafte seuche mit gespensterfurchtdelirien'); 'die grippe-epidemie im winter 1889/90 nannte das volk d'neu sucht' Ch. Schmidt Straszb. 107. — über die neue sucht des Paracelsus vgl. u. auswerfende sucht.
d)
das epitheton bezeichnet die übertragungs- und ansteckungsfähigkeit des leidens. befleckliche sucht 'ansteckende krankheit': contagium beflechkleich sucht Diefenbach nov. gl. 110ᵇ; daneben bevlecte suycte; vgl. auch Höfler 702. —anerbende, erbliche sucht meint zunächst allg. dasselbe (während die bedeutung 'angeborenes, ererbtes leiden' dem verbreiteteren erbsucht zufällt): contagio, contagia, contagium anerben sucht oder suchtunge Diefenbach gl. 145ᶜ. des weiteren umschreibt erbliche sucht dann auch einzelne contagiöse, seuchencharakter tragende krankheiten, wie die pest: der erschröcklichen erblichen sucht oder pest Reyscher slg. d. württ. gesetze 4, 343 (zum j. 1567); oder die syphilis, vgl. Häser lehrb. d. gesch. d. med.² 2, 250 und Höfler 703. —anhangende sucht dasselbe ('die sich gewissermaszen an die kleider anhängt und so verschleppt wird' Höfler 701): contagio, contagia, contagiosus (morbus) anhangende sucht Diefenbach gl. 145ᶜ und 146ᵃ; nov. gl. 110ᵇ; daneben nd. ænhanghende siecte. —ansteckende sucht dasselbe: mal contagioso, contagio ansteckende sucht Kramer teutsch-ital. dict. 2, 1036ᶜ; mit genauerer bestimmung als epidemie (pestepidemie): es hat dise ansteckende pestilenzische sucht gedauert etliche jar (16. jh.) bei Staub-Tobler 7, 272; bildlich für 'klatschsucht': da ich ... erfahre, dasz auch diese (frau), sonst schon ein engel im gewande der sterblichkeit ..., ein raub dieser ansteckenden sucht geworden ist J. Möser (1842) 5, 94. —contagiose sucht 'durch ansteckung sich ausbreitende epidemie': doch sölle sich solches (die festgesetzte ärztetaxe) nicht in pestilenzialischen und contagiosen süchten verstehen, sondern von allein ordinari krankheiten (1645) bei Staub-Tobler 7, 272.
e)
das epitheton betont die verbreitung der krankheit. gemeine sucht (neben gemeiner tod, gemeines sterben) allg. 'epidemie': epidemia gemeyne sucht Diefenbach gl. 204ᵃ; disz herpsts ist ein gemeine sucht von pfnüsel und huosten das ganz land ... durgangen, man nampts das hüenerwee J. Haller (1550/73) bei Staub-Tobler 7, 272; im bes. 'pest': pestis, pestilentia gemeyne sucht Dasypodius dict. latinogerm. (1537) 488ᵃ; bildlich, um weitverbreitete moralische miszstände zu bezeichnen: es ist aber ein allte gemeine sucht unkeuͦscheit der frawen A. v. Eyb dt. schr. 1, 11 Herrmann; es ist eine gemeine sucht an den meisten häfen, das man betrüglich mit einander umgehe Butschky hd. kanzelley (1659) 395. —grassierende sucht 'epidemie', im bes. pestepidemie: als die grassierende sucht ... eingerissen, haben (die einwohner) sich ein zeitlang anderst wohin begeben Abr. a s. Clara etwas für alle (1699) 1, 244; mit ausdrücklicher hervorhebung des pestcharakters: (die grenze gesperrt) aus ursachen grassierender pestilenzischer sucht in unsern landen (1588) bei Staub-Tobler 7, 272.
f)
das epitheton unterstreicht die raschheit des umsichgreifens der seuche. gähe, gählinge sucht allg. 'epidemische seuche, die sich rasch verbreitet und zu alsbaldigem tode führt': dasz so ein harte gähe sucht uf der strasz under si (die söldner im Novarazug) komen, dasz von 12000 kum der dritteil überbliben Anshelm Berner chr., bei Staub-Tobler 7, 272; im bes. 'pest' (neben verbreiteterem gäher tod), vgl. Künigssperger v. d. 12 zeychen natur (1530) 59, nach Höfler 705. —geschwinde sucht mit der gleichen allgemeinbedeutung: wann geschwinde suchten und krankheiten einreiszen soltend Boszhart Winterthurer chr. (1529 ff.) bei Staub-Tobler 7, 272; unde alse men meynede disse geschwinde sucht allein Lyfflandt gedrapen hadde Rüssow chr. v. Lyfflandt (1584) in scr. rer. Livon. 2, 140; in scherzhafter bildlichkeit für 'geilheit, ungehemmte sexualität':
der war nun alt und wol betagt,
jedoch wardt er so sehr geplagt
von einem fehl, der im anklebt,
darinn er all sein tag gelebt,
welchs man nennt die geschwinde sucht,
davon herkompt die menschlich frucht
B. Waldis Esopus 1, 291 Kurz.
— geschwinde fliegende sucht vgl. unter fliegende sucht. — schnelle sucht dasselbe: tho dersülvigen tydt ... hefft sick solck eine unerhörede schnelle sucht unde kranckheit erstlick in Revel ... erhaven, dat binnen korten tyden ein untellich volck daranne gestorven ys Rüssow chr. v. Lyfflandt (1584) in scr. rer. Livon. 2, 140; (gott danken) für die abgenommen schnellen suchten und sterbensläuff (1644) bei Staub-Tobler 7, 272; vgl. auch snelle suche pestilentia Diefenbach nov. gl. 290ᵃ. —fliegende sucht dasselbe: unde dat erer vele ... kranck legen, beyde am hunger unde an der flegenden sucht Rüssow chr. v. Lyfflandt (1584) in scr. rer. Livon. 2, 140; auch pleonastisch: tho dersülvigen tydt was ock de geschwinde flegende sucht ynt leger gekamen ebda 2, 141. —hinreiszende sucht mal épidémique vollst. dt. u. frz. wb. 2, 2 (1784) 1338ᵇ.
2)
die krankheit wird durch angabe der sie begleitenden abnormen körpertemperaturen klassificiert.
a)
das epitheton enthält den begriff 'hitze'. heisze, hitzige, hitzende sucht bezeichnet fieberkrankheiten verschiedener herkunft, aber anscheinend immer (z. b. gegenüber ritte, ritten, s. teil 8, 1051) schwereren (infectiösen) charakters, mit hohen temperaturen und von längerer dauer; pluralischer, zusammenfassender gebrauch scheint zu überwiegen: der ist behuot vor haizen sühten, die ze latein febres haizent Konrad v. Megenberg buch d. natur 130 Pfeiffer; dar umb ist ez (sc. himelprôt) guot in hitzigen sühten, die dâ koment von der colera ebda 91; der selb stain behüett seinen tragaer vor der âdersuht ... und vor dem dritägleichen riten und vor der hitzigen suht ebda 466; de rose ... is guͦt ... weder de heten sucht mnd. arzneibuch (14./15. jh.) im nd. jb. 15, 132; ist das bluot brun und schwarz, daz bezeichnet hitzende sucht und grint und kratzen (1474) bei Staub-Tobler 7, 272; (das heilwasser) dienet allen kalten und feuchten kranckheiten und schadet den hitzigen und trucknen süchten Seb. Münster cosmogr. (1550) 406; welche grosze hitz haben ihn heyszen suchten, die stoszen köl und legen ihn auff, so gibet er ihnen wunderbarliche ruwe M. Herr feldbaw (1551) 156ᵇ. noch im 19. jh. in leicht mundartlich (oberbairisch) gefärbtem heimatschrifttum, als 'fieberepidemie': die sind gestorben ..., wie selbigesmal die hitzige sucht grassiert hat in der ganzen gegend Herm. Schmid der holzgraf, in der gartenlaube 1861, 482ᵃ. —brennende sucht 'fieber': vor hunger söllend sy verschweinen und verzeert werden von brennender sucht und von bitterem gift Zürcher bibel (1548) Deut. 32, 24 (Luther hat fiber, ebenso die Zürcher bibel von 1531 feber). —verbrannte sucht (hierher gehörig?), s. hortus sanitatis (1507), nach Höfler 717, mit nicht ganz klarer bedeutung; 'die sucht oder krankheit infolge von zuviel verbrannter galle, die als hitzige galle sich (nach humoralpathologischer lehre) im körper ansammeln sollte' (Höfler a. a. o.).
b)
das epitheton enthält den begriff 'kälte'. kalte sucht erstens 'jede mit kältegefühl oder schüttelfrost beginnende krankheit, namentlich das wechselfieber oder kalte fieber' (Höfler 708): febris dy kalte sucht, kalde sucht Diefenbach gl. 228ᶜ; ders., mlat.-hd.-böhm. wb. 121;
sie giebt ihr starcke säfft und wurzeln zum erwarmen,
auch blumen von kamill, und was für kräuter sein,
und treibt die kalte sucht durch heisze sachen ein
Titz dt. ged. 23 Fischer;
zweitens erscheint es als umbildung aus sonstigem kalt(e) seich(e), zum vb. seichen 'mingere' gehörig, mit der weiteren bedeutung 'harnwinde' und der engeren 'tripper': stranguria, stranguinea dy kald sucht Diefenbach nov. gl. 349ᵇ (vgl. auch Höfler 708). —frierende sucht 'fieberhafte erkrankung, die mit schüttelfrost beginnt' (Höfler 704): febricitari die friesend sucht vocab. theut. (1482) i 3.
3)
die krankheit wird nach ihren specifischen symptomen, nach ihrer besonderen natur oder ihrer herkunft durch ein epitheton prägnant bestimmt. die meisten dieser epitheta sind mit dem subst. sucht begrifflich so fest zusammengewachsen, dasz die wortverbindung früher oder später in composition übergeht. beide ausdrucksweisen sind dann nebeneinander im gebrauch, bis sich in neuerer sprache (soweit sie das wort überhaupt bewahrt) die compositionsform durchsetzt.
a)
das epitheton bezeichnet das für die betr. krankheit charakteristische symptom; bes. häufig hat es in dieser gruppe die form eines part. präs., vgl. J. Grimm Germ. 2, 377 f.
α)
fallende sucht hebt sich durch alter, verbreitung und häufigkeit der bezeugung und durch beharrliche lebensdauer aus der ganzen reihe heraus. abgesehen von B 3 d, hat hier allein das simplex sucht als krankheitsname bis in die gegenwart auch schriftsprachlich sich erhalten (Pauls behauptung, dt. wb.³ 530, 'dagegen noch allgemein fallende sucht', ist freilich doch etwas zu weit gegriffen). ferner ist das verhältnis zum compositum fallsucht hier umgekehrt wie sonst in entsprechenden fällen: fallende sucht ist nicht nur weit früher bezeugt, sondern auch bis in neuere zeit hinein gebräuchlicher. die bedeutung 'epilepsie' ist durch die ganze entwicklung hindurch sehr fest geblieben (wenn man in rechnung stellt, dasz hin und wieder in älterer zeit epileptiforme zustände wie die eklampsie u. ä. miteinbegriffen worden sein mögen, vgl. Höfler 704). über die participialform fallend, an der Adelung (umständl. lehrgeb. 2, 14) erfolglos anstosz nahm, vgl. J. Grimm Germ. 2, 377 f. dort wird auch auf die dämonistische grundlage verwiesen, die in diesem typus bes. deutlich ist und noch formal lange nachwirkt (wenn es von der fallenden sucht heiszt, dasz sie niederwirft, angreift, ergreift, ereilt). ein schönes zeugnis aus dem 13. jh.: sô dû wellest dem menschen helfen der vallunden suht, sô nim einen niwen riemen hirzînen, sô in diu suht grüeze, unde bint im den umbe den hals zwei dt. arzneibücher 44 Pfeiffer. vgl. auch den ahd. segen contra caducum morbum, wo der beschwörende den (deutsch nicht benannten) krankheitsgeist anredet: also tuon (d. h. ferstoze) ih dih unreiner athmo kl. ahd. sprachdenkm. 381 Steinmeyer; s. auch Höfler 703 f. (ebda 761 über das königsübel, morbus regius, als welches u. a. auch die fallende sucht des öfteren erscheint). aus der fülle von synonymen ist vieles bei A. v. Haller onomatologia medica (1755) 601 zusammengestellt, ferner mythol.⁴ 2, 968 und 3, 339; dazu s. teil 3, 1286 (wo auch für fallende sucht bereits einige belege gegeben sind). der älteste beleg ist as.: caducum morbum vallandia suht kl. as. sprachdenkm. 107, 5 Wadstein; auf hd. boden scheint die verbindungsicherlich ein überlieferungszufallerst im 12./13. jh. bezeugt zu sein: epilemsia (l. epilepsia) vallendiu suht (in andern hss.: vallindiu, vallendiu suth, valentê suht) ahd. gll. 3, 170; im 12. jh. setzen auch literarische belege ein:
... die herren guote ...,
die diu vallunde suht warf nider
obd. Servatius 1572 in der zs. f. dt. altert. 5, 124;
aller meist die heten die vallenden suht,
die heten zuo ime grôze fluht
Albertus st. Ulrichs leben 1092 Schmeller;
des kämels hirn ... hailt die vallenden sucht Konrad v. Megenberg buch d. natur 124 Pfeiffer; Valentin der hett die valenden sucht summerteil der heyligen leben (1472) 139ᵇ; verschiedentlich in vocabularien des 15. jh., für epilepsia, frenesis, larvatio Diefenbach gl. 204ᵇ; 247ᵃ; 319ᵇ; in der medicinischen literatur des 16. jh. ist fallende sucht (vorwiegend auf westdt. und süddt. boden) ein fester terminus: welcher sein bluͦt lasszt am ... 3. idus Junii, der gewint die fallenden sucht oder elephantiam, ist ein species der maltzey Gersdorff feldtbuͦch d. wundartzney (1526) 20ᵇ; von ursprung epilepsiae, der fallenden sucht, dardurch der mensch seiner vernunfft und sinnen beraubt wird Paracelsus opera 1 (1616) *4ᶜ (inhaltsverz.) Huser; auch in nichtmedicinischem schrifttum findet sich fallende sucht als krankheitsbezeichnung in gleichbleibender bedeutung bis zum ende der klassischen zeit, und zwar annähernd auf dem ganzen sprachgebiet bezeugt: etliche ... zeigen ertichte brieffe, als ob sie ... mit der fallenden sucht oder andern gebrechen beladen seyen theatr. diabol. (1569) 398ᵃ; ellendshorn ... ist gut für die fallende sucht Moscherosch gesichte 2 (1650) 328;
und jedwedes übel war hier, ... erstickende flüsse
und die fallende sucht
Zachariä (1763) 9, 178;
oft, wenn die fallende sucht ihn ergriff, vermeinte er, den engel zu hören J. v. Müller (1810) 2, 55; einer truppe blinder musikanten, die von der fallenden sucht ergriffen werden Göthe 45, 204 W.; Julius Cäsar hatte die fallende sucht Zschokke (1824) 3, 7; im späteren 19. jh. tritt fallende sucht in der schriftsprache zurück; wo es in moderner sprache noch erscheint, ist ihm ein leise archaischer klang zu eigen: er sah, was jedem andern verborgen war ..., wuszte ein mittel gegen die fallende sucht Cl. Viebig das schlafende heer (1904) 1, 226. dagegen lebt die alte krankheitsbezeichnung in einer reihe von dialekten fort.uneigentliche gebrauchsweisen sind recht selten; ein ironisches quiproquo: einige halten sie (die 'krankheit' der eitlen ruhmsucht) ... für einen art der fallenden sucht Rabener (1777) 2, 234; volle metaphorik nur in mhd. didaxe vereinzelt: diz wort (Jesu) heilet an unz den betterise und vallende sucht der ubelen trakeite hl. regel f. e. vollk. leben 37 Priebsch.auch als tierkrankheit kommt fallende sucht 'epilepsie' gelegentlich vor: man schreibt, der spatz sol mit der fallenden sucht behafft werden, vonn wegen des bilsam kraut samen, welchen er frisset Heyden Plinius (1565) 464. — ganz singulär und schriftsprachlich nicht bezeugt ist die bedeutung 'lungenschwindsucht', die nach Blumer nordwestböhm. 89 follndə sucht manchmal neben der hauptbedeutung 'epilepsie' in der lebenden ma. des nordwestlichen Böhmen angenommen hat. (fallen hat hier wohl ähnlichen sinn gewonnen wie abnehmen und schwinden in den entsprechenden verbindungen, s. u.)
β)
hinfallende sucht in gleicher bedeutung, aber begrenzterer verbreitung: vielmehr setzt er im buch von der hinfallenden sucht ausztrücklich einen solchen schluszspruch Nigrinus von zäuberern (1592) 92; Hippocrates nennet die eheliche beywohnung eine art der hinfallenden sucht Harsdörffer secretarius (1656) 1, T t t 4ᵃ; überdis schlug noch die hinfallende sucht zu Lohenstein Arminius (1689) 2, 93ᵇ; (der adlerstein) ist gut zu der hinfallenden sucht (18. jh.) bei Staub-Tobler 7, 273; bildlich: ich bejammerte die hinfallende sucht und seucht des gebrechlich hin und her waltzenden menschen M. Abele künstl. unordnung (1670) 3, 46. — wiederfällige sucht gleichbedeutend, aber nur vereinzelt: recidibilis (i. morbus cadens) widerfallige sucht Diefenbach gl. 486ᶜ. — stürzende sucht desgleichen (s. teil 10, 4, 711): das dieser Mahometh sei ... mit der stürtzenden sucht oder fallenden siechtagen ... befallen und geplagt gewesen Knaust v. geringen herkommen Mahomets (1593) 231; vgl. auch Schiller-Lübben 4, 416: stortende suke, stortende sieckte.
γ)
taube, tobende sucht (beide attribute, etymologisch eng verwandt und etwa gleichzeitig mit sucht in verbindung tretend, stehen auch bedeutungsmäszig im hier behandelten begriffsraum gleich und flieszen endlich im compositum tobsucht zusammen) bezeichnet alle arten von delirien und wutzuständen (vgl. Höfler 716). allg., gesteigerter erregungszustand (auch rein psychischer natur, wie im folgenden beispiel), wutanfall, tobsucht:
er (Achilles) tet in sîner touben suht
alsam ein löuwe freissam
Konrad v. Würzburg Troj. 28486 Keller;
rabies tobende such, dobende sucht Diefenbach gl. 482ᵃ; im bes., acutes delirium, phrenitis bei entzündlichen gehirnkrankheiten: frenesis (i. apostema cerebri ex calore, rabies etc.) dabende sucht Diefenbach gl. 247ᵃ; aber auch krankheitsbilder mit gegenteiligen symptomen können gemeint sein, schwere betäubungszustände, sopor febrilis: licargia (l. lethargia) tobende sucht ...; wer sy hat, der ist jemerleich mit czugetan augen also ab er slafe Macer de herbis, bei Diefenbach gl. 325ᵃ; chronische geisteskrankheit, wahnsinn, manie:
mit tober suht uberladen
ist ie sit ir geslehte
der sœlden hort 2952 Adrian;
mania dobende sucht, hirnwutikeit Diefenbach gl. 642ᵇ; von ursprung maniae, der tobenden sucht, welche allein der vernunfft, aber nicht desz sinnes beraubet Paracelsus opera 1 (1616) *4ᵈ (inhaltsverz.) Huser; taubesucht in diesem sinne noch bei J. Coler hausapotheke (1645) 105. schon sehr früh, im 13. jh., begegnen pleonastische bildungen wie tobewütende sucht:
das Saule wurde sa zehant
ein unrehter geist irchant,
der in vil offte mit unzuht
in tobewuͦtende suht
wiste und virkerte
Rudolf v. Ems weltchr. 23850 Ehrismann;
und, bildlich verwendet in religiös-moralischer didaxe, wütende tobende sucht: diz wort (Jesu) heilet an unz di wuͦtende dobende sucht dez unreinen zornez hl. regel f. e. vollk. leben 35 Priebsch (s. auch u. wütende sucht). — rasende sucht 'febrile tobsucht', vgl. das unter neue sucht C 1 c gegebene citat über die Kölner epidemie von 1438, ferner Höfler 713 und 920, auch B. M. Lersch gesch. d. volksseuchen 184; daneben rasendes fieber. —törichte sucht 'phrenesie, durch eine entzündliche gehirnerkrankung verursachtes delirium': frenesis (i. apostema cerebri ex calore, rabies) dorechtige sucht Diefenbach gl. 247ᵃ. — wütende sucht 'deliriöses leiden', entweder entzündliche gehirnerkrankung, phrenitis: von der wüttenden sucht frenesis genant. frenesis ist ein hitzig geschwer in dem heütlin des fordern teil des hirns erwachszen L. Fries spiegel d. artzney (1532) 134ᵃ; oder chronische geisteskrankheit, manie: von der taubsucht mania genant. die taubsucht oder wütend sucht ist nit anders dann ein unreine matery der vordern cellen des hirns mit beraubung der einbildenden krafft ebda 76ᵇ.
δ)
schweinende, schwindende sucht (vor und neben häufigerem schwindsucht) 'auszehrung, schwindsucht, tuberculose': menschen, die die swindenden suht habent, diu ze latein tysis (phthisis) haizt Konrad v. Megenberg buch d. natur 464 Pfeiffer; ethica (l. hectica) swinde (aus swinende) suͦchte Diefenbach gl. 211ᵇ; tabes der schwynend siechtag oder die schwynend sucht, der ettick Frisius dict. (1556) 1285ᵃ; (dieses wasser) vertreibt die malzey, schweinendsucht, schlag u. s. w. Landenberger (1608) bei Staub-Tobler 7, 273; auch als krankheit des hausviehs, die sog. 'perlsucht' der schweine und rinder: tabem gregi afferre prästen under das vych bringen, als schweynend sucht, ettick etc. Frisius dict. (1556) 57ᵇ; vgl. zum ganzen auch Höfler 715. —abnehmende sucht dasselbe: ethica (l. hectica) abnemen die sucht Diefenbach gl. 211ᵇ.
ε)
durchspitzige sucht 'variola, blattern, spitzpocken, die papulöse beulen setzen' (Höfler 703): der erste siechtag ist ein durchspitzige suchte, als mit den büllen loufft (14. jh.) bei P. Ochs gesch. d. st. Basel 2, 452. —keuchende sucht (neben keuchsucht, vgl. keichsucht, teil 5, 439) 'asthma': orthomea (i. e. orthopnoea) die keukinde sucht bei Schmeller-Fr. 1, 1223. —schlafende sucht steht im 15.-17. jh. neben dem etwa gleichzeitig aufkommenden, aber häufigeren und bis heute lebendigen schlafsucht in gleicher bedeutung (vgl. Höfler 714): letargia schlaffende sucht Diefenbach gl. 325ᵃ, vgl. auch nov. gl. 232ᵇ; im bes. febrile schlafsucht, subeth, morbus sive somnus subethicus: subeth schlofende sucht Gersdorff feldtbuͦch d. wundartzney (1526) 100ᵃ; die nicht febrile schlafsucht, 'schlafkrankheit': veternus die schlaaffendsucht, ist ein kranckheit, da einen stäts schlaaffert, kumpt ausz müsziggon Frisius dict. (1556) 1372ᵃ; vgl. auch Hulsius dict. teutsch-ital. (1618) 2, 225ᵃ s. v. letargo. gelegentlich kommt auch schläfrige sucht vor: schläfferiche sucht frz. endormissement, ital. addormenzamento, stupore de membri Hulsius-Ravellus (1616) 316ᵃ. —grimmende sucht 'leibgrimmen, kolik': colica, colica passio die grymmende suͦcht Diefenbach gl. 640ᵃ. —reisende sucht: alva (?) die rysende sucht Diefenbach gl. 637ᵃ (zu mhd. rîsen 'fallen'). da die nächstliegende deutung 'fallende sucht' an alva keine stütze zu haben scheint, so wird vielleicht an 'durchfall, diarrhöe' zu denken sein (in diesem sinne steht alvus bei Columella 6, 7, 2), mit weniger wahrscheinlichkeit (wie Höfler 714 will) an 'leprösen haarschwund' (alphus 'lepra nervorum Virchow', arab. albaros; dazu vgl. mhd. ûz rîsen vom ausfallen des haares). —faulende sucht 'gesichtskrebs' (noli me tangere, rührmichnichtan, nach alter volksanschauung durch giftigen tierharn verursacht): noli me tangere (i. morbus in facie ex mictura glirium, vina muris vel gliris) fulende sucht (daneben irrtümlich auch vallende sucht) Diefenbach gl. 382ᵇ; vgl. auch Höfler 704. —wässerige sucht gleichbedeutend mit wassersucht: flegma, phlegma wasserecht sucht Diefenbach gl. 239ᵇ. — schweiszende sucht soviel wie das üblichere englischer schweisz, auch schweiszsucht und englische sucht (s. d.) 'sudor anglicus epidemicus': das grusame wesen der sweyszenden sucht im stift von Münster (1529) bei Höfler 920. —auswerfende sucht 'dysenterie' vertritt bei Paracelsus älteres aussucht; er prägt den terminus neue auswerfende sucht, um die 'mercurielle dysenterie' als folge übertriebener quecksilberbehandlung der syphilis zu bezeichnen: von der newen auszwerffenden sucht. ein jegliche erkaltung des leibs, die da zufällt ausz der kälten des Mercurii (quecksilbers) oder ausz kälte der abstinentz, dieselben erkälten das blut, das es in aller seiner substantz ein rotz wirdt, der für und für zu auszwerffen dringt Paracelsus chirurg. bücher (1618) 181; vgl. auch Höfler 701.
b)
das epitheton beschreibt den bei gewissen krankheiten auftretenden farbwandel der haut oder der ausscheidungen.
α)
gelbe sucht, nächst fallende sucht die älteste und verbreitetste dieser festen verbindungen, tritt etwa gleichzeitig mit gelbsucht in spätahd. zeit auf (soweit die belege einen schlusz gestatten, s. u.), steht dann gleichberechtigt und gleichbedeutend neben dem compositum, um ihm in neuerer sprache allmählich zu weichen. Adelung und Campe verzeichnen sie noch neben gelbsucht aus lebendigem gebrauch; für übertragene (redensartliche) verwendung finden sich noch darüber hinaus belege. gelbe sucht geht wie gelbsucht auf 'jede mit gelblicher hautverfärbung einhergehende krankheit, bei der gallenfarbstoff im blute zirculiert' (Höfler 705), vor allem den icterus catarrhalis (morbus regius), sodann den hepatogenen oder resorptionsicterus bei leberleiden und die mit gelblicher haut- und schleimhautverfärbung verbundenen biliösen krankheiten (Höfler 705 f.): lanugo (entstellt aus aurugo) i. elephantinus morbus gelewasuht (10. jh.) ahd. gll. 3, 516; regius morbus, aurugo gelewesuth (12./14. jh.) ebda 3, 53; 171; 223; 255; 481 (trotz der durchgehenden ineinsschreibung wird es sich in diesen fällen um die adj.-subst.-verbindung handeln, nichtwie Gröger compositionsfuge 331 anzunehmen scheintum das compositum, dessen lautgerechte form allein in gelo-, gela-, gele-, gelsuht vorliegt); ictericia gele sucht Diefenbach gl. 283ᶜ; flava die gelbe sucht Kirsch cornucopiae (1732) 474ᵃ;
das wasser (harn) zeiget mir nit fel,
ir hondt ein sucht, die nent man gel
Murner narrenbeschw. 275 ndr.;
der grüne kefer saugt so an sich böses blutt,
die taube zeucht an sich der giftgen feber flecken,
und für die gelbe sucht sind die goldammern gutt
Lohenstein geistl. gedancken (o. j.) 69
(eine auf Plinius 30, 94 zurückführende meinung); Sophie ist ihre gelbe sucht los (Göckingk 1776) br. von u. an Bürger 1, 269 Strodtmann; als des k(önigs) m(ajestät) von Ruszland zurückkamen, waren dieselben ... an der gelben sucht krank (proceszacten d. kämmerers Ritz 1798) kl. journal 1934, nr. 22, 12ᵇ; auch als viehkrankheit: wenn ein rosz die gelbe sucht hat, soll man es daran erkennen M. Böhme roszartzney (1618) 124; die ader an der brust dienet vor die gelbe sucht zulassen J. Walther pferde- u. viehzucht (1658) 156; als wahrspruch eines mitglieds der fruchtbringenden gesellschaft (des abthuenden): die gelbe sucht Neumark neuspr. palmbaum (1668) 283; im 18. und 19. jh. begegnet gelbe sucht des öfteren (z. t. in correspondenz mit schwarze sucht) in redensartlicher verwendung, um die wirkung eines starken ärgers, eines kränkenden begegnisses drastisch-übertreibend zu kennzeichnen; noch mit deutlicher hervorkehrung der bildgrundlagen: die medici hätten jetzo gar nichts zu thun, wenn sie nicht das frauenzimmer zu curieren hätten, welche aus verdrusz, dasz ich ihnen meine gegenliebe versagte, an der gelben sucht kranck liegen (Stranitzky) ollapatrida 148 Wiener ndr.; sie ist so ärgerlich — ich dürfte nur alle tage einmal mehr in die schenke laufen; in acht tagen hätte sie die gelbe sucht, in vierzehn tagen die schwarze und in drey wochen wäre sie todt Chr. F. Weisze kom. opern 2 (1777) 241; etwas freier, abgeschliffener: der ... kerl ... macht uns bald allen die gelbe sucht Gottsched dt. schaubühne (1741) 3, 78;
ich krieg noch heut die gelbe sucht
Müllner dram. werke (1828) 7, 255;
bes. in der formel sich die gelbe sucht (an den hals) ärgern: möchte ... sich die gelbe sucht an den hals ärgern Kotzebue menschenhasz act 4, sc. 5; ich habe mir fest vorgenommen, mir an all dem schimpf unsrer zeit weder die gelbe noch an meiner frau die schwarze sucht zu ärgern Fr. Arndt bei E. M. Arndt schr. f. u. an s. l. Deutschen (1845) 1, 137; in anderer richtung liegt die wortspielerische vermischung des medicinischen terminus gelbe sucht mit sucht 'cupiditas' (s. unter III), wobei der aus aurugo herauszulesende doppelsinn (aurum) pate steht: viele haben die gelbe sucht nach golde Neukirch anfangsgründe z. teutschen poesie (1724) 637.
β)
rote sucht (neben verbreiteterem und bedeutungsmäszig weiterreichendem rotsucht, vgl. Höfler 714). 1) krankheiten mit rotem exanthem. a) masern: morbilli, bothor arab. die masern, die rothe sucht; ist eine eigene krankheit, die oft auch epidemisch ist, mit allerley fiebrischen zufällen ...; es äuszert sich dabey auch viele hize und kopfweh und husten, hauptsächlich aber bestehet sie in rothen fleken über die ganze haut A. v. Haller onomatologia medica (1755) 1021; im schwäbischen verbreitet, vgl. Fischer 5, 1947; b) scharlach: im schwäbischen verbreitet (erster beleg Ulm 1757: württ. jbb. 1913, 333), vgl. Fischer ebda; c) asphyktische hautröte oder dermatitis, erythema, hautfratte bei neugeborenen (Höfler 714), vereinzelt, vgl. die schrift von Gregor Horst kurtze nothwendige bericht, erstens von den urschlechten oder kindsblattern wie auch masern, röteln, rotesucht oder kindsflecken, zum andern von der roten ruhr ... (Gieszen 1624). 2) blutharnen bei tieren, umgebildet aus rote seiche (neben rotes wasser und rotharnen), vgl. J. E. L. Falke universallex. d. thierarzneikunde 2 (1843) 246.
γ)
schwarze sucht 'cholera': rezept, die gelbe und schwartze sucht zu vertreiben H. Fr. v. Fleming der vollk. teutsche soldat (1726) 334; die schwarze sucht le trousse-galant, sorte de maladie périlleuse qui fait mourir promptement, et qu'on appelle ordinairement coleramorbus Schwan nouv. dict. 2 (1784) 746; bildlich:
das misztraun ist die schwarze sucht der seele
H. v. Kleist 1, 36 E. Schmidt;
eine andere bildliche verwendungsweise, sich die (gelbe bzw.) schwarze sucht ärgern, ist aus Chr. F. Weisze und Fr. Arndt unter gelbe sucht belegt. ganz vereinzelt steht schwarze sucht für die 'pest': wie sie so emsig arbeiteten, hatten die pestheiligen auch wieder ein einsehen und geboten der schwarzen sucht abermals stillstand J. A. Heyl volkssagen, bräuche u. meinungen aus Tirol (1897) 198 (historische volkssage zur pest v. 1636).
δ)
weisze sucht vereinzelt neben weiszes gesücht und häufigerem weiszer flusz 'fluor albus, weiszflusz' (frauenkrankheit): es befinden sich auch bey dem caffeetranck wohl die weibspersonen, bey der von verstopffter monatreinigung herrührenden weiszen sucht J. J. Bräuner thes. sanitatis 3 (1728) 363. —bleiche sucht ganz vereinzelt neben bleichsucht 'chlorosis, oligocythämie der sich entwickelnden mädchen' (Höfler 702): chlorosis, febris amatoria jungfernkranckheit, liebesfieber, bleiche sucht J. J. Bräuner thes. sanitatis 1 (1712) 201 (im übrigen hat auch er bleichsucht).
c)
das epitheton enthält in adjectivischer form den (sonst selbständig als subst. auftretenden) üblichen namen der krankheit. aussätzige sucht 'aussatz, lepra' (das übliche ist ahd. mhd. misal-, miselsuht):
si was leidec unde swach
an der uzsetzigen sucht
passional 118, 19 Köpke;
lepra eyn uzsetzige sucht Diefenbach gl. 324ᶜ; bereits ahd. in ähnlicher verbindung: morbo elephantino uuhsazin (l. uuzsazin) suhti ahd. gll. 4, 330; vgl. auch Höfler 701. — gichtige sucht 'gicht':
do saz ein sicher an dem wege,
den die gichtige sucht
an siner aderen unzucht
verlemte sere unde tet im we
passional 218, 47 Hahn.
pestilenzische, pestilenzialische sucht 'pest, pestepidemie': da pestilenzische sücht umbgiengen Wurstisen (1580) bei Staub-Tobler 7, 272; darumb ob mich der todt bekümmern wirt mit pestilentzischer sucht, wöllest solchs gedultiglich tragen buch der liebe (1587) 117ᶜ; doch sölle sich solches (die festgesetzte ärztetaxe) nicht in pestilenzialischen und contagiosen süchten verstehen, sondern von allein ordinari krankheiten (1645) bei Staub-Tobler 7, 272; dasz die ganze eidgenossenschaft von dem sanitätstribunal zu Mailand wegen verdachts 'der pestilenzialischen sucht' in bando genommen worden ist eidgenöss. abschied v. 1731 ebda.melancholische sucht 'krankheit der melancholie, schwermut' (?):
... die Africaner leuten
die melancholisch sucht fast tag und nacht thut reiten
Treuer dt. Dädalus (1675) 1, 66.
d)
das epitheton gibt land oder ort an, wo die krankheit (seuche) zuerst auftrat oder von wo sie eingeschleppt wurde. wälsche sucht meint offenbar eine schwere, bösartige grippeepidemie: (zum j. 881) so warend ouch vergangner jaren wunderbarlich suchten von den kriegsleuten ausz Langbarden und Westfrankreich in Teutschland bracht worden, die man die weltschen süchten hiesz ... sobald man den huͦsten überkam, so was es geschechen, und sturbend die leut gänd und ständ und sitzend gächlich an dem huͦsten J. v. Watt dt. hist. schr. 3, 146 Götzinger; ähnlich Stumpff gemeiner eydgnosschafft chr. (1548) 225ᵃ (dort heiszt es welschsucht). verwandte verbindungen mit wälsch, aber auf die syphilis gehend, s. teil 13, 1347. — neapolitanische sucht 'syphilis' (morbus neapolitanus, weil die syphilis erstmals in epidemischer form unter dem heer Karls VIII. von Frankreich vor Neapel 1494/95 aufgetreten zu sein scheint; durch die Franzosen drang die seuche nach Deutschland, daher das weit verbreitetere morbus gallicus, Franzosen; vgl. auch die verbindungen mit wälsch, teil 13, 1347): jener signor, der nicht durch Neapolis wolt reiszen, ausz sorg, es stosz in die neapolitanisch sucht an, das ist, er erb die rittermäsigen Frantzosen Fischart Garg. 5 ndr.; so fertiget auch Franckreich die meisten peregrinanten mit keinen andern künsten ab, als dasz sie ausz eigener erfahrung die stuffen der Frantzosen oder neapolitanischen sucht erzehlen können Butschky Pathmos (1677) 28. —englische, engländische sucht 'englischer schweisz, sudor anglicus epidemicus' (eine seit 1486 bekannt gewordene krankheit, vgl. Höfler 703 und Schnurrer chr. d. seuchen 2, 77): welche (krankheit) von den gemeinen leuten die schweiszsucht oder die engellendische sucht ... genandt worden C. Spangenberg mansfeld. chronica (1572) 431ᵇ. —ungarische sucht, sonst ungarisches fieber, eine gefährliche seuche (lues pannonica, febris hungarica) von nicht ganz geklärtem charakter, um die mitte des 16. jh. aus Ungarn eingeschleppt; die merkmale deuten bald auf eine choleraartige, bald auf eine ruhrartige krankheit, bald auf petechialtyphus oder beulenpest; wahrscheinlich traten auch begriffsvermischungen ein, vgl. Höfler 144 f. und B. Conradinus febris miscellanea Ungarica θηριωδης. kurtzer unterricht, wie ein jheder sein hausz in diesen gefehrlichen leuffen des maligne epidemialischen fiebers, die ungerisch sucht genant ... halten und regieren soll (Straszburg 1574).
e)
das epitheton sagt über die (physiologische oder moralische) ursache der krankheit aus. natürliche sucht 'die weibliche periode': hortus sanitatis (1507), vgl. Höfler 713. —venerische sucht 'syphilis': (es sollen in dem spital) keine erbliche krankheiten und abscheuliche sücht, als da sind die pestilenz, der ussatz, die venerische sucht oder französische krankheit u. dgl. zu kurieren kommen (1645) bei Staub-Tobler 7, 273; nach Höfler 717 auch 1588 und 1748 belegt.geile sucht dasselbe: auch krankheiten könnten etwas wirken (zur verminderung der menschenzahl), z. e. die blattern und die geile sucht, die aus Asien und America nach Europa gekommen ... diese (die geile sucht) ... ist erst 1493 in der belagerung vor Neapolis unter den Franzosen entstanden; und ob gleich wenige daran sterben, so machet sie doch unzähliche personen beyder geschlechter unfruchtbar (Gottsched) d. neueste aus d. anmuthigen gelehrsamkeit 6, 187.
f)
das epitheton umschreibt euphemistisch oder (in anderer stimmungslage) scherzhaft-verhüllend. selige sucht (daneben häufiger das selig, selige) 'schlagflusz, apoplexie': der stein (jaspis) ist ôch gut wider die saligen suht (12. jh.) clm. 536, f. 82 bei Schmeller-Fr. 2, 252; vgl. auch mythol.⁴ 2, 966. —hänfene sucht analogische bildung, ironisch für den galgentod:
thu auff ein hänffen rosz herreiten.
drauff ritt mein vatter auch vor zeiten.
auch so ist mir ein bruder gstorben,
an diser hänffen sucht verdorben
H. Sachs 21, 52 Götze.
D.
sucht mit substantiv-attribut: eine andere, aber weit weniger geläufige möglichkeit, bestimmte krankheiten zu präcisieren, darin bestehend, dasz sucht bestimmungssubstantiva in abhängigem genitiv oder präpositionaler verknüpfung an sich zieht.
1)
mit genitivattribut.
a)
das attribut bezeichnet das betroffene organ: von des herzen siehtagen, der dâ haizt des herzen suht, und haizt ze latein cardiaca Konrad v. Megenberg buch d. natur 27 Pfeiffer; ez ist auch guot für des ingewaides suht, wer daz öl mit flaisch izt ebda 326.
b)
das attribut bezeichnet die natur der krankheit oder ihr hervorstechendstes symptom oder gibt ihren gebräuchlichen namen an (in letzterem fall steht sucht pleonastisch): letargia sucht der vergessenheit Diefenbach gl. 325ᵃ (wohl 'gedächtnisschwund'; bei lethargia kam dem lexikographen offenbar lethe in den sinn; vgl. siehtum der vergezzenheit bei Konrad v. Megenberg buch d. natur 367 und 405 Pfeiffer); (kranke) die mit der unreinen sucht der Frantzosen ('syphilis') beflecket und darvon erfüllet sind F. Wirtz practica d. wundartzney (1563), citiert bei E. Gurlt gesch. d. chirurgie 3, 260; thom lesten hefft de meister van wegen der sucht des blodtganges (der epidemisch auftretenden roten ruhr), de under dat krygesvolck gekamen was, wedderümme thorügge in Lyfflandt tehen möten Rüssow chr. v. Lyfflandt (1584) in scr. rer. Livon. 2, 33; mit substantiviertem infinitiv: sucht des schwerlichen harnens ('harnröhrenverengung, harnwinde' u. dgl.) W. Ryff anatomi (1541) 31ᵃ; weil ... etliche mit der sucht des prechens ('pest') haimbgesucht und thails auch hingenommen worden chr. d. dt. städte 33, 221 (zum j. 1563).
c)
das attribut bezeichnet die dauer der krankheit: ephimera, ephemera eins tages sucht Diefenbach gl. 205ᶜ und nov. gl. 153ᵇ (daneben tagsucht, eins tages ritte) 'eintägiges fieber'.
2)
mit präpositionalem attribut (reine gelegenheitsbildungen): aquosa süht von vil wasser ('wassersucht') Diefenbach nov. gl. 30ᵇ (14. jh.); noli me tangere sucht von der roten saichung, sucht von raczen Diefenbach gl. 382ᵇ und nov. gl. 265ᵃ (gemeint sind fressende schäden, bes. epithelkarzinome im gesicht, ferner lymphangitis und phlegmone, vom volk der einwirkung vonrotem, giftigemmäuse- oder ratten-, frosch- oder krötenharn zugeschrieben, vgl. Höfler 527 und oben faulende sucht).
II.
'sittliche, seelische, geistige krankheit'. die in I gezeichnete bedeutungslinie wird von anfang an und über die ganze dauer der entwicklung hin von einer zweiten (wiewohl schwächeren) begleitet, auf welcher der krankheitsbegriff sucht ins geistige gewendet erscheint. (hierher gehören bereits die verschiedentlichen bildlichen anwendungen der in I C behandelten termini.) zur erklärung ist nicht nur auf den beziehungstrieb des mittelalterlichen denkens zu verweisen, das princip der analogia entis, sondern auch auf die ältere passionenlehre, die vielfach geistige vorgänge und zustände auf körperliche zurückführt bzw. als solche ausdeutet. es handelt sich freilich nicht um einen stricten bedeutungsübergang, sondern um eine immer wiederholte, usuell gewordene bedeutungsübertragung. dieser übertragungscharakter ist in den frühesten belegen ganz offenbar, später mildert er sich zuweilen bis ins kaum merkliche; doch zeigt sich in der verbwahl (heilen, genesen u. s. w.) und in der sonstigen sprachlichen umgebung das gefühl für herkunft und grundsinn dauernd lebendig. obwohl es sich also nicht um einen autonomen bedeutungsbereich handelt, musz er doch im zusammenhang vergegenwärtigt werden, weil er die (bisher wenig beachtete) brücke zwischen I und III, die natürliche grundlage für die letzte sinnentfaltung des wortes bildet. denn wie sucht im hier behandelten sinn aus der urbedeutung I unmittelbar hervorgeht, so führt es schlieszlich in einigen anwendungen (z. b. B 1 c β) ganz nahe an III heran.auch einige composita (sehnsucht, eifersucht, trunksucht u. a.) wurzeln in dieser schicht. herkunft und übertragungsvorgang sind greifbar deutlich, wo sucht noch anceps steht (in physischem und sittlichem sinn, als 'krankheit' und 'sünde'):
tho riht unsih thiu redina,   thaz wir uns warten thanana,
thaz suht ni derre uns mera   then lidin joh thera sela
Otfrid 3, 5, 6 Erdm.;
sit dem male das got hat gegeben das wort, das stein und krut macht habent vil grosse süchte ze vertribende: wele macht wenent ir denne das der lebende gottes sun habe alle süchte der selen ze vertribende ...? Tauler predigten 237/38 Vetter.
A.
der geistige sinn wird durch ein inhaltlich ergänzendes attribut festgestellt.
1)
durch ein substantivisches attribut im genitiv, das den unkörperlichen charakter der sucht definiert; es fungiert als eigentlicher bedeutungsträger und drängta posteriori gesehendas bestimmungswort sucht in die rolle eines pleonastischen füllsels (vgl. I D 1 b).
a)
sucht nimmt religiös-ethische färbung an; im sinne von 'sittliche verderbtheit':
gireino uns thia githanka,   wir birun thine scalka,
mit ginadono ginuhti   fon suntono suhti
Otfrid 2, 24, 22 Erdm.;
der mueze minnen minneklich,
des er lop gewinne,
also daz er sünden suht
nie mer werde vuht (l. vruht?)
Rumsland in MSH. 2, 371ᵃ;
ähnlich, aber aus der sehweise weltlich-höfischer ethik:
jô wîs ich von êren frühte   kargen man
zuo der schanden sühte
Konrad v. Würzburg lieder 19, 19 Schröder;
so entwichet si und waget
ir lop, ir ere und ir zucht
und leget sich in der schanden sucht,
dar uz ein wip unsanfte erstet
kl. mhd. erz., fabeln u. lehrged. 3, 110 Rosenhagen;
speciell als 'laster':
lebt er in geilheit und unzucht,
ist er behafft mit geitzes sucht
J. Spreng gürtel d. lebens (1564) 3ᵃ;
dise sucht desz thierischen zuͦsauffens myndert das heyl der seel Schwarzenberg büchl. v. zutrinken 7 ndr.
b)
sucht geht auf seelische leiderfahrungen; im sinne von 'qual':
mîn herze muoz die jâmers suht
ân freude erzenîe tragen
Wolfram v. Eschenbach Willehalm 60, 22 Lachmann;
mit leides sühte bevangen Ulrich v. Türheim Willehalm 123ᵃ Pfälzer hs.
c)
sucht bezieht sich auf das liebeserlebnis; im sinne von 'verwirrende oder verzehrende leidenschaft, seelische verstörung' (s. u. A 3 a und B 2 b):
(Dido) verstrickt war mit der liebe sucht
Spreng Äneis (1610) 64ᵇ;
vor war ich recht besessen
mit liebes last und sucht
Höck blumenf. 15 ndr.
2)
durch ein substantivisches attribut im genitiv, das den sitz der geistig verstandenen sucht bestimmt (vgl. I D 1 a); sucht des herzens als umschreibung der liebespein:
wer kan wenden sendes herzen suht
wan ir wiplich zuht?
Konrad Schenk v. Landegg in MSH. 1, 357ᵃ;
metonymisch:
(Parzival) er wîbes ougen süeze
unt dâ bî wîbes herzen suht
Wolfram v. Eschenbach Parzival 4, 21 Lachmann;
in einem ganz späten beleg noch einmal eine ähnliche wendung, aber jetzt mit dem sinne 'seelischer schmerz' (als mütterliche, nicht erotische empfindung):
ich klagte ihr des mutterherzens sucht,
und mächtig rührtest du dich mir im schoosz
Cl. Brentano (1852) 6, 125;
eine andere, ähnliche verbindung, um 'kummer, sorge' auszudrücken:
lâ varen dîner gedanke suht
Ulrich v. Türheim Willehalm 202ᵇ Pfälzer hs.
3)
durch ein adjectivisches attribut, das die sucht ihrer specifischen natur nach prägnant bezeichnet; es handelt sich hier um (meistens dem augenblick entsprungene) verbindungen, die in gewollter, z. t. ironischer anlehnung an die entsprechenden medicinischen begriffstypen gebildet sind (vgl. I C).
a)
zur kennzeichnung eines abnormen seelenzustands dient sehnende sucht 'liebespein' (s. o. A 1 c und u. B 2 b, ferner den bildlichen gebrauch von schwere sucht I C 1 a α und böse sucht I C 1 a β):
ich junge, und tuot si daz,
und wirt mir gernden siechen seneder sühte baz
Walther v. d. Vogelweide 54, 36 Lachmann;
ir senen was sô minneclich,
daz maneges herzen senendiu suht
von jâmer dulte freuden fluht
durch ir zweier senden gruoz
Rudolf v. Ems g. Gerhard 4829 Haupt;
später mit anderer (paradox-antithetischer) formulierung, aber in gleichem sinne süsze sucht:
ich weis nicht, wie ich doch von dieser tohrheit kose,
und was die süsze sucht noch endlich aus mier macht
Zesen dt. Helikon 3 (1656) 185;
doch begegnet süsze sucht auch in der bedeutung 'spielleidenschaft':
die hier die edle zeit verschwendet
und, so zu sagen, recht verspielt,
wenn ihre hand die charten hielt, ...
empfinden noch die süsze sucht,
wenn auch der geist bereits die flucht
aus seines körpers burg genommen
D. W. Triller poet. betrachtungen (1750) 2, 45.
b)
auf charakterfehler gehen verbindungen wie faule sucht, ironisch für 'faulkrankheit, arbeitsscheu': allerley loses faules gesindlein, so wol mannes- als weibespersonen ..., so entweder landreumig ... oder mit der faulen sucht beladen sind und nicht arbeiten wollen zwey nützl. tractätlein (1664) 3ᵃ, cit. bei Avé-Lallemant gaunerthum 1, 32; ob vereinzeltes faule sucht als schimpfwort hierher zu stellen ist, bleibt zweifelhaft (es würde dann ein ähnlicher grammatischer functionsübergang vorliegen wie in langes laster, langes elend u. ä.): (magd zu Sarah, die ihr faulheit vorgeworfen hat:) du fule sucht, was klapperist? G. Gotthart Tobias (1619) bei Staub-Tobler 7, 274 (die an entstellung aus zucht 'vagina' oder aus mhd. zuht 'junges, kind' denken). — ferner stolze sucht 'hochmut':
macht dich deine wissenschaft
mit der stolzen sucht behaft
J. Grob dichter. versuchgabe (1678) 122.
c)
'geistige verblendung' im allg. sinne umschreibt blinde sucht:
diesz ist der götz allein, vor welchem alle welt,
aus einer blinden sucht, abgöttisch niederfällt
D. W. Triller poet. betrachtungen (1750) 3, 140;
auf eine bestimmte zeitmode, der Griechenschwärmerei, zielt der nach dem typus wälsche sucht ironisierend gebildete ausdruck griechische sucht: er gestand mir, dasz der andere ein ehrlicher Münchner gewesen sei, den er abgerichtet und kostümiert habe, weil nun einmal die leute die griechische sucht hätten Hauff (1890) 2, 181.
d)
ohne abwertenden sinn ist lachende sucht, nach dem typus fallende sucht gebildet, um (mit einem leichten klang von schalkhaftigkeit) die lebenshaltung des 'lachenden philosophen', die εὐθυμία Demokrits, zu charakterisieren: ich habe mit viel antheil in den werken des Hippokrates den untergeschobenen briefwechsel über die lachende sucht des Demokrits gelesen Hamann 2, 199 Roth.
B.
der geistige sinn ergibt sich aus dem vorstellungszusammenhang.
1)
sucht im religiös-sittlichen bereich.
a)
in anknüpfung an den unter I B 2 behandelten grundsinn umschreibt sucht den zustand der sündhaftigkeit, dem der mensch durch handlungen oder einflüsse anheimfällt, oder auch die erbsünde als stigma alles kreatürlichen (vgl. auch bildlichen gebrauch von schwere sucht I C 1 a α und böse sucht I C 1 a β): menniskon muot stozent sie (die skenicae i. theatrales meretriculae, die musen des theaters) in dia suht Notker 1, 12 Piper;
swer sînen lîp zieret vil,
ob er dan niht rehte wil,
diu suht diu innerthalben ist,
diu sleht her ûz in kurzer vrist
Thomasin v. Zirclaria welscher gast 895 Rückert;
ja es geschicht underwilen ..., das usz sölichen haltungen der uszerlichen dingen ein sucht erwachszt, die ein tod und verderbnisz ist der rechten frommkeit Leo Jud Erasmus, ep. z. Timotheo (1521) fff 3ᵃ; auf die sündige anlage des menschen zielend:
du menschenkind, gehorche nicht
der sucht in deinem krancken blut,
so dich zur sünden reitzen thut
Ringwaldt lauter warheit (1598) 158;
oder auf die erbsünde im specifisch theologischen sinn:
du (Jesus) hast herumb geeilt
und unsre sucht geheilt
Angelus Silesius hl. seelenlust 163 ndr.;
die gottferne und selbstische lässigkeit weltlicher naturen treffend, mit bes. kräftiger betonung der medicinischen vorstellungsgrundlagen:
wann willst du, armer mensch, von dieser sucht genesen,
von dem gewohnheitsstaar, von diesem seelengift?
Brockes ird. vergnügen (1721) 4, 325.
b)
von der bedeutung I B 4 b ausgehend bezieht sich sucht auf weitergreifende verderbnisse im religiösen leben oder der öffentlichen moral (gewissermaszen erkrankungen des corpus Christianum); auf unglauben und häresie: pestem suht. diu inzechinit ungaloupa vel ander upil in cristani ahd. gll. 2, 101; 115 (10./11. jh.); die weil itzt viel irrung einfallen mit der widdertauff, so will von notten sein, dorein ein vleiszig uffsehen zu haben, domit die sucht weiter nit einreisze Philipp v. Hessen (1531) bei Wappler täuferbewegung 154; auf rechtsfrevel: unrechter gewalt ist gar ain arge sucht Füetrer bayer. chr. 186 Spiller.
c)
insbes. steht sucht, von seiner gattungsbegrifflichen function I B 1 aus, für 'sündliche eigenschaft, laster, charakterdefect, üble gewohnheit' (vgl. auch bildlichen gebrauch von schwere sucht I C 1 a α und böse sucht I C 1 a β) — principiell in verurteilendem sinn, doch mit starken gradunterschieden: von geistlicher verdammung bis zu leise tadelnder feststellung durchläuft der urteilsgehalt des wortes alle tonlagen.
α)
verdammenswerte charaktereigenschaft, laster; mit bestimmter beziehung: hochmuͦtikait ist ... ain verborgne sucht A. v. Eyb spiegel d. sitten (1511) a 8ᵃ; die geilheit etc. ist eine sucht, la lussuria è come un mal pestifero e contaggioso Kramer teutsch-ital. dict. 2 (1702) 1036ᶜ (im ital. come tritt der übertragungscharakter noch deutlich zutage); bis des östlichen welthandels zunehmende üppigkeit jene unnatürliche sucht (jünglingsliebe) allgemach auch dem helden des alterthums ... gemäsz achtete J. H. Voss antisymb. (1824) 2, 450; indefinit und zusammenfassend:
ja, zu Lykurgens zeit, als noch die fremden sitten
der Spartiaten herz durch keine sucht bestritten,
war diesz gesetz gerecht
Gottsched dt. schaubühne 6, 219;
welche süchten so man inen nach gibt Xylander Polybius (1574) 61 (gemeint sind moralische krankheiten, grausamkeit und bosheit, die vorher mit physischen in parallele gesetzt waren); noch ganz bildhaft empfunden: es sind ... in der welt vier seuchen oder suchten, die nicht allein unersättlich, sondern auch fast unheilsam; wer an denselben kranck ligt, der ligt warhafftig in schwerer kranckheit, als da ist die geltsucht ..., die ehrsucht, die lustsucht, die gunstsucht Dannhauer catechismusmilch 1 (1657) 169; die irdischen und elementarischen geister, deren name stolz ehrsucht eitelkeit habsucht, kurz deren name alle suchten ohne unterschied sind E. M. Arndt schr. f. u. an s. l. Deutschen (1845) 2, 343.
β)
krankhafte leidenschaft, passion (schon ganz nahe an III heranführend, aber doch noch principiell als eigenschaftswort empfunden): darum billich wider dise schandliche sucht (die spielwut) ein feuriger eifer ab allen canzlen erzeiget wirt Klingler (1688) bei Staub-Tobler 7, 274; der ruin vieler edlen familien, die durch diese sucht (das hazardspiel) in die äuszerste armuth gestürzt worden, machte dieses verbot nothwendig Archenholtz England u. Italien (1785) 2, 13; das kegeln (kartenspielen, spazierengehen) ist bei ihm eine wahre sucht Spiesz beitr. z. e. henneberg. id. (1881) 249; ironisch:
allein der kaiser war nicht wie wir andern dichter;
das reimen war bey ihm noch keine sucht
Ramler fabellese (1783) 2, 539;
in der Schweiz noch heute formelhaft: 's ist eⁿ ganzi (oder eⁿ wari oder zu-n-ereⁿ wareⁿ) sucht wordeⁿ (bi-n-em) Staub-Tobler 7, 274. im 18. jh. übersetzt sucht manchmal geradezu den moralphilosophischen begriff passion: sucht malatia ..., it. passione Kramer teutsch-ital. dict. 2 (1702) 1036ᶜ; suchten passiones Nemnich lex. nosol. polygl. (1801) 17ᵃ; vgl. die, aus den sucht-composita geschöpfte, Kantische definition: die neigung, durch welche die vernunft verhindert wird, sie, in ansehung einer gewissen wahl, mit der summe aller neigungen zu vergleichen, ist die leidenschaft (passio animi). man sieht leicht ein, dasz leidenschaften ... der freiheit den gröszten abbruch thun, und wenn der affect ein rausch ist, die leidenschaft eine krankheit sei ... man benennt die leidenschaft mit dem worte sucht (ehrsucht, rachsucht, herrschsucht u. dgl.) Kant 10, 294 Hartenstein.
γ)
abgeschwächt: üble gewohnheit; in dialektischen redensarten: das ist(-mer) doch eⁿ verdammti sucht (das lügeⁿ) Staub-Tobler 7, 274; das isᵗ e verdammti sucht mit dem lang macheⁿ (das lange ausbleiben ist verwünscht) Martin-Lienhart 2, 326.
2)
sucht im geistig-seelischen bereich.
a)
im sinne von 'geistige verirrung, verwirrung, verblendung', auch von 'geistige modekrankheit' kann sucht mannigfache schattierungen annehmen.
α)
es charakterisiert abwege des tätigen menschengeistes (z. t. noch mit ethischer wertung); die alchemistische leidenschaft:
vil fallen schwär in dise suͦcht,
den doch dar usz gat wenig fruͦcht
S. Brant narrenschiff 98 Zarncke;
die zauberei (praestigia): dasz mannspersonen mehrentheils weniger mit dieser sucht behafftet sind Prätorius Blockesberges verrichtung (1668) 130; die intellektualistische klügelsucht:
du grübelst in der schrifft, und meinst mit klügeley
zu finden gottes sohn: ach mache dich doch frey
von diser sucht, und komm in stall ihn selbst zu küssen:
so wirstu bald der krafft desz wehrten kinds genieszen
Angelus Silesius cherub. wandersm. 64 ndr.
β)
oder modische entartungen der urteils- und willensbildung:
man wolte gold und sammet tragen,
die einfalt samt der tugend golte nicht.
die sucht hält nu die jungfern auch gefangen,
darum werd ich vorbey gegangen.
man liebt die runzelhaut, den husten und die gicht
Stieler geh. Venus 149 ndr.;
'verstiegene prätension': es eröffnet sich zu dieser unserer zeit ... unter geringen leuten eine sucht, in deren die patienten, wann sie daran kranck ligen ..., gleich rittermäszige herren und adeliche personen ... seyn wollen Grimmelshausen 1, 25 lit. ver.
γ)
oder verwirrungen der vorstellungsbilder; 'wahnvorstellung':
ein mucker ...
trug einen seltnen wahn in seinem kopf herum, ...
bis ein berühmter arzt ihn ...
... von seiner sucht befreyt
Pfeffel poet. versuche (1812) 1, 108;
'unklare phantastik': ich war fast immer sehr heiter, als ich dies buch (Lovell) schrieb, nur gefiel ich mir noch in der verwirrung. etwas von dieser sucht wird mir gewisz immer anhängen bleiben Tieck an Solger nachgel. schr. u. briefw. 1, 342 Tieck-Raumer; dichterisches bedeutungsspiel mit sucht 'verwirrung' und suchen:
Stiason: ich suche ewig sie, sie fliehet mich!
Primislaus: o wunderbare sucht, verkehrte flucht!
sie sucht dich nur allein, und fliehet dich!
Cl. Brentano (1852) 6, 200.
b)
häufiger wird die liebesempfindung, der zustand des liebenden oder das gesamtphänomen der liebe selbst als sucht bezeichnet (s. auch A 1 c und A 3 a, ferner bildlichen gebrauch von schwere sucht I C 1 a α und böse sucht I C 1 a β); das ist im sinne von 'verstörung oder zerrüttung des seelischen organismus' gemeint und hat meist stilistischen formelwert, geht aber letzten endes zurück auf die alte anschauung von der liebe als (körperlich-geistiger) krankheit, vgl. u. a. Crohns arch. f. kulturgesch. 3, 66 ff.:
ewr zarter mynne rost
hatt gefüget, das ich prynn
in herzen und in synn ...
ja, ich kan wol für die sucht,
sprach sy ...
liederb. d. Hätzlerin 135 Haltaus;
und sy auch gern weste, wie es umb eüwer sucht wer geschaffen (gemeint ist Tristrants liebeskrankheit) Tristrant u. Isalde (volksbuch) 51 lit. ver.; denn die liebe ist ein sucht Amadis 1, 164 lit. ver.;
sagts nun öffentlich und frei,
liebe sei
eine sucht, die an kan stecken!
P. Fleming dt. ged. 1, 317 lit. ver.;
Juno ..., so bald sie die arme (Dido) von solcher sucht befangen sah Bürger 245 Bohtz; noch in einem späten bedeutungsspiel wird der zweite bestandteil des wortes eifersucht auf seinen grundsinn zurückgeführt:
weil dein betragen mich verdrosz,
rätst du auf eifersucht? — ei, schwerlich!
's ist weder, kind, mein eifer grosz
noch meine sucht gefährlich
Grillparzer 1, 149 Sauer (Cotta).
III.
'(krankhaft übersteigerter) trieb'. aus den unter II behandelten übertragenen gebrauchsweisen (vor allem den entfaltetsten, B 1 c, auch B 2 a) entwickelt sich bruchlos, ja mit flieszenden übergängen, die heute fast allein geltende bedeutung von sucht als 'krankhaft übersteigerter trieb', indem in dem bedeutungscomplex des wortes das willensmoment und die daraus folgende zielbestimmtheit beherrschend wird. die grenze gegen II liegt formal gesehen da, wo das bewusztsein übertragenen sprechens dem empfinden eines abgegrenzten eigensinnes weicht; gehaltlich gesehen da, wo ein geistiger zustand oder eine geistige eigenschaft nicht mehr als seiendes (als substanz), sondern als bewegendes (als tendenz) erscheint, das seine sinnerfüllung nun nicht mehr in sich selber findet, sondern auf ein bewegungsziel weist. auch composita der zweiten stufe wie sehnsucht und trunksucht, ja selbst solche der grundstufe wie schlafsucht, tobsucht, mondsucht, in denen -sucht als ein tendieren zu etwas hin empfunden werden konnte (vgl. Paul dt. wb.³ 530), haben an der ausbildung der neuen bedeutung mitgeholfen. sie tritt zuerst wiederum in zusammensetzungen hervor, in einer dritten schicht von composita, wie sie im 16. jh. einsetzen (geld-, lust-, zanksucht), im 17. jh. fortgedeihen (ehr-, ruhm-, gewinn-, rach-, tadelsucht) und bis in die gegenwart hinein lebenskräftig weiterwuchern. seit dem 17. jh. nimmt auch das simplex sucht den sinn von 'cupiditas' an, zunächst in formalen auflösungen von composita (A 1 a), dann auch selbständig. endgültig consolidiert wird der stand der entwicklung, als der alte ursprung des wortes durch volksetymologische (die zielbewegung verstärkende) anknüpfung an suchen verdunkelt wird, aus der die gebrauchsweise sucht nach etwas hervorgeht. die ersten lexikographen, die sucht mit suchen verbinden, sind Steinbach vollst. dt. wb. (1734) 2, 766 (sucht inquisitio, desiderium) und Wachter (1737) 1644 (sucht ... studium quaerendi, a suchen quaerere); vgl. auch Andresen volksetymol.⁷ 371. nichtsdestoweniger klingt vielfach im ganzen des ausdrucksgefüges, bes. in der verbwahl, die grundbedeutung 'krankheit' noch immer an. und auch gehaltlich verbleibt dem wort überwiegend das bestimmungsmoment des krankhaften. im ganzen verrücken sich die bedeutungsconturen seit dem 17. jh. nicht mehr ernstlich (vielleicht von der jüngsten entwicklung abgesehen); nur wertungsgehalt und individuelle tonlage sind gleitend, und formal-grammatisch sondern sich verschiedene möglichkeiten. als element der schriftsprache ist das wort überall zu haus; aber auch mundartlich findet es sich vielfach, nicht nur im süden (Schweiz, Schwaben, Tirol) und westen (Pfalz, Rheinland), sondern auch in Friesland und Niedersachsen.
A.
sucht mit abhängigem logischem object.
1)
die formalen typen. (sie constituieren keine bedeutungsunterschiede; vielfach sind sie ohne sinnwandel auswechselbar.)
a)
durch zerlegung von composita, in denen -sucht bereits die bedeutung 'nimia cupiditas' hat, in eine hypotaktische substantivverbindung constituiert sich erstmalig der neue sinn auch für das simplex; doch bleibt dieser typus bis in die gegenwart sprachmöglich. structurell unterscheiden sich diese verbindungen von den äuszerlich gleichartigen in II A 1 und II A 2 dadurch, dasz der abhängige genitiv nicht die natur oder den sitz der sucht als geistiger krankheit, sondern das ziel der sucht als geistigen triebs bezeichnet.
α)
aus ehrsucht:
wenn einsten ...
mein geist ist übern flusz gefahren,
wor uns der ehre sucht nicht rührt
Stieler geh. Venus 27 ndr.;
der ehren heisze sucht verlescht uns durch entzünden
Logau sinnged. 180 lit. ver.;
der ehre rege sucht schwoll in den herzen auf
Haller 135 Hirzel;
der die stachelnde sucht der ehren
von sich warf und die eitle lust
Schiller 14, 117 Gödeke;
aus lustsucht:
zu früher lüste sucht,
wut sich zu schmücken wie ein weib, entweihen
Thuiskons heldenzucht
Denis lieder Sineds (1772) 265;
aus effectsucht: eine sucht des effects Gerhards archäol. ztg. 1, 179; vgl. ferner den beleg aus St. George A 2 h (aus abenteuersucht).
β)
die beschriebene ausdrucksweise findet dann auchohne dasz bestimmte composita vorschwebenweitergreifende analogische anwendung: dessen kleine seele an der sucht der kleinigkeiten siechet Klopstock gelehrtenrepublik (1774) 413; dasz demselben (dem zeitalter Homers) nichts fremder sey als eine sucht des lächerlichen Herder 3, 204 Suphan; diese abenteurer, diese reinen vertreter der sucht des handelns jb. d. Grillparzerges. 4, 6/7; weitere belege finden sich bis in die neueste zeit, wenn auch seltener.
b)
von den präpositionalen verbindungen ist die mit zu relativ die älteste; ihr hauptvorkommen gehört dem 17. und 18. jh. an; das drängen der begierde auf ein bestimmtes ziel hin findet in ihr dichten ausdruck: kein sucht zu allen lastern sey gefährlicher dann ehrgeitz Chr. Lehmann florileg. polit. (1662) 4, 93;
dasz die wilde sucht zum kriegen
künftig noch viel schärfer glüht
D. W. Triller poet. betrachtungen (1750) 4, 455;
vgl. auch die von Stalder aufgezeichnete schweizerische redensart: 's ist jezt rechti sucht derzue (eine allgemeine begierde danach) Staub-Tobler 7, 274; gelegentlich scheint ebenfalls noch, wie häufiger in 1 a α, ein compositum als sprachliches urbild durch: die geschichte ..., die ... dich mit der tollen sucht zum grosen mann ansteckte Schiller 2, 123 Gödeke (aus groszmannssucht).
c)
die heute gebräuchlichste präpositionale verbindung ist die mit nach, die der anknüpfung an suchen ihr dasein verdankt (vgl. o.); auch hier sind manchmal die entsprechenden composita anstoszgebend; von einem formal und gehaltlich merkwürdig isolierten Böhme-beleg abgesehen (vgl. A 2 h), setzen die zeugnisse mitte des 18. jh. ein: aber die sucht nach ruhm unterdrückte die empfindung des schönen nicht Löwen (1765) 3, 80; an dieser sucht nach fremden mustern Gervinus gesch. d. dt. dicht. (1853) 3, 366; die sucht nach dem abnormen Kahlenberg familie Barchwitz (1902) 116; mundartlich in der wendung eine sucht nach etwas haben, z. b. in Tirol (Schöpf 727), im Nordharz (Damköhler 190); vgl. auch Doornkaat-Koolman ostfries. 3, 359.
d)
vereinzelt mundartlich auch sucht für etwas: by de Friezen nimt de sucht for 't frjemde ta Dijkstra friesch wb. 3, 235.
e)
am häufigsten von allen vorkommenden gebrauchsweisen ist die verbindung von sucht mit abhängigem infinitivsatz; die functionelle angleichung an die verwandten wörter trieb, begierde, verlangen, die schon in dem typus sucht nach etwas vollzogen war, wird durch die aufnahme dieser syntaktischen figur vollständig gemacht; die belege setzen in der ersten hälfte des 18. jh. ein (Brockes s. A 2 i) und ziehen sich in gleichmäsziger dichte bis in die gegenwart: man musz die sucht, solche neue wörter zu machen, nicht zu hoch treiben Gottsched dt. sprachkunst (1748) 346; am ende ists wohl nur die sucht sich auszuzeichnen Kotzebue (1827) 2, 55; die sucht, viel zu genieszen und wenig zu thuen Riehl dt. arbeit (1861) 255; im schweizerdeutschen sind wendungen dieser art volksläufig: er hett die wüesti sucht, all nacht im wirtshus z'hocke Seiler Basler ma. 284; vgl. ferner Hunziker Aargauer wb. 265 und Staub-Tobler 7, 274. im ostfriesischen findet sich mit leichter abweichung: sücht, um na hus to kamen Doornkaat-Koolman 3, 359.
f)
ganz vereinzelt ist sucht mit anschlieszendem dasz-satz:
einig zu sein ist göttlich und gut. warum ist die sucht denn,
dasz nur einer und eines nur sei?
Hölderlin 1, 154 Litzmann;
einen weiteren beleg aus Göthe vgl. unter A 2 h.
2)
die anwendungen und bedeutungsschattierungen. (sie sind auszer correlation mit den formalen kategorien; vielmehr überschneiden sie sich mit ihnen; auch spiegeln sie keine chronologische entwicklung, sondern nur wechselnde möglichkeiten; sie sind daher in rein logischer abfolge zu behandeln.)
a)
ein den ganzen menschen ergreifender und beherrschender trieb, der ihn sein denken und handeln auf die erreichung bestimmter realer wunschziele monomanisch concentrieren läszt; durch dauer, stärke und unersättlichkeit erscheint dieser trieb als krankhafte ausartung des willenslebens und darum als ethisch verwerflich. machthunger: despoten voll sucht, seelen zu fesseln Klopstock oden 2, 142 Muncker-Pawel; es wäre nur gerecht ..., wenn sie bedeutend verkleinert würden, damit sie die sucht los würden, Europa zu knechten Ruge briefw. u. tagebuch 2, 356 Nerrlich; herrschsucht: ein papst, der aus irdischer sucht zur weltherrschaft die unterthanen gegen kayser, könige und fürsten ... empörte Klinger (1809) 3, 18; ganz umgewandelt hat die liebe mein kind; keine spur mehr von ihrer sonstigen sucht zu befehlen, zu herrschen Holtei erz. schr. (1861) 6, 57; mit betonung des übermaszes: die sucht des zuvielregierens schadet der freiheit eben so viel als dem wohlstande Gutzkow (1872) 10, 22; vgl. auch:
wie weit treibt Filipps sohn die tolle sucht zu siegen?
Wieland suppl. 1 (1797) 341 Göschen.
auf carriere gerichteter ehrgeiz: eine so unsittliche mischung von verschlagenheit, feigheit, ... falscher devotion und sucht emporzukommen Ranke (1867) 1, 328; die sucht, gröszer zu werden Gervinus gesch. d. dt. dicht. (1853) 3, 400; diese sucht, ein groszer mann zu seyn Knigge umgang m. menschen (1796) 1, 134; geltungstrieb:
du (ländliche einsamkeit) verjagst aus meiner brust
alle sucht nach rang und ehre
Götz verm. ged. (1785) 2, 9;
durst nach flitterputz und gold,
eitelkeit und sucht, zu glänzen,
weichen, wo das spinnrad rollt
Klamer Schmidt kom. u. humorist. dichtungen (1802) 374;
die sucht, zu glänzen und zu scheinen, war ihm leider nicht fremd geblieben Immermann 5, 125 Hempel; ich ... halte die sucht, sich ... hervorzuthun, für pedanterey Wieland Lucian (1788) 4, 398; die sucht, sich anbeten zu lassen Zimmermann einsamkeit (1784) 1, 351; ruhmsucht: über die sucht nach einer unsterblichkeit, die keine ist ..., verlieren sie die, welche sie haben könnten Schleiermacher reden über d. religion (1879) 132. — — gefallsucht: die eitelkeit, d. h. die kindliche sucht, durchs äuszerliche zu gefallen Bahrdt gesch. s. lebens (1790) 1, 145; ein äuszerst schwacher mensch, aber dabei auch der eitelkeit und der sucht, frauenzimmern gefallen zu wollen, ergeben Kerner bilderbuch (1849) 305; unter herausarbeitung der extrembedeutung von sucht: die lust zu gefallen ist ja etwas ganz anderes als die sucht zu gefallen Laube (1875) 10, 75. — besitzgier: die zerstörende sucht nach eitlem gut Körner 2, 87 Hempel; profitgier:
das, was die bande zweyter ehe flicht,
ist schnöde sucht nach vortheil, liebe nicht
Shakespeare (1797) 3, 250.
b)
ein in der menschlichen natur begründetes, aber krankhaft übersteigertes, stachelndes verlangen nach bestimmten reizen und erlebnissen, das wenn nicht ethisch abgewertet, so doch vom vernunftstandpunkt aus miszbilligt wird. neuerungssucht: unaufhörlich haschte sein sinn nach neuen eindrücken, neuen genüssen. dieser sucht nach neuheit muszte man täglich neue nahrung reichen Schiller 9, 179 Gödeke; die sucht, immer etwas neues haben und ein ... gutes stück oder oper nur einmal, höchstens zweimal sehen zu wollen, ... ist ein wahrer verderb des theaters Göthe gespräche 5, 165 W. v. Biedermann; eine sucht nach neuerungen ist erwacht Dahlmann gesch. d. franz. revol. (1845) 191; ähnlich: sucht nach veränderung Tieck (1828) 20, 19; vgl. auch: ich rede hier nicht von der sucht der meisten dienstboten, alle jahre weiter zu ziehen Gotthelf (1855) 2, 123. — sensationsgier: die sucht nach dem abenteuerlichen hat ... in England viel liebhaberei für spukgeschichten ... hervorgebracht Schlegels Europa 2, 23; ich habe mich ein paarmal, aus neugier, langer weile, sucht zum seltsamen, verleiten lassen, ein solches weib (eine wahrsagerin) zu besuchen Tieck (1828) 12, 397; es ist gewisz nicht die sucht nach dem ungewöhnlichen Hebbel tagebücher 2, 366 Werner; verwandt: die ganze jüngste generation mit ihren raffinements und ihrer sucht nach piquantheit vorgebildet ebda 1, 389; mit dieser sucht, sich zu amüsiren Jean Paul 7/10, 293 Hempel; wundersucht: jener ... sucht nach dem wunderbaren ..., welche der menschlichen natur eingeprägt scheint Büchner kraft u. stoff (1856) 34. — hang zum träumen: sie schienen fast geheilt von der verderblichen sucht, sich ... an den strand des meeres zu setzen und die rauschenden wogen nach den ... räthseln des lebens zu fragen Spielhagen (1877) 2, 3.
c)
eine grell hervortretende charakterliche neigung, die als fehler, unart oder zumindest als aufdringliche eigenheit empfunden wird: auch wird ihnen allgemein verschlagenheit, falschheit und sucht zu argwohn schuld gegeben Peschel völkerkde (1874) 368; uns feen selbst schont ihre sucht zu spotten nicht mehr Raimund 1, 3 Sauer-Glossy; nur liebe zur kunst läszt ... einen wunsch aussprechen, nicht etwa sucht zu tadeln Stifter 14, 24 Sauer; nichts liegt mir ferner als die sucht zu moralisieren Pückler briefw. u. tagebücher 1, 364 Assing; die sucht zu bessern läszt meist das gute nicht reifen Körte sprichw. (1837) 42; eine ausschweifende sucht, alles zu beurtheilen, was in der gelehrten welt vorgeht Gottsched d. neueste a. d. anm. gelehrsamkeit (1751) 3, 86; auch: die sucht zu beten Holtei 40 jahre (1843) 1, 26.
d)
eine geistige überspanntheit oder verranntheit, soweit sie sich extrem-triebmäszig äuszert; die kritikerhaltung des sprechenden ist auch hier voraussetzung des wortgebrauchs. nachahmungstrieb:
jedoch, was kunst und fleisz vergeblich unternamen,
gelang der heiszen sucht, den groszen nachzuahmen
Drollinger ged. (1743) 51;
die erinnerung an die zeit, wo wir auf dem wege waren, eine ächte einheimische kunst zu bekommen, wenn ungünstige umstände und die sucht des fremden es nicht verhindert hätten, macht mich immer recht wehmüthig A. W. Schlegel im Athenäum 2, 75; es ist merkwürdig, wie auch in der deutschen jagdsprache die sucht, das fremde nachzuahmen, sich nicht verleugnen konnte Avé-Lallemant gaunertum 3, 106 anm. 2; umgekehrt originalitätssucht: die falsche sucht, original seyn zu wollen Göthe IV 2², 31 W.falscher ehrgeiz nach geistigen betätigungen:
wenn die sucht, gelehrt sein zu wollen, zunimmt im gleichen grade,
dann schenke Zeus dem nächsten geschlecht seine gnade
Meisl theatral. quodlibet (1820) 5, 9;
von jeher ist die philosophie, oder vielmehr die sucht zu philosophieren, wenn sie mode ward, der sprache am gefährlichsten gewesen Lenz 2, 322 Tieck; auch: diese gottverfluchte ... sucht, politik zu treiben Holtei erz. schr. (1861) 23, 219. — ein zur manie gewordenes denk- oder auffassungsprincip: aber dies (die christliche weltdeutung) wird keinesweges ausarten in eine der erforschung der natürlichen dinge widerstrebende sucht, in einzelnen ereignissen einzelne abzwekkungen derselben auf das reich gottes zu finden Schleiermacher (1834) I 4, 522; die sucht aber, nur allgemeine gesetze zu finden, läszt zu diesem ende wesentliche unterschiede weg Hegel (1832) 7¹, 300; hierbei ist nicht die kleinliche sucht rege, unsterbliche thaten aus erbärmlichen anlässen abzuleiten Immermann 18, 152 Hempel.
e)
abgeschwächt, eine aus dünkel oder gelehrtenhafter verschrobenheit erwachsene, marottenhafte vorliebe, die man belächelt: was Juvenal von der närrischen sucht seiner zeiten, griechisch zu reden, beiszend saget Gottsched d. neueste a. d. anm. gelehrsamkeit 9, 737; die ... sucht, jede alte ... münze ... aufzutreiben allg. dt. bibl. 25/36 anh. 3096; (der dilettantismus) artet meistens ... in die sucht aus zusammenzuraffen Göthe 47, 302 W.; Quintilian selbst redet in der angezogenen stelle gegen die sucht, κακοφατα zu finden, offenbar Herder 3, 287 Suphan; ein drittes gebrechen ist die sucht, den ursprung der meisten wörter aus dem lateinischen drehen zu wollen J. Grimm kl. schr. 4, 151; zu so unbesonnenen erklärungen kann noch jeden tag die gewöhnliche sucht, namen anzubringen, ... den ausleger verleiten Welcker alte denkm. (1849) 1, 65; etwas anders: viele von diesen schwärmern waren die ersten anbauer von Neu-England, diese trieben die sucht zu den nahmen des alten testaments noch weiter Lichtenberg verm. schr. (1800) 4, 422.
f)
in der sprache der künstlerischen und wissenschaftlichen kritik bestimmte stilistische, darstellerische, methodische tendenzen, die als übertrieben und ungesund empfunden werden: willkürliche combinationslust und sucht nach paradoxien ... haben ihn wiederholt auf irrwege geführt Scherer kl. schr. 1, 136; sie hätten ... die würde ... der sucht nach verzierungen geopfert Justi Winckelmann (1866) 2¹, 351; aus dieser anerkennung nun aber ist eine sucht nach idealischer darstellung hervorgegangen Hegel (1832) 10¹, 206; eine sucht, die sachen mysteriös darzustellen D. F. Strausz (1877) 3, 162; die absichtlichkeit des erzählers, seine sucht, dem leser etwas zu beweisen Scherer litgesch.⁷ 169; ihr habt eurer sucht nach experimenten oft den zügel schieszen lassen Laube (1875) 15, 11.
g)
während in den bisher beschriebenen anwendungen die sucht mehr oder weniger ausgesprochen als typisches und dauerndes merkmal ihres trägers erschien, kann sie (seltener) auch einen zeitweise oder unter bestimmten bedingungen manisch werdenden hang zu gewissen tätigkeiten bedeuten: jetzt hat die leidige sucht, gedichte und kleine modebücher zu lesen, ... die schwerfällige art zu studiren ... ganz aus der mode gebracht Nicolai Seb. Nothanker (1773) 1, 118; da die leute (die indischen weiber) eine förmliche sucht hatten, unser englisches verbot zu übertreten und einander bei lebendigem leibe zu braten zu ehren der gattentreue, so muszten wir stets auf den beinen sein, um dergleichen zu hintertreiben G. Keller (1889) 4, 62; oder schlieszlich ein aus einer concreten situation geborenes und auf specielle augenblicksziele gerichtetes, überstarkes bestreben: des feldherrn ruhm- und geldsucht erregte eine dritte sucht, den krieg so lange als möglich zu führen Herder 23, 35 Suphan; die sucht, die mächtigsten männer und den hof anzugreifen H. Steffens was ich erlebte (1840) 2, 257; eine jede (von den tanten) hatte die krampfhafte sucht, etwas mit dem baby anzustellen Herm. H. Schmitz säugling (1911) 15; ganz abgeblaszt: ich bin durch die sucht, weit kürzer als Meyer zu seyn, ... im anfange allzustark getrieben worden Th. Abbt verm. werke (1768) 3, 213.
h)
gelegentlich wird sucht aber auch in wertfreiem sinne verwendet, um einen zwar gesteigerten, aber berechtigten oder begreiflichen trieb oder ein starkes verlangen gleicher art rein sachlich festzustellen. ein in der menschlichen natur liegender trieb, der als gegebenheit hinzunehmen ist: der liebesgeist, die sucht zum küssen (Gerstenberg) schlesw. litbr. 200 lit.-denkm.; am ende siegt ewig nur die sucht der selbsterhaltung Hitler mein kampf (1933) 148; ähnlich: eben so folgerecht ... ist auch die sucht, dasz ein mann von talent nicht allein sein werk bewundert, sondern auch seine person geliebt, verehrt haben will Göthe IV 20, 27 W.ein individueller trieb, der aus innerem persönlichkeitsgesetz kommt und als solcher jenseits des urteils steht: freilich ist wohl in meiner sucht nach der fremde zu viel widerwille gegen die gewohnte umgebung Tieck (1828) 4, 10;
seefahrend heil und sucht des abenteuers
reiszt dich ...
aus unseren augen auf das fernste meer
St. George das neue reich 20
(aus abenteuersucht); in seinem Trojanerkriege verräth sich schon seine kritische sucht nach wahrheit in den verbesserungen, die er in der erzählung bereits aus klassischen schriftstellern eintrug Gervinus gesch. d. dt. dicht. (1853) 2, 56; gleich in seiner frühesten kindheit, sobald nur der lerntrieb in ihm (Jean Paul) geweckt war, begann die sucht in ihm, bücher und buchstaben zu schreiben ebda 5, 204. — ein heftiges, sehnsüchtiges verlangen, das auf ein ethisch einwandfreies ziel gerichtet ist: ich habe jezt eine rechte sucht, immer an dich zu schreiben Bürger in br. von u. an Bürger 1, 380 Strodtmann; auch Campe 4, 745 verzeichnet diese gebrauchsweise von sucht (für sehnsucht) als möglich, mit dem beispiel: ich habe eine grosze sucht danach. — ganz isoliert ist ein sehr früher beleg von sucht als wertfreiem metaphysischem terminus im sinne von 'urtrieb, urwille' des weltgrundes zum werdenwohl eine specifisch Böhmesche eigenwilligkeit: der ungrund ist ein ewig nichts, und machet aber einen ewigen anfang, als eine sucht; dan das nichts ist eine sucht nach etwas: und da doch auch nichts ist, das etwas gebe; sondern die sucht ist selber das geben dessen, das doch auch nichts ist als blosz eine begehrende sucht J. Böhme gründl. bericht v. ird. u. himml. mysterio (1676) 1.
i)
vereinzelt begegnet sogar sucht als 'trieb' oder 'verlangen' mit positiver wertung; ein sittlich bejahrter drang der menschlichen natur:
musz ausgerottet sein die väterliche sucht,
die uns ist eingepflantzt zu unsrer eignen frucht?
Opitz (1690) 3, 324;
frommes, inbrünstiges verlangen:
ach mögte doch, wenn wir so süsze schönheit sehen,
bey uns erst eine lust, dann eine sucht entstehen,
denjenigen, wodurch sich feld und wald beblühmen,
in stiller anmut stets zu rümen!
Brockes ird. vergnügen (1721) 2, 14;
vgl. auch desselben autors:
zeig äuszerlich der innern andacht sucht,
von Kinderling reinigkeit d. dt. spr. (1795) 429 als neuschöpfung des 18. jh. verzeichnet.
B.
alleinstehendes sucht.
1)
in abkürzender redeweise oder in rein begrifflicher verwendung begegnet sucht — bei gleichbleibender bedeutungauch ohne ergänzendes object, das aber unausgesprochen gegenwärtig ist.
a)
sucht als 'krankhafter oder ausschweifender trieb' weist deiktisch auf ein bereits ausgesagtes ziel zurück, dessen wiederholte nennung erspart wird: die verwägenheit gewisser schriftsteller ..., die ohne alle noth unerhörte wörter bilden ... was zeigen diese durch ihre sucht (neue wörter zu bilden) anders, als entweder ihre unwissenheit ... oder ihren lächerlichen hochmuth Gottsched beob. über d. gebr. u. misbr. dt. wörter (1758) 62; entsprechend: sie wollen doch immer so viel spekuliren! diese sucht mögen sie wohl aus dem leidigen brandenburgischen lande mitgebracht haben Nicolai Seb. Nothanker (1773) 2, 237; du weiszt, dasz ich von jugend auf gern etwas neues sah und hörte ... diese unselige sucht macht mich jetzt unglücklich Tieck (1828) 5, 123.
b)
begriffen, die wie neigung, trieb ein gesundes, maszvolles streben oder wie lust, begeisterung ein tadelfreies interesse ausdrücken, wird sucht als steigerung ins extrem gegenübergestellt, um übermasz und krankhafte ausartung zu kennzeichnen; auch hier ist das ergänzende object hinzuzudenken: die neigung zum spielen ist bey ihm zu einer sucht (zu spielen) geworden Adelung vers. e. gramm.-krit. wb. 4 (1780) 875; entsprechend: dann wäre dieser gesunde trieb nie in eine krankhafte sucht ausgeartet Börne (1840) 2, 114; als ... die lust am disputiren sich immer mehr entwickelt hatte und ... fast zur sucht gestiegen war Schopenhauer 1, 87 Grisebach; die begeisterung für die reine lehre wurde zu einer krankhaften sucht H. Grimm Michelangelo (1890) 2, 216.
2)
in der Göthezeit bahnt sich eine neue absolute gebrauchsweise von sucht an, die dann in der gegenwart, bes. in der dichtung des 20. jh., zu ausgeprägterer geltung kommt; charakteristisch ist, dasz sucht die eindeutige und einsträngige zielrichtung verliert, umfassender, z. t. unbestimmt wird und schlieszlich in die bedeutung 'sehnsucht, unruhiges drängen des blutes' übergeht; aus einem moralischen wertbegriff wird es ein wort der beschreibenden seelenkunde.
a)
übergang von bedeutung A 2 her, aber schon mit der umgreifenden gebärde, 'schweifender drang':
so war auch ich von aller phantasie,
von jeder sucht, von jedem falschen triebe,
mit einem blick in deinen blick geheilt
Göthe 10, 140 W.;
vgl. auch Mephistos bedeutungsspiel mit mondsucht und sucht als faustischem tatentrieb:
der du dem mond um so viel näher schwebtest,
dich zog wohl deine sucht dahin?
ebda 15¹, 250.
b)
unstillbares sehnen:
geweiht bleibt ewig, wer gott einmal schaut;
nie füllt sein thun die bodenlose sucht
Fr. Schlegel im Athenäum 3, 166;
ganz ziellos, als reine innere schwingung empfunden: und er errötete und merkte, dasz er in seiner unruhigen sucht und einsamkeit die eigene seele ... fast in scham gebracht hätte H. Grimm volk ohne raum 1, 281.
c)
der plural wird bevorzugt; suchten, süchte im sinne von 'sehnsüchte; wogende, formlose triebe; drängende wünsche und begierden, die voll geheimer drohung, aber rational nicht zerlegbar sind': träumereien, die um dieses alter in unbestimmten suchten und sehnsuchten spielen E. M. Arndt (1892) 1, 58; so tauchte das spiel mit den fernen, das nach meiner schwester tode in mir erwacht war, wieder auf. denn die süchte des menschen wandeln sich, aber sie sterben nicht H. Stehr drei nächte (1909²) 115;
wohin soll ich vor der glut,
vor den wilden fremden süchten
als zu deinen füszen flüchten:
du verstehst, und du bist gut
G. Falke (1912) 1, 17;
aber in blinkenden nächten ..., von sorgen und süchten umlauert, risz seine (Mozarts) seele die sterne vom himmel W. Schäfer 13 bücher d. dt. seele (1925) 322; nur gelegentlich erscheint der bedeutungsraum wieder eingeschränkt und damit conturiert: menschen ..., in denen alle sinnlichen süchte mächtig waren Hankamer dt. gegenref. u. dt. barock (1935) 105.
IV.
zusammensetzungen mit sucht- (suchten-) sind immer nur in beschränktem gebrauch gewesen; meist handelt es sich um gelegenheitsbildungen; ein chronologischer überblick sei gegeben.
A.
mit sucht-. in ahd. zeit nur schwache ansätze; wohl eine augenblicksbildung nach dem lat.: et in cathedra pestilentie non sedit noh an demo suhtstuole nesaz Notker 2, 3 Piper (ps. 1, 1); die erörterungen Höflers krankheitsnamenbuch 698 und 700 sind gegenstandslos.weiter ist im ahd. einige male die zusammensetzung mit dem adjectivsuffix -luomi (Kluge nomin. stammbildungslehre § 246, vgl. ahd. kilomo 'frequenter', ags. gelome dass.) suhtluomi belegt: pestilentem (ventum) suhtluomen ahd. gll. 1, 634; corruptus (aer) suthluomiu, suhtlvmiv ebda 1, 437; suhtlumiv ebda 1, 819; dazu weitergebildet suhtlumigir ebda 1, 437 und das -ī-abstractum suhtluomi: der uf demo stuole dere suhtluome (in cathedra pestilentiae) nihne saz Windberger ps. 1, 1 Graff; Schmeller-Fr. 1, 1473. — ob hinter dem folgenden späten und isolierten beleg gleichfalls suhtlüeme steckt oder, wie Lexer 2, 1292 meint, eine bildung mit lam, leme, ist dunkel: besunder auch der auttem und die füsz des habichs und des falcken und ains yeglichen vederspils sind suchtläm und vergifftig Mynsinger v. d. falken, pferden u. hunden 38 lit. ver.überwiegend aus mnd. quellen bezeugt ist suchtbett, n., 'krankenbett', auch 'sterbebett': nein man noch nein vrowe moghen nicht vorgheven in erme suchtbedde an der erven lof urkdb. v. Hildesheim 1, 280 Döbner (um 1300); weitere belege bei Schiller-Lübben 4, 458 f.; ein versprengter und später obd. beleg: sonst wirdt dich die kurtzweil ins suchtbeth legen Guarinoni grewel d. verwüstung (1610) 908; als Campe 4, 745 das wort, ausdrücklich als nd., verzeichnete (suchtbette siechbette, krankenbette), war es im lebendigen gebrauch wohl schon erloschen. wie alt die verbindung aber ist, zeigt ein Heliand-beleg, wo sie bereits ganz in übertragenem sinne, für 'krankheit', erscheint:
... thena the err dod fornam,
an suhtbeddeon sualt
Heliand 2219 Sievers;
neben suchtbett steht seuchbett (mnd. suk-, sukebedde, vom 13.-15. jh. belegt). — seit dem späteren mittelalter öfters vereinzelte gelegenheitsbildungen: (unsere irdische menschlichkeit) daz ist ungæbe, ein misthaven ..., ein ursprinc alles unvlâtes, der ze allen steten ûz diuzet ein suhtbrunne ('verpesteter brunnen'); ûzen ein gemâltiu horlade, innen ein vûler schanthort David v. Augsburg in dt. mystiker 1, 320 Pfeiffer; etlich kranckhait seinn, so des krancken zuͦethuͦn und leiblich yebung bedürffen on ander materi, als podagra oder dergleichen suchtsiechthumb ('chronische krankheit', vgl.süchte-, suchtensiech unter B) Berthold v. Chiemsee theologey 413 Reithmeyer. aus vocabularen suchtträger, -bringer, -nehmer: pestifer suchtdreger Diefenbach gl. 431ᵇ; pestiferus suchtebrenger ebda; morbigena suchtnemer ebda 367ᶜ (alles 15. jh.). im 17. jh. begegnen die letzten verbindungen dieser art: denen sucht-, unglück- unnd todt krämern Guarinoni grewel d. verwüstung (1610) 663; die menschen mit zwölff fürnehmber darinn vergrabner sucht- und mordstucken abzuwürgen ebda 677; leben wir mit dem alten Adam in dieser äuszeren verderbten suchtwelt ('sündenwelt', wobei die übertragene bedeutung ¹sucht II B 1 a zugrunde liegt) J. Böhme (1620) 4, 98. — später nur noch compositionen, die eine bestimmte medicinische sonderbedeutung vertreten, aber auch vereinzelt oder local begrenzt: in dem anno 1771 grassierte unter den menschen die ruhr und das suchtfieber ('fieberepidemie'), so dasz viele menschen daran haben sterben müssen tageb. d. fam. Schümi (1869) bei Staub-Tobler 1, 637; mit dem ... der ländliche viehdoktor den suchtkranken ('an der staupe leidenden', vgl. ¹sucht I B 5 d δ) haushund oder das räudige schaf beschwört Scheffel (1907) 2, 237. als wort der jägersprache ist, bes. in Württemberg, suchtgebisz, n., gebräuchlich: 'wenn ein hund schlechte schwarzbraune zähne hat, so nennt man das suchtgebisz' zs. f. dt. wortforsch. 9, 61. zu ¹sucht I B 3 d gehörig: unterschiede in der gewöhnungs- und suchtgefahr für die einzelnen mittel (schlafmittel) dt. zukunft v. 22. 4. 1934, s. 18. — schlieszlich suchtkraut, n., als volkstümlicher name für mehrere pflanzen. 1) galega officinalis (meist geisz- oder pockenraute genannt), vgl. Chomel öconom.-physical. lex. 4 (1751) 794; Nemnich wbb. d. naturgesch. 584; Schkuhr botan. hdb. 2 (1808) 386; Holl wb. dt. pflanzennamen (1833) 122; Pritzel-Jessen² (1882) 157; 2) sideritis, stachys (sonst ziest oder gliedkraut), vgl. Chomel a. a. o. 1157; bes. stachys arvensis (ackerandorn), vgl. Adelung gramm.-krit. wb.² 4, 496 und sonst; 3) hieracium (habichtskraut), pilosella, vgl. Holl a. a. o. 142; Arends volkstüml. namen d. arzneimittel¹¹ (1930) 258.
B.
mit suchten-. aus älterer zeit suchtensiech (s. suchtsiechtum unter A und süchtesiech, adj.: der sinnebote muz ouch sweren also daz der man so suchte sich si daz he daz dinc noch kein dinc gesuchen muge [um 1400] urkdb. v. Freiberg i. S. 3, 30), heute noch nd. dialektwort, 'von krankheit befallen' (im gegensatz zu 'verwundet' oder 'verletzt'), 'bettlägerig', vgl. Schiller-Lübben 4, 459 s. v. suchtensêk; vers. e. brem.-ndsächs. wb. 4 (1770) 1087 und 6 (1869) 352 s. v. suchtenseek; Campe 4, 745 nimmt suchtensiech mit der kennzeichnung 'nd.' und der bedeutung 'auf eine langwierige art krank, bettlägerig' auf.in volksmäsziger sprache ferner suchtenpulver, n., rhizoma curcumae pulverisatae (gestoszene gelbwurz, ingwer) Arends volkstüml. namen d. arzneimittel¹¹ 258. — gelehrtenbildungen (der compositionsform nach) sind wohl suchtenprobe, f., und suchtenbrechen, subst. inf., s. oben ¹sucht I A 3 b und die dort angegebene volkskundliche literatur. ähnlich suchtentopf, m., schüssel, die in Mecklenburg beim suchtenbrechen verwendung findet; sie ist mit wasser gefüllt, in das neun holzstäbchen geworfen werden, an denen dann die magische handlung vor sich geht, vgl. O. Glöde in: am urquell 3, 237.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 6 (1936), Bd. X,IV (1942), Sp. 858, Z. 64.

2sucht, f.

²sucht, f.,
'suche', zum vb. suchen, ein willkürlicher ansatz von R. Wagner, vielleicht durch grenzfälle des gebrauchs von ¹sucht wie die verse Brentanos (s. dort II B 2 a γ) mitveranlaszt:
herr, Gawan weilte nicht.
da seines krautes kraft,
wie schwer ers auch errungen,
doch seine hoffnung trog,
hat er auf neue sucht sich fortgeschwungen
R. Wagner 10, 327 Golther
(d. h. er hat sich aufgemacht, um neue kräuter zu suchen); in der gegenwart 13, 40ᵃ wird diese stelle glossiert.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 6 (1936), Bd. X,IV (1942), Sp. 895, Z. 47.

3sucht, f.

³sucht, f.,
zum vb. saugen (vgl. sog 2 e, teil 10, 1, 1405), bei der ostpreuszischen küstenbevölkerung gebräuchlich, um den an manchen stellen des Ostseestrandes bes. starken (und selbst gefährlichen) rückstrom der brandung, bedingt durch plötzlichen absturz des meergrunds, oder aber das gleichfalls stellenweise sehr tückische, durch die heftige strömung bewirkte gleiten des seesandes zu kennzeichnen: die see hat heute grosze sucht (sie saugt, zieht) Frischbier preusz. wb. 2, 387ᵃ; vgl. ferner O. Schlicht westl. Samland 1 (1922) 383; 409 und dess. kurische nehrung (1924) 58; ebenso: Pillau einst und jetzt (festschrift 1925) 68; auch Kluge et. wb.¹¹ 605.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 6 (1936), Bd. X,IV (1942), Sp. 895, Z. 59.

4sucht, m.

⁴sucht, m.,
dialektisch (nd. und mfr.) für mhd. sûft, nhd. seufzer, s. d.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 6 (1936), Bd. X,IV (1942), Sp. 895, Z. 71.

1suchten, süchten, vb.

¹suchten, süchten, vb.,
denominativum zu ¹sucht. 1) suchten krank sein (vgl. ¹sucht I), allg.: suͦchten ist krancken, süchtig sein Joh. Agricola 750 sprichw. (1534) nr. 532; suchten languere Kilian (1605) 540; languere, aegrotare Wachter (1737) 1644; der älteste beleg ist das compositum ritesuchten febricitare, 'fieberkrank sein': und dô Jhêsus quam in Pêtri hûs, dô sach her sîne swiger ligende und ritesuchtinde Matth. Beheim evangelienbuch (1343) Matth. 8, 14 Bechstein. mundartlich begegnet suchten im bairischen, in der bedeutung 'siechen': ə ̃ suchtə ̃ds lebm 'dauerndes siechtum' Schmeller-Fr. 2, 220; ähnlich im schwäbischen, 'an einer chronischen krankheit leiden' Fischer 5, 1947; häufiger heiszt es dort aber (entsprechend dem schwäbischen sondersinn von ¹sucht, vgl. I B 4 c) 'kränkeln, unwohl sein'; so schon im 16. jh.: die alten nenneten solche suchten fieber, da eins on entzündung, geschwere, wildes fewers, schmertzens und (kurtz zusagen) on einige fürneme kranckheit eins sonderlichen glides doch suchtete Wirsung artzneybuch bei Fischer a. a. o.; und so dialektisch auch heute noch, vgl. Fischer a. a. o. 2) suchten mundartlich auch von wunden: 'schwären, eitern' Hertel Thüringer sprachsch. 240 (Südharz); 'helle feuchtigkeit absondern' Damköhler Nordharzer wb. 190. 3) ob suchten in dem geistigen sinne von ¹sucht III jemals sprachüblich gewesen ist, bleibt zweifelhaft; Campe 4, 745 verzeichnet recht undeutlich und ohne belege: suchten eine sucht haben, sucht empfinden (Th. Heinsius und Joh. Hübner schreiben es ebenso nach); dagegen kommt süchten als substantivierter inf. in verbindung mit sehnen in der bedeutung 'drängendes verlangen' zweimal bei einem Schweizer autor des frühen 18. jh. vor: der hl. geist löschet das ungeduldige süchten und sehnen der seelen J. J. Ulrich (1718) bei Staub-Tobler 7, 289 (dort wird der doppelausdruck wohl mit recht als eine art auflösung von sehnsucht gedeutet). 4) ganz vereinzelt begegnet einmal transitives süchten 'krank machen', und zwar auf geistiges übertragen (vgl. ¹sucht II), 'mit sünde beflecken': und weil es denn die göttliche fürsichtigkeit hatte zuvorhin erkandt, dasz der teufel den menschen süchten würde und in frembde lust einführen J. Böhme (1620) 2, 103.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 6 (1936), Bd. X,IV (1942), Sp. 896, Z. 29.

2suchten, süchten, vb.

²suchten, süchten, vb.,
nd. und mfr. dialektwort für mhd. sûften, siuften, nhd. seufzen, s. d. und ⁴sucht; die älteren wbb. werfen es z. t. mit ¹suchten zusammen.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 6 (1936), Bd. X,IV (1942), Sp. 896, Z. 69.

1suchten, süchten, vb.

¹suchten, süchten, vb.,
denominativum zu ¹sucht. 1) suchten krank sein (vgl. ¹sucht I), allg.: suͦchten ist krancken, süchtig sein Joh. Agricola 750 sprichw. (1534) nr. 532; suchten languere Kilian (1605) 540; languere, aegrotare Wachter (1737) 1644; der älteste beleg ist das compositum ritesuchten febricitare, 'fieberkrank sein': und dô Jhêsus quam in Pêtri hûs, dô sach her sîne swiger ligende und ritesuchtinde Matth. Beheim evangelienbuch (1343) Matth. 8, 14 Bechstein. mundartlich begegnet suchten im bairischen, in der bedeutung 'siechen': ə ̃ suchtə ̃ds lebm 'dauerndes siechtum' Schmeller-Fr. 2, 220; ähnlich im schwäbischen, 'an einer chronischen krankheit leiden' Fischer 5, 1947; häufiger heiszt es dort aber (entsprechend dem schwäbischen sondersinn von ¹sucht, vgl. I B 4 c) 'kränkeln, unwohl sein'; so schon im 16. jh.: die alten nenneten solche suchten fieber, da eins on entzündung, geschwere, wildes fewers, schmertzens und (kurtz zusagen) on einige fürneme kranckheit eins sonderlichen glides doch suchtete Wirsung artzneybuch bei Fischer a. a. o.; und so dialektisch auch heute noch, vgl. Fischer a. a. o. 2) suchten mundartlich auch von wunden: 'schwären, eitern' Hertel Thüringer sprachsch. 240 (Südharz); 'helle feuchtigkeit absondern' Damköhler Nordharzer wb. 190. 3) ob suchten in dem geistigen sinne von ¹sucht III jemals sprachüblich gewesen ist, bleibt zweifelhaft; Campe 4, 745 verzeichnet recht undeutlich und ohne belege: suchten eine sucht haben, sucht empfinden (Th. Heinsius und Joh. Hübner schreiben es ebenso nach); dagegen kommt süchten als substantivierter inf. in verbindung mit sehnen in der bedeutung 'drängendes verlangen' zweimal bei einem Schweizer autor des frühen 18. jh. vor: der hl. geist löschet das ungeduldige süchten und sehnen der seelen J. J. Ulrich (1718) bei Staub-Tobler 7, 289 (dort wird der doppelausdruck wohl mit recht als eine art auflösung von sehnsucht gedeutet). 4) ganz vereinzelt begegnet einmal transitives süchten 'krank machen', und zwar auf geistiges übertragen (vgl. ¹sucht II), 'mit sünde beflecken': und weil es denn die göttliche fürsichtigkeit hatte zuvorhin erkandt, dasz der teufel den menschen süchten würde und in frembde lust einführen J. Böhme (1620) 2, 103.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 6 (1936), Bd. X,IV (1942), Sp. 896, Z. 29.

2suchten, süchten, vb.

²suchten, süchten, vb.,
nd. und mfr. dialektwort für mhd. sûften, siuften, nhd. seufzen, s. d. und ⁴sucht; die älteren wbb. werfen es z. t. mit ¹suchten zusammen.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 6 (1936), Bd. X,IV (1942), Sp. 896, Z. 69.

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Zitationshilfe
„sucht“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/sucht>.

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