Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

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ragen, m.

ragen, m.
der samen oder die eier der fische. Gottsched deutsche sprachkunst (1762) s. 135. s. rogen.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 1 (1886), Bd. VIII (1893), Sp. 59, Z. 59.

ragen, verb.

ragen, verb.
rigere, eminere, prominere.
1)
dem mhd. starken verbum regen, prät. rac, emporstarren, steif gestreckt sein (vergl. dazu unser bewirkungswort regen) zur seite steht mhd. schwaches ragen als durativ in gleicher bedeutung. ein entsprechendes ahd. hragên ist sicher nicht nachzuweisen, ob es in der glosse confragosa, pihrogêt, pirakêt edo scimbalac, pihragêt (Steinmeyer - Sievers 1, 62, 23) enthalten sei, wie Weigand annimmt, ist nicht zweifellos, aber die angesetzte ahd. form wird sonst gestützt durch ags. ofer-hragan, supereminere Grein 2, 316, und damit der alte anlaut hr des verbums und seiner verwandten, welchem gegenüber zusammenstellungen mit lat. rigere, rigidus, rigor sich nicht halten lassen. der wurzelauslaut tritt in den drei stufen der gutturalis hervor, vgl. räch sp. 13, rack sp. 33, rag oben, rahe und rähe sp. 62; für ragen steht racken, sp. 34. die alte bedeutung des starrseins hat sich in der nhd. schriftsprache überall zu gunsten des bloszen hervorstehens oder übertreffens verloren; in den oberdeutschen mundarten lebt sie noch.
2)
ragen, starr, steif sein, im mhd. namentlich hervor- oder emporstarren:
eʒ hete der gebûre
ein ragendeʒ hâr ruoʒvar.
Iwein 433;
(ein pferd) mit ragenden ôren niht lanc,
daʒ eine swarz, daʒ ander blanc.
Erec 7345;
der hêrre tobelîchen   von dem brunnen spranc:
im ragete von den herten   ein gêrstange lanc.
Nib. 924, 2;
auch später noch von körpertheilen und theilen der kleidung:
davon (von einem bade) wirt im gewaicht der pulst,
das in nit irrt die nachtgeschwulst,
und auch des ainliften fingers ragen,
das sie nit darf daruber klagen.
fastn. sp. 244, 2;
wir setzten auf den pfahenhuͦt,
die federn liesz wir für sich ragen.
Soltau volksl. 240 (16. jahrh.);
von einer leiche: ligt ganz unbeweglich und raget als ob sie tod sei. J. Rüff hebammenb. 189;
ich wolt dich stosn, das dw dest (thätst) ragen.
H. Sachs fastn. sp. 6, 51, 292;
von gegenständen: ragen, herb sein, rigere, als so nassz plunder (wäsche) gefreurt, ragend, rigens Maaler 325ᵃ; in der formel geraget sein, erstarrt sein: wenn die seel von dem leib gat, so ist der leib kalt und geraget. Keisersberg brösaml. 2, 33ᵃ; sie legt jhm (der sich todt stellt) die hend auf das herz, aber sie fielen jm wieder herab, als ob sie geraget weren. Pauli schimpf 61ᵃ; irer bein und hend gleich (glieder) sind unbyglich geraget, als werent sye erstarret. Gersdorf feldb. der wundarzn. 87; noch in Baiern ragen, gerade, gestreckt, starr sein, rigere Schm. 2, 69 Fromm.; schweiz. geraget oder geraglet foll, sehr voll, namentlich von einem baum voll früchte. Hunziker 111.
3)
veränderte bedeutung des wortes dadurch dasz der begriff des über- oder vorstehens überwiegt, und der alte begriff des starren zu dem blosz des kräftigeren, stattlicheren, oder auch nur des gröszeren, gemildert ist. die wörterbücher des 17. jahrh. zeigen neben dem neueren auch noch den älteren sinn: ragen, rigere, steif oben ausstehen. Schottel 1381; ragen, eminere, exserere, attolli, it. rigere, indurari. Stieler 1506; es ist im 17. und noch in der ersten hälfte des 18. jahrh. verhältnismäszig wenig gebraucht, so dasz Frisch 2, 82ᶜ das simplex als veraltet aufführt, Adelung nur noch das vorkommen von herausragen und hervorragen hervorhebt, erst später und zufrühest bei den dichtern des hainbundes erscheint es wieder in verschiedenen fügungen vielgebraucht und als edles und dichterisches wort.
a)
einfaches ragen mit angabe des ortes oder ohne solche, von gegenständen, gräbern, bauten: das alte haus auf dem steine ragte düster unter dem dämmernden grau des himmels. Freytag handschr. 1, 235;
sein grab ragt an der kirchhofmaur.
Hölty 18 Halm;
es ragt ein prächtiger pallast,
erbauet aus türkisen,
mit gold und perlen eingefaszt,
auf angenehmen wiesen.
24;
und sein grünendes grab ragt hart am grabe des mädchens.
43;
graue leichensteine ragen einzeln.
50;
jetzt langt er bei der stirn des rauhen Atlas an,
und sieht im fluge schon die schweren schultern ragen,
die hoch und steil den himmel tragen.
Schiller Dido v. 46;
gegründet hab ich eine weit berühmte stadt,
und meine mauern sah ich ragen.
v. 119;
dort, wo die grauen nebelberge ragen,
fängt meines reiches grenze an.
M. Stuart 3, 1;
uns ragen in dem land zwei feste schlösser,
die geben schirm dem feind.
Tell 2, 2;
von personen:
nicht geistvoll vor der menge
seid ihr, noch tugendhaft:
nicht raget ihr durch länge,
gewandheit oder kraft.
Voss 5, 236;
ich zitterte, ich selbst,
vor dem erhabnen schreckbild dieser tugend.
ein höhres wesen ragt sie neben mir,
in ihrem glanz erlösch ich.
Schiller don Carlos 2, 9;
vom herzen und seiner 'gehobenheit':
dem herzen, das in trunkenheit
der lieder schwillt und ragt,
dasz keine nüchterne trunkenheit
sich gleich zu heben wagt.
Göthe 5, 212.
b)
sehr gern im part. ragend:
doch seh ich ragend unter diesen
Hans Raufbold, den behenden riesen.
41, 275;
oft seh ich ihr (der jungfrau) aus tiefem thal mit stillem
erstaunen zu, wenn sie auf hoher trift
in mitte ihrer heerde ragend steht,
mit edlem leibe.
Schiller jungfrau von Orl., prol., 1. auftr.;
und das gold der sinkenden sonn umbebte die ähren,
und die ragenden garben.
Hölty 40;
jahrhunderte sammeln
auf ragenden alpen
starrenden schnee.
Stolberg 2, 84;
aber der fürsten   einsame häupter
glänzen erhellt,
und Aurora berührt sie
mit den ewigen strahlen
als die ragenden gipfel der welt.
Schiller braut von Messina v. 293;
hoch von dem ragenden mast wehet der festliche kranz.
spaziergang v. 114;
auch Korinthos am meer und Dios' ragende bergstadt.
Ilias 2, 538;
aber nachdem wir zerstört des Priamos ragende veste.
Odyss. 3, 130;
da er viele der Troer mit ragendem erze getödtet.
4, 257;
sieht er zornig den leib sie wenden
und zum ragenden söller fliehn.
Arndt ged. 222;
er sasz auf dem ragenden fels in der höhle.
Pyrker Tunis. 1, 406.
c)
ragen mit bestimmung des zieles oder des verhältnisses durch präpositionen oder adverbien, älter im gebrauche als einfaches ragen, vergl. aufragen, durchragen, emporragen, entragen, herragen, heraus-, hervor-, hinausragen u. ähnl., überragen, vorragen; fürausz ragen, minari, propendere aliquando. Dasyp.; in eigentlichem sinne: Esra .. raget uber alles volk. Neh. 8, 5; er raget vier finger breit über den andern her, quatuor digitos alterum eminet. Stieler 1506; er raget vor allen weit in die höhe, populum supereminet omnem. ebenda; die zähne ragen für, prominent dentes. Steinbach 2, 214; der baum ragte ein wenig über das wasser, arbor supereminebat paulum extra aquam. ebenda; zum himmel ragende thürme. Klinger 10, 55; undeutlich ragten die formen durcheinander, stuhlbeine, holzplatten mit eingelegter arbeit, eine rundung von altem eisen. Freytag handschr. 3, 129;
wenn schon die fües auch heraus ragen (aus dem leilach),
mein nachtpewrin, es ligt nichs tron (dran).
H. Sachs fastn. sp. 5, 119, 212;
komm in Sicilien, da raget Etna für.
Opitz 1, 40;
so viel ein harter felsz, der aus dem meere ragt
mit scheuszlicher gestalt, nach wind und wellen fragt.
51;
die berge mengten sich der luft mit ihren spitzen,
und ragten stolz herfür.
3, 173;
(der leib) soll führen solches liecht, als ausz dem himmel ragt
der schöne morgenbot, und ähre-stern der magd.
psalmen s. 317;
holunderbüsche ragen,
um ihre gruft, empor.
Hölty 13 Halm;
zwei zinken ragen ins blaue der luft.
Schiller berglied;
und Minerva, hoch vor allen
ragend mit gewichtgem speer.
das eleus. fest;
den fels des drachen sah er steilrecht ragen.
Freiligrath dicht. 2, 142;
in übertragener bedeutung bezüglich eigenschaften der menschen: er raget mit geschicklichkeit über alle, unus eminet omnes ingenio. Stieler 1506; an schönheit hervorragen, pulchritudine praecellere. ebenda; die tugend raget über alles, virtus omnibus rebus anteit. ebenda; hierinnen raget er über dich, antecellit tibi hac re. ebenda;
Zeus und ihr anderen götter, o laszt doch dieses mein knäblein
werden hinfort wie ich selbst, vorstrebend im volke der Troer, ..
und man sage dereinst: der ragt noch weit vor dem vater!
Ilias 6, 479;
wie vergäsze doch ich des göttergleichen Odysseus,
der vor den sterblichen raget an geist?
Odyss. 1, 66;
denn sie ragten hervor an tapferkeit unter den freiern.
22, 244.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 1 (1886), Bd. VIII (1893), Sp. 59, Z. 61.

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Zitationshilfe
„ragen“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/ragen>.

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