Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

Es wurden mehrere Einträge zu Ihrer Abfrage gefunden:

urein

urein,
substantiviert der, das ureine. von gott, dem ewig seienden, einen (vgl. ein B 2): (der sprosser oder die nachtigall) redet in lied und melodei 'gelobt sei gott, der allmächtige, ureine, einzige' Dieterici streit zwischen mensch u. thier (1858) 68; das verhältnis zwischen dem ureinen, nus, logos, dem vater und dem mittler wird auf das substantielle hin betrachtet Spengler untergang des abendlandes 2, 314. philosophisch das wahrhaft seiende, ewig eine: um so mehr fühle ich mich zu der metaphysischen annahme gedrängt, dasz das wahrhaft-seiende und ur-eine, als das ewig leidende und widerspruchsvolle, zugleich die entzückende vision, den lustvollen schein, zu seiner steten erlösung braucht Nietzsche 1, 34. —
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 16 (1935), Bd. XI,III (1936), Sp. 2401, Z. 10.

urin, m.

urin, m.,

eingebettete Stichwörter in diesem Artikel

aus lat. urina entlehnt. nachdem die medicinschule von Salerno die harnuntersuchung ausgebildet, ging das lat. wort aus der spr. der ärzte, z. th. über afrz. urine, in die europäischen cultursprachen über. engl. ist urine seit dem anfang des 14. jhs. bezeugt, nicht viel später mnl. orine, urine, im 15. jh. mnd. urine. das mhd. kennt urinâl, kein urîne; nhd. erscheint u. im 16. jh. dän. schwed. urin. zur verwandtschaft und ableitung Falk-Torp 1336; 1572. u. hat vielfach die volksmäszigen alten bezeichnungen (z. b. oberd. seich, geseich, brunne, brunz, brünzel, oberd. und md. seiche, die bach, bächlein, wasser, nd. pisse, mige, pinkel) ersetzt und steht bes. mit dem gemeinsprachlichen harn in wettbewerb (vgl. 4). das geschlecht ist auch bei uns ursprünglich f. (so noch Jod. Hockerus im theatrum diab. 99ᵇ; S. Suevus geistl. wallfarth [1573] 78ᵃ; Schävius in Fel. Würtz wundarznei [1612] 17; Orsäus nomenclator [1623] 221), der geschlechtswechsel ist durch das syn. harn bewirkt. eine bair. form lurin (Mauszer registerb. zu Schmellers mundarten Bayerns 287) erwähnt Höfler krankheitsnamenb. 764ᵃ; sonst fehlt u. den mundarten in der regel (Fischer schwäb. wb. 6, 297). ein plur. bezeichnet urinarten (vgl. lat. urinae): harnstoffgehalt verschiedener urine Sömmerring bau d. menschl. körpers 5, 352, oder verschiedene quantitäten Adelung. betonung der 2. silbe ist die regel; úringlas (s. d.) betont einmal im verse Chr. Reuter.
1)
urin, harne, brunnen, pruntzwasser, der saich S. Roth q 8ᵇ; urina, die urin, harn Orsäus nomenclator meth. (1623) 221. mhd. harmbrunne, -wazzer. vgl. kammerlauge. das syn. harn ist volksmäsziger und überwiegt in zusammensetzungen, während u. im allgemeinen als gegenstand ärztlicher oder chemischer untersuchung häufiger ist: ist solches nicht anders zu verstehen, dann wie ein menschlich urin ausz dem wasser, luft, erden und fewr wirdt Paracelsus (1616) 2, 1 c H.; undt lieszest den munch wasser oder seinen eigenen urin saufen, wen ehr an Christum nicht gleubet Luther 33, 101 W.; so haben auch die medici ihre signa ausz der urin oder disposition der menschen Jod. Hockerus der teufel selbs theatr. diab. (1569) 1, 66ᵃ; P. Albinus meisznische bergchron. (1590) 145; eselkönig 46; unser u. war unser getränke Ad. Olearius oriental. reise 150; Hohberg georg. 3 (1715), 110ᵃ; Chr. Thomasius gedanken u. erinn. 1, 38; die 15. tafel zeiget die aus einem tropfen menschlichen urins ... angeschossenen salzcristallen Gottsched d. neueste 9, 473; literaturbriefe 11 (1761), 10; Thümmel reise 5, 97; so bildet der u. die nieren, die galle die leber Göthe II 13, 51 W.; Immermann 2, 43 B.; Hegel I 7, 627; ... dasz die gedanken etwa in demselben verhältnisse zum gehirn stehen, wie die galle zu der leber oder der u. zu den nieren du Bois-Reymond grenzen des naturerkennens (1873) 36. die dichtung verschmäht u. nicht:
pflag doch Vespasian zoll vom urin zu nehmen
Triller poet. betrachtungen 4, 637;
Birch-Pfeiffer söffe terpentin,
wie einst die römischen damen
(man sagt, dasz sie dadurch den urin
besonders wohlriechend bekamen)
H. Heine 2, 453 E.;
benutzt wird alles, was nur gott verlichn,
der ganze mensch, sein koth und sein urin
Hoffmann v. Fallersleben ges. schr. 4, 216.
blutiger, dicker, dünner, flockiger, heller, klarer, wässeriger u. s. w. u. Höfler 764ᵃ. verbale verbindungen: den urin reddirn (urinam reddere) Kirchhof wendunmuth 2, 155 Ö., abführen H. Schävius anatom. abrisz in Fel. Würtz wundarznei (1612) 17, lassen Orsäus nomenclator 297, nicht lassen können Grimmelshausen Springinsfeld 2, 27 Keller; menschen, die aus weichheit wohltuhn, immer wohltun, sind nicht besser als leute, die ihren u. nicht halten können Göthe 39, 18 W.; u. abschlagen (abschlagung) rockenphilos. (1708) 1, 169, durchs feuer probiren Thurneyszer m. alchymia vorr. 5, brennen Hufeland makrobiotik 2, 301, verhalten (verhaltung) Zimmermann einsamkeit 2, 227 (ischurie Kinderling 183); der u. war ihm unterdrückt H. Laube 5, 138; den u. treiben Neumark palmbaum (1668) 62, beschauen, besehen S. Suevus geistl. wallfarth (1573) j 8ᵃ; Jac. Grimm Reinhart fuchs cxxxii; Lichtenberg nachlasz 103; untersuchen; abzapfen; der u. geht ab, von statten Bremser 268, wird abgesondert, entleert u. s. w.
2)
die verwendung des urins in der heilkunde, im gewerbe, in der metallbereitung, der landwirtschaft, im aberglauben, in der sitte ist fast ganz verschwunden. Krünitz 202, 157: sintemal man weisz, dasz der u., die immenstich damit gewaschen, beydes schmertzen und geschwulst augenblicklich hinwegnimmt Grimmelshausen vogelnest 2, 488 Keller; wenn sonst ein pferd auf der reise mit dem sattel wund gedruckt wird, so wasche es auf den abend fein rein mit u. Walther pferde- u. viehzucht (1658) 55; 70; viehbüchlein 43; er (d. feldscher) musz die wunden mit wein oder brunnenwasser ... oder mit des patienten u., welches fast am besten, auswaschen v. Fleming soldat (1726) 322; den Cantabrern und Celten war die gewohnheit gemein, dasz männer und frauen sich mit u. wuschen W. v. Humboldt ges. schr. 4, 192. in der tuchmacherei, bei walkern, gerbern, färberei s. urinbad, -fasz, -gefäsz, -küpe und Krünitz a. a. o. stickstoff des urins Stöckhardt chem. feldpredigten f. d. landw. 1, 32. die feuwerwerk und feuwerkuglen, so mit u., brentwein, essig oder andern scharpfen wassern ... angemacht, zerspringen Fronsperger kriegsb. 2, 133ᵇ; die kissigen ertz ... in u. ... abgelöscht Ercker beschr. aller miner. ertzt (1580) 51ᵇ. besprenge das abgeschnittene haar und nagel mit dem u. Treuer Dädalus 1, 564; gegen verhexung nimb metterkraut, koche es in u. und wasche die kühe ... damit M. Böhme vieharznei (1682) 8; dennoch giebt es einfältige tropfe, die glauben, dasz, wenn die leichten ducaten in u. geweicht ... wurden, so würden sie ihr gewichte wiederbekommen J. G. Schmidt rockenphilos. (1718) 2, 192; wenn ein erbdieb, dessen mutter, als sie mit ihm schwanger war, gestohlen oder diebsgelüsten gehabt, an dem galgen hängend u. niederfallen läszt, so wächst daraus das galgenmännlein Brentano 6, 431 (vgl. galgenmännlein); nach dem uralten aberglauben konnten hexen schlimme wetter machen, wenn sie einen topf mit u. ans feuer setzten Körte sprichw. 489. kot, stercus (wie im mnl. Reinaert II 7345), minderwerthiges:
ja sah ich manchen kerl aus stinkendem urin
durch list und schwätzerey den reichsten vortheil ziehn
J. Chr. Günther (1735) 485.
3)
bes. in zusammensetzungen tritt die concurrenz mit harn scharf hervor. die n. spr. bevorzugt in vielen fällen, z. th. schon der kürze wegen, harn (z. b. in harnblase, -gries, -krank, -krankheit, -leiden, -leiter, -röhre, -ruhr, -ruthe, -säure, ebenso in pflanzennamen z. b. harnkraut); Krünitz 200, 157 ff. verzeichnet noch z. b. die heute ungewöhnlichen urinröhre, -ruhr, -säure, und in den hier ausgewählten zss. sind einige heute weniger üblich, z. b. uringang.
urinabgang
Hufeland makrobiotik 2, 301,
urinabsonderung
Sömmerring bau d. m. körpers 8, 1, 9,
urinart
Stöckhardt chem. feldpred. 1, 79,
urinarzt
curieuser u. vernünftiger u. (1728), zu unterscheiden vom heutigen facharzt für harnleiden, sonst als urindoktor, -prophet verspottet (Göthe gebraucht harnprophet),
urinbad
('zum wollwaschen, dasjenige warme bad, halb von u., halb aus wasser, mit etwas salz und potasche versetzt, in welchem die spanische wolle gewaschen und von ihrem fettigen schweisz und schmutz gereiniget wird') Jacobsson 4, 495ᵃ,
urinbecken
Schwan (1783) 2, 873ᵃ (vgl. Diefenbach gl. 342ᶜ madula, harnfasz, -geschirr, -kachel, nachtgeschirr, -topf, seichkachel, brunzkachel mit vielen vulgären varianten),
urinbeschauer
(es kömmet mir dieses herrliche judicium und examen von der milch ebenso für, als wenn die herrn urinbeschauers aus dem urine ... diese oder jene krankheiten zu erkennen vermeinen J. A. a Gehema säugamme [1698] b 3ᵃ; teufelsbanner und alchymisten, propheten, sterndeuter, zauberer, jongleurs und schwärmer, urinbeschauer und wunderthäter jeder art Zimmermann einsamkeit 2, 64; 3, 41; Brentano 5, 368; F. H. v. d. Hagen briefe in d. heimat 1, 127; Pansner schimpfwb. 74ᵇ; vgl. urinarzt),
urinbeschauerei
Zimmermann einsamkeit 4, 395 (uroscopia Hönn betrugslex.² 10),
urinbesehen
medic. maulaffe 228,
urinbestandtheil
Sömmerring bau d. menschl. körpers 8, 1, 318,
urinblase
Adelung ('in schriften die harnbl.'), Schwan, Voigtel, Campe; Lichtenberg verm. schr. 7, 372; Sömmerring bau d. menschl. körpers 5, 327 u. o.; Schopenhauer 2, 387 Gr.,
urinblume
statice armeria L. Adelung, Campe; Nemnich wb. d. naturgesch. 611; vgl.harn-, seichblume;
urindeutung
(uroscopie) Bernhardt waldeigentum 1, 206,
urindoktor
(nd. piszdokter; vgl. urinarzt) Schwan (1783) 2, 873ᵃ; Klenz scheltenwb. 8,
urinfarbstoff urinfarbestoff
Sömmerring bau d. menschl. körpers 8, 1, 317,
urinfasz
Abelius leibmedicus (1770) 179; die urinfässer der walcker Becker weltgesch. (1801 ff.) 3, 446,
urinfeucht adj.
Hegel I 10, 276,
urinfistel
Krünitz 202, 165; Brockhaus 8¹⁵, 189ᵃ,
urinfläschchen
Rosegger Alpensommer 242; vgl. uringlas, urinal,
urinflusz
enuresis, diabetes Krünitz 202, 165; Höfler 163ᵇ,
uringang
(ureter) medicin. maulaffe 38; Abelius leibmedicus 296,
uringefäsz
(= -fasz) Cranz hist. v. Grönland 1, 218; Ratzel völkerk. 2, 753. (= -gang) Hegel I 7, 627,
uringeist
Adelung, Campe, Krünitz.
uringlas n.,
'u., urinal, ein glas, worein die kranken ihren urin fangen, um ihn von dem arzt besichtigen zu lassen' Jacobsson 4, 495ᵃ; Krünitz 202, 165. vgl.harm-, harnglas: es erschienen im alle planeten im uringlase polit. maulaffe 321; rockenphilos. (1706) 1, 7; medicin. maulaffe 270; er konnte aus dem uringlase besser wahrsagen, als ein zigeuner aus der hand Rabener 2, 49;
kamen manche doch mit säbeln auf der brücke hergerannt,
manche liefen auch und trugen ein uringlas in der hand
Triller poet. betrachtungen 3, 25;
Gerstenberg schlesw. literaturbr. 149 lit. denkm.; Schubart br. 1, 78 Str.; ihr werdets wissen, ... dasz nächsten tags ein doctor sich in seinem eignen uringlas ersäufen soll maler Müller 1, 310. übertragen: drumb wolten ihnen die evangelischen das u. heufig schicken P. Gädiccus purgatorium (1603) 20; im lied des harlequin:
mein süszer bienenkorb, mein klares uringlasz,
verzeihe, dasz ich dich anrenn auf dieser strasz
Chr. Reuter harlequins hochzeitschm. 2, 47 ndr.
urinkraut
= harnkraut d Holl wb. d. d. pflanzennamen 55ᵇ; Krünitz 202, 166 verzeichnet den namen noch für reseda, ononis arvensis und linaria vulgaris. vgl. urinblume. nl. orijnkruid. —
urinküpe f.,
'so heiszt nach dem betr. gefäsz die methode, den indigo durch faulenden urin zu reduziren und zu lösen' Mothes baulex. (1882) 4, 397; Liebig hdb. d. chemie 1151; Prechtl 2, 202. —
urinmenge
Stöckhardt chem. feldpred. 1, 81,
urinphosphor
Jean Paul 15/18, 154 H.,
urinpille
allg. haush.-lex. 3, 52,
urinprophet m.,
= harnprophet, vgl. urinarzt, -beschauer, -doktor. als schelte Klenz 8: der u. S. zog von allen enden von Europa leichtgläubige menschen zusammen Nicolai reise 7, 109 anh. oft übertragen bei Jean Paul: wie glücklich sind nicht die magnetischen schläferinnen, die ... zu solchen urinpropheten modellirt werden! 4, 294 H.; ihr urinpropheten des himmels! herbstblumine 3, 198; leider sind freilich von postknechten keine urinpropheten zu erwarten 31, 31 H.; der kritischen sätze (um in den sprachen der urinpropheten und der kantianer zugleich zu reden) waren zu viele 45/47, 139 H.
urinröhre f.,
urethra Abelius leibmedicus 390; Krünitz 202, 170, der aber im text immer harnröhre gebraucht,
urinsalz
Valentinus chim. schr. (1677) 1, 419; Adelung; das flüchtige u. sal urinae volatile Krünitz 202, 173,
urinsatz
sedimentum ebda; urinbodensatz Sachs-Villatte,
urinschneiden
Höfler 591ᵃ,
urinschneller
Krünitz 202, 174,
urinsperrer
Campe,
urinstein
Campe, Krünitz 174 ff. (im text aber harnstein),
urinstoff
178,
urinstrahl
Lichtenberg verm. schr. 9, 292,
urintreibd
(diuretica) urintreibende mittel Schwan 2, 873ᵃ; die beeren haben eine starke urintreibende kraft Zschokke 11, 280,
urinverhaltung
Krünitz 202, 179,
urinverkauf
polit. maulaffe 323,
urinwege
Brentano 6, 448; Sömmerring bau d. menschl. körpers 8, 1, 319,
urinwerkzeuge
Naumann vögel 1, 46,
urinwölkchen
Campe für enäorema verd. wb. (1813) 286ᵃ,
urinzwang
diabetes Kinderling (1795) 165 u. s. w. anderseits kinder-, thier-, vogel-, schlangenurin, zuckerurin u. s. f.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 16 (1935), Bd. XI,III (1936), Sp. 2446, Z. 28.

Im ¹DWB stöbern

a b c d e f g h i
j k l m n o p q r
s t u v w x y z -
urgetriebe ururenkel
Zitationshilfe
„urin“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/urin>.

Weitere Informationen …


Weitere Informationen zum Deutschen Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)