Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

vortel, vortl, m. und n.

vortel, vortl, m. und n.;

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diese aus vorteil verkürzte form steht in der älteren nhd. schriftsprache gleichberechtigt neben vorteil in mindestens gleicher häufigkeit (vgl.nachtel, nachtl teil 7, sp. 185); es findet sich auch vurtel, vordel, vurdel, vgl. Lexer 3, 482; der plur. zeigt bisweilen umlaut; vortel, privilegium, privilegiale vortel, fortel Diefenbach gloss. 460ᵇ; praerogativa vortel Frisius dict. (1556) 1044ᵃ; vortel pro vorteil, emolumentum, commodum, utile, lucrum Stieler 2274; vortel neben vortheil hat Dentzler clavis ling. lat. (1716) 338ᵇ; vordel (das, pro vortheil), commodum Steinbach 2, 906; vortheil, der ('nicht vortel') Braun dt. orthogr. gramm. wb. (1793) 293ᵇ; 'im gemeinen leben spricht man häufig vorthel' Campe.in den mundarten sind die verkürzten formen allgemein verbreitet, in mannigfaltigen umwandlungen, auch hier ist der umgelautete plur. zu beachten, vgl. z. b. Schmeller-Fr. 1, 599; Schöpf tirol. idiot. 735; 792; Hügel Wien 183ᵇ; Unger-Khull steir. wortschatz 246ᵇ; Lexer kärnt. wb. 56; Fischer schwäb. wb. 2, 1682; Martin-Lienhart 2, 675ᵇ; Seiler Basel 120ᵇ; Hunziker Aargau 93; Sartorius Würzb. 131; Spiesz henneb. idiot. 273; Kleemann nordthür. idiot. 25ᵃ; Albrecht Leipzig 232; Müller- Fraureuth 2, 629ᵇ. nd. vördeel wird gleichfalls verkürzt und entstellt Mensing schlesw.-holst. wb. 5, 469. — auch in der schriftsprache erscheint das wort gelegentlich alsn.:
dieses vortel kan ich leiden,
wil auch keinen drüber neiden
Logau sinnged. 144 E.
umgelauteter plur.: mit magischen künsten, sonst vörtheln und betrügereyen Grimmelshausen 4, 867 Keller; der bauer ... verstand sich auf alle vörtel Gotthelf (1855) 1, 143.
1)
das, was jemand vor andern voraus bekommt, zulage, besondere belohnung u. ä.: indem dasz ifg. mir zugesaget hatten, wenn der zug vor sich ginge, mir das vorthel zu geben, wie zuvor mir der pfalzgraf gegeben hatte Schweinichen denkw. 117 Ö.; sollen diese vortel fallen und die befehlichshaber an ihrer jährlichen besoldung sich genügen lassen verh. d. schles. fürsten u. stände 3, 61 Palm.ausgesetzter preis für schützen, s. vorteil 2, quelle von 1603 in mitteil. d. schles. ges. f. volkskde 16, 151.
2)
vorzug, gewinn, nutzen, verbesserung der lage: was vortels hab ich (quid mihi lucri est, Phormio 61) hierinn dich zuͦ betriegen Boltz Terenz (1539) 136ᵇ; Lucifer braucht die heylige geschrift nach seinem vortel Nas d. antipap. eins u. hundert (1567) 5, 842ᵃ; ein jeder suchte seinen vorthel Binhardus thür. chron. (1613) 183; der hirt hätte einen geringen vortel vor seiner herde, wann er auch wie das viehe gras fressen müste Grimmelshausen Simpl. 3, 434 Keller; in der arbeit hat man den vortel, dasz man die händ nicht entlehnen darff Lehman floril. polit. (1662) 1, 47;
such nit vortl, wenn du opffern solt (nach Sir. 35, 15)
H. Sachs 19, 149 K.-G.;
sie zielen ja wohl auch auf vorthel und gewinn;
doch wie der vorthel kömmt, so fährt er hin
Neukirch ged. (1744) 126.
3)
gewinn in kampf und krieg, günstigere lage u. ä.: nam er sein gefangen ... mit sich, zoch mit seinem vortl weck L. v. Eyb Wilw. v. Schaumburg 92 K.; bis der feind alzuweit herein rucket und solch vorthel und gelegenheit ergreiffe verh. d. schles. fürsten u. stände 1, 205 Palm;
solt wir dem feind ein abbruch than,
so dürff wir hie im lustgarten
nicht bisz auf sein vortel warten
Ayrer 1, 134 Keller.
örtlich gewendet, günstige stellung, auch versteck, hinterhalt, s. vorteil 3 g γ und δ; übertragen: man sol sich nicht auszm vorthel geben Lehman floril. polit. (1662) 2, 869; witzig: fischte ich sie (die läuse) dutzetweis aus ihrem vortel Grimmelshausen Simpl. 1, 220 Kurz.
4)
besonderer kunstgriff in einer berufsmäszigen tätigkeit, s. vorteil 5; list u. ä.: das ernten ist eine wissenschaft und eine kunst für sich. wie viel 'vortel' es dabei giebt Rosegger III 3, 274; freier:
die wilden, welche diesen vorthel denselbigen (den bibern) nun abgemerkt
Brockes ird. vergn. 9, 309.
5)
günstige gelegenheit, günstiger augenblick: derowegen ersahe ich meinen vortel und kam noch einmal über das fasz meines so hochgeliebten geträncks Grimmelshausen Simpl. 4, 246 Keller; hierauf ersahe der printz sein vorthel und sprang, um den rücken zu versichern, an einen baum Ziegler d. asiat. Banise (1689) 5; ersicht sein fortl, gibt im ein maulschellen Abr. a s. Clara neue pred. 104 Bertsche;
doch musz ich mein vordel ersehen
Ayrer 3, 1565 K.
6)
besonders auch in üblem sinn von ränken, eigennutz, wucher, betrug, hinterlist, s. vorteil 7:
ich bin gepesen ain meczger,
ich hab vortl gepraucht also vill
altdt. passionssp. aus Tirol 348 Wackernell;
zu diesem ist er (der spieler) schlim geart,
bezeichnet und versteckt die kart,
das er damit sein vortel ub
Ringwaldt d. lauter warheit (1597) 75;
(ein schiffbrüchiger spricht:)
gar zuviel vorthel brauchest du (Neptun)
und sauffst eim gsaltznes wasser zu
Spangenberg bei griech. dramen 1, 182 Dähnhardt;
darff nichts hingegen wissen
von vortel und betrug, von hinterlist und neid
Logau sinnged. 55 E.;
der ammen und vormünder schutz
ist untrew, vorthel und eigennutz
Lehman floril. polit. (1662) 1, 190.
7)
in gleicher form in ableitungen und zusammensetzungen.
vortelchen dim.:
alle vortelchen gelten Müller-Fraureuth 2, 629ᵇ; in umgelauteter form: allerhand vörthelgen suchen, 'überall kleine profitgen mitnehmen, die breter bohren, wo sie am dünsten sind' Rädlein (1711) 1018ᵃ; dergleichen glücksgriffgen und vörtelgen lernet ein münch auch gar geschwinde d. unsichtbare Charmion (1697) 542;
aus denen handlungen und zufuhr aller sachen
ein kleines vörthelgen so dann und wann zu machen
Perlensee lob d. habssucht (1709) 673.
vörtelein n.,
wie das vorhergehende wort: klein förtelein grosz schälck thun machen Eyering prov. copia (1601) 145; vörtlein 144. —
vortelgeld n.,
besondere zulage: obristlieutenant Karnitzky sei dahin zu disponiren, dasz er von seinen 300 fl. vortelgeld ... abstehe verh. d. schles. fürsten u. stände 5, 105. —
vortelgriff m.,
besonderer kunstgriff, geschick, vgl. vorteil 5 und 6: inzwischen ward er grosz und in den vorthelgriffen der leibesübungen vollkommen zugeschliffen Neukirch d. begebenheiten des prinzen von Ithaca 3, 224. —
vortelhaft adj.,
gewinn, nutzen bringend; in üblem sinne, nach vorteil strebend Stieler 2274:
der vortelhafften stat, da nahrung zu gewinnen,
fast jeder musz auff list, auf tück, auf ränke sinnen
Logau sinnged. 56 E.
häufiger ist vortelhaftig (wortellhaftig Diefenbach nov. gl. 320ᵃ gehört nicht hierher, sondern wohl zu nd. worstelen, im zank ringen Schiller-Lübben 5, 772ᵃ): fortelhafftiger (sind niedere räder an geschützen) weder die hohen Dürer underricht zur bef. d. stett (1527) f 2ᵃ. — besonders in üblem sinne Lexer 3, 482 (zimm. chron.); Stieler 2274; vgl. Fischer schwäb. wb. 2, 1684; Göpfert sächs. erzgeb. 56; brem. wb. 1, 439: betrüeglich und vortelhafftiger weise verh. d. schles. fürsten u. stände 2, 41 Palm.in entsprechendem sinne vortelhaftigkeit, f., gewinnsucht, quelle von 1719 bei Fischer a. a. o.; vortlhaftigkeit tirol. weist. 2, 170. —
vortelhaftiglich
ebenfalls im üblen sinne, verzeichnet Stieler 2274. —
vortelig adj.,
für vorteilig: anschlegig, geschwind und vortelig J. v. Watt dtsche hist. schr. 2, 267; ain häl, pfortelig man 3, 437 (s. o. pforteil neben vorteil). —
vorteln verb.,
für vorteilen: privilegiare vorteln Diefenbach gloss. 460ᵇ; als veraltet bei Heynatz antibarb. (1796) 2, 604; in üblem sinne, betrügen:
bürger sind füchse zum schleichen und schmügen,
vortheln, berücken, finantzen und lügen
Logau sinnged. 314, 14 E.
in umgelauteter form vörteln, bevorzugen bei Fischer schwäb. wb. 2, 1683. —
vortelsbesoldung f.,
besoldungszulage verh. d. schles. fürsten u. stände 1, 109 Palm; s. vorteil 1. —
vortelschanze f.,
vorteil gewährende verschanzung, s. vorteil 3 g γ: dann sich die feinde eins theils so weit, dasz sie nicht zu erreichen gewest, und eins theils wol nahend an die stadt, aber doch in die vortelsschantzen und thäler gelegt Megiser annales Carinth. (1612) 1359. —
vortelschieszen n.,
preisschieszen Fischer schwäb. wb. 2, 1684 (quelle von 1736); s. vorteil 2. —
vortelspielerei f.,
falschspiel: falsch- ò vorthelspielerey, barreria Kramer t.-ital. dict. 2 (1702) 867ᵇ. —
vortelsucher m.,
in üblem sinne: gar offt strafft gott auch mit armuth die wucherer, die betriegen im handel und wandel, die vorthelsucher Butschky gedenckmahl (1633) 114. —
vortelsucht f.,
gewinnsucht: den geitz, den zorn, den neid, den eyfer, die falschheit, den betrug, die vortelsucht ... der würffel- und kartenspieler Grimmelshausen Simpl. 1, 288 Keller.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 11 (1939), Bd. XII,II (1951), Sp. 1743, Z. 52.

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Zitationshilfe
„vortelgeld“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/vortelgeld>.

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