Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

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bruder, m.

bruder, m.
durch alle unsere sprachen: goth. brôþar, ahd. pruodar, mhd. bruoder, alts. brôthar, nnl. broeder, ags. brôđor, engl. brother, altn. brôđir, schw. dän. broder, gekürzt bror; lat. frater, it. fratello = fraterculus, prov. fraire (wie paire, maire), franz. frère (wie père, mère), walach. frate, die Spanier haben nur für den klosterbruder fraile = it. fratello behalten, sonst hermano = germanus; ir. brathair, welsch brodyr, armor. breûr, brer; litt. brolis, lett. brahlis; sl. brat'', poln. serb. brat, böhm. bratr. im gr. hat sich φρατήρ, φράτωρ blosz als mitglied einer φράτρα oder φρατρία erhalten und wird sonst durch ἀδελφός vertreten. aber im sanskrit entspricht bhrâtar, im zend brata, pers. brâder; bhrâtar leitet Bopp vgl. gramm. s. 1135. 1136 von der wurzel bhar oder bhṛ ferre, sustentare und deutet bhrâtar als den erhalter, ernährer der mutter und jüngeren geschwister nach des vaters tod, wie auch bhartâr in diesem lebendigen sinn von altor, nutritor fortdauert, während sich bhrâtar in bildung und declination verdunkelt und entfernt hat. noch fühlbarer ist dann der abstand des goth. brôþar von bairan, des ahd. pruodar von peran; ô und uo stimmen auch sonst zum skr. und lat. â, scheinen mit den ablauten von bairan unvereinbar, es müste denn auf dem in der gesch. der d. spr. s. 847. 848 besprochnen wege gelingen, d. h. neben bairan bar bêrun auch bauran bar bôrun eingetreten sein. der älteste sohn oder vom standpunct der geschwister angesehn, der älteste bruder setzt die gewalt, das mundium des verstorbnen vaters fort; ursprünglich hätte also das wort bruder unter den geschwistern nicht schon bei lebzeiten des vaters, so wie nachher nicht für die nachgebornen söhne, nur für den ältesten gelten können. die sprache gab allmälich dem ausdruck erweiterung. Das goth. brôþar bildete den gen. brôþrs, das ahd. pruodar den gen. pruoder, das mhd. bruoder den gen. bruoder, die form bruoders tritt dieser anomalie entgegen, findet sich aber schon Diut. 3, 58. tadelhafter ist die schwache flexion:
sie (die ehre) ewrem brudern gern erzaiget.
des armen brudern leid.
Fleming 135 (138);
als ihr (illi) des brudern flucht die geister ausgezehrt.
Günther 1069;
eines brudern. Butschky kanzl. 441; seines brudern sohn. Heilman Thuc. 588, wie vatern bruder 340, und schon Fischart des vatern. Garg. 67ᵃ; heute: es vatern, muttern sagen. Wir gebrauchen bruder
1)
auszer dem leiblichen und stiefbruder auch von dem angeheirateten schwager, franz. beaufrère; dagegen werden neffen und vetter nicht bruder angeredet. die beiden schwiegerväter nennen sich bruder. wir sind brüder von éinem leib, leibliche brüder; vollbürtige brüder; brüder von éinem vater, aber von zwei müttern; liebende brüder, einige brüder; die feindlichen brüder; brüder helfen sich wie hand und fusz. Haupt 3, 156;
wol dem, dem die geburt den bruder gab,
ihn kann das glück nicht geben.
Schiller 492ᵇ;
wer unter diesen, die du freunde nennst,
darf deinem bruder sich zur seite stellen?
492ᵇ;
du bist der ältre bruder, rede du.
493ᵃ;
bist du es wirklich, der dem jüngern bruder
so hold begegnet und so gütig spricht?
493ᵇ;
brüder haben éin geblüte,
aber selten éin gemüte;
bruder soll nicht wider bruder streiten. brüder und überhaupt geschwister erschienen im alterthum häufig gleich gekleidet, während halbbürtige nur die halbe farbe trugen (vgl. stiefmutter); gleiche brüder, gleiche kappen, was doch von ordensbrüdern entnommen scheint. unter brüdern gilt gleichheit; das ist unter brüdern (d. h. die sich nicht vervortheilen) hundert thaler werth; sobald ein pferd gekauft wird, und sollte es von einem bruder sein, so musz alles untersucht werden, und besonders die hüfe und füsze. Eisenberg rosteuscher s. 117.
2)
männer, die durch die geburt einander fremd sind, verbrüdern sich, und das alterthum hatte dafür feierliche bräuche (gesch. der d. spr. s. 136—139), den Serben hiesz der wahlbruder pobratim, die wahlschwester posestrima (das. s. 130); ähnlich war im heidenthum das verhältnis der helden zu der itis und walküre (myth. 372 ff.). auch zwischen fremden kindern, die an éiner mutterbrust sogen, festigte sich ein band. hierher gehören die ausdrücke blutbruder, herzbruder, wahlbruder, milchbruder.
3)
später erlöschen diese gebräuche, aber freundschaft und gesellenschaft knüpfen fortwährend enge brüderschaften, freunde und genossen reden sich bruder an und nennen sich du. dabei pflegt auch wein zugebracht, zugetrunken und bescheid gethan zu werden (1, 1553), man sehe bierbruder, dutzbruder, waffenbruder, saufbruder, zechbruder und hernach unter 8 trunkene, nasse, volle brüder. handwerksgesellen, schüler, studenten, jäger, soldaten reden sich bruder an:
herr bruder, was wir lieben!
Schiller 351ᵃ;
herr bruder komm, wir müssen sie begleiten.
Göthe 12, 49;
herr bruder, nein! ich bin nicht gern geniert.
12, 50;
segne die brüder der jagd
auf der fährte des wilds!
Göthe 2, 66;
bald darauf flog dem verlassenen der bruder der vergangnen feste an das herz. J. P. Tit. 3, 53.
4)
die geistlichen und mönche hieszen gegenüber den laien väter und kirchenväter, untereinander aber brüder, klosterbrüder; it. ist fra und frate ihre gewöhnliche benennung, während leibliche verwandtschaft durch fratello ausgedrückt wird; spanisch haftete dies fraile für den geistlichen bruder und hermano gilt für den weltlichen. im mittelalter kommen aber auch ketzerische fratricelli und fratres de paupere vita vor. allgemein verbreitet ist noch der ausdruck barmherzige brüder für ordensleute, die sich, auszer den gewöhnlichen gelübden, zur wartung der kranken und bestattung der leichen verpflichten, eine edle, rührende pflicht, die doch nicht davor geschützt ist auch in härte und gefühllosigkeit auszuarten:
Armgart. platz! platz! da kommen die barmherzgen brüder.
Stüssi. das opfer liegt — die raben steigen nieder.
Schiller 547ᵃ.
selbst der einsiedler, den waldesöde aufgenommen hat, behält den namen waldbruder oder blosz bruder und nach ihm, weil er bärtig gedacht wird, heiszt die bärtige ziege den hirten bruder (Tobler 81ᵇ). von waldbrüdern oder bettelmönchen herzuleiten scheint auch das schweizerische bruder = bettler. Stalder 1, 232. 233. unter den protestantischen geistlichen besteht gleichfalls ein näheres verhältnis der brüderschaft, woher die anreden: bruder in gott, bruder in Christo, amtsbruder (vgl. bruder in Apollo. Lessing 4, 161). die Herrnhuter bilden brüdergemeinden: als dieser cavalier sich in der folge mit der herrnhutischen gemeinde einliesz und sich lange unter den brüdern aufhielt. Göthe 19, 328. In gleicher allgemeinheit ist der schwestername auf die geistlichen nonnen, auf die barmherzigen schwestern übergegangen, wie nonne selbst das mütterliche verhältnis, braut das zu ihrem geistlichen bräutigam bezeichnet. die kirche bedient sich aller weltlichen verwandtschaftswörter, um ihren inneren verhältnissen die tiefste menschliche empfindung zu verleihen.
5)
beachtenswerth ist auch die anwendung von bruder auf frauen, ähnlich der von freund, oder umgedreht der von braut auf männer: daher kam mir der einfall Henrietten manchmal bruder Heinrich zu nennen. Woldemar 1, 65. 75; schwester (sagt Albano zu Julienne), du bist entweder nicht mein bruder, oder ich deine schwester nicht, sonst wir uns leichter verständen. Julienne schien vom vorwurf des geschlechts betroffen zu sein. J. P. Tit. 4, 181. das grenzt noch an pobratim und posestrima.
6)
in weiterm sinne sind alle menschen, unter der vorstellung, dasz sie von éinem stammpaar entsprangen, brüder, welchen begrif der an sich schöne und tiefsinnige wahlspruch der freiheit, gleichheit, brüderlichkeit, so wie der freimaurerische sprachgebrauch, und ein untilgbarer menschlicher sinn überall hervorhebt:
die schwester in dem leinwandsmieder,
der bruder in dem ordensband;
alle menschen werden brüder,
wo dein (der freude) sanfter fittich weilt.
Schiller 19ᵃ;
guten menschen fürwahr spricht oft ein himmlischer geist zu,
dasz sie fühlen die noth, die dem armen bruder bevorsteht.
Göthe 40, 246;
werden die leiden
endlich euch lehren nicht mehr, wie sonst, mit dem bruder zu hadern?
40, 286.
noch enger heiszen die glieder eines volks, eines stamms, eines glaubens untereinander brüder:
ich liebe dich (katholischen) vor tausend meiner (protestantischen) brüder.
Gökingk 3, 175.
auch galt die anrede 'mein bruder' ungefähr in der allgemeinen bedeutung von freund, gevatter und schwager: ich sahe einsmals einen schwarzen menschen, welcher im wasser stund und sich badete, zu dem sagte ich 'mein bruder' was beginnest du doch. Lokman 17. in diesen fabeln redet der fuchs den hirsch an 'mein bruder'. 9, wie sich sonst in der thierfabel die thiere den namen oheim und gevatter beilegen, vgl.
lustig ihr brüder und ohmen des weines!
Logau 2, 2, 7.
7)
aus unsrer alten heldensage wurde der name des listigen, spöttischen Morolt, den könig Salomo seinen lieben bruder nennt (im gedicht 281. 521), wie er von ihm lieber herr und bruder angeredet wird (444 u. s. w.), übertragen auf den spötter Marcolfus und hernach auf den heher, corvus glandarius oder coracias garrula. dieser im wald anschreiende, geschwätzige vogel, der deutsche papagai, heiszt spottvogel, waldschreier, holzschreier, Markolt, Markwart, Markolf und bruder Markolf, bruder Morolf. unter den ehrweinen, wie man ihn möcht dem schultheisz ins ampt schenken, nennt Fischart Garg. 58ᵃ auch landwein, brachwein ... kirschwein, bastart, bruder Morolf, was wol erst von dem vogel auf die weinart übertragen wurde. bruder Morolf, Morolt gleicht aber dem bruder Birolt, Birolf, Tirolt, Bierholer, Hultrof für oriolus galbula (1, 1824), coracias oriolus, von welchem Nemnich noch viele andere abweichende namen beibringt, franz. heiszt er compère Loriot. im vocab. 1482 e 3ᵇ findet sich bruder Hiltrof, hictrix, avis quaedam gilva, ictrix, bruder Birolf. beide, der Morolt und Birolt sind schön gefiederte, muntere vögel, jener blau, dieser gelb, und beide gehören zur art coracias; ihre geschwätzigkeit mag ihnen die anrede bruder und gevatter verdienen. Oswalts kluger rabe, der immer lieber rabe und wol auch bruder angeredet wurde, ist ihnen verwandt. keinen vogel, eher einen klosterbruder, wie mönch Ilsan, oder einen landsknecht bezeichnete bruder Veit: und sonderlich sollen die heerprediger das kriegesvolk, auch den wilden, wüsten, rohen bruder Veit, der viel marterns, wunderns, franzosens, pestelenzens, sanct Veltens, sanct Antonius, sanct Quirinus kan (vgl. oben sp. 202. 279), hart vermanen. Luthers vermanunge zum gebet, wider den Türken. Wittenb. 1541 C 4ᵇ. es gab ein volkslied von bruder Veit und danach viel weltliche lieder in bruder Veits ton.
8)
auch abstracte vorstellungen wurden durch beigefügtes bruder belebt und personificiert. der tod heiszt bruder und gevatter (mythol. 812. 813), statt freund Hein (das. 811) kommt wol auch bruder Hein vor. bruder Herz ist was herzbruder.
halt nicht ubernacht .. den bruder Zorn.
Ringwald laut. warh. 365;
ebenso bruder Toll, bruder Nasz (das. 103. 305) für tollheit, trunkenheit; sie werden doch meine base keinem bruder Liederlich zur frau geben wollen? Schiller 651; in den kindermärchen ist bruder Lustig eine stehende figur. noch häufiger gesellen sich, in gleichem sinn, lose adjective zu bruder (wie sonst zu vogel u. a. w.):
wo sol ich mich hin keren
ich dummes brüderlein?
Uhland 581;
ich armes brüderlein.
595;
trinkt flugs umb
und macht es aus,
so wirt ein frölich bruder draus;
trinks gar aus, trinks gar aus,
so wirt ein voller bruder draus.
595;
das haben wir trunkene brüder wol vernumen.
576;
poeten, gibst du vor, sind meistens nasse brüder.
hierauf bezahlte noch sechs kannen wein, den die beiden nassen brüder getrunken hatten. Felsenb. 1, 14; demnach hatten wir schon ausgeschlafen, da diese nassen brüder noch nicht einmal müde waren. 1, 92; aber was wurde daraus? erstlich ein lustiger pursche, hernach ein nasser bruder. 2, 209 (vgl.nasser vogel im rollwagen-büchlein s. 73); sollte dieses unschuldige buch, welches keine nahrung für blöde magen ist, von ungefähr einem solchen schwachen bruder in die hände fallen. Wieland 14, 57; Hafis, ein groszes heiteres talent, das sich begnügt alles abzuweisen, wonach die menschen begehren .... und dabei immer als lustiger bruder ihres gleichen erscheint. Göthe 6, 71. die ältere sprache auch, das grobe wort verdeckend:
drumb gib den gfangnen bruͦder (ructus) los,
dasz er dir nicht die zeen ausstosz.
Scheit grob. B 2ᵃ.
9)
die testikel heiszen brüder, wie zwillinge, δίδυμοι (vgl. bruchknabe):
denn er (der biber) wist wol, das er so hart
der hoden halb gedrungen ward,
drumb er sein bruder gar verflucht,
das er das leben retten mocht.
Waldis Es. 3, 34.
10)
man braucht bruder noch von andern gleichen und gleich entsprungnen dingen, namentlich von geldstücken: der thaler ist gut, hätte ich nur alle seine brüder! Gökingk 2, 157 nennt die theile eines buches brüder. es versteht sich von selbst, dasz bruder, wie vater und mutter, auch auf thiere anwendung leidet, zumal auf vierfüszige und hausthiere:
lautwiehernd tummelt sichs (das pferd) unbändig auf der weide,
kämpft mit den brüdern.
Gotter 1, 322.
11)
bi disem driockers (theriak) sol der arm bilger etwas me haben, domit er sin spislin und trenklin gebesser, wo er etwen zuͦ einer ellenden herberg kumpt, do man im etwen ein ermliche suppen dar setzt, die noch (nach) dem spuͦlethafen smackt, nit gesicht, kein ougen het, niergen noch smackt, etwan noch drien brüdern. Keisersb. bilg. 17ᵈ. was heiszt, dasz die magere, nicht sehende d. i. keine fettaugen habende suppe nach drein brüdern schmecke? dasz sie bei drei brüdern hintereinander aufgewärmt wurde? im sinn, wie man von ferner verwandtschaft sagt: seine sippe ist aus der neunten suppe ein tünchle;
vo siebe suppe ne tünkli.
Hebel 238.
der schwank von dreien brüdern, die ihren birnbaum, bock und ihre mül theilen wollen (fastn. sp. 75—90) gibt keine auskunft.
12)
vgl. amtsbruder, bierbruder, blutsbruder, dutzbruder, halbbruder, herzbruder, klosterbruder, kreuzbruder, milchbruder, mitbruder, nollbruder, saufbruder, schnapsbruder, schulbruder, schwärmbruder, stallbruder, stiefbruder, waffenbruder, zechbruder, zwillingsbruder.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 2 (1854), Bd. II (1860), Sp. 417, Z. 35.

brüdern

brüdern,
fraterno foedere jungere, verbrüdern:
woluf ir lieben gesellen,
die uns gebruͦdert sein.
Uhland 378.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 2 (1854), Bd. II (1860), Sp. 421, Z. 73.

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Zitationshilfe
„bruder“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/bruder>.

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