Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

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erbarmen

erbarmen,
misereri, ahd. irparmên, mhd. erbarmen, wofür 1, 558. 1134. 1135 ein ursprung aus bearmen und aus barm erwogen wurde. jenem scheint barmherzig = goth. armahairts = misericors zuzusagen und die häufung zweier sinnlichen begriffe barm sinus und herz cor nebeneinander gäbe anstosz. doch armen amplecti und barmen gremio suscipere verleihen der andern herleitung gewicht, man hätte anzunehmen, dasz in armahairts und barmherzig der erste theil früh abstract geworden wäre. auch streitet farm im nd. entfarmen, nnl. ontfermen (1, 1134) wider die deutung des B in barmen, erbarmen aus der partikel be. erbarmen, auf die person des erbarmenden bezogen, würde innere rührung und bewegung im busen und herzen ausdrücken, wo es auf den bemitleideten gienge, ursprünglich in die arme fassen, auf den schosz nehmen besagt haben können; doch nach erfolgter abstraction der vorstellung dürfte auch andern constructionen der weg geöfnet worden sein. merkwürdig heiszt es in Schades sat. und pasq. 2, 133 ich mag nit mer (trinken), also bin ich erbarmet, was doch bedeuten musz im busen weines voll.
1)
erbarmen ohne person:
schendet euren Christ
mit fluchen, das zurbarmen (zu erbarmen) ist.
Ringwald laut. warh. 90;
ach es ist zu erbarmen = erbärmlich. pers. rosenth. 6, 1. bei hinzugetretnem artikel läszt sich auch ein subst. annehmen: es ist zum erbarmen;
das heer war zum erbarmen.
Schiller 342ᵇ;
und zum erbarmen verblühn ihr in gram die reizenden wangen,
so zum erbarmen entrann auch Odysseus augen die thräne.
Od. 8, 530. 531.
heiszt es: das ist um zu erbarmen, so ist der acc. einen leicht hinzu zu denken.
wehe, weh mir! ruft die arme
jammernd, groszer Zeus erbarme!
Schiller 60ᵃ
litte gleichfalls hinzufügung von dich.
2)
mit dem acc. der person des erbarmenden, folglich mit transitiver verbalbedeutung, ahd.
inan irbarmêta thër dôto.
O. III. 24, 60.
mhd. den gast begunde erbarmen
diu grôʒe nôt die si liten.
w. 4932;
nu erbarmet in ir ungemach.
6407;
ich solt iuch, frouwe, erbarmen.
Parz. 95, 6;
daʒ ëʒ got erbarme.
Iw. 4214;
daʒ müeʒe got erbarmen.
Walth. 24, 35;
sô daʒ ëʒ got erbarme.
Parz. 92, 26.
nhd. es möcht ein (= einen) stein erbarmen.
Hätzl. 78ᵃ;
mich treibt des jammers schmerzliche gewalt,
was auch den stein des felsens musz erbarmen.
Schiller 524ᵃ;
wiewol in erbarmet Tanaquil und ire kinder. Livius, Schöfferlin 17; mein edler und lieber gesell mich so sehr erbarmet. Galmy 26; als der keiser sie also süsziglich schlafen fand, erbarmet sie in. buch d. l. 2, 1; es erbarmten in die zäher ihrer augen. 202, 3; Cnemonem erbarmet die jungfrau. 204, 4; i. f. gn. schlagen mir es abe, welches mich sehr erbarmet (schmerzt). Schweinichen 1, 196; sie handelten so tyrannisch, dasz es einen stein in der erde erbarmen mögen. Grote Northeim s. 136 (urk. von 1641); aber nun leider gont alle ding ab miteinander, got (deum) erbarms! Keisersb. bilg. 64ᵇ;
ohn alle gnad mit schwert und brand,
erbarm es gott den herren!
Ringwald lieder E 6ᵇ;
so stöszt mir, gott erbarms!, das gröszte noch zu handen.
Fleming 116;
allzuwahr, erbarm es gott!
341;
Doegs, dessen schwert von priesterblut noch warm
so frech auf Nobe fiel, ach dasz es gott erbarm!
Gryphius 1, 558;
gott erbarm es! Scriver seelensch. 2, 264; dasz es gott erbarme! Wieland 11, 176; und mit ausfallendem es: gott erbarme! Schiller 174ᵇ, wo gott immer acc. bleibt. kühn steht dieser ausspruch gotterbarms (wie erbarms und erbarme dich) selbst wieder substantivisch: der wohnt im gotterbarms sieben klafter tief im elend. Auerbach leben 1, 93;
nachdem mich dan erparmt ir schmerz.
fastn. 789, 20;
nein, das erbarmt mich, wenn ich nur dran denke.
Schiller 220ᵃ;
ach das erbarmt
mich desto mehr!
222ᵃ;
seht, ich hab
ein herz, der jammer dieses deutschen volks erbarmt mich.
382ᵃ;
Tell, es erbarmt mich, doch ich musz gehorchen.
539ᵃ;
drum, wenn das eigne unglück dich nicht rührt,
lasz meines dich erbarmen!
588ᵇ,
gerade wie ahd. und mhd. mit doppeltem acc. lâʒ sia thih irbarmên. O. IV. 26, 24; die göttin wurde so roth hinter dem schleier, dasz es mich unglaublich erbarmte. J. P. herbstblumine 3, 80.
3)
steht der gegenstand des erbarmens im gen., so wird die vorstellung unpersönlich: es erbarmet mich dein (miseret me tui), denn du noch ein junger mann bist. buch d. liebe 274, 1;
junger mann, es erbarmt mich dein.
H. Sachs III. 2, 38ᵈ;
und doch erbarmt mich deiner.
Schiller 551ᵇ;
es fieng mich an unsres armen Teutschlandes zu erbarmen. Wieland bei Merk 2, 74.
4)
viel üblicher ist das reflexivum sich erbarmen, so dasz der acc. von 2 hier zum nom. und die verbalbedeutung intransitiv wird,
a)
mit dem gen., statt jenes die noth erbarmt ihn heiszt es: er erbarmt sich der noth. so du aber dein sünd vertrechen und verbergen wilt, was sol dann gott sich dein erbarmen? Keisersberg s. d. m. 14ᵃ; wem ich aber gnedig bin, dem bin ich gnedig, und wes ich mich erbarme, des erbarme ich mich. 2 Mos. 33, 19; und solt dich seiner nicht erbarmen. 5 Mos. 13, 8; der gerechte erbarmet sich seines viehs. spr. Sal. 12, 8; ah du son David, erbarm dich unser. Matth. 9, 27; ah herr, du son David, erbarm dich mein. 15, 22; und verkündige inen wie grosze wolthat dir der herr gethan und sich deiner erbarmet hat. Marc. 5, 19; vater Abraham, erbarme dich mein. Luc. 16, 24; erbarmt hast du dich meiner klagen. Gotter 1, 9.
b)
mit der praep. über: also vil mer du gott dem herren dein ellend an den tag legest, so vil mer erbarmet sich gott uber dich. Keisersberg s. d. m. 14ᵃ; und uber seine knechte wird er sich erbarmen. 5 Mos. 32, 36; du woltest dich aufmachen und uber Zion erbarmen. ps. 102, 14; denn der herr wird sich uber Jacob erbarmen. Es. 14, 1; sihe ich wil mich uber seine wonung erbarmen. Jer. 30, 18; herr, erbarm dich uber meinen son. Matth. 17, 15. man sagt: er hat sich über die suppe erbarmt, sie nicht verschmäht, ausgegessen; erbarmt euch noch über die letzte flasche, leert sie aus, macht euch drüber her; wie erbarmeten wir uns über das sauerkraut und fraszen es reine aus. Schelmufsky 1, 91.
c)
ohne casus:
der see kann sich, der landvogt nicht erbarmen.
Schiller 518ᵃ.
5)
das goth. arman oder gaarman hatte den acc. der person des bemitleideten bei sich, z. b. jenes Marc. 5, 19 lautet hvan filu þus frauja gatavida jah gaarmaida þuk. solche accusative kommen auch ahd. vor, wie sich aus der umstellung ins passivum mit nominativen ergibt: ëpano arparmit wirdit, condescenditur, er wird bemitleidet (Graff 1, 424), denn condescendere war mlat. herabsteigen, sich zu einem neigen, mit ihm mitleiden haben, was mehrere stellen bei Graff belegen (vgl. Diefenbach 140ᵇ), in welchem condescendere wiederum ein sinnlicher ausdruck für erbarmen erscheint. mhd.
sît daʒ wir nu zerbarmen sîn
ich und dër geselle mîn.
Wh. 101, 3,
heiszt doch: seit wir nun zu bemitleiden sind. nhd. vermag ich keinen acc. der person des bemitleideten bei erbarmen aufzuweisen.
6)
statt des acc. des bemitleidenden unter 2. 3 begegnet aber ahd. und mhd. auch der dativ. mir erparmêt diu menigi, misereor super turbam;
dô erbarmôt ëʒ im in nôte.
Karajan denkm. 38, 23;
daʒ ich iu sus erbarme.
En. 258, 12;
lâʒ mich dir erbarmen.
Wh. 104, 6.
wahrscheinlich gibt es nhd. stellen mit solchen dativen statt der gewöhnlichen acc.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 3 (1859), Bd. III (1862), Sp. 701, Z. 47.

erbarmen, n.

erbarmen, n.
misericordia, mitleid, der substantivisch gesetzte inf., vgl. das verbum unter 1. ich bin des erbarmens müde. Jer. 15, 6; so ligt es nicht an iemands wollen oder laufen, sondern an gottes erbarmen. Röm. 9, 16; so ziehet nu an herzlichs erbarmen, freundlichkeit, demut. Col. 3, 12;
betrogen bist du zum erbarmen,
nun läszt sie dich allein.
Göthe ...;
bei gott ist kein erbarmen,
o weh, o weh mir armen!
Bürger 13ᵇ;
er hat, er fühlt kein erbarmen, mordet ohn erbarmen. bei Helvicus 1, 18 erbarms uber ihn haben, gleich jenem gotterbarms vorhin substantivisch. das ist recht zum erbarmen, erbärmlich. zuweilen steht erbarmen als helfende that der bloszen empfindung des mitleids gegenüber: der weise erbarmt sich, hat aber kein mitleiden. Heinse Ardingello 1, 263; der held eines trauerspiels erregt unser mitleid, nicht unser erbarmen.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 3 (1859), Bd. III (1862), Sp. 703, Z. 35.

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Zitationshilfe
„erbarmen“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/erbarmen>.

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