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Gamasche |
F. (-; -n), Anfang 17. Jh. entlehnt aus (heute
veraltetem) frz. gamache ‘lederner, knöpfbarer Überstrumpf’ (aus
gleichbed. altprov. ga(ra)macha < span. guadamecí ‘weiches
Leder’, zu arab. (gild) gadamasi ‘Leder aus Ghadames (Libyen)’),
anfangs häufig in den Formen Gam(m)ache und (mit Anlautverhärtung, bis
Mitte 19. Jh. überwiegend) Kamasche und Camasche.
Als heute
weitgehend veraltete bzw. noch archaisierend verwendete Bezeichnung für einen
einer Socke nachgeformten, bis zum Knie oder darüber reichenden, über Schuhen
getragenen, meist seitlich geschnürten oder geknöpften, seltener aus Bändern
gewickelten Überstrumpf (ohne Füßling) aus Leder, Leinen oder Wolle als Schutz
gegen Schmutz und Feuchtigkeit und vor Verletzungen, auch Schnür-,
Reit-, Knöpfstrumpf genannt, der im 18. Jh. von Friedrich Wilhelm
I. bei der preußischen Infanterie eingeführt, später durch langschäftige Stiefel
verdrängt wurde, vereinzelt auch allgemeiner zur abwertenden Bezeichnung des
(preußischen) Militärwesens (s. Beleg 1854–55), seit Ende 18. Jh. (wegen der
zahlreichen Knöpfe und des unbequemen Sitzes der im preußischen Heer getragenen
Gamaschen) als meist abwertendes Bestimmungswort in (bis Ende 19. Jh. bezeugten)
Zss. wie Gamaschenheld, -knopf, -pedant, -ritter ‘übereifriger Soldat in
Friedenszeiten’ (eigentlich ‘Soldat, der sehr genau auf den Sitz der Gamaschen
achtet’), Gamaschendienst ‘strammer, geist- und nervtötender
Militärdienst, eintöniger, sinnlos-pedantischer (Kasernen-)Drill’,
Gamaschenmaul ‘großer Mund’, Gamaschenbrühe ‘schlechter Kaffee’;
nach dem Aufkommen langer Hosen in der Herrenmode bis in die 30er Jahre des
20. Jhs. zur Bezeichnung einer knöchelhohen Halbgamasche mit Steg als modisches
Zubehör des eleganten Mannes, in jüngster Zeit erneut Accessoire in der Damen-
und Herrenmode (s. Belege 2004, 2006) sowie Teil der Schutzkleidung in
verschiedenen Sportarten, z. B. Radfahren, Skifahren, Bergsteigen, Wandern (s.
Beleg 2000), öfters in Wendungen wie schwarze, weiße Gamaschen, der
Bergsteiger trug Halbschuhe und Gamaschen, die Gamaschen anlegen, zu
dieser Tracht werden weiße Gamaschen getragen und in Zss. wie Latex-,
Leder-, Flanell-, Baumwoll-, Stoff-, Halb-, Wickel-, Spezial-, Sport-, Stiefel-,
Tuch-, Pferdegamaschen ‘um die Sehnen des Pferdes gewickelte Lederbinde zum
Schutz des Pferdefußes beim Reiten’; Gamaschenschuhe, -stiefel, -knopf,
-kontrolle, -träger, -hose ‘lange, gestrickte (Kinder-)Hose, die über den
Spann reicht und mit einem Steg unter den Schuhen befestigt wird’, sowie
gelegentlich in adj. Zss. wie gamaschenähnlich, -gleich, -bewehrt; seit
19. Jh. in einer Reihe von (heute meist veralteten) übertragenen
ugs.-scherzhaften Wendungen wie jmdm. die Gamaschen
anmessen/anpassen/anziehen ‘jmdn. ernsthaft zur Räson / auf Vordermann
bringen, zur Ordnung rufen’, Hunger in den Gamaschen haben ‘sehr hungrig
sein’, bes. in der seit Mitte 19. Jh. belegten, heute noch verbreiteten ugs.
Wendung vor jmdm./etwas Gamaschen haben ‘Respekt, Angst vor jmdm./etwas
haben, sich eingeschüchtert fühlen’ (vgl. Bammel, Fracksausen), z. B.
er hat vor der Prüfung, vor seinem Vorgesetzten (höllische) Gamaschen
(eventuell als Umbildung der Wendung vor jmdm./etwas Manschetten haben, →
Manschette, sofern Gamasche kurz für Handgamasche steht).
Seit Mitte 19. Jh. gelegentlich die veraltete subst. Ableitung
Gamaschentum N. (-s; ohne Pl.) ‘Pedanterie (im Soldatenwesen);
Militarismus’ und die adj. Ableitung gamaschenartig.
Belege
Messerschmid 1615 Spelta’s Narrheit II 157
als dann
legen sie Gammachen, oder zugeschnierte wüllin Strimpff darüber;
Martin 1637
Parlement 331
Gamaschen;
1742 (1852 Zs. d. hist. Ver. f. Nieders.
203)
Ein Winterkleid aus Rock, Camisohl und Hose bestehend . . nebst ein
Paar Castornen Camachen, wobei 1 Paar englische seidene Strümpfe;
König 1745
Ged. 201
Hier war ein schwarzer Hut, hier wählte man Kamaschen,/ Mit Silber
den bebrämt, und diese weiß gewaschen;
Eisenberg 1746 Reitschule 9
Camaschen, Afterstiefeln, Stiefeletten . . sind eine Art von Stiefeln, deren
man sich auch zum Reiten bedienet, und darin unterschieden, dass der Schaft und
die Stulpe an einer Seite offen sind, und durch Häftel oder Knöpfe wieder
zusammen gezogen werden, . . und dass kein Schuh daran ist;
Heppe 1779 Jäger
118
müssen selbige [Holzbauern] derohalben starke lederne Handschuhe und
Camaschen anhaben;
Frank 1783 System d. medicin. Polizei III 775
Die
allzuengen Kamaschen, und besonders die Faschinen, oder falschen Waden . . sind
der Gesundheit sehr schädlich;
1792 Journal v. u. f. Deutschland II 638
Stiefeletten, die man noch an einigen Orten Camaschen nennt;
Knigge 1792
Reise 288
Dieser war ganz ein Mann nach des Herzogs Wunsche; strenge,
pedantisch, ein Gamaschenheld, der von untenauf gedient hatte, und seine
Untergebenen wie Sklaven behandelte;
Fischer 1804 Bergreisen I 47
einem
Paar Camaschen von Tuch oder Leder;
Seume 1805 Br. a. Böttiger (Planer u.
Reißmann 534)
und unseretwegen wird sich sodann schwerlich ein
Gamaschenknopf in Bewegung setzen (SCHOPPE);
1813 Knaffl-Hs. 159
grob
gestrikte wollene Kamoschen;
Görres 1819 Teutschland 166
als sich bald
ergeben, daß derselbe Mechanism, in dem die Verfassung erstarrt, auch in
nichtigem Kamaschendienst und eiteln Paradekünsten Geist und Muth verkrüppelte;
Zimmermann 1834 Harzgebirge 9
Dazu gehören kurze Gamaschen, am besten von
gutem leichten ungeschwärztem Kalbleder, damit Rollstein, Grand und Sand nicht
in die Schuhe fallen. Eine kühlere Fußbekleidung gewähren leinene Gamaschen, und
ich empfehle sie allen, welche beim Gehen leicht an Erhitzung und Brennen der
Füße leiden;
1836 Album d. Boudoirs 22
kastanienbraune Kamaschen mit
Sohlen;
Heine 1844 Wintermärchen (W. u. Br. I 478)
Das Mittelalter,
immerhin,/ Das wahre, wie es gewesen,/ Ich will es ertragen – erlöse uns nur/
Von jenem Zwitterwesen,/ Von jenem Kamaschenrittertum,/ Das ekelhaft ein Gemisch
ist/ Von gotischem Wahn und modernem Lug,/ Das weder Fleisch noch Fisch ist
(DiBi 125);
Lubojatzky 1854 Amselpfiff 41
Obwohl ich, sprichwörtlich zu
reden, vor dem Generale höllische Gamaschen hatte (SANDERS DWB);
Beitzke
1854–55 Freiheitskriege I 513
Im preuß. Heere hat . . eine
unverhältnismäßige Werthlegung auf Gleichförmigkeit u. Straffheit . ., mit einem
Worte eine gewaltige Kamasche geherrscht (SANDERS 1871);
Kossak 1855
Stereoskopen 72
der Mangel aller Gamaschenknechtschaft;
1861 Allg.
Militär-Enc. IV 394
Die Uniformirung . . besteht aus Turban, Jacke,
Gamaschen und kurzen . . Hosen;
Derblich 1895 Militärarzt I 114
ein
Anhänger des damals noch in der Blüthe gestandenen Gamaschendienstes zu sein;
Th. Mann 1900 Erz. (W. VIII 191)
er trug ein buntes Hemd und eine graue
Jacke darüber, Sportgamaschen und das keckste Mützchen der Welt;
Höcker 1910
Sonne 85
Er hatte ein Taschentuch im reinen Schnee gewälzt, legte es als
Umschlag um den Knöchel und benutzte dann die Wickelgamasche als Bandage;
Dombrowski 1925 System IV 175
junge Leute in kurzen Sammethosen und
Wollgamaschen;
Th. Mann 1954 Krull (W. VII 527)
gekleidet in
wohlgebügelten englischen Flanell mit hellen Gamaschen über den Lackstiefeln;
Lenz 1985 Exerzierplatz (W. X 645)
der Mann in der grünen Uniform nickte
mir zu, er trug Wickelgamaschen und geflochtene Schulterstücke;
Presse
25. 1. 2000
Skistöcke sind auch mitzubringen, Gamaschen können bei tieferem
Schnee von Vorteil sein;
Berl. Ztg. 24. 7. 2004
wobei in dieser Saison
die weißen Gamaschen zu bewundern sind, die übrigens ausgezeichnet mit den
weißen Kragenschleifen harmonieren;
Hamb. Morgenpost 8. 4. 2006
Die
Anzüge . . kosten um die 450 Euro, alle Hemden 90 Euro. Dazu gibt es einen
Fundus todschicker Accessoires: Manschetten, Krawattennadeln, Tücher und
Gamaschen.
1860 Leipziger Ztg. 5268a
wie
denn überhaupt im sardinischen heere alles unnütze kamaschenthum sehr vermieden
wird (DWB);
Frankf. Ztg. 12. 4. 1864
[die preußischen] Armeereglements
. . sind nämlich vortrefflich für den Exercierplatz und die Kaserne, aber nur
nicht für den Kriegsfall berechnet. . . Es rächt sich jetzt an der preußischen
Armee das ihr durch die Junker aufgezwängte Kamaschenthum;
Fontane 1882
Wanderungen (S. W. XII 392)
Naturen, die man als doppellebig, als eine
Verquickung von Derbheit und Schönheit, von Gamaschentum und Faltenwurf, von
preußischem Militarismus und klassischem Idealismus ansehen kann. (DiBi 125);
Huret 1909 Berlin 237
das preussische Gamaschentum.