Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

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gangeln

gangeln,
weiterbildung von gangen, gehn.
1)
intrans., einmal spät mhd. (wb. 1, 478ᵃ, Lexer 1, 736), ein liebender klagt:
man macht gesehende liute plint,
mit den man ganggelt als mit mir.
Hätzl. 209ᵇ,
von der unstäte, launenhaftigkeit mit der seine liebe behandelt wird, einem unstäten, ungleichen gehn oder führen (vgl. das mitgangeln unter 2) verglichen; der bair. schreibung nach kann oder wird freilich gankeln gemeint sein, das aber auch sonst mit gangen nahe berührung hat, s. dort, vgl. gankl gehend unter dem adj. gängel, auch gangelstube.
2)
auch transitiv, im bair. sprachgebiete, tirol. gangeln neben gängeln locken, einen mitgangeln neben mitgengeln, wie am gängelbande nachführen Schöpf 187; s. auch das österr. gangelkorb oben. vgl. umgekehrt gängeln auch intransitiv.
3)
ein mittelbares zeugnis bietet das ahd. in gangarôn ambulare, degere (selbst vom trans. eine spur in anagangarôn versare), s. Graff 4, 105, mit -r für -l wie oft, auch gangalôn hat gewiss nicht gefehlt, vgl. gangarari peregrinus das. gleich mhd. gengelære, gewiss auch gangelære (wie noch Gangler neben Gengler als name, s. unter gängler 1) wanderer, landfahrer. für altgerm. bestand aber spricht schott. ganglin straggling Jam. suppl. 1, 462ᵇ, umherschweifend, eine ags. spur in ags. gangelväfre spinne (sieh V, 163 unter kanker), auch von der r-form in nordengl. gangeral vagabund Halliwell 391ᵇ, schott. gangrel, vgl. gängel m. oben.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 6 (1874), Bd. IV,I,I (1878), Sp. 1244, Z. 18.

gängeln

gängeln,
weiterbildung von gangen gehen, s. unter 3.
1)
trans. gänglen ductare, gengeln führen, ambulare facere, sensim deducere Henisch 1342, bei dem ichs zuerst finde, offenbar aus zwei verschiedenen vorgängern entnommen. auch nd. z. b. Dähnert 140ᵃ.
a)
eig. gehen machen in kleinen schritten oder in wiederholten versuchen o. ä.: wie die mutter ein kind gengelt und leret gehen. Luther randgl. zu Hos. 11, 3; Christus mus uns gengeln wie die mutter oder magd ein kind gengelt. ders. bei Dietz 2, 5ᵇ; die mädchen gängelten ihn, lehrten ihn beten und andächtige reimchen hersagen. Stilling jug. 77. auch beim gehn leiten, nicht ungeführt gehn lassen. vergl. gängelband, gängelbank, gängelkorb, gängelstuhl, gängelwagen.
b)
bildlich, von geistiger leitung: wenn nun unser schwacher finger die starke hand gottes ergreift, so gengelt uns gott in seiner hand. Mathesius Sar. 52ᵇ; die gewissen auf ebener bahn gängeln. Wiedemann dec. 5, leiten, nicht aus der führung lassen, wie im folg.:
reiche deinem schwachen kinde ...
deine gnadenhand geschwinde ...
wie die jugend gängle mich.
wir kennen euch, fremde!
wissen, ihr laszt euch gängeln, und seid allglaubende hörer!
Klopstock 7, 343;
ein schach, von weibern und kastraten
sein leben lang gegängelt wie ein kind.
Wieland 10, 315;
er (der genius der menschheit) gehört zur bildersprache der dichter und philosophen, womit sie ihre leser gängeln. Klinger 10, 271; filosofen, welche von der vernunft gegängelt zu werden nöthig haben ... Wieland 30, 248; die vernunft musz sich nicht am leitbande .. gängeln lassen. Kant 2, 15; aus dem felde der jugendlichen schwärmerei, worin der meister seine schüler gängelt. Göthe 14, 181; die handlung nicht gegängelt, sondern durch freiheit belebt. Stolberg 7, 345; éin ton kann zuweilen meine seele schmelzen und mich wie einen knaben gängeln. Seume spaz. 19. auch mit zu, wie leiten, führen: womit Apoll seine anbeter zum verstande seiner geheimnisse gängelte. Hamann 1, 31.
wenn die Ilme, still im thale,
manchen holden traum gegängelt,
so erlaubt, dasz hoch im saale
sie den feierzug durchschlängelt.
Göthe 4, 32,
manch lied hat in gang bringen helfen.
c)
hübsch von vögeln und reisenden, zugleich in allgemeinerem gebrauch für 'gehn machen':
um mich herum auf jungen ästen
beblümter stauden schaukelt sich
ein muntres heer von bunten gästen,
die ein geheimer zug nach westen
aus norden gängelte, wie mich.
Thümmel 6, 324,
wobei freilich noch an ein unsichtbares gängelband gedacht ist, vgl. Göthe von den honig suchenden bienen bei Eckermann (1868) 3, 143 sie gehn wie an einem unsichtbaren gängelbande hierhin und dorthin.
d)
aber auch allgemeiner für gehn machen nach folg.: sonst wolte ich sie gängeln, dasz sie den himmel für eine basgeige ansehn solten. Hermes Soph. reise 2, 591. zwar ist prügeln gemeint und ebenso gibt Bernd 70 aus Posen, Schlesien ich will dich gängeln! aber es musz eig. gemeint sein wie zu gange bringen u. ä. (sp. 1220), zurecht bringen, auf den rechten weg; vgl. hess. gängen (1) so. Bernd vergleicht führen als drohenden ausdruck, ich will dich führen! das musz aber auch eig. gleich 'fahren (varn) machen' sein. tirol. einen mitgengeln, 'gleichsam am gängelbande nachführen' Schöpf 187, er gibt auch gängeln (und gangeln) locken, auch treiben, also überhaupt gehn machen.
e)
auch von der wiege braucht man gängeln, sie in gang setzen, wiegen (vergl. gängel m. 2), und von dem wiegemesser in der küche, das sich ebenso schaukelnd bewegt. ja auch schlechtweg für schaukeln (s. dazu gankeln), z. b. im Werrathale, ein kind z. b. gängelt sich auf dem stuhle;
einer (ein vogel) sitzt auch wolgestängelt
auf den ästen der cypresse,
wo der laue wind ihn gängelt,
bis zu thaues luftger nässe.
Göthe 5, 225 (divan).
2)
Aber auch intrans. und refl., obwol selten.
a)
refl. einmal von Göthe gebraucht: in der folge, wenn ein freier geist gewahr wird und ausspricht, was gar wol einzusehn und auszusprechen ist, so müssen gar viele gute menschen in verzweiflung gerathen. jetzt gängeln sie sich in schlendrianischen labyrinthen und merken nicht was ihnen unterwegs bevorsteht. an Zelter 843, bewegen sich spielend oder mühsam (aber ziellos) vorwärts wie kinder, scheint gemeint.
b)
intrans.: und so träume ich denn und gängle durchs leben, führe garstige processe, schreibe dramata u. s. w. Göthe und Werther s. 169 (an Kestner juni 1773), was freilich unter c gehören könnte. aber den sonst mangelnden beleg gibt mhd. der arme gengelære Kolocz. cod. 171 (s. u. gängler) und von heute ostfries. gengeln müszig herumschlendern (nicht wie hd. gängeln), auch güngeln Stürenb. 68ᵇ, nl. mundartl. gengelen Schuerm. 147ᵇ, gleich dem schott. gangle u. gangeln 3; wol auch schweiz. nachgängeln vom letzten weine im fasse, der nach dem fasse schmeckt und nachgängig heiszt, s. Stalder 1, 422, doch wol weil ein anderer geschmack gleichsam nachgeschlendert kommt.
c)
aber im sinne auch ausweichend: tändeln, nach folg. stellen bei Göthe (vgl. schon u. b): das anakreontische gegängel. Göthe 25, 92 (dicht. u. w. 7. buch): ich machte eine scene an meinem Faust, vergängelte ein paar stunden, verliebelte ein paar .. an Aug. v. Stolb. 94; erholt, getrunken, gessen, die zeit vergängelt. an frau v. Stein 1, 140. bestätigung gibt schweiz. gänggelen tändeln, dazu vergänggeln, gänggeler, gänggelhaft u. a. Stalder 1, 413, obwol das nicht unmittelbar gleich gängeln ist, s. 3, b. s. auch aus d. 16. jh. gänglerei.
3)
Die bildung und verwandtschaft.
a)
es steht neben gangeln, wie gängen neben gangen, d. i. gehn, als trans. neben dem intrans.; dasz es dabei auch selber intrans. vorkommt, wie umgekehrt gangeln auch trans. (und gängen auch intrans.), stört die ursprünglichkeit dieses verhältnisses nicht und kann mehrerlei anlasz haben. gängeln kann übrigens auszer zu gängen auch zu gängel (adj. und subst.) gehören, gleichsam 'gängel machen', wie als intr. 'gängel sein'. dasz uns mhd. bezeugung fast ganz, ahd. ganz fehlt, ist sicher bloszer zufall.
b)
aber es greift ein fremder einflusz ein mit der bed. tändeln (2, c), die sich zwar mit dem intr. gängeln als ungeschäftigem, spielendem gehn noch nahe genug berührt, aber doch in der schweiz. form, die hd. als gänkeln zu fassen wäre, von gangen weg tritt zu einem stamme ganken, und auch das gängeln schaukeln 1, e nähert sich diesem; s. darüber gankeln, wo sich doch auch zeigen wird, wie die gang- und gank- sich völlig vermischen. gänggelen übrigens hat auszerdem gleichbed. gäggelen zur seite, s. u. gageln.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 6 (1874), Bd. IV,I,I (1878), Sp. 1244, Z. 43.

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Zitationshilfe
„gangeln“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/gangeln>.

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