Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

gottesmann, m.

gottesmann, m.,
nach Waag teuthonista 8, 39 ff. doppelten ursprungs. eine westgerm. bildung, die ursprünglich wohl zur bezeichnung germ. priester diente, findet sich auszer im ags. mehrmals im ahd.; und zwar sowohl in echter komposition gote-, gotman vornehmlich als personenname (vgl. Förstemann altdt. namenb. ²1, 683), nur vereinzelt für geistliche im muspilli (s. u. 1), als auch in der genitivverbindung bzw. -komposition gotesman ebenfalls als personenname (vgl. Förstemann a. a. o. 688) und besonders zur bezeichnung von geistlichen (s. u. 1). daneben ist für die kirchensprache mit einer anlehnung an lat. homo dei, vir dei zu rechnen, die biblisch propheten, offenbarungsträger und gläubige christen, nie aber priester bezeichnen (s. u. 2). — auf deutschem sprachgebiet begegnet das wort zuerst in quellen, die unter ags. missionseinflusz stehen, also besonders im nd. und md. raum; auch sein vorkommen im muspilli (unter 1) könnte ags. einflusz zugeschrieben werden. es dringt erst spätahd. in der bedeutung 1 mit den beichtformularen auch ins obd.; in der bedeutung 2 ist es bis in die mhd. zeit hinein nur md. und nd. nachweisbar. in echter komposition findet sich das wort auszer in personennamen nur noch im muspilli (s. u. 1) und vielleicht in einem mnd. beleg (s. Westphalen unter 3), sonst stets in der genitivverbindung, die in der bedeutung 2 früh zur komposition zusammenwächst. jüngere fugenlose formen bei Dannhawer catech.-milch (1657) 6, 603; Jean Paul w. 55/58, 142 Hempel sind spontan, ohne zusammenhang mit der älteren echten komposition, gebildet.
1)
in ahd. zeit als bezeichnung des geistlichen:
doch uuanit des uilo gotmanno (im gegensatz zu den uueroltrehtuuison),
daz Elias in demo uuige aruuartit uuerde
muspilli 48 Steinmeyer.
häufiger in dieser bedeutung in der genitivverbindung unter gott sp. 1066. von hier aus noch jünger im fries. von geistlichen personen im weitesten sinne: frethe alla godes husem and alla godes monnem (nd. var.: allen geesteliken personen, godes luden) (omnibus deo devotis) fries. rechtsqu. 2, 12 Richthofen.
2)
wohl in anlehnung an biblisches homo dei, vir dei von personen, die, von gott erleuchtet, in besonderer weise die sache gottes vertreten; vgl. gottesmann theander, homo a deo illustratus Stieler stammb. (1691) 1235.
a)
schon im altsächs. von biblischen personen, zunächst in der genitivverbindung:
ende hêt thene godes man (Johannes den täufer)
lîbu bilôsien
Heliand 2780 B.
in der zusammenrückung oft seit spätmhd. zeit, besonders von biblischen propheten und offenbarungsträgern: zu der tresilkamir der sone Eman, Jezedelien des gotismannis (hominis dei) sonis (Jerem. 35, 4) Claus Cranc prophetenübers. 132 Ziesemer; ebda 332;
hiemit zeigt Syrach David an
als ein erwelten gottes-mann
Hans Sachs 19, 208 lit. ver.;
du gottesmann (Daniel), wie strömst du milden trost
in unser herz
Stolberg ges. w. (1820) 4, 76;
so blieb es in Israel, und wenn es arg wurde, ... dann weckte gott einen gottesmann unter ihnen Fontane ges. w. (1905) I 2, 220. so auch gelegentlich von Christus: Nazarenus gotz man u. ä. (md. 15. jh.) Diefenbach gl. 377ᵃ; das allersubtiliste ... liecht (ist) ... der ... gottmann Christus, der Immanuel Dannhawer catech.-milch (1657) 6, 603; Jul. Mosen s. w. (1863) 2, 68.
b)
von a aus in weiterer anwendung von besonders frommen, gotterleuchteten personen, vor allem von heiligen, märtyrern, kirchlichen führern. zu der in dieser anwendung schon ahd. begegnenden genitivverbindung vgl. unter gott a. a. o.; die zusammenrückung setzt sich hier früh durch:
do uollen quam der gotis man (d. hl. Aegydius)
ce sente Petris grabe
Trierer Aegidius 1364 in: Germania 26, 45;
na deme (papst Gregor) ward gekoren de abbet van Monte Cassin Desiderius, en godesman; he wart geheten Victor sächs. weltchron. 178, 14 Weiland; auss disem soll folgen, das Luther ein heiliger gotsmann sey J. Nas eins vnd hundert 5 (1570) 37ᵃ;
und (sie) fand den wilden gottesmann (eremit) ...
dem hölzern kreuze knieend nahe
Lessing 1, 168 L.-M.;
den bitterlich ernsten gottesmann, den heiligen Augustinus G. Keller ges. w. (1889) 3, 206; es ist die tragik aller gottesmänner, dasz sie sich kämpfend für gottes recht selber ins unrecht setzen müssen Karl Barth Römerbr. (1926) 33.
c)
jünger, über b hinausführend, klassifizierend und gelegentlich auszeichnend von geistlichen, jedoch ohne unmittelbaren zusammenhang mit 1:
die glocken schlagen an. indessen wird der wein
das salböl heimgebracht, die väter gehn nach hause
und ziehn den gottesmann zum theurerkauften schmause
J. Chr. Günther s. w. 3, 115 Krämer;
es verliesz die kleine zelle
schon der treue gottesmann
Brentano ges. schr. (1852) 3, 358;
so neben einer etwa b entsprechenden, hier aber auf wörtlicher interpretation beruhenden verwendung:
da stralet nun dein geist, du theurer gottes-mann (ein pfarrer),
der itzt (mit seinem tode) mit mehrem recht ein gottes-mann geworden
in: poesie d. Niedersachsen (1721) 1, 206 Weichmann.
auch in auszerchristlicher anwendung: die stellung dieser gottesmänner (moscheenpriester) in der mohammedanischen gesellschaft Ratzel völkerkde (1885) 3, 122. unter einflusz von b kann das wort den akzent des fanatischen, starrköpfigen erhalten: und als der eifrige gottesmann (ein mönch, der eine hetäre zu bekehren versucht) sie nun freigab und aufrecht an ihrem sündenlager stand, lag die grosze gestalt auf demselben ..., wie von reue und bitterkeit zerschlagen G. Keller ges. w. (1889) 7, 393; auf diese weise drehte der Heiligenbauer kurzerhand der hinterhältigen klugheit des geistlichen den hals um, dasz der gottesmann in seinem blicke etwas von der starren ratlosigkeit des karpfenauges bekam Herm. Stehr d. Heiligenhof (1926) 2, 124.
3)
kirchenpfleger, -verwalter. nur im älteren nd.: die kirchen-lade samt den registern soll bei dem pfarrern verbleiben, die patronen aber zwei schlöszer dafürhangen, und jedem gottes-manne einen davon zustellen, auch jährlich von dem pfarrern und gottesleuten rechnung nehmen (1618) entscheid. d. Cölln. consistor. 205 Bonin; so vielleicht auch, wenn nicht zu 1: dat ... neen gademann edder geestlicke persön darsülvest binnen unser stadt Hadersleven jenige borgers-erve ... kopen und bewanen möge scholen (1499) bei: Westphalen monumenta inedita (1739) 4, 1987. unsicher bleibt auch ein godisman (1361) bei Bücher berufe d. st. Frankfurt 52ᵇ.
4)
soviel wie gotteshausmann 1 (s. d.): dasz kain gotesman in ermelte gmain Graun eingelassen werden soll (1617) österr. weist. 3, 333. —
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 9 (1955), Bd. IV,I,V (1958), Sp. 1285, Z. 44.

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Zitationshilfe
„gottesmann“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/gottesmann>.

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