Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

kleinmutig, kleinmütig

kleinmutig, kleinmütig,
pusillanimis, von diesem kirchlichen worte gewiss beeinfluszt. ein mhd. kleinmuotic ist nach dem subst. (s. folg.) durchaus zu erwarten, wenn nicht schon ahd.; bezeugt ist ahd. luzilmuotîg pusillanimis, gegensatz mihilmuotîg Graff 2, 694 (mhd. lützelmüetec), aber auch einfacher luzilmuoti oder -muot (gr. 2, 663), und ebenso mhd. kleinmuot (oder kleinmüete): vürhten iu nieht, die clainmuoten (voc.). J. Haupts hoh. lied 41, 30. kleinmütig kann daraus erweitert sein, oder besser aus kleiner mut entstanden: kleinmuͤtig (mit üe zu lesen), der ein kleinen muͦt hat, humilis ac demissus Maaler 245ᵈ. Im 15. 16. jh. ist die umlautlose form noch vorwiegend: chlainmuͦtig, kleinmutig Dief. 474ᵃ, clainmutig voc. inc. teut., kleinmutiger mycropsichus, pusillanimis voc. th. 1482 q 5ᵇ. Auszer dem hd. mnd. clenemodich Dief. 474ᵃ, nnl. kleinmoedig, entlehnt dän. kleinmodig, schwed. klenmodig.
1)
ursprünglich in der allgemeinen bed., die mut hatte. so
a)
von niedriger gesinnung: wie? antwort Amadis, meinet ihr dasz ich ein so kleinmütig und verzagtes herz hab, dasz ich in meiner gegenwertigkeit einer person, so mir zustendig, übels und gewalt thun lasse und leide? Amadis 250, auch verzaget hatte diesen sinn (genauer an êren verzaget u. ä.), beide als gegensatz zu ritterlicher hochherzigkeit, wir nennen das noch klein (sp. 1099), auch noch in ritterlicher auffassung feig, und kleinmütig erscheint hier so ziemlich als voller gegensatz zu groszmütig.
b)
selbst gleich klein für klein an geist, verstand (sp. 1099): so hab ich von der klainmütigen menschen wegen ain erclerung hinzugesetzt. Reuchlin verstentn. 1ᵇ; so aber die unvolkumnen und die klainmütigen ergernuss nemmen mochten. 2ᵃ. auch in folg. könnte kleinmütiges herz als gegensatz zum groszen geiste gemeint sein (herz vertritt früher vielfach unser geist):
ohn maszen trauwrig sein
ist kleinmühtiges herzen schein.
Kirchhof wendunm. 48ᵇ.
c)
geistlich, im anschlusz an eine bibelstelle: vermanet die ungezogen, tröstet die kleinmütigen, traget die schwachen. 1 Thess. 5, 14, τοὺς ὀλιγοψύχους, vulg. pusillanimes; pusillanimus, ein kleinmutiger, ein verzagter, eins kleinen gemutz, ein verzagter in sunden, ein verzwifelter. Melber varil. t 5ᵃ; ist mein meinung zuͦ reden von den kleinmütigen mönschen, die da sunst guͦtes willens sind, aber zuͦ vil plug (schüchtern, s. 2, 113) und forchtsam (gott gegenüber). Keisersberg irrig schaf (4°) B 1ᵃ; alle disputieren von gottes wort, und sterben kleinmütig und im zweifel, die kinder glauben (blosz) an gott und sterben selig. Lehmann flor. 1, 152. es berührt sich da mit kleingläubig, wie in der mhd. stelle oben kleinmuot statt Luthers kleingläubig eintritt.
d)
auch demütig in geistlichem sinne: ist das war, da solt du auch (dennoch) gott dem herren nicht übel reden (mit ihm grollen), sunder cleinmütig sein und dich schmucken (schmiegen, drücken). Keisersb. sünden d. m. 21ᵃ. vgl. sp. 1099.
2)
zu mut als frischer, tapfrer mut, entmutigt, verzagt u. ä.: perplexus, cleinmuetig, bekummert von herzen. gemma gemm. Str. 1518 T 1ᵃ; kleinmuͤtig werden, contrahere animum. Maaler; er (der kranke) solt nit so kleinmuͤtig sein. Wickram rollw. 73 (107, 9); nit kleinmühtig verzagen. Kirchhof mil. disc. 148;
wie dasz sie so kleinmüthig werden?
A. Gryphius 2, 114;
die rede des jägers machte uns ganz verzagt und kleinmühtig. Jucund. 155; kam er (der löwe) ganz kleinmüthig zu ihren füszen gekrochen. Felsenb. 4, 390; dieses geschahe .. mit sehr kleinmüthigen gemüte. Plesse 3, 338; er rief mit kleinmüthiger stimme aus. Rabener 2, 114;
o kleinmütiger, traut man doch dem geringeren freunde.
Voss Odyssee 20, 45;
es gibt gegen eine stunde des muths und vertrauens immer zehn, wo ich kleinmüthig bin. Schiller an Göthe 16. oct. 1795; um so in uns hochfahrenden stolz und kleinmüthige bescheidenheit in das gehörige gleichgewicht zu setzen. Tieck.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 5 (1867), Bd. V (1873), Sp. 1120, Z. 11.

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Zitationshilfe
„kleinmutig“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/kleinmutig>.

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