Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

steisz, m.

steisz, m.,
der hintere. ahd. stiuz clunis ahd. gl. 2, 371, 30; 2, 375, 48; mnd. stüt, nl. stuit, entlehnt ins schwedische als stuss. heute mundartlich vornehmlich nd. in der form stǖt, stīt, s. Doornkaat-Koolman 3, 357; Strodtmann id. Osnabrugense 235; Schambach Gött. 217ᵃ; brem.-niedersächs. wb. 1040; 1085; Mensing schlesw.-holstein. 4, 926; als stüting Woeste westf. 67; mehr östlich begegnet auch die form stütz (s. d.). die entsprechende obd. form steusz wird nur im osten bezeugt, s. Schmeller-Fr. 2, 788, als weiszsteusz tringa cinclus (die kleine wasserschnepfe) bei Höfer 3, 272; daneben begegnen obd. auch wurzelverwandte formen: mhd. stûz Heinrich von Neustadt Apollonius 6320; 12013; 12800 (s. u.), jedesmal reimend zu ûz. in späterer zeit begegnet stosz: die kryppen (brustbeine des schwanes) und stosz ... hat man andern ... fürgesetzt (16. jh.) fontes rerum Austriacarum I 1, 125; schöpsenstosz, kälberstosz, nach Adelung 4 (1780) 789 obd. gebräuchlich; stosz (der gans) Castelli Österreich ob der Ens 237, doch vgl. dazu auch ein vielleicht jüngeres stosz in der jägersprache, s. th. 10, 3, 476. seit dem 17. jh. wird steisz schriftsprachlich üblicher, wobei die entrundete form bald das übergewicht hat. steusz begegnet noch bei Grosser landwirtsch. (1590) m 1ᵇ; Schoch studentenleben (1657) h 3ᵃ; Adami Persius (1674) f 2ᵇ; Hohberg georg. cur. (1682) 2, 336. ebenso lange begegnet die form bei den lexikographen M. Mylius nomenclatura e 1ᵃ; Schottel (1663) 1422; Kramer 2 (1702) 969ᵇ; Steinbach 2 (1734) 697. schwanken zwischen eu und ei bei Prätorius winterfl. (1678) 345 und glückstopf (1669) 73 und bei Günther ged. (1735) (eu 501; 996; ei 389; 972). das genus ist masc., jedoch bei Schambach a. a. o. neutr. ein vereinzeltes steitz bei v. Fleming vollkomn. jäger (1719) 363 ist wohl im konsonantismus an stütz (s. d.) angelehnt. etymologisch gehört steisz zu stutzen (s. d.), stotz(en) (s. d.), anord. stūta abstutzen, stūtr abgestutztes horn, das stumpfe ende eines hornes, trinkhorn. es bedeutete ursprünglich den abgestutzten körpertheil.
1)
in eigentlicher verwendung.
a)
vornehmlich von tieren, besonders von vögeln (gans, ente), darum häufig zur wiedergabe von ὀῤῥοπύγιον, uro-, oro-, orthopygium: stuyte, stiete Kilian (1605) 540; M. Mylius nomencl. e 1ᵃ; Corvinus fons (1671) 347; Schottel (1663) 1422; Binnaert (1702) D d 5ᵃ: wenn man die gense zur mastung einsetzen will, sol man ihnen zuvor die fetten federen, so auff den pürtzel oder steusse hinden stehen, auszreuffen M. Grosser landtwirtschafft (1590) m 1ᵇ; die magd, die gern den steisz von der gansz isset J. Olorinus Martinsgansz (1609) 37; die kleinen kurzen federn um den steus herum ... zupfft man ihnen (den gänsen) aus Hohberg georg. cur. 2, 336; der steitz hat sechs würbel, womit sie sich im fliegen bewegen v. Fleming teutscher jäger 353; des pomadigen philisters wohl eingedenk, schob ich dem freunde M. die besten bissen hin, die hälse, die bäuche, die steisze (der hühner) E. Th. A. Hoffmann 10, 215 Gr.;
eine feder risz er (der geier) schweigend
aus dem steisz des vogels, steckte
sie auf seinen spitzen filzhut,
und er schritt des weges weiter
Heine 2, 388 E.;
ganz allgemein: an der unteren seite des rumpfs ... unterscheidet man die brust ... dann den unterleib ... und endlich den steisz Naumann vögel 1, 35; mitunter tritt in dem begriffe mehr das den körper deckende federkleid hervor: sturmvögel, die weisze steisze haben J. G. Forster s. schr. 1, 64; steisz und bürzel scharlachrot Brehm 4, 652 Pechuel-Lösche; von anderen tieren anscheinend seltener:
den rossen auf di püge
der stosz ward ungefuge,
dasz in di puege furen ausz
und sassen hinden auf den stausz
Heinrich v. Neustadt Apollonius 6320 Singer;
als wenn ein hund sich den steisz auf dem boden wischen will Reimarus wahrh. d. nat. rel. 418;
auf einer blassen heide
erblickt ich, vor einander
auf ihrem steisze sitzend
die schatten zweyer esel
Götz verm. ged. (1785) 3, 90;
ein principal friszt dem andern das brot vom munde weg, wie die blattläuse, eine der anderen, den saft vom steisz Holtei erz. schr. 37, 65; ähnlich vom steisz der mücke Rückert 6, 298.
b)
vom menschen, offenbar erst später gebrauch:
do gie er umb als ain rad
und viel zu der tür ausz
auf den rucken und auf den stausz
Heinrich v. Neustadt Apollonius 12013, ebenso 128000;
meist wie hier in derb-komischem oder gewollt unanständigem sinne:
ich mach auch meine fochtel nicht
auff den steisz tragen, wie geschicht,
ein kurzer pohk ist mein geweer
Voigtländer oden u. lieder (1642) 77;
sie (das mädchen) hat einen steusz ..., dasz sie eine gantze seite am tische mit einreumete Schoch studentenleben (1657) h 3ʳ; wer warestu ..., da dir das hemd zu den hosen heraushing, und da dir der steisz auf beyden seiten herauszguckte Chr. Weise erznarren 11 ndr.;
und ists denn nicht dein ernst, so wird sie, lieber knabe,
mit dem pantoffel dir den steusz wohl schlagen abe
Adami Persius (1674) f 2ᵇ;
er wird sich gleich in eine pfütze setzen,
das ist die art, wie er sich soulagirt,
und wenn blutegel sich an seinem steisz ergetzen,
ist er von geistern und von geist curirt
Göthe 14, 209 W.;
und, was sich niemand denken kann
einen steisz habe der grosze man
16, 51 W.;
ähnlich 3, 239; 5, 121; 16, 13; er hatte muth vor land- und reichsgrafen; ein markgraf, sagte er, führt so gut seinen steisz bei sich, als ich selber Jean Paul 32, 39 H.;
welchem steisz läszt sich ansehen dasz er sasz auf einem thron?
Platen 2, 130 Wolff-Schweitzer;
nothdurft ist billig, glück ist ohne preis:
drum sitz ich statt auf gold auf meinem steisz
Nietzsche 8, 339.
2)
bildlicher gebrauch. zunächst durch einfaches hineinheben sinnlich-anschaulicher wendungen ins bildhafte: meine leser ... können ... mich ... auserzählen lassen, eh sie ihre zornruthe gegen den bildlichen steisz des doktors hinter dem spiegel vorholen Jean Paul 1, 77 H.;
der Tasso zupfte schon mit bösem fleisz
mir manche bunte feder aus dem steisz
Baggesen poet. w. (1836) 3, 243;
diese alte person fuhr wie eine ente nach dem köder und tauchte bis zum steisz in meine lügen unter G. Freytag ges. w. 5, 173; vgl. in diesem zusammenhange auch die form des pars pro toto: die gemeinden lasen für ihre lehrstühle solche pädagogischen steisze aus, die schon auf ... schusterschemeln seszhaft waren Jean Paul 1, 366 H.; bildlicher: die theologie verbrannte der geliebkosten dichtkunst mit der brennenden fackel den steisz Klinger w. 3, 32.
3)
feste verbalverbindungen, redewendungen und sprichwörter, stets in wegwerfendem sinne: jemanden wie seinen steisz achten ihn nicht beachten: dieses ist auch die ursach, dasz ich von andern mägden gar kein werck gemacht, ja die hundertste kaum so gut als meinen steisz geachtet jungfer Robinson 2; wie sie aus lobsucht einer dem andern den steisz beleuchten maler Müller w. (1811) 2, 19; prale nicht mit deinen verwandten. der steisz könnte sich sonst auf das gesicht berufen Hebbel tageb. 3, 380 W.; häufig in der form sich auf den steisz setzen oder ähnlich: fall auf den steisz culata Jagemann (1799) 2, 1159;
zuweilen hält in trauermähr vertieft
die weise muhme für den schemel mich.
ich gleit ihr weg, sie setzt zur erde sich
auf ihren steisz, und schreyt: pardauz und hustet
Shakespeare 1, 198;
den steisz weisen als zeichen der feigheit:
bald wiesen alle mir den steisz
und flohen wie hasen heerdenweis
vor meinem Damascener
Blumauer ged. 200;
den steisz recken, renken mit besonderer betonung des überheblichen und affectierten:
es springt ein thier heraus, das will ein dichter seyn:
der kommt und reckt den steisz   vergafft sich in sich selber
J. G. Günther ged. (1735) 389;
die luft ernährt kein thier, das mehr gelächter zeugt
als wo der hochmuthsgeist in hasencörper fähret
da renkt sich lend und steusz, da wird kein knie gebeugt,
ob ihn der nachbar schon mit höflichkeit beschweret
ebda 501;
synonym mit dem steisze schwänzen:
grad edel vor sich hin sie geht,
ohne mit schlepp und steisz zu schwänzen
Göthe 16, 124 W.;
wendungen, die den höhepunkt einer wirkung betonen: ihn über die banck legen, dasz der steisz wackelte Chr. Weise die drey klügsten leute (1675) 51;
lasz den genie nur gehen
er weisz euch zu kuranzen ...,
wird euch mal begenien
dasz euch die steisze glühen
Bürger br. 1, 286 Strodtmann;
und fuszete sodann der geraden strasze nach, als brennte ihm der steisz Mörike 2, 73 G.; und damit lieffe er, als ob er feuer im podex (steisze) hätte jungfer Robinson 28; mit ähnlicher bildvorstellung: bis wir ihnen die streu unterm arsch (steisz var.) angezündt haben Schiller 2, 98 G.; einem das kalbfleisch vom steisze kehren jemanden vernünftig machen Weise erznarren 36 ndr.; einem etwas in den steusz stecken ano alicuius aliquid inferre Steinbach (1734) 2, 697:
steckt man euch (eseln) pfeffer in den steisz,
sogleich erhebt ihr des eselsgeschreis
entsetzliche laute
Heine w. 2, 194 E.
ich will von der leber wegreden, denn ich habe so von einem hühnersteisz gegessen W. Heinse Enkolp (1773) 1, 113. vgl. dazu Schambach Göttingen 217: nach dem aberglauben kann derjenige, welcher von einem vogel den steisz iszt, nichts verschweigen. sprichwörtlich: dat sin slimme muskaten, de men wil ut den stüt houwen bei Schiller-Lübben 4, 454; bleib sitzen, so tragen dir die mäuse keine holtzäpfel in den steisz (im sinne von 'bleib im lande und nähre dich redlich') Prätorius glückstopf (1669) 126; der fetten gansz den steisz schmieren einem wohlhabenden noch unnöthige zuwendungen machen Düringsfeld sprichwörter 1, 233ᵃ.
4)
besondere bedeutungen. a) steisz ein früher von den frauen unter dem gewande getragener wulst zum abspreizen der kleider, cul de Paris: ein künstlicher steisz, falscher steisz, aftersteisz, Pariser steisz Campe 4, 629. b) haarwulst der frauenspersonen, den sie sich hinten auf dem kopf zusammendrehen Strodtmann 346; Schambach 217. c) schon im 17. jh. bezeichnung der unteren spitze eines salzkorbes in den Hallenser salzbergwerken, vgl. Krünitz 173, 70; Beil 1, 573; dazu die wendung den steisz des korbes versetzen: wenn dieselben (salzkörbe) bis über die weitesten löcher voll saltz geschüttet seyn, sagen sie, es sey der steisz des korbes versetzet Fr. Hondorff das saltzwerk zu Halle (1670) 75. d) 'endstück eines seiles oder geschirrteil' (?): strickenmacher sollen hinfüro keine scheibenbaindling (runde lederstücke für handschuhe) oder anders mehr aus den häuten nehmen, sonder sollen sich gegen bezahlung 6 xr begniegen lassen, und ist ihr besoldung in des bauren speis von einer klafter strick und amplezen (doppelstrangiger riemstrick zur verbindung des joches mit der deichsel) dritthalben und von jedem staiss ein kreutzer, so es aber in seiner speis gemacht wird, toppelt tirol. weist. 3, 244; 35; denen strickern solle von ainer klafter stricken hinfiran in des paurn speis 3 xr und fir das flicken von zwo staissen 1 xr und fir ainer tschunggl (hornband der zugrinder) 10 xr, aber mehr nit bezahlet werden, dieselben aber ainiches scheib- oder anderes leder in wenig(st)en hinwöck zu nemben nit befuegt sein 4, 232, 37
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 14 (1934), Bd. X,II,II (1941), Sp. 2164, Z. 43.

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Zitationshilfe
„steisz“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/steisz>.

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