Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

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steier, steir, m..

steier, steir, m..
1)
steyr bezeichnung der uferschwalbe bei Pinicianus prompt. (1516) C 3ᵃ; drecksteier als name der stadtschwalbe in der Germersheimer gegend, s. Suolahti d. d. vogelnamen 25 f., s. ferner Schmeller² 2, 776.
2)
pflanzenname: steyr schon in einem arzneib. des 12. jahrh., s. mhd. verb. 2, 2, 642ᵃ; (herba) steyr vilicus ortus Diefenbach gloss. 619ᵃ (voc. theuton. Nürnb. 1482). so noch siebenb. schtîr 'ein häufiges unkraut in den gärten', in Schäszburg stir der zurückgebogene amaranth, s. Kramer 126.
3)
altmärk. steir 'der über der dreschtenne befindliche mit schlêten belegte raum ... zum aufbewahren der korngarben' Danneil 211ᵃ.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 11 (1919), Bd. X,II,II (1941), Sp. 1778, Z. 19.

stier, adj.

stier, adj.,
unbewegt, stumpf, starr, wild; von blick und haltung.
herkunft und verbreitung. aus mnl. stuur, stuyr, stuer 'barsch, mürrisch, unfreundlich; streng; kräftig' u. s. w., s. Verwijs-Verdam 7, 2380; mnd. stûr 'störrig, widerspenstig, lästig; grosz, schwer' Schiller-Lübben 4, 452. ahd. stur(r)i, hochstufig stiur(r)i, 'magnus, superbus, fortis, ferox'; altschwed. stūr 'grosz'; altnord. stūra 'düsterheit', vb. 'betrübt sein'. auszergerm. entspricht aind. sthūrá- 'stark, dick, grosz', avest. stūra- 'umfangreich, stark, derb' neben aind. sthávira— 'breit, dick, derb, dicht, vollwüchsig, alt' (vgl. stier, m.), zu einer u-erweiterung der wz. sthā- 'stehen', s. Persson beitr. 714 ff.; Walde-Pokorny 2, 609; Franck - v. Wijk et. wb. 682ᵇ; Torp nynorsk et. ordb. 735; Hellquist sv. etym. ordb. 890. stūr ist heute im ganzen nd. verbreitet, vgl. teil 10, 4, 572; 10, 2, 1168; dazu de Bo westvl. 974; Dijkstra friesch wb. 2, 209; nl. in der abl. stuursch, s. Franck-v. Wijk 682. aus nd. stur stammt älter nhd. stauer 'unfreundlich' (a. a. o.) und vielleicht lett. stũrs 'hartnäckig', s. Mühlenbach-Endzelin lett.-dtsches wb. 3, 1110 (meist dagegen als urverwandt angesehen, so von Trautmann balt.-sl. wb. 291). — ob stier aus dem nd. oder aus dem eigentlichen nl. ins hd. gelangte, ist wegen der dürftigkeit der mnd. quellen nicht sicher zu entscheiden; jedenfalls bieten die mnl. zeugnisse eine grundlage, die sowohl der bedeutung wie der art der ältesten verbreitung im hd. gerecht wird. im mnl. bezieht sich stūr zunächst auf die gemütshaltung, s. Verwijs-Verdam 7, 2381: stuyr wesen. wreet ... bitter wesen. streng, starck, ernstich wesen. ... ferocire ... acerbari v. d. Schueren Teuthonista 263 Clignett; stuer, stuerich affreux, rigoureux, rude ou severe. sentus, ferox, pervicax, praefractus, severus, dirus, inclemens, asper, horridus, rudis, torvus Plantin thes. theut. (1573) E e 3ᵈ; von hier aus dann auf den gesichtsausdruck gewandt: stuer. torvus, trux, austerus, horridus, ferox. dicitur stuer, q. d. stier. i. taurus: quod praecipua frontis asperitas in tauro appareat: unde torvus frequenti epitheto dicitur stuer sien taurinum vel taurine tueri: taurinis et limis oculis obtueri stuer ghesicht trux aspectus Kilian (1605) 539; (so auch heute nl. een stuursch gezicht hebben, stuursch kijken; nd. he kikt mi so stur an Danneil altmärk. 215ᵇ; stur gucke in der Frankfurter ma.). bei Matth. Quad (aus Deventer) in der neuen anwendung (s. auch u. stierig 2): es gehen die Tracier alle andere menschen vor in der grösze des leibs, haben gelbachtige augen und ein stuer gesicht enchiridion cosmogr. (1599) 54. bei dieser herleitung bleibt das verhältnis der deutschen lautung (stier) zur nl. (stǖr) unklar; vielleicht fand eine einwirkung des subst. stier (so deutsch und nl.) statt, weil der wilde blick des stieres als charakteristisch gilt (s. sp. 2849), so wie in dem wortspiel zwischen taurus und torvus bei Kilian (s. o.). die lautung stier ist zuerst in einer vereinzelten glosse des 15. jhs. bezeugt: acerbus stier Diefenbach gloss. 9ᵃ ('untere Maas' nach Mone a. a. o. vorr. xv, 'md.' nach Dief.-Wülcker 921 nr. 21), doch vgl. auch stieren, vb., bei Hesler u. sp. 2858. in zusammenhängender bezeugung im deutschen seit der mitte des 17. jhs. als übersetzung von torvus (vgl. o. Plantin und Kilian und im 18. jh. Lorry, s. u. sp. 2855): torve tueri die augen verkehren, grasz oder stier aussehen. torvitas ein starr oder stier aussehen Corvinus fons lat. (1671) 1474, ähnlich (1646) 904 und (1653) im index; wohl ebenfalls mit starker beteiligung der bedeutung 'wild' bei Phil. Zesen, der in Holland war: die fürstin stäbelte sich mit dem rechten arm auf ihr haubtküssen, zoog mit der linken den führhang auf, und sahe die Emilie stier an: naachdehm sie aber eine guhte zeit rädeloos gewäsen Ibrahims wundergesch. (Amsteldam 1645) 1, 523; in dieser tradition steht offenbar noch: stierisch, stier oder starr ansehen (einen) to stare upon one; ... to look staringly, or fixedly, upon him Ludwig teutsch-engl. (1716) 1865. hiernach wird das wort erst in den 70er jahren des 18. jhs. wieder aufgegriffen, von Lessing, Wieland, Lavater, Nicolai, Pfeffel u. a., und zwar in abgeschwächter bedeutung, so dasz es als synonym von starr erscheint; noch bis zur jahrhundertwende wird stier als ein neben starr entbehrlicher neuankömmling abgelehnt: aber kaum wagt Lessing das wort schnickschnack, oder beschreibt uns stiere, starre augen, so empören sich diejenigen, welche die buchsprache allein gebraucht wissen wollen, gegen dergleichen bemühungen J. Möser 5, 83; stier, 'welches, so wie stierig, nur in einigen gemeinen sprecharten des hoch- und obd. für starr üblich ist' Adelung 4 (1780) 752, ebenso noch i. j. 1801; stier für starr hat seit einiger zeit gnade vor den augen einiger modeschriftler gefunden, welche fleiszig damit um sich werfen, und ihre heldinnen aus stieren augen sehen, oder die umstehenden nach einer überstandenen ohnmacht von ihnen anstieren lassen Heynatz antibarbarus 2 (1797) 451. voll anerkannt bei Campe: stier und starr scheint man dahin zu unterscheiden, dasz man mit dem ersten noch den begriff eines wilden verstörten wesens verbindet 4, 657. heute ist stier in der schriftsprache allgemein. in den maa. dagegen nur selten, und auch dann wohl meist unter schriftsprachl. einflusz, s. Lenz Handschuhsh. 68; Unger-Khull steir. 577ᵇ; Wenisch nordwestböhm. 87; am besten im westen bezeugt, s. ten Doornkaat-K. ostfries. 3, 321; Liesenberg Stieger ma. 206; Hönig Kölner ma. 174ᵇ; auch bei Fr. Reuter, s. C. F. Müller Reuterlex. 129. in auffälliger abweichung von der schriftsprachlichen bedeutung: 'durch strenge unangenehm, überstrenge, rauh im betragen' Unger-Khull steir. 577ᵇ. — die meinung, stier sei aus starr bzw. sterr, stärr entstanden (Weigand wb.⁵ 2, 971; Kluge-Götze ¹¹594), hat lautliche schwierigkeit und übersieht die o. dargestellte tradition der form stur und der bedeutung 'ferox, torvus'. — die vereinzelt bei Fr. M. Klinger auftretende form stirr (u. 1 und 2, sp. 2856) wird auf anlehnung an starr beruhen, vgl. auch sturr neben stur (teil 10, 4, 573).
anwendung und bedeutung.
1)
vom ausdruck des auges, als widerspiegelung der gemütshaltung. die bedeutung stuft sich mannigfach ab zwischen 'unbewegt; matt, gebrochen, stumpf, teilnahmslos' und 'wild erregt'; auf die verschiedene anwendung übt auch die jeweilige anlehnung an starr und stier taurus (s. sp. 2848 ff.) einflusz.adverbiell:
der ritter sieht ein wenig stier
und schweigt
Wieland I, 12, 265 akad.;
noch lächelte sein mund, aber sein auge sah stier und seine wangen wurden blasz G. Freytag 4, 298; stier vor sich sehend theater der Deutschen 17, 255; setzte sich an des königs stelle und blickte stier vor sich hin Droysen gesch. Alexanders d. groszen 579;
er sprichts, bleibt stehn, und sieht so stier umher,
als ob sein blick in aller seelen dränge
Nicolai reise durch Deutschl. 8, 20;
stier sieht sie aus den perlenweiszen augen,
mit dunklem augenstern
Gisela v. Arnim dram. w. (1857) 3, 10;
er sah mich stier an. ich will verdammt seyn, sagte er endlich Schiller 4, 75 G.; fragte er mich mit einem stier glotzenden molochsgesicht J. G. Seume spazierg. n. Syrakus (1803) 41; der stierglotzende blick Zschokke s. ausg. schr. 26, 90; hatte stier die bücher von auszen angestarrt Heinr. Beck d. kamäleon (1803) 148; Louise lag über die leiche hingestreckt und betrachtete sie stier Gutzkow ritter v. geiste 8, 320; die augen liegen stier, gierig, tierisch auf der kleinen welle Liliencron zehn novellen (1904) 29; das seelestrahlende auge wird matt, oder quillt auch gläsern und stier aus seiner höhlung hervor Schiller 10, 97 G.;
nicht all so stier das auge glänzte mehr,
den arm sah ich ihn heben minder fahl
ein höllisch trugbild hielt sein auge stier
Fr. Kind ged. 2 (1878) 72;
substantiviert: seine augen bekamen nach und nach etwas stieres im blick A. v. Droste-Hülshoff 2, 329. — attributiv und praedikativ: das auge blieb zwar frei und beweglich, doch hatt es ein stieres und gläsernes ansehen Lenau (1844) bei Ed. Castle 1, 302. in fester ausbildung stierer blick:
mit todesangst im stieren blick,
mit röchelnder verschlemmter kehle
ruft jeder leichnam: wehe dir!
Pfeffel poet. vers. 3, 208;
mit einem stieren blicke risz sie mir die lumpen aus der hand Jung-Stilling 4, 199;
betrübt und zitternd sahn
ein pergament vor ihnen sie stieren blickes an
Chamisso 3, 308;
als er nicht mehr an der wahrheit zweifeln konnte, wurde sein blick stier H. Laube ges. schr. 4, 49; Donati schlug langsam die augen auf und sein erster blick war so fremd, stier und wild, dasz sich Florio ordentlich vor ihm entsetzte Eichendorff 3 (1864) 126;
componirest du Cäsars tod, so denke, du malest
furien, und dasz der blick stier nur und fürchterlich ist
Waiblinger ged. aus Italien 2, 77 Griseb.;
doch seine gespielin war nicht mehr die liebliche, holdselige Henriette, ... es war ein abgezehrtes, bleiches weib, ... dessen stierer blick ohne seele umherschweifte Holtei erz. schr. 6, 189. früh ohne den sinn einer abschätzig beurteilten gemütshaltung: wenn man eine schauspielerin mit groszen schönen augen zu dieser rolle hat. nur müssen sich diese schönen augen wenig oder gar nicht regen; ihre blicke müssen langsam und stier sein; sie müssen uns ... in flammen setzen wollen, aber nichts sagen Lessing 9, 238 M. nicht nur von der momentanen, sondern von der gesamten haltung: ich musz gestehn, dasz mich manche linkische wendung und mancher stiere blick in die classe der leute ohne welt — savoir vivre — stürzt E. T. A. Hoffmann an Hippel (1796) bei H. v. Müller 1, 90; der seltsame halb scheue halb stiere blick seiner wasserblauen augen verrieth schon, dasz er alle fürchtete, keinen ehrte, jedem die schlechtesten beweggründe unterschob Treitschke dtsche gesch. im 19. jh. 4, 140; ein kleiner häszlicher mensch, stieren blicks, ... war ein Jacobiner H. Laube ges. schr. 5, 50; ähnlich: der stiere und saure blick (torvus et impexus aspectus) A. C. Lorry von der melancholie (1770) in: allg. dtsche bibl. 12, 2, 62, hier als unverständliche medizinische bezeichnung gebucht; bemerkung eines gewissen stieren blicks der Schweizer, besonders der Zürcher Göthe (1797) III 2, 143 W.; auch: viele 1000 Deutsche werden kaum das rothwelsch des volkes verstehen, dessen singender holländischer accent schon übeln eindruck macht, wie die stieren physiognomien K. J. Weber Deutschland (1828) 4, 751. ebenso stieres auge: o, über die wilden, unbiegsamen männer, die nur immer ihr stieres auge auf das gespenst der ehre heften! für alles andere gefühl sich verhärten! Lessing 2, 240 M.; hast du mich besehen? hast du mit deinen stieren augen bald mich ausgemessen? H. v. Kleist 1, 281 E. Schmidt;
mit stierem
vorgequollnem auge rast der jude
Schubart s. ged. (1825) 2, 62;
stieren auges schaute sie in die dämmerung Holtei erz. schr. 16, 80; ich will mir den verrückten Benedict vorstellen, wie ich ihn treffen werde, jetzt stumm mit stieren kalbsaugen Raupach dram. w. kom. gatt. 4, 73; das erstaunen, welches blosz ein höherer grad der bewunderung ist, unterscheidet sich in seinem ausdrucke durch nichts, als durch verstärkung, erhöhung aller angegebenen züge, durch den weiter geöffneten mund, das stierere auge, die mehr in die höhe gezogenen augenbrauen J. J. Engel 7, 168; sehn sie meine graue haare, meine stirre augen! glücklich? Klinger theater (1786) 2, 304. in verschiedenen nüancen der bedeutung: wie er mit gleich heiterm, ruhigen blick seiner stieren augen auf feinde und freunde umherschaute Fr. A. Wolf verm. aufs. u. schr. (1802) 337; er sprach nicht, aber sein stieres, trübes auge erzählte von seinem bittern, tiefen herzweh Jos. Messner ausg. w. 105; ihr auge war stier und trocken G. Merkel erz. (1806) 1, 55; mit einem fuchsrothen bart, ... feurigen stieren augen Musäus volksmärchen 1, 36 Hempel; ihre stieren augen strahlten von unheimlichem glanze und brannten aus dem verzerrten angesicht, wie wenn sie erst hineingesetzt worden wären Holtei erz. schr. 4, 195;
und wo nicht tod,
da schaut verzweiflung aus den stieren augen.
sie haben keinen fluch mehr, keine thränen
O. Ludwig ges. schr. 3, 398 E. Schm.;
die stieren tieraugen (eines verendeten pferdes) funkelten und belauerten mich H. Watzlik pfarrer von Dornloh (1930) 238.
2)
auch unmittelbar von der gemütshaltung, wie das seltenere stur (teil 10, 4, 572). im sinne von 'unbewegt, stumpf':
allein der graf läszt sich durch nichts erschüttern
und geht so weiter, ganz zerstreut und stier
J. D. Gries Ariosto ras. Roland 3, 217;
als ich aber murrend mich
erhob, aus meinem felsen schlich,
den gau durchirrte, matt und stier
Kretschmann s. w. 1 (1784) 174;
sie (unsere kaiserin) ist so leutselig, blickt so klug und spricht so angenehm, als die französische zurückhaltend, stier und unbedeutend Varnhagen v. Ense an Karoline v. Humboldt briefw. 52 Leitzmann; ähnlich: der starke schädelknochen ... hat einen eigenthümlichen ausdruck, ... es liegt etwas massives, stieres, dumpfes in dieser knochenbildung Gutzkow ges. w. 11, 101; 'unentwegt': ich war die ganze zeit so stier in die bilder meiner phantasie vergaft Bahrdt gesch. s. lebens 1, 139; der widder: stieres widerhalten, und stumpfer stosztrieb Lavater physiognom. fragm. 2, 139;
drei sonnen sah ich am himmel stehn,
hab lang und fest sie angesehn,
und sie auch standen da so stier,
als könnten sie nicht weg von mir
W. Müller ged. 121 Hatfield;
im sinne von 'dumpf, trübe': der erste schritt, den ich aus dem stieren leid heraus setze H. Laube ges. schr. 3, 102; einen menschen, der in stumpfer, stierer verwunderung die augen aufreiszt Fr. Th. Vischer ästhetik 2, 130; (sie) aus der bewusztlosigkeit des stieren wahnsinns zu erwecken E. T. A. Hoffmann s. w. 3, 257 Grisebach; 'stumpf und wild': ein ziel, auf das er mit der stieren wut des betrunkenen losging W. v. Polenz Büttnerbauer 3, 352; 'erstarrt': sollen wir aber stier und starr das ende abwarten? Fr. L. Jahn 2, 214 Euler;
da trat auf einmal, stier und todtenbleich,
die mutter in die thür und sprach zu mir
Hebbel w. 1, 209 Werner;
'wild, zügellos': nur nicht so stier und hastig, eh du selbst noch weist, was ich sagen wolte A. G. Meiszner Alcibiades (1781) 2, 99; du hast das wilde, stirre der Berkleys. das rollende drohaug Klinger theater (1786) 2, 332; vermag die stieren, wahnwitzigen, gewalttätigen gesellen nicht mehr zu bändigen Rosegger sünderglöckel (1904) 9;
es kann nicht anders seyn, du mordetest ihn mir;
so sieht ein mörder aus; so grass, so stier
Shakespeare 1, 231.
3)
mundartliches, dessen zuordnung nicht sicher ist: er ist stier 'betrunken', 'weil der betrunkene stier vor sich hin blickt' Frischbier preusz. 2, 371; vgl. stierig 'betrunken' Martin-Lienhart elsäss. 2, 610, stierbesoffen 'vollständig betrunken' Hertel Thür. 235, auch u. stierartig und s. v. stier, m. (sp. 2849). — österreich. ich bin stier 'habe gar kein geld' Schranka Wiener dial. 164; Unger-Khull steir. 183; so mancher stiert vor sich hin, weil er stier ist Schranka a. a. o.; im gleichen sinne auch: mich stöszt der stier ebda; s. auch Horn soldatenspr. (1899) 98; vielleicht zu vgl.: stier, adv. 'provinzialwort für glatt' Kindleben stud.-lex. (1899) 200. anders: a stieri geschicht 'eine schlimme sache'; stier 'öde, langweilig, ohne geld, häszlich' Jakob Wiener dial. 183.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 18 (1939), Bd. X,II,II (1941), Sp. 2853, Z. 8.

1stier, n.

¹stier, n.,
steuerruder, s. ³steuer.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 18 (1939), Bd. X,II,II (1941), Sp. 2845, Z. 43.

2stier, m.

²stier, m.,
ein pflanzenname, s. ²stuhr.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 18 (1939), Bd. X,II,II (1941), Sp. 2845, Z. 44.

3stier, m.

³stier, m.,
widder, s. ¹ster, m.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 18 (1939), Bd. X,II,II (1941), Sp. 2845, Z. 45.

4stier, m.

⁴stier, m.,
männliches rind.
herkunft und verbreitung. got. stiur (zweisilbig, s. W. Schulze kl. schr. 483; 496), ags. stēor, neufries. stier, mnl. nl. stier, mnd. stēr, ahd. stior, mhd. stier; (vgl. an. stjóri als name für einen ochsen?). idg. *stevəro-, *steuro-; dazu auch avest. staora- 'groszvieh', mpers. stōr 'zugtier, rosz'. mit aind. sthávira- 'breit, dick, derb, dicht, vollwüchsig, alt', ahd. stūr(r)i, stiur(r)i 'stark, stattlich' (zu diesem vgl. auch u. stier, adj.) zusammen zur wz. *stā 'stehen', s. Walde-Pokorny 2, 609. — im heutigen nd. fehlt stier ganz, auch im mnd. gewöhnlich bulle, vgl. Schiller-Lübben 4, 390; am besten ist das wort im alem. und schwäb. bezeugt; auch im md. fast nur im westen; s. u. 1-3.
bedeutung. im got., ags. und ahd. 'männliches kalb'. so noch heute engl. steer 'junges, männliches, meist verschnittenes rind'; fries. stier 'zweijähriger ochse' Outzen gloss. 345, vgl. auch Jensen nordfries. 573. ebenso hat sich im deutschen die aus dem german. überkommene bedeutung in resten bis in die modernen mundarten erhalten (s. u. 1). heute ist in der schriftsprache die ausschlieszliche bedeutung 'männliches zuchtrind' (u. 3). in den maa. und in der älteren sprache ist die verbreitung von stier in dieser bedeutung durch andere wörter, z. b. bulle und farre, stark beschränkt. diese unterschiede der eigentlichen bedeutung (1-3) treten häufig (4-6) hinter andern gesichtspunkten zurück.
1)
junges, männliches rind. seit ahd. zeit als wiedergabe von iuvencus, während taurus mit farre wiedergegeben wird: iuvencus stior (10. jh.) ahd. gl. 3, 17, 4, thaurus far 16, 67; iuvencus stier (13. jh.) 3, 77, 58; 356, 14; 367, 62; iuvencus stier voc. opt. 43ᵇ Wackernagel; iuvencus ein junger ochs, stier Alberus dict. (1540) 58ᵇ; iuvencus ein zeytochsz, ein junger ochsz oder stier Frisius dict. (1556) 745ᵇ; so auch in der glossierung vitulus kalp vel stier, iuvenci stieri (12. jh.) ahd. gl. 3, 450, 23; 45; aber tauri pharri ebda 42; vgl. noch iunix (?) stier i. bos tenere etatis obd. voc. v. 1502 bei Diefenbach nov. gl. 224ᵃ; so auch zu verstehen: ain stier für 4 fl. (gegenüber ochsen für 7, 6 und 5 fl.) qu. v. 1466 bei Fischer schwäb. 5, 1758. durch die entwicklung der bedeutung 'zuchtrind' (u. 3) entsteht eine überschneidung: taurus eyn stier, bos iuvenis adhuc non castratus gemma gemm. (1495) x 8ᵃ; so es ... geboren ... nempt man sy kelber, so sy bald järig, werdend sy zeytkü, junge steir (l. stier) oder hagen (iuvencorum) genent, so sy yetz bärhafft oder sunst under die härd gelassen werdend, heiszt man sy kü und stier (taurus et vacca) Forer Gesners thierb. (1563) 116; stier obsolet. pro ochse, rind. ein junger stier iuvencus Steinbach wb. (1734) 2, 707. spuren der alten bedeutung noch in den mundarten: stier 'männliches, verschnittenes kalb, bis es erwachsen ist' Stalder schweiz. 2, 399; 'verschnittener ochse bis zu anderthalb jahren' Fischer schwäb. 5, 1758; 'junges männliches rind, gleichviel ob verschnitten oder nicht' Schmeller-Fr. bair. 2, 778; 'junger bulle' (also nicht verschnitten) Dähnert pomm. u. rüg. 461ᵇ; 'männliches verschnittenes rind unter vier jahren' (gegenüber ochse für das ältere) Spiess henneberg. 244.
2)
erwachsenes männliches rind, das nicht der zucht dient, heutigem schriftsprachlichen ochse entsprechend; mundartlich bezeugt: 'ochse' Gusinde Schönwald 218; 'verschnittener ochse' Fischer schwäb. 5. 1758; 'ochse, der den wagen zieht' Friedli bärnd. 4, 93; vgl. auch Lenz Handschuhsh. 68ᵇ. alt selten ausdrücklich bezeugt: bos castratus ein stier. bos initor farrochs Corvinus fons lat. (1671) 196, auch dass. (1623). — diese bedeutung ist seit dem älternhd. in der anwendung als arbeitstier bezeugt: so aber yemand ein jungen stier oder ochsen anspannt, ... wirdt dem armen mann sein arbeit geschafft des fürstenthumbs Wirtemberg newe landsordn. (1536) j 3ᵃ; tauros adiungere aratro stier eynwätten Frisius dict. (1556) 37ᵃ;
dort jammern nackte pflüger am rostenden,
stierlosen pfluge! jener, mit fremdem stier,
pflügt ...
J. M. Miller ged. (1783) 333;
die kost ...,
die wald und heerde gab, und die sein stier erpflügte
Dusch verm. w. (1754) 254;
(der dichter), der wie ein vogel gebaut ist, um die welt zu überschweben, ... er sollte zugleich wie der stier am pfluge ziehen? Göthe 21, 129 W.;
und er ins joch die stiere zwingt
J. G. Jacobi sämmtl. w. 5, 41;
herr, unser heer ist allbereits zerstreut,
wie junge losgejochte stiere nehmen
sie ihren lauf nach ost, west, süd und nord
Shakespeare 6, 316;
ohne das stipendium hätte er überhaupt nicht studieren können; er würde jetzt mit den stieren zu acker fahren K. Spitteler Gustav (1892) 15; ich weis nicht, was du oder ich für begriffe von freyheit haben, dasz wir an einem karrn ziehen, wie stiere Schiller 2, 155 G.diese bedeutung liegt im allgemeinen auch vor, wenn stiere geschlachtet werden:
du opfer mir schiere
mit eime veisseten stiere
Rudolf v. Ems weltchron. 18293;
das gut gemest ochssenfleisch, gemeste gute stechkölber, gute stier, so dem guten ochssenfleisch in der güte gantz gemesz ist ... gemeine stier, küh, und dergleichen schmalfleisch (1567) Reyscher württ. gesetze 12, 336; nach der ersten ... beihülfe ward brot gebacken, stiere wurden geschlachtet Göthe 24, 237 W.; er lag wie ein stier unter dem beil Schiller 2, 87 G.; auf die bedeutung juvencus (o. 1) weisend: derselbige (hat) auf einen tag können einen vierjährigen stier allein verzehren Dannhawer catech.-milch 2, 436; in dises häuszlin führ eyn stier, der dreiszig monat alt wol bei leib und feyst seie ... das der stier darvon sterbe, also das fleysch und beyn mit eynander zerknitschet werden M. Herr feldbau (1551) 180ᵇ; nim schmaltz ... (und) marck ausz eins jungen stiers bein Gäbelkover artzneybuch 2, 63.
3)
das männliche zuchtrind. diese aus 1 entwickelte bedeutung herrscht heute in der schriftsprache allein. mundartlich wohl nur im alem. heimisch: d'chua zuama stier füahra Bühler Davos 1, 143; mit der chue zum stier fare Seiler Basler ma. 278; auch Hunziker Aarg. 254. das zuchttier ist das nicht verschnittene: stir taurus dicitur bos non castratus voc. inc. teut. (1471) ee 4ᵃ; dann sie (die bauern) die stier klemmen und machen also ochsen darausz Sebiz feldbau 196; wellicher ... under siner zal galtvech zwen geheilet (verschnittene) stier hette, der möge mit denselben ouch wol zum zugvech ze weid faren ... aber under dem galtvech damit man zuo den kügen zuo weide fart, soll dhein geheilter stier sein (1576) Hotz Zürcher urk.-buch 1, 142; von mastrindern, weydfleisch, verheylten stieren, vernondten stechkelbern, verschnittenen ochsen von pfarren Fischart Garg. 76 ndr.die neue bedeutung ist vor der älternhd. zeit nur vereinzelt eindeutig bezeugt, doch lassen die vergleichsweisen und übertragenen zeugnisse des mhd. (u. 4 a und b) vielleicht auf das bestehen dieser bedeutung schlieszen; nicht sicher auszuwerten ist die glosse taurus stier (neben bos ochse, vacca choͮ, ... ludellus stierlin, 12. jh.) ahd. gloss. 3, 443, 58 St.-S., eindeutiger: samnunga stiero an cūon folco 'congregatio taurorum in uaccio populorum' altniederfränk. ps. 67, 31 v. Helten; daz ich im und dem spital gunnen sol, einen hirt und einen stier ze han zu dez spitals vieh. ... si sullen auch den stier han nur zu ir selbs vieh und zu dheinem anderen (1339) urk.-buch d. stadt Augsburg 1, 343 Meyer; item welher ainen stier in sinem stal bis zuͦm tail zücht und den darüber behalt und bruchen wil, der gytt desselben ersten jars von dem stier zuͦ rindtmüt ain scheffel fesen (1503) recht der reichsstadt Rottweil 245 Greiner; wann ain nachtper ain stier leicht zu seinem vich österr. weisth. 2, 238; man soll die küh nicht eh zum stier lassen, sie seien dann dreier jar alt Sebiz feldbau (1579) 96; den stier zur kuhe lassen Kramer 2 (1702) 971ᵃ; zwen stier sind gnug under sibentzig kü Forer Gesners thierb. (1563) 122ᵇ; die kühe ... verschmähen die stiere Eschenburg beispielsammlung 1, 313; das die sterckesten der andern führer seindt, als die stier, eber, hanen Xylander Polybius (1574) 325; armenta boum ein hauffen ochsen, armenti dux der stier der vor dem hauffen gadt Frisius dict. (1556) 120ᵃ; man verglich ihn dem stier der heerde, den zu reizen für keinen räthlich war Mommsen röm. gesch.⁴ 3, 14; kannst du mir einen schönen Tiroler stier mitbringen, so sollst du dank haben. du sprichst in deinem briefe davon so anziehend und weiszt nicht, welche wünsche das in meinem ökonomischen herzen erregt A. v. Arnim bei Görres ges. br. 3, 362; weil ich die Deutschen kenne, kann ich nicht wünschen, dasz juden mit ihnen zusammen gelassen werden ... niemand kann mit stieren pflügen, und mit hengsten fährt man nicht gerne Lagarde dtsche schr. 43. in verbindung mit synonymen, von denen farre die gröszte verbreitung hat:
ihr drinket aus dem becher, wi drinken ut dem stope,
ewr magt ein leibchen hat, unse deren drecht eine jope
de platteisen bi juw schmecken als unse schullen,
juwe stier hebben hörner als unse bullen
Lauremberg scherzged. 72 lit. ver.;
begund er varen unde vant
die zwêne pfarren alzehant. ...
die griuwelichen stiere
bestuont er dâ mit strîte
Konrad v. Würzburg troj. kr. 9684;
man treibt ein farren gen Mompelier,
kompt wider, er bleibt ein stier
Petri d. Teutschen weish. 2, O o 6ᵇ;
taurus stier, farr oder brüllochs Zehner nomencl. (1663) 307; die stiere (farren) erhalten mastfutter statt zeugungsfutter, werden bald zum sprunge zu schwer J. N. v. Schwerz prakt. ackerbau (1882) 772. vom männlichen tier des wild lebenden jaks: bei tag und nacht sind jetzt die stiere in unruhe und aufregung. die einsiedler gesellen sich den herden, laufen, kühe suchend Brehm tierleben 3, 254 P.-L.die zeugungstätigkeit des stieres gilt als charakteristisch: künstlich vorgebäu, damit einem kein frembder stier in stall steigt Grimmelshausen 4, 508 Keller;
den andern mach wir zu eim stier,
ruhlosz und sehnend mit begir
H. Sachs 21, 286 K.-G.;
sie (verliebte) wünschen ... die art eines haanen und stiers in der unkeuschheit Albertinus zeitkürtzer (1603) 51; ist nicht jeder mensch ein sultan, wenn er kann, nicht jeder stier und hirsch? Heinse 4, 155 Schüdd.; sieht er denn wirklich in dem Bothwell nur einen brünstigen stier Ludwig ges. schr. 5, 390. vereinzelt: 'bei den hirten name einer kuh, die wenig milch gibt' Tobler appenzell. 408ᵇ. von hier aus gilt in der jüngeren nhd. literatursprache stier über die technische bedeutung 'zuchtrind' hinaus auch als edleres wort für das männliche rind allgemein, bes. typisch an stellen, die sich auf die antike beziehen, z. t. in übersetzungstradition für taurus:
wenn Ajax schnaubend geht, beraubet aller sinnen,
bald einen grossen stier, bald einen hamel sticht
Rachel sat. ged. 52 ndr.;
opfer fallen hier
weder lamm noch stier
aber menschenopfer unerhört
Göthe 1, 221 W.;
opfere einen feisten stier der rossebezähmerin Pallas Athene Bettine Günderode 1 (1840) 116; sonst:
er wirft das haupt und murmelt fort,
klatscht kosend den gewaltgen stier
sein auge ist fromm, ähnlich dem auge des frommen stiers maler Müller 1, 48; so ist etwa das nächste beste symbol der stärke allerdings der löwe, ebenso sehr aber auch der stier Hegel 10, 395;
dort streckt ein junger stier sich am gestade nieder
mit träger langsamkeit
v. Cronegk schr. 2 (1766) 195;
ein prächtig spiel des schicksals, dasz es ... die grabmäler hier zur ruhestätte des weidenden stiers macht Hölderlin 2, 139 Litzmann.
4)
die ungezügelte kraft und wildheit des stieres wird in der literarischen anwendung des wortes besonders oft herausgestellt; vgl. z. b.
ir genuge sich wandelten
in vil gruweliche tiere.
lewen, beren, stiere
passional 236, 70 K.;
der stier ist ein wütend, mutig, zornig, dapffer thier Forer Gesners thierb. (1563) 123. besonders wilder stier: wann man ein zornigen, wilden, ungebändten stier nit stillen noch gewältigen kan Guarinonius grewel der verw. (1610) 120; als vor wenig tagen ein stiergefecht gehalten wurde, und ein gewisser mensch sich den vorsatz nahm, einen über alle massen wilden stier anzugreiffen Stranitzky ollapatrida 340 Wiener ndr.; kühner bändiger des muthigen rosses und des wilden stiers J. G. Forster sämtl. schr. 5, 68. als zeichen der wildheit erscheint auch das brüllen des stiers:
ein grimmger stier, ein wilder drache ists, ...
sein hohles brüllen macht das ufer zittern
Schiller 15, 1, 79 G.;
brüllt nun auch der wunde stier und rast
Fouqué held des nordens 3, 23.
hier liegt der ausgang für eine reichentwickelte vergleichende und übertragene anwendung.
a)
im vergleich vom ungebärdigen wesen und handeln eines menschen:
er ist so schiehe
als ein wilder stier
Neidhart in: minnesinger 3, 191 v. d. Hagen;
tha vaht der helet Olivier
rehte sam der wilte stier,
thes niemen erbeiten tharf
Rolandslied 6197 W. Grimm;
der vierde wil met, der fünfte bier,
der sehste trinket wazzer als ein stier
Hugo v. Trimberg renner 9369 Ehr.;
se (die trunkenen) ropen unde singen also de stere,
de sangk kumpt van gudeme bere,
des drinken ze avergrote toghe
Josef vvn den sieben todsünden 7217 bei Schiller-Lübben 4, 390;
so handlet er (der mensch) wie ein stumm, wie ein thier, wie ein wütender stier, ohn vernunfft und menschlichs wesen Paracelsus op. (1616) 2, 407 Huser; der jüngling tobet und wütet in der liebe wie ein unsinniger stier Val. Schumann nachtbüchlein 207 Bolte;
und gang do här recht wie ain stier,
verglich mich gantz eim wilden thier,
zu dem sich niemandt nahen thar.
im eebruch, soltu nämen war,
zier ich zu aller zeit mein lyb
P. Gengenbach 63 Goedeke;
ich fuhr unter sie hinein wie ein wüthender stier Göthe 43, 48 W.; wenn man auf eine wahrheit wie ein stier los rennt, fällt man in des teufels stricke W. Alexis Isegrim 3, 176; (sah) menschen vor den gräbern der heiligen wie wölfe heulen, ... wie stiere brüllen Zimmermann üb. d. einsamk. 1, 297; Wolck schrie auf wie ein verwundeter stier H. Laube ges. schr. 14, 207; über hundert schüler, roh und wild, wie unbändige stiere Schubart leben u. gesinn. 1, 87; ich war eigensinnig und hartnäckig wie ein stier H. Laube ges. schr. 1, 147; übrigens ist er häszlich, wie ein feld voll teufel, und gröber als ein wilder stier Bäuerle kom. theater 3, 55. auch mundartlich: tubacke (rauchen), riich sii u. s. w. wie ne stier 'stark, sehr' Friedli Bärnd. 5, 196; wie ein stier besoffen sein nd. korr.-bl. 3, 54. — im ältern nhd. von einem menschen mit dem bösen, starren, glotzenden, auch dummen blick eines wütenden stieres: also wer ... Socrat ... von gestalt gering anzusehen, ... so bäurisch quartiert von leib war er, ..., mit eim glatzenden kopff ... augensperrig wie ein stier, dem gebunden seind alle vier Fischart Garg. 19 ndr.;
des nachts spat, wenn min man heim gat
und wie ein ölgötz vor mir stat,
sicht wie ein stier, falt wider dwend,
das ist ein jamer und ellend
H. R. Manuel weinspiel 2668 ndr.;
sahe umb sich mit trutzigen augen, wie ein stier, dem ein streich worden ist buch der liebe (1587) 225ᵇ;
Gunst sah in an gleich wie ein stier,
als ob er wer ein kemelthier
Casp. Scheit fröhlich heimfart 619 Str.
du solt erstlich gar niemandt grüszen,
und fielstu uber in mit füszen,
und sih in an gleich wie ein stier,
und gib im böser plick wol vier
ders. Grobianus 1054 ndr.;
mundartlich: augen machen wie ein stier 'starren' Fischer schwäb. 5, 1759; in ättas luaga wia an stier in as nüs gadatürli Bühler Davos 1, 309. — hierher im stier sein, den stier haben in wut, übellaunig, von sinnen sein; mundartlich im alem. und schwäb., s. Stalder schweiz. 2, 399; Martin - Lienhart 2, 610; Fischer 6, 3209: mit dem ist heut nex anzufangen, der ist heut wieder im stier ebda 5, 1759; auch: den stier haben gedankenlos vor sich hin starren ebda. die form dieser redensarten steht vielleicht unter dem einflusz der mit stier 'sternzeichen' gebräuchlichen wendungen, s. u. 6; vgl.: der ist nicht im stier geboren 'er ist nicht dumm' Fischer schwäb. 5, 1759.
b)
in direkter übertragung; auf einen machtvollen, kräftigen menschen: solch ein frosch, sich gegen solch einen stier aufzublasen maler Müller 2, 99. auf die wildheit und ungebärdigkeit zielend:
das sanfte frauenherz wird zum perille,
ein schuldlos wesen wird zum glühnden stier
Fr. Kind ged. 4, 279;
den rasenden stier der begierden soll er fangen
und dem hochmuth die rosse nehmen nach meinem verlangen
Meisl theatr. quodlibet 5, 13;
wenn ich diesen text ... an unsre gesandschaften mittheile, so wird er in Paris ... den eindruck des rothen tuches auf den gallischen stier machen Bismarck ged. u. erinn. 2, 113 volksausg., vgl.: rote kleider verursachend die stier zu zorn und grimmen Forer Gesners thierb. (1563) 123ᵃ. auf ungefügigkeit, plumpheit, dummheit zielend:
wilt du der warhait nit gelauben,
so gelaubt man aver das von dir,
du seists ein esel und ein stier!
Wittenwiler 3444 Wieszner;
an den stier zu Wiettenberg Hier. Emser titel, s. Luther 7, 266 W.; dess Emsser quatern an den stier tzu Wittemberg hab ich neben ewr schrifft empfangen Luther 7, 271 W.;
er ist ein unvernünfftig thier,
ein kue, ein ochs, ein grober stier,
ein wilde bestie
Hayneccius Hans Pfriem 69 ndr.;
vgl.: ein bauer und ein stier sind gleiche thiere Düringsfeld sprichw. (1875) 1, 77ᵇ. mundartlich als schimpfwort für einen dummen, ungeschlachten oder allzu gutmütigen menschen, s. Martin-Lienhart elsäss. 2, 610; Follmann lothr. 498; luxemburg. ma. 421; kärnt. bei Frommann dtsche maa. 4, 157; vgl.:
grawi auga sind an zier,
bruni hed an jeda stier
Bühler Davos 1, 312.
wohl auf mundartlicher grundlage: wetter! rief er aus, kann einer so ein stier sein und noch lang sinniren hin und her, wo doch ein ding glatt auf der hand liegt Mörike ges. schr. (1878) 2, 184.
c)
in gleicher bildhaftigkeit die hörner des stiers, in redensarten u. ä.; eigentlich: es (das schaf) stoszet nit mit den hörneren als ein stier Keisersberg irrig schaf (1514) a 2ᵃ; der mensch ... wird nicht geboren ... mit starken hörnern, dasz er wie die stiere und büffel stoszen ... sol Neumark teutsche palmbaum (1668) 146;
so muthig kann kein stier das horn zum streite wetzen
Rost verm. ged. (1769) 56;
wie stiere eifersüchtig auf einander rennen und horn an horn zerschlagen maler Müller 1, 359; stöszigem stier wachsen kurze hörner Binder 189; jungen stiern wachsen die hörner, jungen knaben der muth Lehman flor. polit. (1662) 3, 154. vergleichsweise von menschen: du, prelate, wes sachtmodich ende vorhef nicht dyne hoerne als eyn steer byen book bei Schiller-Lübben 4, 390; da war er in die hände des ... friesischen bauern gefallen, der mit unentwegtem beharren in die wissenschaft stiesz, wie der stier gegen die stallverschalung Gust. Frenssen Jörn Uhl (1902) 482. direkt übertragen: mein lieber abbé, sie haben den stier (das volk der franz. revolution) losgekettet und beklagen sich, dasz er sie seine hörner fühlen läszt? Dahlmann gesch. d. franz. revol. 254. anders:
(die metzen) wicklen vil hudlen in die zöpff,
grosz hörner machen uff die köpff,
als ob es wer ein grosser stier
Seb. Brant narrenschiff 4 Zarncke;
wenn der geschäftsmann des herrn von Siegshofen nicht zu denen gehört hätte, die dem stier die hörner vom kopf herunter handeln M. v. Ebner-Eschenbach ges. schr. 4, 172; Francesco hat einen stier an den hörnern zu boden gestürzt Gerstenberg Ugolino 261. — den stier bei den hörnern fassen, packen übertragen für 'eine sache an ihrer gefährlichsten, schwierigsten seite anpacken', eine junge redensart: die Preuszen stürmten ohne erfolg und verloren eine unmasse leute. da äuszerte ein general: wir haben den stier bei den hörnern gepackt zs. f. d. dtschen unterr. 14, 663; einen wüthenden stier muss man nicht bei den hörnern nehmen Wander sprichw.-lex. 4, 860, auch ndl. bei Harrebomée spreekwb. (1856) 2, 306ᵇ; ihr momentanes schweigen deutet möglicherweise darauf hin, dass sie erkannt haben, es habe immer seine bedenken, den stier bei den hörnern zu packen Berl. pol. nachr. (1887) bei Borchardt-Wustmann sprichw. (1925) 461; warum auch nicht bei den hörnern, wenn man nur stärker ist als der stier qu. v. 1870 bei Wander sprichw.-lex. 4, 856. während früher die redensart im sinne von 'eine waghalsigkeit begehen' angewandt wurde (zs. f. d. dtschen unterr. 14, 662; 16, 57; 437), wird sie heute mehr zustimmend für 'eine schwierige sache ohne umschweife in angriff nehmen' angewandt, vgl. den unterschied in der bedeutungsangabe bei Borchardt-Wustmann (1925) 461 und ebda (1888) 412: diese partei verläszt den kampfplatz, auf den sie in der absicht getreten war, den stier bei den hörnern zu fassen, in sehr niedergeschlagener stimmung qu. v. 1874 bei Wander sprichw.-lex. 4, 857. vgl. auch: de stier helt me bin hörnern, de ma bin wort Sutermeister spruchr. (1863) ebda; de steer mat den hierner hulen luxemburg. ma. 421.
5)
der stier ist ein beliebtes wappentier, s. v. Querfurth 78; Chr. v. Ulmenstein urspr. d. wappenwesens (1935) 17: in deren (Europas) baner ain wyszer stier verwapnet was Stainhöwel de claris mulieribus 48 lit. ver.;
auch sah er an dem marck mit zier
gegossen ein wolff und ein stier
auff zwo sewlen samb lebend streitten
H. Sachs 2, 325 K.;
die vier feldzeichen der einzelnen legionstheile, der wolf, der mannsköpfige stier, das rosz, der eber Mommsen röm. gesch. (1874) 2, 195; daher, in einer art personifizierung: der kampf ... des sabellischen stiers gegen die römische wölfin ebda 2, 231; ein trabant des herzogs Karl. ... des stiers von Burgund, welchem das Schweizervolk die hörner abrisz und den kopf dazu? G. Freytag 2, 33. besonders bekannt im wappen Uris:
mit mannheit und mit witze griffends den löwen an, ...
he sie schlagend in uff den tod,
darzu die vesten von Uri, mit irem schwarzen stier,
viel vester dann ein mure, bestrittends das grimme thier ...
also vertrieb der stier den löwen usz dem korn
Suter bei Bernh. Wolff samml. hist. lieder (1830) 460;
der deputirte des kantons, der den stier im wappen führt fürst Pückler briefw. u. tageb. 2, 141; schon alt personifiziert:
die schlang von Mailand ist zogen usz
dem stier von Uri in sin land
(1478) hist. volksl. 2, 147 Liliencron;
der stier von Uri hat scharpfi horn,
kein herr ward im nie zhoch geborn;
er stoszt in nider uf den grund
Äg. Tschudi in: hist. volksl. 1, 117 Liliencron;
s. auch ebda 3, 163. mit dem wappentier war auch das vor dem heerhaufen mitgeführte horn geschmückt, und daher konnte dieses selbst als stier bezeichnet werden, vgl. schweiz. id. 2, 1621; 3, 91: ain knecht ... hat in der schlacht den stier von Uri gewunen mit gewalt und den erwürgt, der in gefürt und geblasen hat. den hat er dem khünig selb geschenckt. ... (ein anderer) hat auch in der schlacht gewünnen die khu von Schweytz und erwürgt, der sy geblasen (1515) die ersten deutschen zeitungen 111 Weller; daher stier von Uri als bezeichnung des hornbläsers: es werden ... die stier uren genent, darumb disz landvolck, die eltisten von den Tauriscern, den stierkopff und namen Urner, das ist ochszner, noch haben. in kriegen füren sie ein grosses horn mit blaasen, das zu einem zeichen, als ein trummeet. ein sonderlicher landsmann zu disem dienst und hornblaasen bestelt, wirt als denn genent der stier von Uri Stumpf Schweizerchron. (1606) 508ᵇ; wo ist der stier von Uri? ... steigt auf die hochwacht, blaszt in euer horn (stier von Uri geht ab) Schiller 14, 404 G. (Wilhelm Tell V 1).
6)
bezeichnung eines der zwölf teile oder zeichen der ekliptik, entsprechend griech. ταῦρος, lat. taurus. seit Oswald v. Wolkenstein bezeugt:
der leo in seinem zaichen
ain zwelfer ist genant.
ain krebs mit sainem slaichen
geleichet dem tarant.
stier, wider, die junkfraue,
das zwiling, visch, ain schütz
leg auff die wag und schaue,
wasserman, den stainpock sprütz
184 Schatz;
ja gar ins himmels firmament,
der zeichen auch sein drey,
der stier und wider wirdt genendt
Theob. Höck schönes blumenfeld 109 ndr.;
in dem thierkreis abgebildet
ist mein leben: stier und brüder
Müllner dram. w. (1828) 2, 151;
durch den reichen himmel schreiten
seh ich wunderbar gebild.
denn die jungfrau hebt den schleier,
und der widder freudig springt,
und der stier erhebt sich freier,
da der schwan verbuhlet singt
Cl. Brentano 3, 294;
den zieht der eigennutz in eines widders hausz ...
der andre sucht im stier ein horn vol uberflusz
Pietsch geb. schr. (1740) 132 Bock.
meist in der zeitbestimmung vermittels des hinweises auf den standort der sonne oder des mondes, besonders in der wendung im stier: wenn die sonn im stier ist, so bricht das glentz dahär aperit annum taurus Frisius dict. (1556) 99ᵃ; den 11. januarii ..., im zeichen, da die sonne im wassermann und im stier 28 grad hoch stehet, ... hat mir mein liebes weib einen jungen sohn ... geboren Schweinichen denkwürdigk. 299 Österley; wann der mon im löwen oder scorpion oder schützen oder stier ist Sebiz feldbau (1579) 520; wenn ... der mond im schein ist, und zunimmt im stier, zwillinge, wage und wassermann Prätorius winterflucht (1678) 184; folgents fengt sich das sechst hauss im 23. grad des schützen an, partem fortune hat im 11. hauss, im 17. grad dess stiers Joh. Nas antipap. eins u. hundert 5, 53. auch mundartlich: im stier sin 'von der sonne, im zeichen des stieres stehen' Martin-Lienhart elsäss. 2, 610;
um Pankraz und Servaz neumond im stier,
so fürcht, dasz obst und wein erfrier
Fischer schwäb. 5, 1759.
ebenso im zeichen des stiers: alles steinobst ist am besten um diese zeit zu versetzen ... wann er (der mond) im zeichen des stiers, zwilling, waag oder wassermanns ist v. Hohberg georg. cur. (1682) 1, 109; vgl. das zeichen des stiers Kramer 2 (1702) 971ᵇ;
ich bin april und führ des stieres zeichen,
der im aprile wird zum pflug gespannt
Cl. Brentano 2, 581.
in anderen wendungen: anfenglich heb an graben und zusuchen, in der influentz Lunae oder Saturni, und wann der mond geht in stier Paracelsus op. (1616) 2, 294 Huser; sie wollen der sonnen ... den weg zeigen ... durch den stir Schupp schr. 534;
Cambyses dankt und opfert dir, o sonne!
nicht, weil dein lauf durch stier und wagen streift
Hagedorn poet. w. (1769) 3, 44;
so wie das äquinoctium aus dem stiere in den widder vorgerückt sey Hegel 7, 60; wie im frühling, wenn die sonne mit dem stier durch den himmel fährt Bodmer samml. krit. poet. schr. 1, 47. — daher im stier als direkte zeitangabe:
schlachtets nicht im stiere,
damit den Mars sein unglück rühre,
dem gotte Roms Ägyptens gott?
J. A. Schlegel verm. ged. 1, 176.
7)
bezeichnungen, deren verhältnis zu stier 'rind' ungeklärt ist.
a)
im kegelspiel. 'kegelkugel, die, weil schlecht geworfen, sich spieszt' Unger-Khull steir. 577ᵇ. 'gruppe von drei kegeln' Schmeller-Frommann bair. 2, 778; Fischer schwäb. 6, 3209.
b)
in der fechtkunst eine art der verteidigung: stier, m., stirn, gen., Lebküchner messerfechten (1482) bei Schmeller-Frommann 2, 778; der läger im dusacken anfänglich sind fünff: als die zornhaut, stier, mittelhut, eber und wechsel Sutorius fechtbuch (1612) 20.
c)
'stier heiszt das bier zu Schweidnitz' Jacobsson technol. wb. 7, 454ᵇ.
d)
stier, m., 'unbrauchbare überbleibsel im kalkofen' Bacher Lusern 394.
e)
rotwelsch stier 'huhn, henne', vgl. Horn soldatenspr. (1899) 92: daz es die bawren nicht mercken sollen ... so brauchen sie (die soldaten) viel andere wörter, damit sie alles, was sie reden, auff gut teutsch nennen, aber mit einem verkehrten namen, und das heist rothwelsch. als exempli gratia: ein hun, heiszen sie ein stier, ... ein gansz ein strohbutzen Joh. Jac. v. Wallhausen kriegskunst zu fusz (1615) 22. später in der form stire, stühre bezeugt: stühre, eine henne Hildburghausener wb. (1753) bei Kluge rotw. 232; henne, stire Pfullendorfer jaunerwb. (1820) a. a. o. 341; stiere hühner v. Train choch. loschen 121ᵇ; in gleicher bedeutung stierche, stürchen, stärchen, stüricke, pl. stiererche Grolman spitzbubenspr. (1822) 69ᵃ.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 18 (1939), Bd. X,II,II (1941), Sp. 2845, Z. 46.

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Zitationshilfe
„steir“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/steir>.

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