Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

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niesen, verb.

niesen, verb.
sternutare. ahd. niusan, niesan, mhd. und md. niesen starkformig (nôs, nurn, genorn), altn. hnjósa (hnaus, hnusum, hnosinn), schwed. nysa, dän. nyse, nl. niesen und niezen (Kilian 337ᵃ. Kramer 1, 219ᵃ), mengl. nêsin und fnêsin (nl. fniezen), engl. nees, so dasz die german. wurzeln hnus und fnus (s. pfniesen) ursprünglich vielleicht eins gewesen sind. vgl. oben th. 3, 1863 und gramm. 2, 22. im nhd. ist das wort wie im nd. schwachformig (ich nieste, ich habe genieset Frisch 2, 18ᶜ), mundartlich ist es (da auch die schreibung nieszen vorkommt) mit nieszen vermischt und darnach ein partic. genossen (neben geniest) gebildet worden. Schm.² 1, 1761. Schöpf 468. Seiler Basl. mundart 221ᵇ.
1)
eigentlich, sternutare, nauseare Dief. 552ᵃ. 376ᶜ; niessen voc. 1482 x 5ᵇ; niessen oder nüssen Maaler 307ᵃ; Rädlein, Denzler und Aler schreiben niessen, nieszen; bair. niesen und niesten Schm.² 1, 1761; mhd.
er heschte unde nôs (vrôs).
Parz. 581, 4;
der nasen nutz ist ouch, daʒ der mensch .. dâmit niest. daʒ niesen geschiht von dem, daʒ sich der luft wegt in dem hirn und die fäuhten auʒtreibt. Megenberg 11, 28 ff.;
wir sprechen, wer nieset, got helfe dir.
Renner 15190;
nhd. habt ihr wol genieset, so helf euch gott. Fischart bienenk. 129ᵇ; sein niesen glentzet wie ein liecht. Hiob 41, 9 (vgl. niesung); nieszwurtz .. machet niesen. Bock kräuterb. 134ᵃ; artznei, die das niesen bringt, sternutamentum. Maaler 307ᵃ; weil alles niesen muste. Simpl. 1, 625, 5; dasz einer das niesen davon bekommen möchte. exemplar. prediger (1690) 54; wie man zu reden pflegt, sein biesen soll einen andern machen niesen. 171; als er drei und zwantzig mal genieset. Hohberg 3, 1, 111ᵇ; (es bedeutet regen) wann ein mensch viel nieset. Simpl. calend. 48ᶜ; wenn einer nüchtern und frühe morgens, indem er ausgehet, nieset, soll es etwas sonderlichs bedeuten. Widmann Fausts leben 287 K.; abergläubische meinung etlicher weiber, so sich einbilden, dasz, wenn sie früh morgens nüchtern nieseten, sie ohnfehlbar solchen tag über etwas geschenkt bekämen. Amaranthes frauenz.-lex. 1333; wenn einer nieset bei anziehung der schuhe, so bedeutets unglück. rockenphil. 298, und anderer aberglaube 122. 487. 904. vgl. myth.⁴ 935 und nachtr. 322; salve brauchten die Römer ... auch, wenn einer nieste. Lessing 19, 442 H.; Zevs niest .. und ich wünsch ihm sich auszuniesen. Herder zur röm. lit. 117; er nieste so laut und muthwillig: hupschi! dasz alle fenster zitterten. G. Keller Seldw. (1883) 1, 13.
2)
übertragen: die lieblichkeit der nachtgespräche sprieszte — bis dasz der morgen nieste. Rückert mak. (1864) 95 und anm.; von hinten niesen, pedere:
er (der wolf) nieste gewaltig von vornen und hinten
(do prûstede he bede achter und vôr).
Göthe 40, 226.
3)
auf etwas niesen, nichts darum geben. Wander sprichw. 3, 1029 (vergl. husten 4); transitiv, durch niesen kundgeben, zuniesen:
niese nur fort, ich versteh dich: du niesest mir fröhlichen beifall.
Klopstock 2, 174;
einem etwas niesen, wie einem etwas husten (th. 4², 1978) Wander a. a. o.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 5 (1884), Bd. VII (1889), Sp. 835, Z. 67.

nieszen, verb.

nieszen, verb.
beginnt schon mit dem ausgange des 17. jh. zu veralten (s. Stieler 1352) und ist nun vollständig durch das compositum genieszen verdrängt, wozu die schon durch die schreibung (nieszen statt niesen und umgekehrt) ausgedrückte mischung mit niesen mag beigetragen haben. goth. niutan (naut, nutum, nutans), alts. niotan (nëotan, nëoten, niaten), ags. niôtan, neôtan, altn. njôta, altfr. niata, nieta, nl. (ge-)nieten; ahd. nioʒan (nêoʒan, niaʒan, nieʒan, nieʒen), mhd. nieʒen, nhd. nieszen (niesen Tauler 1508 15ᵃ. H. Sachs 11, 376, 24. 14, 226, 33. Zimm. chron. 3, 34, 29. 4, 81, 32 u. öfter, schles. nissen Logau 1, 1, 98. 2, 2, 10 u. öfter. Steinbach 2, 139; Opitz und Günther schreiben zwar genieszen, reimen es aber auf wissen Opitz 1, 210. 463. Günther 33. 92; sächsisch gnissen Leisentritt 1, 209 neben geniessen); in der flexion hat sich das dem mhd. iu entsprechende eu (imperat. neusz, präs. du neuszest, er neuszt) neben ie bis ins 18. jh. erhalten (Steinbach 2, 139). — mit der german. wurzel nut urverwandt ist das lit. nauda (nutzen, ertrag); andere vergleichungen sind unsicher, s. Curtius³ 677. Fick² 108. 783. L. Meyer goth. spr. § 200. Leo ags. gloss. 375, 16 und oben theil 3, 1793 f. Die grundbedeutung des wortes scheint vorzuliegen im goth. ga-niutan capere (wovon nuta m. der fänger, der fischer), woraus die übrigen bedeutungen etwas erlangen, an etwas theilnehmen (goth. niutan mit genetiv), inne haben und gebrauchen, als nahrung zu sich nehmen u. s. w. hervorgegangen sind. construiert wird es seit alter zeit mit dem accusativ oder mit einem theilungsgenetiv (gramm. 4, 602. 611 f. 650).
1)
inne haben und sich zu nutze machen, nutzen und genusz wovon haben, es genieszen (körperlich und geistig); oft verbunden mit synonymen nutzen, brauchen: ahd.
wola thaʒ githigini,   thaʒ nôʒ thô thaʒ gisidili.
Otfrid 4, 9, 19;
niuʒit thar in wâra   sâlida thîn sêla.
5, 23, 213;
thaʒ se erdrîches nieʒen.
1, 11, 8;
mhd. wir nuʒʒen vrôlîche daʒ lant.
könig Rother 2243;
er wânde er sold in (den hort) nieʒen.
Nib. 1077, 4;
die beide (wald und meer) er alsô vaste nôʒ,
daʒ er von ir geræte
vleisch und vische hæte.
Konrad troj. krieg 13666;
sô mugen wir fröide nieʒen.
Reinmar minnes. frühl. 156, 24;
nhd. absolut: in schauender oder in niesender weise. Tauler (1508) 15ᵃ; transitiv: du neusze mein recht (erbrecht), des ich mich willigklich verzeih. bibel von 1483 124ᵃ (Ruth 4, 6); so gibt man uns zu lon hundert guldin, die wir on alle sünd haben und nieszen mügen. Steinhöwel Es. (1487) 93ᵇ; da ich ... die ring, die ich den edlen Römern abgezogen, euch nieszen liesz. Livius von Schöfferlin 197ᵇ; denn würst du niessen die nutz. Terent. deutsch (1499) 47ᵇ; alle armut ich lyd, der nüszt fröd. 119ᵃ; wann er neuszet der süszigkeit gottes. Keisersberg pred. K 2ᶜ;
mîn herschaft wolt ich länger nieszen.
N. Manuel todtentanz 47;
der frembd mocht eins andern gut gleich brauchen und nieszen als der herr selber. Bocc. (1580) 1, 3ᵃ; damit der bawr solchs gut on beschwerde ... brauchen und nieszen müge. Luther 3, 112ᵇ; mögte er dieselbig (herschaft) mit steuren ... brauchen, nutzen und nieszen. Zimm. chron. 1, 199, 24; das (silbergeschirr) het der graf ... sein lebenlang wol megen behalten und niesen. 4, 104, 13; sintemal er und sein gantze hellische gemein die hell nicht der gestalt besitzen, dasz sie die ihres gefallens nieszen, verändern oder kehren .. dörffen. Ayrer proc. 3, 4;
jene solln den dank nicht wissen,
diese haben ihn zu nissen.
Logau 2, 4, 95;
wer durch tichten ruhm wil haben, kan ihn nissen (: büssen).
2, 8, 45;
junge solln die alten ehren, weil auch sie bald alten müssen,
dasz sie auch in ihrem alter von den jungen ehre nissen.
3, 10, 71;
weil unterdesz wir nieszen
den süszen sonnenschein.
Spee trutzn. 59 B.;
wenn doch nur Merck izt bei uns wäre und das auch sehen und nieszen könnte. Wieland an Merck 2, 113 (vom j. 1777).
2)
etwas als nahrung brauchen, essen und trinken, verzehren: mhd.
die milch sie ouch nuʒʒen.
Milstäter genesis 23, 21;
got dem manne widerseit ...
ze nieʒʒen des obeʒes.
10, 9;
diu krût diu muoste er nieʒen   durch des hungers nôt.
Gudr. 83, 1;
dô si die spîse nuʒʒen.
105, 1;
ob si wolten nieʒen sîn brôt und sînen wîn.
322, 2;
waʒʒer gekeltet auf dem snê ist verr peʒʒer ze nieʒen wan der snê. Megenberg 105, 27; wenn si (die gemsen) hönig nieʒen, sô sterben si. 128, 23; nhd. absolut:
Caja lest ausz einer schüssel unterschiedne vogel nissen.
Logau 3, 8, 86;
transitiv mit acc. oder theilungsgenetiv (statt dessen auch fügung mit von Logau 2, 2, 10): isse dein prot und neus es ganz und gar. gesta Rom. 74; und als sich gar oft begibt, das der man nicht allwegen einerlei speis nieszen mag. Bocc. 146ᵇ; so senhen (sehen) wir die spys vor uns ligen, die wir fröhlich nieszen werden. Steinhöwel Es. 97 Öst.; wer mancherlei wein neuszet und trinket. A. v. Eybe 39ᵃ; des (baumes) frucht du nimmer nüssest. Keisersberg narrensch. 67ᵇ; in dem schweisz deines angesichts wirstu nieszen dein brot. schiff d. pen. 102ᵃ;
die paurn ...
kamen bald für das thor gefarn,
man solt sy ylends laszen yn,
sy wolten nieszen brot und wyn.
Liliencron volksl. 286, 148 (vom j. 1514);
was solt er nieszen mit seinen klainen kinden.
Uhland volksl. 904;
und sei .. gut denen, die es nieszen und essen. Pauli schimpf 37; und was das die mainung, der mensch möcht aller frücht ... nieszen. Aventin. 4, 47, 14; er wolt aber anders nit wan wasser und brot nieszen. Aimon P 2; das man des brots und weins niesze mit essen und trincken. Luther 1, 201ᵇ; denn was hilffts, das .. uns ein brot bereit ist und doch uns nicht gegeben wird und wir sein nicht nieszen können? 81ᵃ; die speise, die gott zu nieszen geschaffen hat. br. 2, 120; etlich nieszen käsz, milch und fleisch. Frank weltb. 37ᵇ; der habich ... neuszt fleisch. sprichw. 1, 134ᵃ; die frei feldmausz neuszt das korn. Agricola sprichw. 66ᵃ;
weil wir most habn, söl wir sein niesen.
H. Sachs 11, 376, 24;
nosz darnach weder speisz noch dranck.
2, 198, 19;
haben sy (heuschrecken) alles, so fieh und leut sollen nieszen, pisz auff dy wurtzll abgefressen. städtechr. 15, 193, 12 (v. j. 1542); was sie nit niesen oder davon bringen, das haben sie ... verderpt. Zimm. chron. 4, 157, 33; denn er (Hippokrates) will, dasz ein schädliche oder ungesunde speis, die mit lust genossen werde, nicht als schädlich sei, als eine gesunde speis, die man mit unlust neuszt. Ryff spiegel der gesundh. 93ᵃ; gute speisz nieszen. Bocc. (1580) 1, 3ᵃ; damit er nun .. lang leben möcht, nosz er keinerlei speis von salz. Bebel facet. 58ᵃ; der krebsz und meerstern brauchen wunderbarlichen list, das fleisch der muschelfischen zu nieszen. Forer Gesners fischb. 148ᵇ; gruͤne bonen .. seind wol zuͦ nieszen im sommer, dann sie erweichen den harten bauch. Bock kräuterb. 201ᵇ; es ist das gerstenbrot ein gutes brot vor leuth, die schwäre arbeit thuen, zu nieszen. Tabernaem. 635; auch von innerlichen arzneimitteln: der niesze rauten in speis und trank. 391; die so hitziger natur sind, sollen dis wasser innerlich nicht nieszen. 714; er solt ... coriandersamen kaufen und nieszen. Kirchhof wendunm. 116ᵃ; vom heiligen abendmahle als seelenspeise und seelenarznei (artznei die gewissen auff zuͦ richten. Agricola fragestücke d 7ᵇ), absolut: es ist ein grosze sünd unwirdiklich niessen. Keisersberg narrensch. 74ᵃ;
on alle theilung jeder neuszt.
transitiv: sol ein priester ein frawen küssen mit dem mund, mit dem er got neust. Keisersberg spiegel menschl. behaltn. (1492) 55ᵃ; darnach nosz er das sacrament. evang. (1517) 3ᵇ; ein priester sol .. das sacrament machen usz dem wein und dasselb nieszen. brösaml. 62; ehe er (der priester) das brot nieszet. Luther 3, 272ᵇ;
da wir niesen desz lebens speisz.
H. Sachs 1, 177, 17;
gib das wir wirdig nieszen
das heilig sacrament.
Kehrein kirchenl. 1, 531, 33;
das grosze mahl nieszen sie alle.
712, 25.
3)
vom liebesgenusse: mhd.
und gevelts iu zuo gewinne,
ir nieʒet ouch ir minne.
krone 12355;
er nôʒ ir jungen süeʒen lîp.
gesamtabent. 2, 9, 155;
nhd. nun heint zu abendt wil ich dein warten
... in dem thiergarten,
die frücht zu nieszen unser lieb.
H. Sachs 12, 256, 29;
ein weib nieszen, beschlafen: ein weib leiblich nieszen. Schm.² 1, 1761 (vom j. 1486); Aesipho tät niessen die harpfenschlaherin. Terent. deutsch (1499) 95.
4)
sich nieszen lassen.
a)
sich essen, verzehren lassen: da ward ir hertz von minnen prinnen unde gedacht ir: 'und het ich dich, ich geʒ dich vor rechter lieb.' do antwort eʒ ... gar trotzlichen und sprach: 'ich laʒ mich niht also nieʒʒen.' der nonne von Engeltal büchlein von der gnaden überlast (14. jh.) 36, 8 Schröder.
b)
sich gebrauchen und nutzen lassen, nutzen gewähren: diesz bedeut barmhertzigkeit, da ein mensch sich leszt nieszen und nit ein schmarotzer ist. Pauli schimpf 58; grosze herren lassen sich nieszen, grosze bäume geben grosz und viel spän. Lehmann floril. 15, 42 (vgl. halte dich mit fleisz beim groszen herrn, man geniest seines guts und seiner ehren. 16, 61).
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 5 (1884), Bd. VII (1889), Sp. 838, Z. 40.

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Zitationshilfe
„nieszen“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/nieszen>.

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