Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

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geirig

geirig,
gierig,
1)
md. im 16. jahrh.: avidus, geirich. voc. opt. Leipzig 1501 C 6ᵇ, cupidus H 2ᵇ, auch im 15. jh.: parabata, i. e. cupidus, geyrich (neben girig) Dief. 411ᵇ aus mehreren vocc., nd. und md. (vgl. geirigkeit);
all menschen sind von art rachgeirig,
ist ein alt sprichwort und nit hewrig.
B. Waldis Esop IV, 53, 29.
noch jetzt z. b. nassauisch geierig gierig, geizig Kehrein 156. s. auch geirisch.
2)
die ältere form wäre gîrig, die denn unter dem md. girich der vocc. Dief. 61ᵃ u. a. mit versteckt sein kann, mnl. erkennbar in gijrich avarus Mones anz. 6, 445 (girech Oudemans 2, 685), vermutlich auch mnd. gîrich neben girich, wie mhd. giric, in denen i und î nicht zu unterscheiden sind, doch auch mhd. gîric ist glaubhaft nach gîrisch (s. geirisch) und gîr adj., nhd. geier (sp. 2561), von dem es eine weiterbildung ist, zugleich zum subst. geier bezogen (s. d. 3, a und unter geierheit). unser gierig ist das mhd. gĭric.
3)
auch ein zu gîrig stimmendes zeitwort gîren ist wol anzunehmen, durch das î unterschieden von mhd. gĭrn, nhd. gieren (s. d.); so wol in mnd. gyren, auch gyren unde gylen (s. geilen sp. 2598) Sch. u. L. 2, 114ᵃ, vgl. md. 15. jh. giren avere, auch gyrschen (s. geirisch) Dief. 60ᵇ und die beliebte anlehnung der gier an den geier sp. 2561 m. vgl. auch altdän. gire gierig verlangen mit 'gijre' begier Molbech dansk gl. 1, 292, norw. gir m. (mit î) Aasen 216ᵃ.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 3 (1881), Bd. IV,I,II (1897), Sp. 2607, Z. 30.

1gierig, adj. und adv.

¹gierig, adj. und adv.,
cupidus. mhd. girec, giric, ahd. girîg, kirîg, vom stamme ger-, idg. g̑her- 'verlangen haben', s. ¹gier, f.; as. gerag Wadstein kl. and. sprachd. 59, 8; 60, 26; afries. girich Richthofen 776ᵃ, mnl. gerich Verwijs-Verdam 2, 1953 s. v. gierich, neunl. geerig (als veraltet) woordenbook 4, 692. norw. girug Torp 154, schwed. girig Hellquist 187ᵇ, dän. gjerrig Falk-Torp 316 (die nord. worte könnten auch entlehnt sein). — mnl. gierich 'begerig' Verwijs-Verdam 2, 1953; neunl. gierig desgl. woordenbook 4, 2296, sowie nd. gīrich Lasch-Borchling 1, 2, 116 gehören zur wurzel gīr-, idg. g̑hēi-, g̑hī-, s. ¹gier, f., und nhd. geirig, teil 4, 1, 2, 2607. auch im mhd. lassen sich die beiden stämme gĭr- und gīr- nicht mit sicherheit getrennt halten; mit einem einwirken von gīr- ist zumal auf md. boden zu rechnen.formen mit e in der stammsilbe im ahd. und mhd.: kereg Notker ps. 41, 3; gerig (obd., 15. jh.) Diefenbach 61ᵃ sind durch das -ag-suffix bedingt. mhd. girig hält sich bis ins 17. jh.: Diefenbach 411ᵇ (15. jh.); Frisius 106ᵇ; Schottel (1663) 150; gyrig gemma gemmarum (1508) s 1ᵇ. daneben mit spirantischem auslautszeichen girech passional 289, 21 Hahn; girich (15. jh.) Diefenbach 606ᵇ; gyrich Clemen ref.-schr. 1, 39. gerundet gürig Wilwolt v. Schaumburg 91 lit. ver.; Rompler reimget. (1647) 210; guͤerig J. W. Valvasor Crain (1689) 3, 53. vereinzelt gierk avarus, avidus (im gleichen gloss., md., 15. jh.) Diefenbach 59ᵇ u. 61ᵃ. die moderne schreibung gierig seit dem frühnhd.: Berthold v. Chiemsee t. theol. 116 R.; Dürer nachlasz 338.
1)
der volle reichtum des wortgebrauchs entfaltet sich erst im nhd. bis in dessen frühzeit steht, verhältnismäszig spärlich bezeugt, die grundbedeutung des stammes ger- durch: 'verlangen tragend, bereit zu etwas' (vgl. ¹gier 1). so in den glossaren des 15. und 16. jh. girig für cupidus Diefenbach 163ᵃ; parabata ebda 411ᵇ; gemma gemmarum (1508) s 1ᵇ; begernder lust vel gyrige kraft, der will vis concupiscibilis Diefenbach 622ᶜ. gierig bezeichnet sowohl ein einmaliges begehren als eine dauernde eigenschaft, ein ständiges aussein auf etwas, geneigtsein und hinstrebendes bereitsein: rehtes giredo uuas si (die seele) girig unde gelustig Notker ps. 118, 20 P. (s. u. gierde 1);
(die königin) sprach: minen richen
gebrest denn guͦtes und eren,
ich hilf dinem heren
libe, swes er giric ist
Johann v. Würzburg 13579 Regel;
mich disz wercks nit verfangen han als ain genaigter zuͦ scheltung und abzuge wyplicher eeren vnd wirden, die ich giriger bin mit lobe allzyt ze erheben Niclas v. Wyle translat. 95 Keller; kaiser Constantinus ist girig des lobs gewesen, in kriegen glücksälig, ein liebhaber der schrift und künstler Aventinus 4, 1023 L.; kunstgierig 'kunstbeflissen': gott zu ehren und den kunstgierigen jungen gesellen zu nutz Dürer nachlasz 338 Lange-Fuhse. 'bereit', 'verlangend': (der märtyrer) guͦtwillig und girig zuͦ sterben, windt sine hend über ananderen (zum gebet) Joh. Kessler sabbata 128 (von 1574);
und immerdar bereytt,
mit lieb und ohne forcht die wältlich eutelkeit,
so bald nur gott gebieth, heylgürig auffzugeben
Rompler reimgetichte (1647) 112.
2)
der allgem. gebrauch des nhd. legt in gierig eine intensive bedeutung: heftig, stark, auch übermäszig verlangend. sie wird im frühnhd. in breiterer anwendung faszbar, kündigt sich aber auf bestimmten feldern schon im mhd. an. die frage ist wieder, wieweit hier gīr- im spiele ist.
a)
auf tiere angewendet kennzeichnet gierig das triebhafte verlangen nach nahrung und raub, gelegentlich nach fortpflanzung:
(der ritter) was so nîdic ûfe die
daz ein grimmer lewe nie
sô giric was nâch eime vihe
Konrad v. Würzburg Engelhard 2749;
(der hecht) izt auch ainen andern hecht, alsô gräuleich ist er von nâtûr und sô girig auf den raup Konrad v. Megenberg 254 Pf. sprichwort: einem gyrigen federspil ist guͦt locken Keisersberg post. (1522) 2, 36ᵃ; (den zuchtesel) sol man ... also jung vnder die rossz gwaͤnnen, da wirt er als denn auch dester giriger auff die stuͦtten Forer Gesners thierb. (1563) 50ᵃ; wie wechelt er (der hund) mit dem schwantz, wie girig ist er nach der speisz Harsdörffer frauenz.-gesprächsp. (1641) 2, 108;
gierig weiden schon die rosse
müd, vom schlachtenritt gemagert
Lenau s. w. 307 Barthel;
gierig zieht der bussard wildbretfetzen heraus H. Löns aus flur und forst⁶ 104. als stehendes und charakterisierendes beiwort: ein gottloser der uber ein arm volck regiert, das ist ein bruͤllender lew und giriger beer spr. Sal. 28, 15; gierige geyer Herder w. 23, 212 S. besonders vom wolf:
manche wackre männer
gab er den giergen wölfen
Herder w. 25, 259 S.;
der wolf aber ist ... gierig, gefräszig, unersättlich J. Grimm Reinhart Fuchs (1834) vorrede 34; im bild: so warf vor länger als hundert jahren das teutsche reich eins seiner kräftigsten ... glieder ..., das schöne Elsasz, den gierigen wölfen vor Görres ges. schr. (1854) 2, 251.
b)
diese seite der bedeutung, das animalische begehren, lebt im nhd. bis auf den heutigen tag in wendungen, die von der grundvorstellung 'nach trank oder auch speise verlangend' ausgehen. im eigentlichen gebrauch schon alt: gulae dediti kirikcen kidik ahd. gl. 2, 234, 12; caroforus gyrig mit essen gemma gemmarum (1508) o 2ᵃ; der spyse gyrig (avidae cibi) Nythart Terenz (1499) 78ᵃ; auch später noch: gierig glouton, gouliafre, goulu, safre, bâfre Schwan nouv. dict. (1783) 1, 753ᵇ; gierige kinder überfüllen sich Fr. L. Jahn w. 2, 221 E. fruchtbar in der verbindung mit durst, durstig:
wis gehirse bremst unt rechzet
girig frischer wasserflus:
also gelft fur durst zerlechzet
mein sel zuͦ dir, herre, sus
Schede-Melissus psalmen 162 ndr.;
welchs (gift) als er girig im dorst eingesoffen hatt, fuͤhlet er von stund an, das jm vergeben ware E. Menius chronica Carionis (1560) 2, 217ᵇ; wie uberaus girig und durstig sie sind nach der fromen christen blut Luther 16. cap. s. Johannis (1539) e 1ᵇ; seid girig nach der vernuͤnfftigen lautern milch, als die jetzt geborne kindlein S. Astomedes christ. auszlegung (1609) 1, 357. humorvoll: das gierigdurstige gesicht war herrlich motiviert durch den wie ein dürres ackerland zerklüfteten leib, der den wohltätig anfeuchtenden wasserstaub seit vielen wochen nicht verspürt haben mochte G. Keller ges. w. 6, 255. in jüngerer sprache gern neben trinken, schlürfen, einsaugen, aufsaugen, auch bildlich und übertragen:
gierig schlürfte sie mit blassem munde
nun den dunkel blutgefärbten wein,
und dem jüngling reichte sie die schale,
der, wie sie, nun hastig lüstern trank
Göthe I 1, 222 W.;
sein ohr trank gierig die sanften töne Musäus volksmärchen 1, 10 H.; die verschalung sog das wasser gierig ein Ludwig ges. schr. (1891) 1, 357; Hradscheck sasz ... da, luft und licht, deren er ... vier wochen entbehrt hatte, gierig einsaugend Fontane ges. w. I 6, 370; kein volk ist fähiger, geistigem einflusse sich hinzugeben, als das unsere. gierig wurde aufgesogen, was über die Alpen kam und als eigener besitz weiter verarbeitet Herm. Grimm Michelangelo (1890) 2, 212;
der edle schlürft nicht wein des gottes
in gierigem zug hinab
Stefan George stern d. bundes (1914) 62.
auf ähnlicher vorstellungsgrundlage:
doch eh ein mensch vermag zu sagen: schaut!
schlingt gierig ihn (den blitz) die finsternis hinab
Shakespeare 1, 182;
'was halten sie (anr.) von der rolle des Rautendelein?' ... er frasz sich augenblicks gierig in den stoff hinein ... und sie horchte mit lust auf seine drastischen erklärungen H. R. Bartsch Elisabeth Kött (1911) 58. vgl. auch den übertragenen gebrauch unter 7. auch gierig in erotischem sinn gehört in diesen bereich des animalischen: (Venus), damit sie nicht allein (als einzige) unverschämpt (schamlos) und gierig der männer geachtet würde, hat sie ... der hurerey kunst auffgericht Tatius Polydorus Vergilius (1603) 331; vgl.: brunstgierig Schottel friedens sieg 25 ndr.
3)
der intensive bedeutungsgehalt des wortes kennzeichnet sich auch durch einen gerade seit dem frühnhd. häufigeren gebrauch von steigernden beiworten (vast, grosz, ganz, auch so und zu in gewissen fällen): do wasz der Palamides vast girig uff die veind, und rand do manlicher wider hist. v. Troia (1499) 56ᵃ; des allerhochwirdigisten sacramentz entphahung gros gyerig C. Gütel büchlein v. Adams wercken (1518) a 2ᵇ; griszgrante vnd bran er (Ulysses) in jm selbst gantz girig des rachs vnd straff gegen den vngetrewen vnd lasterhafftigen Schaidenreiszer Odyssea (1537) 84ᵃ;
o, wie seindts so girig des streits!
J. Ayrer dramen 1, 157 Keller;
welcher im anfang gar zu girig laufft, der wirdt bald erligen A. Agricola gutes aug (1629) 615; 'hitzig, streng': (der profosz) sol auch uber niemand zu gierig oder sich durch jemand vorhetzen lassen ... sondern bey der guͤtigkeit bleiben lassen, doch das nichts desto weniger das übel gestraffet werde D. Wintzenberger krieges ordnung (1594) k 1ᵇ. — auch sonst kann das intensive moment ganz rein hervortreten, zumal später, als einmaliger oder doch zeitlich begrenzter starker willenstrieb; 'darauf aus, eifrig': vnnd war ein iedes theil girig, sein macht und grimm wider den feind zu beweisen H. Müller türk. historien (1563) 48ᵇ;
wenn werden wir so fleiszig wieder spielen!
(Saladin:) so spielen wir um so viel gieriger!
Lessing w. 3, 42 L.-M.;
gierig horcht ich ihren lehren
Göthe w. I 16, 198 W.;
bei stärkerem durchbrechen sinnlicher vorstellung (gewissermaszen des zuschnappenwollens) wird auch hier der nd. bedeutungsstrang greifbarer: (Kätti) fuhr empor und streckte sich mit dem ganzen leibe nach jener richtung, während ihre hände sich an den rand des bootes klammerten. gierig, als passe sie auf eine beute, lauschte sie Th. Storm w. (1899) 5, 236.
4)
bei ethischer wertung des begehrens wird altes gierig positiv wie negativ gebraucht; neuere sprache nimmt das wort nur negativ.
a)
bereit, verlangend nach gutem, namentlich in religiösem sinn: demo durftigemo habest du gegareuuet in dinero suozzi kirigin uuillen knotiu uuerch ze tuonne (promptam voluntatem) Notker ps. 67, 11 P.; swen mîn dilectio perfecte inflammat, síu máchet ín contemptorem állis írdiscen gûotes unte máchet ín gíregan des êuuegen rîchtûomes Williram 63 Seemüller;
sin vil heilige zucht ...
was girec nach gotes gebote
passional 7, 54 Köpke;
so muͤgen doch die glaubigen girigen menschen soͤllh geschicht erkennen (fideles avidi) Birgitte (1502) 8ᵇ; dasz allhie ... eine feine jugend (theologiestudenten) ist, gierig des heilsamen worts Luther br. 2, 491 de Wette.
b)
in abschätzigem sinn, vor allem als charaktereigenschaft; bezeichnet ein weltliches, unrechtes, in neuerer sprache dazu unmäsziges, verächtliches begehrlichsein in verhalten und wesen: kirige liute ilent ze dero bitteri dirro uuerlte (cupidi homines) Notker ps. 88, 26 P.; vanecupidus ydel girich (15. jh.) Diefenbach 606ᵇ; ein priester soll nit geytzig sein, auch uff rechtfertig guͤt, sonder mer gastfrey. er soll noch vill mynder schandtlichs gewynsts gyrig sein Eberlin v. Günzburg s. schr. 1, 180 ndr.; solten wol nicht von denen allertapfersten christlichen kaysern ... und anderen beruͤhmten teutschen helden ... gleichmaͤszige tugenden beliebt und die lastere vermitten seyn, darnach man so girig bey den heiden umgaffet? Schottel haubtspr. (1663) 150; ein böser fürst weisz ... den gierigen durch die verschwendeten schäze ... zu erkaufen A. v. Haller Alfred (1773) 138; (die Germanen) jagten ihn (Lollius) blutig über den Rhein, einen gierigen plünderer, der unter dem mantel der tugend die gröszten laster verbarg E. M. Arndt ansichten u. aussichten (1814) 38; doch habe ich auch dort gehört, wie sie es sich gierig in die ohren raunten (die kompromittierende neuigkeit) Th. Storm w. (1899) 1, 163.
5)
als object heben sich (neben dem animalischen in 2) geschlossene sachbereiche besonders heraus (vgl. ¹gier 3); meist präpositional, daneben infinitivisch, in älterer und poetischer sprache auch genetivisch angeschlossen.
a)
sinnlich-materieller bereich; gierig nach ehre (stirbt im frühnhd. ab), macht und besitz: zufrühest in compositis: altipetax hôhegirigir ahd. gl. 4, 167, 35; ambitiosus hergirger 4, 32, 30 (12. jh.);
Jofrit der fúrste wise,
des pris gen hohem prise
was ie giric unde snel,
begunde vliehen gen Nivel
Rudolf v. Ems Willehalm 1367 Junk;
wann er was ehren girig und wolt im selber auch ein rhum erlangen Schöfferlin Livius (1551) 79; s. auch ambitiosus hoffardig, gyrig Diefenbach 29ᵃ;
was er (David) helfe tete schin
von argen rouberen,
die sinis (Nabals) guͦtis weren
girig und vil gevere
Rudolf v. Ems weltchr. 25239 E.;
nu waren vill wegen von der selben stat herauszen, die auch getrait einfürten, macht seine gesellen gürig, guet zu gewinnen Wilwolt v. Schaumburg 91 lit. ver.; was damals alle nach herrschaft gierige Römer hochschätzten Zimmermann über d. einsamkeit (1784) 4, 245;
abscheuliches gespenst! stets hungrig, nimmer satt,
und gieriger auf gold, je mehr es goldes hat
M. G. Lichtwer schr. (1828) 212.
bei unterdrückung des objects nimmt gierig selbst die bedeutung 'hab-, (macht-)gierig' an: daz dûtit ... girige lûte, di widersprechen daz ermute unsis herren dt. myst. 1, 81 Pf.; appetens girig, der understadt ander leuten guͦt an sich ze ziehen Frisius 106ᵇ; hat Calvia Crispinilla ihre (geld-) schätze aufgethan, und ist mit denen der gierige soldat vergnügt worden? A. U. v. Braunschweig Octavia (1677) 2, 1202; für das wohl der länder waren erbkönige vortheilhafter als oft ändernde und um so gierigere satrapen J. v. Müller s. w. (1810) 1, 171. gern dabei als typisierendes beiwort:
mich unmündigen knaben entraftest du, gieriger tod, schon?
J. H. Voss sämtl. ged. (1802) 6, 323;
im nämlichen jahrhundert ging noch dreimal das gierige meer übers land H. Allmers marschenbuch (1861) 42.
b)
bereich von tat und geist; zu tun und wirken eifrig, begierig: gott läszts an sich nicht ermangeln, ist gieriger zu geben als zu nehmen H. Müller erquickst. (1666) 379;
alle stürzten sogleich dem graben zu, gierig der arbeit
Göthe I 50, 273 W.;
doch Tydeus tollkühn und des kampfes gierig tobt,
wie wenn ein drache wild in mittagshitze zischt
Droysen Äschylus (1841) 359.
geistig; verlangend, vor allem nach neuem: dann wyplichs geschlecht allwegen girig ist der nüwekait Niclas v. Wyle translat. 60 Keller; denn es war newer maͤre ein girig man Seb. Franck chron. Germ. (1538) 311ᵇ; das erkennt der pöbel nicht, der, so gierig er auf neuigkeiten ist, das neue höchst verabscheuet Göthe I 8, 38 W. seine (Julians) eigene, traurige situation machte ihn gierig nach der versprochenen ... känntnisz der zukunft allg. dt. bibl. (1765) 1, 2, 144;
denn zwar reizt es den mann zu sehn die drängende menge,
seinetwegen versammelt, im leben, gierig des schauens
Göthe I 50, 291 W.
6)
eine besondere bedeutung entwickelt sich auf dem wege der sinneseinengung im sachbereich der besitzgier; hier wird aus 'habsüchtig' im älteren nhd. gelegentlich 'geizig'; vgl. die glossierungen des 14.-16. jh. avarus Diefenbach 59ᵇ; parcus 412ᶜ; philargirus 234ᶜ: als he (der keiser) an dat rich quam, so wart he so karich ... nu is gein laster of unbillicher dink an eim keiser, dan dat he girich und unmilt si (Köln 1499) chron. d. dt. st. 13, 339; ein gieriger trawrt mehr umb schaden denn ein weiser Petri d. Teutschen weissh. 2 (1604) v 1ᵇ; ein gieriger gewint sein gut andern ebda.
7)
übertragen.
a)
beim menschen (und tier) auf seele und körper als sitz und werkzeug des begehrens, so bei muot, gemüt (vom mhd. ins frühnhd. reichend, später spontan und vereinzelt), herz, geist als vertreter des ganzen menschen:
sô getâne goukelære
sint alle wuocherære,
wan si wænent mit ir guot
vüllen ir girigen muot
Thomasin 12114 Rückert;
also verwunder ich mich des girigen gemuͤts, der flücken hende des Pyrrhi H. Eppendorff kriegsübung (1551) 67ᵃ;
... ein matrosengeschwader, die heisze kost
schlingend gierigen muts
Platen w. 1, 264 Hempel;
dennoch ist das menschliche hertz so glükkgierig Schottel friedens sieg 9 ndr.; nur du kannst das gierige herz ... dieses verwegenen ... sättigen Klinger w. (1809) 3, 35;
wer den gierigen geist zähmt, herrscht in weitern
grenzen, als wer Lybien mit dem fernen
Gades bände
Herder w. 26, 247 S.
dinglicher bei den organen des geistigen und sinnlichen aufnehmens und ergreifens, wie auge, blick, hand, mund u. ä.:
alsbald das guͤhrig aug den port hergegen findet
Rompler reimget. (1647) 210;
lüstern sieht sein gieriges aug nach Spanien, Portugal und den rest von Deutschland E. M. Arndt geist d. zeit 2, 23; ein gieriger blick macht das ehrwürdigste gesicht lächerlich Lessing s. schr. 9, 133 L.-M.;
wie nur dem kopf nicht alle hoffnung schwindet,
der immerfort an schalem zeuge klebt,
mit gierger hand nach schätzen gräbt,
und froh ist, wenn er regenwürmer findet!
Göthe I 14, 36 W.;
da sasz ein raubvogel drauf, und hackte mit gieriger kralle in die ... erde hinein Fouqué alts. bildersaal (1818) 4, 606;
und seiner unersättlichkeit
soll speis und trank vor giergen lippen schweben
Göthe I 14, 88 W.;
er schlürfte mit gierigem munde
den würzig köstlichen wein
Chamisso w. (1836) 3, 148.
b)
nahe steht dem eine übertragung auf natur und gegenstände, die durch gierig anthropomorph als heftig, raffend, verschlingend charakterisiert werden: zu lezt ... that sich ... die sonn mit jren feurigen straimen herfür ... vnd stach so girig ... auf das arm angefochten mäntelin Fischart 3, 134 Hauffen;
denn uns friszt in öder wüste
gierger sand
Göthe 2, 54 W.;
hochauf bäumen sich die wilden wasser und schauen gierig über den deich ins gesegnete land H. Allmers marschenbuch (1861) 31; V. risz das fenster auf ... der wind sprang gierig durch die öffnung E. Zahn helden d. alltags (1906) 72. poetisch von der waffe:
wehrlos steh ich, wie dem die spitze des schwerdtes geraubt ist,
und ein gieriger dolch rächend die seite durchstöszt
Herder w. 16, 319 S.
vgl. mundartlich: 'ein gefäsz ist gierik, wenn viel hineingeht' Lexer kärnt. 114ᵇ; nordfries. für zu tief pflügen: ë pluch ës altâ gîrî Jensen Wiedingharde 153.
c)
abgelöst von träger der gier ist die anwendung auf handlungen und seelenkräfte, wobei gierig vor allem als intensivum zu fassen ist, als heftig, grosz, mächtig, stark, auch maszlos: so wolt ich nichts lieber dann der girigen rachung gebrauchen und der Pheacenser schiff ... zuͦ ainem groszen berg verkören Schaidenreiszer Odyssea 56ᵃ; er ... wagt schon den gierigen sprung zum ufer hin maler Müller w. (1811) 1, 356; vereinzelt vom starken gefälle: aber der Rhein fleuszt gegen mitternacht mit girigen lauff durch die tale buch der chronicen (1493) 286ᵃ; ebenso Seb. Franck weltbuch (1567) 48ᵃ. — rein intensiver gebrauch liegt vor allem bei verbindung mit ausdrücken vor, die an sich schon ein begehren bezeichnen:
und dennoch ist dem gierigen verlangen
der durst nach küssen nie vergangen
bei Weichmann poesie d. Niedersachsen (1721) 1, 315;
die kurze
spanne des lebens versagt dem gierigen wunsch weit auszuschweifen
Ramler lyr. ged. (1772) 227;
mancher speculativer kopf in Berlin hatte schon lange, in gierigster erwartung dieses längst auscalculierten todes (Friedrichs d. Groszen) sich die prächtigsten schlösser in die luft gebaut Zimmermann fragm. üb. Friedr. d. Gr. (1790) 3, 33; derhalb darf man nicht staunen, dasz man ein bild jener sittlichen corruption ... mit einem gewissen gierigen genusz betrachtete O. Jahn Mozart (1856) 4, 206.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 5 (1936), Bd. IV,I,IV (1949), Sp. 7376, Z. 67.

2gierig, adj.

²gierig, adj.,
zu ²gier. seemannsausdruck, geneigt, vom kurs abzuweichen: wenn he (das boot) na 't lee giert, is he leegierig, wenn he na 't luuv giert, is he luvgierig Mensing 2, 375; vgl.gereg, wat geert, achterboom is gereg ter Laan Groningen 249. —
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 5 (1936), Bd. IV,I,IV (1949), Sp. 7382, Z. 21.

3gierig, adj.

³gierig, adj.,
knarrend, knirschend. zu ³gieren 'schreien, knarren': giericht stridulus, minuriens, pipiens, pipillans Stieler 659; gīrigi schueʰ Staub-Tobler 2, 407. als grimmigkalt vom winter (wenn der schnee gīret): je gīriger deʳ winter, desto tropfiger (nässer) deʳ summer ebda.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 5 (1936), Bd. IV,I,IV (1949), Sp. 7382, Z. 25.

4gierig, adj.

⁴gierig, adj.,
in gärung befindlich. zugier 'gärung' und ⁴gieren 'gären': vom gieren (des bieres): ... wann nun der zeug also gierig gemacht ist, gibt man dem bier davon in den bodingen Hohberg georg. curiosa (1682) 2, 84ᵃ; vgl. kaltgierig teil 5, 90.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 5 (1936), Bd. IV,I,IV (1949), Sp. 7382, Z. 31.

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Zitationshilfe
„geirig“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/geirig>.

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